Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 U 4531/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2838/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.06.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - nachfolgend: BK 2108) streitig.
Der am 1953 geborene Kläger ist ausgebildeter Kfz-Mechaniker. Die im September 1969 begonnene Ausbildung absolvierte er bei der Firma S. (A.-V.-Werkstatt), wo er anschließend bis März 1973 beschäftigt war und die üblichen Tätigkeiten eines Kfz-Mechanikers in einer PKW-Werkstatt ausführte. Anschließend war er bis Mai 1975 in verschiedenen Autowerkstätten beschäftigt. Von Juni 1975 bis Dezember 1977 war er bei der damaligen Firma K. beschäftigt, wo er Montagearbeiten an Bussen ausführte; seinen Angaben zufolge (vgl. Bl. 48 VerwA) war diese Tätigkeit nicht wirbelsäulenbelastend. Nach dem anschließenden Besuch der Meisterschule war er von März bis September 1979 bei der Firma Auto H. als Kfz-Mechaniker beschäftigt. Die danach von März 1980 bis Oktober 1982 in der P.-Niederlassung in U. ausgeübte Tätigkeit als Kfz-Meister im Bereich der Annahme und als Disponent war nach den Angaben des Klägers (vgl. Bl. 48 VerwA) nicht wirbelsäulenbelastend. Von August 1984 bis Februar 1985 war der Kläger wiederum bei der damaligen Firma K. beschäftigt, wobei er Kontrollarbeiten verrichtete. Im Mai 1986 nahm er ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma I.M. auf, wobei er zunächst bis Oktober 1986 als Monteur in der Abteilung Fahrerhausmontage (Einbau von 30 kg schweren Fußmatten), anschließend bis Januar 1988 als Kraftfahrer in der Abteilung Verkehrswesen (Überführen von Fahrzeugen), hiernach bis Januar 1991 als Mechaniker in der Abteilung Versuch im Bereich Erstmontage, Triebwerk und Achsen und schließlich bis zu seinem Ausscheiden Ende Mai 1994 als Sachbearbeiter im Bereich Versand eingesetzt war (vgl. Zeugnis vom 26.08.2002, Bl. 8 VerwA). Seither war der Kläger nicht mehr beruflich tätig.
Im Juli 2008 beantragte der Kläger die Anerkennung seines Bandscheibenvorfalls als "Betriebsunfall" und machte geltend, dieser Schaden sei während seiner Tätigkeit bei der Firma I. durch die schwere körperliche Arbeiten an Lkw (Zerlegen, Zusammenbauen und sonstige Tätigkeiten, wie bspw. Andrehen von Schrauben und Muttern, für die zwei starke Personen nötig seien) entstanden. Aufgetreten sei der Bandscheibenvorfall im Jahr 1987. Im Rahmen seiner "Angaben über wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten" in den Erhebungsformularen der Beklagten führte er im Hinblick auf seine Tätigkeiten bei der Firma S. (1969 bis 1973), der Firma Auto H. (März bis September 1979) und der Firma I.M. (1986 bis 1994) aus, bis 10 kg, 10 bis 15 kg, 15 bis 20 kg, 20 bis 25 kg sowie mehr als 25 kg gehoben zu haben, dies bei der Firma S. und Firma I.M. täglich. Zu den Tragebelastungen gab er an, bei der Firma S. und der Firma I.M. ein- bis vier Mal pro Arbeitsschicht Gewichte von 10 bis 15 kg, 15 bis 20 kg, 20 bis 25 kg sowie mehr als 25 kg ein bis zehn Meter (Firma S. ) bzw. ein bis fünf Meter (Firma I. M. ) getragen zu haben. Auf der Schulter seien keine Gewichte getragen worden. Tragebelastungen bei der Firma Auto H. spezifizierte er nicht. Seinen weiteren Angaben zufolge habe er Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bei der Firma S. (täglich, inclusive verschiedener Gradwinkel) und der Firma I.M. (täglich zehn Minuten pro Arbeitsschicht, Dauer ca. eine Minute) ausgeübt. Diesbezüglich machte er in Bezug auf die Firma Auto H. keine detaillierten Angaben. Ganzkörperschwingungen im Sitzen durch Fahren auf unebenem Gelände sei er nicht ausgesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 27.11.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 und einer BK 2109 ab und führte nach Darlegung der hierfür erforderlichen Hebe- und Tragelasten, der Häufigkeit und Dauer der Belastung aus, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger während der angeschuldigten Tätigkeiten schwere Lasten mit der erforderlichen Regelmäßigkeit, d.h. Häufigkeit und Dauer pro Schicht bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeübt habe. Der im Jahr 1987 aufgetretene Bandscheibenvorfall sei im Übrigen nicht nach langjähriger Tätigkeit bei der Firma I.M. aufgetreten, nachdem er diese Tätigkeit erst im Mai 1986 aufgenommen habe. Eine relevante Einwirkung im Sinne der BK 2109 (langjähriges Tragen von Gewichten von 50 kg oder mehr auf der Schulter) habe nicht vorgelegen. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.06.2009).
Am 02.07.2009 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, die Beurteilung der Beklagten berücksichtige nicht die Arbeitsrealitäten im Handwerk. Anders als bei Fließbandarbeit sei hier eine sehr große Flexibilität mit vielen verschiedenen Körperhaltungen und Bewegungen erforderlich, weshalb nicht alle Abläufe katalogisiert und nummeriert werden könnten. Hierdurch entstünden im Laufe der Jahre - wie bei ihm im Bereich der Bandscheibe - Verschleißerscheinungen. Auch seine Tätigkeit in der Entwicklungsabteilung bei der Firma I.M. sei mit jenen in Reparaturwerkstätten im Handwerk vergleichbar.
Das SG holte eine Auskunft der Firma I.M. ein und veranlasste eine Berechnung der Belastungsdosis des Klägers nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) durch die Mitarbeiter des Präventionsdienst der Beklagten R. und G. auf der Grundlage eines mit dem Kläger geführten persönlichen Gesprächs. Diese ermittelten bei wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Umfang von siebeneinhalb Jahren eine Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Newton-Stunden (Nh).
Mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2011 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, mit einer Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Nh unterschreite der Kläger deutlich den Orientierungswert von 25 x 106 Nh und erreiche damit nicht den Mittelwert von 12,5 x 106 Nh, ab dem eine berufliche Ursache eines Wirbelsäulenschadens in Betracht gezogen werden könne. Da somit bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die in Rede stehenden BKen nicht erfüllt seien, seien die entsprechenden medizinischen Voraussetzungen nicht mehr zu prüfen.
Am 07.07.2011 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt; sein Begehren hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die BK 2108 beschränkt. Er hat im Wesentlichen erneut auf die Unterschiede zwischen Handwerk und Industrie hingewiesen, weshalb die erfolgte Rechnung nach dem MDD zu niedrig sei. Diese Tabelle passe nur für Fließbandtätigkeiten. In die Berechnung seien alle Belastungen des gesamten Arbeitskatalogs mit einzubeziehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.06.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2009 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 2108 anzuerkennen. Denn eine solche BK liegt beim Kläger nicht vor.
BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VI begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Kläger erfüllt nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Rechtsprechung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht.
Das so genannte und hier von der Beklagten der Beurteilung zu Grunde gelegte MDD ist ein Verfahren zur Bewertung der beim Einzelnen auftretenden tatsächlichen Belastung im Hinblick auf die in der BK 2108 aufgeführten Kriterien (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), also zur Beurteilung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen (s. im Einzelnen: BK-Report Wirbelsäulenerkrankungen 2/03, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - BK-Report -). Hintergrund des MDD ist die Erkenntnis, dass insbesondere bei Beschäftigten in Pflegeberufen, Betonbauern und Hafenarbeitern nach epidemiologischen Studien von einem signifikant erhöhten Risiko in Bezug auf die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS auszugehen ist und dass weniger häufig auftretende hohe Kompressionskräfte eine höhere Schädigungswirkung besitzen als häufige Belastungen mit niedriger Höhe. Letzteres führt zum so genannten quadratischen Ansatz, bei dem die überproportionale Wichtung der auf das Wirbelsäulensegment einwirkenden Kompressionskraft (hervorgerufen insbes. durch das zu bewältigende Gewicht) durch eine Quadrierung der Expositionshöhe erfolgt. Zur Abgrenzung zwischen (für die BK 2108 relevanten) schweren und (unerheblichen) allgemeinen Hebe- und Tragetätigkeiten geht das MDD von der Annahme aus, dass bei Männern ab 40 Jahren ab 20 kg, bei Frauen ab 40 Jahren ab 10 kg vom Heben einer schweren Last zu sprechen sei, wobei biomechanische Messungen und Berechnungen beim Heben und Tragen von Lasten am Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein bestimmte Druckkraftwerte (in Newton - N -) ergeben. Auf diesen Grundlagen wurde die Belastung der genannten Berufsgruppen ermittelt und für eine Acht-Stunden-Schicht aufaddiert. Für die Beschäftigten in Pflegeberufen - insoweit bezogen sich die Studien fast ausschließlich auf Frauen - ergab sich eine kumulierte LWS-Belastungsdosis von knapp 4.000 Nh, für Betonbauer bzw. Hafenarbeiter - fast ausschließlich männliche Beschäftigte - eine solche von bis über 6.000 bzw. über 13.000 Nh je Schicht. Davon abgeleitet geht das MDD von einer erforderlichen Mindestexposition i. S. einer kritischen Dosis je Schicht für Frauen von 3.500 Nh (= 3,5 Kilo-Newton-Stunden - kNh -) und für Männer von 5.500 Nh (= 5,5 kNh) bzw. für das gesamte Berufsleben von 17 Mega-Newton-Stunden (MNh = 106 Nh) für Frauen bzw. 25 MNh für Männer aus.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 1) dient das MDD letztendlich der Konkretisierung der in der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe. Es ist als Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen ein geeignetes Modell, die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln und in Beziehung zu seinem Erkrankungsrisiko zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Schwellen- oder Dosiswerte des MDD keine festen Grenzwerte, sondern Orientierungswerte sind, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) ist derzeit trotz diverser Schwächen des MDD an diesem Berechnungsmodell in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der BK 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Allerdings ist auf eine Mindesttagesdosis zu verzichten und sind die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis (s.o.: 17 MNh für Frauen bzw. 25 MNh für Männer) zu halbieren, sodass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens die Hälfte des nach dem MDD ermittelten Wertes für die Gesamtbelastungsdosis (für Frauen also 8,5 MNh und für Männer 12,5 MNh) erreicht oder überschritten wird. Wird der so ermittelte Grenzwert (so ausdrücklich das BSG, a.a.O.) unterschritten, ist ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung ausgeschlossen, sodass es keiner weiteren Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, a.a.O.).
Diesen Grenzwert von 12,5 x 106 Nh (= 12,5 MNh) erreicht der Kläger mit der ermittelten Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Nh bei weitem nicht.
Grundlage der Beurteilung des Senats sind die Berechnungen der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. , in denen diese die dargelegten Vorgaben des BSG umgesetzt und auf der Grundlage der Angaben des Klägers anlässlich des am 01.10.2010 geführten Gesprächs dessen Hebe- und Tragbelastungen in seinen jeweiligen Tätigkeiten und sodann die Gesamtbelastungsdosis errechnet haben. Diesen Berechnungen liegen damit die eigenen Angaben des Klägers zu seinen Belastungen während seiner wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten zu Grunde, so namentlich die Tätigkeiten bei der Firma S. und der Firma Auto H. als Kfz-Mechaniker, bei denen jeweils Hebe- und Tragbelastungen beim Motorenaustausch mit 50 kg viermal täglich, dem Achsentausch mit 60 kg einmal täglich und dem Räderwechsel mit 15 kg 24 mal täglich und ferner bei der Firma S. einmal täglich Hebe- und Tragebelastungen mit einem Gewicht von 60 kg in Bezug auf Karosserien anfielen. Berücksichtigung gefunden haben ferner die Hebe- und Tragbelastungen im Rahmen der Tätigkeit bei der Firma K. (täglich zehnmal Heben von Antriebswellen mit einem Gewicht von 20 kg und täglich zehnmal Heben und Tragen von Antriebswellen mit einem Gewicht von 10 kg) sowie der Beschäftigung bei der Firma I.M. in der Abteilung Fahrerhausmontage (täglich 60 mal Heben und Werfen von Dämmatten mit einem Geweicht von 30 kg in Fahrerhäuser) und der Abteilung Versuch im Bereich Erstmontage, Triebwerk und Achsen (jeweils fünfmal täglich diverse Lasten Heben und Tragen mit einem Gewicht von 10 kg und 15 kg, dreimal täglich Heben und Tragen von Wellen und Zahnrädern mit einem Geweicht von 20 kg, zweimal täglich diverse Lasten von 25 kg und einmal täglich Lasten mit einem Gewicht von 50 kg Heben und Tragen). Für den Senat sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten mit weiteren, bisher unberücksichtigten relevanten Hebe- und Tragebelastungen verbunden waren. Konkrete derartige Verrichtungen hat der Kläger selbst auch nicht aufgezeigt.
Soweit der Kläger im Unterschied zu seinen Angaben gegenüber den Mitarbeitern des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. die Anzahl der montierten Fahrerhäuser nunmehr mit 70 bis 80, statt zuvor mit 60 angegeben hat, hat der Kläger nicht dargelegt, weshalb anders als zuvor angegeben, tatsächlich eine deutlich höhere Anzahl an Matten in die Fahrerhäuser montiert worden sein sollen und die zuvor gemachten Angaben unzutreffend gewesen sind. Der Senat legt seiner Beurteilung daher die vom Kläger anlässlich des Gesprächs mit den Mitarbeitern des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. gemachten Angaben zu Grunde. Die Berücksichtigung von Hebe- und Tragbelastungen im Zusammenhang mit der Montage von 80 Fahrerhäusern (statt 60) ergäbe im Übrigen zwar eine Tagesdosis von 10,5 x 103 Nh statt der errechneten 7,9 x 103 Nh und damit für den Beschäftigungszeitraum vom 05.05. bis 31.10.1986 statt der zu Grunde gelegten Dosis von 0,85 MNh eine solche von 1,13 MNh, zu einer relevanten Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis würde dies jedoch nicht führen. Denn diese würde sich lediglich auf 5,6 MNh erhöhen.
Der Kläger erfüllt - wie das SG zutreffend dargelegt hat - damit nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die in Rede stehende BK.
Soweit der Kläger geltend macht, das SG habe seiner Beurteilung zu Unrecht das MDD zu Grunde gelegt, weil dieses Modell zwar für Fließbandarbeiten passend sei, nicht aber für die von ihm ausgeübten handwerklichen Tätigkeiten, trifft dies nicht zu. Insoweit ist zwar einzuräumen, dass die Erhebung der im Einzelnen anfallenden körperlichen Belastungen bei Fließbandarbeiten wegen der Regelmäßigkeit der Arbeitsabläufe im Regelfall leichter sein mag als bei Arbeiten, die durch einen ständigen Wechsel verschiedener körperlicher Anforderungen geprägt sind. Diese Schwierigkeit bei der Feststellung der relevanten Hebe- und Tragbelastungen stellt jedoch keinen Grund für die Annahme dar, das MDD sei im Bereich der handwerklichen Tätigkeiten kein geeignetes Modell, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln. Notwendig ist im Hinblick auf die vom Kläger angesprochenen häufig wechselnden und vielseitigen Bewegungsabläufe vielmehr eine sorgfältige umfassende Analyse der konkreten Abläufe, wie sie hier während des Klageverfahrens durch den Präventionsdienst der Beklagten erfolgt ist. Das MDD ist daher gleichermaßen für Tätigkeiten im Industriebereich und im handwerklichen Bereich heranzuziehen.
Soweit der Kläger ganz allgemein darauf hinweist, dass in die Berechnung der Gesamtbelastungsdosis nicht alle wirbelsäulenbelastenden bzw. als belastend empfundenen Tätigkeiten eingeflossen sind, verkennt er, dass im Rahmen der BK 2108 nicht jegliche körperliche Belastungen Berücksichtigung finden. Diese BK erfasst - wie oben dargelegt - vielmehr lediglich Belastungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung. Körperliche Belastungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, haben daher unberücksichtigt zu bleiben. Hierzu gehören insbesondere das vom Kläger beschriebene Öffnen, Anziehen und Nachziehen von Schrauben, für das zum Teil zwei Personen erforderlich gewesen seien, das Einnehmen von Zwangshaltungen bei Arbeiten im Motor- und Fußraum sowie das Ein- und Aussteigen aus hohen Führerhäusern.
Da die Berufung des Klägers nach alledem keinen Erfolg haben kann, ist diese zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - nachfolgend: BK 2108) streitig.
Der am 1953 geborene Kläger ist ausgebildeter Kfz-Mechaniker. Die im September 1969 begonnene Ausbildung absolvierte er bei der Firma S. (A.-V.-Werkstatt), wo er anschließend bis März 1973 beschäftigt war und die üblichen Tätigkeiten eines Kfz-Mechanikers in einer PKW-Werkstatt ausführte. Anschließend war er bis Mai 1975 in verschiedenen Autowerkstätten beschäftigt. Von Juni 1975 bis Dezember 1977 war er bei der damaligen Firma K. beschäftigt, wo er Montagearbeiten an Bussen ausführte; seinen Angaben zufolge (vgl. Bl. 48 VerwA) war diese Tätigkeit nicht wirbelsäulenbelastend. Nach dem anschließenden Besuch der Meisterschule war er von März bis September 1979 bei der Firma Auto H. als Kfz-Mechaniker beschäftigt. Die danach von März 1980 bis Oktober 1982 in der P.-Niederlassung in U. ausgeübte Tätigkeit als Kfz-Meister im Bereich der Annahme und als Disponent war nach den Angaben des Klägers (vgl. Bl. 48 VerwA) nicht wirbelsäulenbelastend. Von August 1984 bis Februar 1985 war der Kläger wiederum bei der damaligen Firma K. beschäftigt, wobei er Kontrollarbeiten verrichtete. Im Mai 1986 nahm er ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma I.M. auf, wobei er zunächst bis Oktober 1986 als Monteur in der Abteilung Fahrerhausmontage (Einbau von 30 kg schweren Fußmatten), anschließend bis Januar 1988 als Kraftfahrer in der Abteilung Verkehrswesen (Überführen von Fahrzeugen), hiernach bis Januar 1991 als Mechaniker in der Abteilung Versuch im Bereich Erstmontage, Triebwerk und Achsen und schließlich bis zu seinem Ausscheiden Ende Mai 1994 als Sachbearbeiter im Bereich Versand eingesetzt war (vgl. Zeugnis vom 26.08.2002, Bl. 8 VerwA). Seither war der Kläger nicht mehr beruflich tätig.
Im Juli 2008 beantragte der Kläger die Anerkennung seines Bandscheibenvorfalls als "Betriebsunfall" und machte geltend, dieser Schaden sei während seiner Tätigkeit bei der Firma I. durch die schwere körperliche Arbeiten an Lkw (Zerlegen, Zusammenbauen und sonstige Tätigkeiten, wie bspw. Andrehen von Schrauben und Muttern, für die zwei starke Personen nötig seien) entstanden. Aufgetreten sei der Bandscheibenvorfall im Jahr 1987. Im Rahmen seiner "Angaben über wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten" in den Erhebungsformularen der Beklagten führte er im Hinblick auf seine Tätigkeiten bei der Firma S. (1969 bis 1973), der Firma Auto H. (März bis September 1979) und der Firma I.M. (1986 bis 1994) aus, bis 10 kg, 10 bis 15 kg, 15 bis 20 kg, 20 bis 25 kg sowie mehr als 25 kg gehoben zu haben, dies bei der Firma S. und Firma I.M. täglich. Zu den Tragebelastungen gab er an, bei der Firma S. und der Firma I.M. ein- bis vier Mal pro Arbeitsschicht Gewichte von 10 bis 15 kg, 15 bis 20 kg, 20 bis 25 kg sowie mehr als 25 kg ein bis zehn Meter (Firma S. ) bzw. ein bis fünf Meter (Firma I. M. ) getragen zu haben. Auf der Schulter seien keine Gewichte getragen worden. Tragebelastungen bei der Firma Auto H. spezifizierte er nicht. Seinen weiteren Angaben zufolge habe er Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bei der Firma S. (täglich, inclusive verschiedener Gradwinkel) und der Firma I.M. (täglich zehn Minuten pro Arbeitsschicht, Dauer ca. eine Minute) ausgeübt. Diesbezüglich machte er in Bezug auf die Firma Auto H. keine detaillierten Angaben. Ganzkörperschwingungen im Sitzen durch Fahren auf unebenem Gelände sei er nicht ausgesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 27.11.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 und einer BK 2109 ab und führte nach Darlegung der hierfür erforderlichen Hebe- und Tragelasten, der Häufigkeit und Dauer der Belastung aus, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger während der angeschuldigten Tätigkeiten schwere Lasten mit der erforderlichen Regelmäßigkeit, d.h. Häufigkeit und Dauer pro Schicht bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeübt habe. Der im Jahr 1987 aufgetretene Bandscheibenvorfall sei im Übrigen nicht nach langjähriger Tätigkeit bei der Firma I.M. aufgetreten, nachdem er diese Tätigkeit erst im Mai 1986 aufgenommen habe. Eine relevante Einwirkung im Sinne der BK 2109 (langjähriges Tragen von Gewichten von 50 kg oder mehr auf der Schulter) habe nicht vorgelegen. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.06.2009).
Am 02.07.2009 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, die Beurteilung der Beklagten berücksichtige nicht die Arbeitsrealitäten im Handwerk. Anders als bei Fließbandarbeit sei hier eine sehr große Flexibilität mit vielen verschiedenen Körperhaltungen und Bewegungen erforderlich, weshalb nicht alle Abläufe katalogisiert und nummeriert werden könnten. Hierdurch entstünden im Laufe der Jahre - wie bei ihm im Bereich der Bandscheibe - Verschleißerscheinungen. Auch seine Tätigkeit in der Entwicklungsabteilung bei der Firma I.M. sei mit jenen in Reparaturwerkstätten im Handwerk vergleichbar.
Das SG holte eine Auskunft der Firma I.M. ein und veranlasste eine Berechnung der Belastungsdosis des Klägers nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) durch die Mitarbeiter des Präventionsdienst der Beklagten R. und G. auf der Grundlage eines mit dem Kläger geführten persönlichen Gesprächs. Diese ermittelten bei wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Umfang von siebeneinhalb Jahren eine Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Newton-Stunden (Nh).
Mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2011 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, mit einer Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Nh unterschreite der Kläger deutlich den Orientierungswert von 25 x 106 Nh und erreiche damit nicht den Mittelwert von 12,5 x 106 Nh, ab dem eine berufliche Ursache eines Wirbelsäulenschadens in Betracht gezogen werden könne. Da somit bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die in Rede stehenden BKen nicht erfüllt seien, seien die entsprechenden medizinischen Voraussetzungen nicht mehr zu prüfen.
Am 07.07.2011 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt; sein Begehren hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die BK 2108 beschränkt. Er hat im Wesentlichen erneut auf die Unterschiede zwischen Handwerk und Industrie hingewiesen, weshalb die erfolgte Rechnung nach dem MDD zu niedrig sei. Diese Tabelle passe nur für Fließbandtätigkeiten. In die Berechnung seien alle Belastungen des gesamten Arbeitskatalogs mit einzubeziehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.06.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2009 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Erkrankung des Klägers als BK 2108 anzuerkennen. Denn eine solche BK liegt beim Kläger nicht vor.
BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VI begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Kläger erfüllt nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Rechtsprechung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht.
Das so genannte und hier von der Beklagten der Beurteilung zu Grunde gelegte MDD ist ein Verfahren zur Bewertung der beim Einzelnen auftretenden tatsächlichen Belastung im Hinblick auf die in der BK 2108 aufgeführten Kriterien (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), also zur Beurteilung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen (s. im Einzelnen: BK-Report Wirbelsäulenerkrankungen 2/03, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - BK-Report -). Hintergrund des MDD ist die Erkenntnis, dass insbesondere bei Beschäftigten in Pflegeberufen, Betonbauern und Hafenarbeitern nach epidemiologischen Studien von einem signifikant erhöhten Risiko in Bezug auf die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS auszugehen ist und dass weniger häufig auftretende hohe Kompressionskräfte eine höhere Schädigungswirkung besitzen als häufige Belastungen mit niedriger Höhe. Letzteres führt zum so genannten quadratischen Ansatz, bei dem die überproportionale Wichtung der auf das Wirbelsäulensegment einwirkenden Kompressionskraft (hervorgerufen insbes. durch das zu bewältigende Gewicht) durch eine Quadrierung der Expositionshöhe erfolgt. Zur Abgrenzung zwischen (für die BK 2108 relevanten) schweren und (unerheblichen) allgemeinen Hebe- und Tragetätigkeiten geht das MDD von der Annahme aus, dass bei Männern ab 40 Jahren ab 20 kg, bei Frauen ab 40 Jahren ab 10 kg vom Heben einer schweren Last zu sprechen sei, wobei biomechanische Messungen und Berechnungen beim Heben und Tragen von Lasten am Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein bestimmte Druckkraftwerte (in Newton - N -) ergeben. Auf diesen Grundlagen wurde die Belastung der genannten Berufsgruppen ermittelt und für eine Acht-Stunden-Schicht aufaddiert. Für die Beschäftigten in Pflegeberufen - insoweit bezogen sich die Studien fast ausschließlich auf Frauen - ergab sich eine kumulierte LWS-Belastungsdosis von knapp 4.000 Nh, für Betonbauer bzw. Hafenarbeiter - fast ausschließlich männliche Beschäftigte - eine solche von bis über 6.000 bzw. über 13.000 Nh je Schicht. Davon abgeleitet geht das MDD von einer erforderlichen Mindestexposition i. S. einer kritischen Dosis je Schicht für Frauen von 3.500 Nh (= 3,5 Kilo-Newton-Stunden - kNh -) und für Männer von 5.500 Nh (= 5,5 kNh) bzw. für das gesamte Berufsleben von 17 Mega-Newton-Stunden (MNh = 106 Nh) für Frauen bzw. 25 MNh für Männer aus.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 1) dient das MDD letztendlich der Konkretisierung der in der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe. Es ist als Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen ein geeignetes Modell, die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln und in Beziehung zu seinem Erkrankungsrisiko zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Schwellen- oder Dosiswerte des MDD keine festen Grenzwerte, sondern Orientierungswerte sind, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) ist derzeit trotz diverser Schwächen des MDD an diesem Berechnungsmodell in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der BK 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Allerdings ist auf eine Mindesttagesdosis zu verzichten und sind die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis (s.o.: 17 MNh für Frauen bzw. 25 MNh für Männer) zu halbieren, sodass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens die Hälfte des nach dem MDD ermittelten Wertes für die Gesamtbelastungsdosis (für Frauen also 8,5 MNh und für Männer 12,5 MNh) erreicht oder überschritten wird. Wird der so ermittelte Grenzwert (so ausdrücklich das BSG, a.a.O.) unterschritten, ist ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung ausgeschlossen, sodass es keiner weiteren Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, a.a.O.).
Diesen Grenzwert von 12,5 x 106 Nh (= 12,5 MNh) erreicht der Kläger mit der ermittelten Gesamtbelastungsdosis von 5,3 x 106 Nh bei weitem nicht.
Grundlage der Beurteilung des Senats sind die Berechnungen der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. , in denen diese die dargelegten Vorgaben des BSG umgesetzt und auf der Grundlage der Angaben des Klägers anlässlich des am 01.10.2010 geführten Gesprächs dessen Hebe- und Tragbelastungen in seinen jeweiligen Tätigkeiten und sodann die Gesamtbelastungsdosis errechnet haben. Diesen Berechnungen liegen damit die eigenen Angaben des Klägers zu seinen Belastungen während seiner wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten zu Grunde, so namentlich die Tätigkeiten bei der Firma S. und der Firma Auto H. als Kfz-Mechaniker, bei denen jeweils Hebe- und Tragbelastungen beim Motorenaustausch mit 50 kg viermal täglich, dem Achsentausch mit 60 kg einmal täglich und dem Räderwechsel mit 15 kg 24 mal täglich und ferner bei der Firma S. einmal täglich Hebe- und Tragebelastungen mit einem Gewicht von 60 kg in Bezug auf Karosserien anfielen. Berücksichtigung gefunden haben ferner die Hebe- und Tragbelastungen im Rahmen der Tätigkeit bei der Firma K. (täglich zehnmal Heben von Antriebswellen mit einem Gewicht von 20 kg und täglich zehnmal Heben und Tragen von Antriebswellen mit einem Gewicht von 10 kg) sowie der Beschäftigung bei der Firma I.M. in der Abteilung Fahrerhausmontage (täglich 60 mal Heben und Werfen von Dämmatten mit einem Geweicht von 30 kg in Fahrerhäuser) und der Abteilung Versuch im Bereich Erstmontage, Triebwerk und Achsen (jeweils fünfmal täglich diverse Lasten Heben und Tragen mit einem Gewicht von 10 kg und 15 kg, dreimal täglich Heben und Tragen von Wellen und Zahnrädern mit einem Geweicht von 20 kg, zweimal täglich diverse Lasten von 25 kg und einmal täglich Lasten mit einem Gewicht von 50 kg Heben und Tragen). Für den Senat sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten mit weiteren, bisher unberücksichtigten relevanten Hebe- und Tragebelastungen verbunden waren. Konkrete derartige Verrichtungen hat der Kläger selbst auch nicht aufgezeigt.
Soweit der Kläger im Unterschied zu seinen Angaben gegenüber den Mitarbeitern des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. die Anzahl der montierten Fahrerhäuser nunmehr mit 70 bis 80, statt zuvor mit 60 angegeben hat, hat der Kläger nicht dargelegt, weshalb anders als zuvor angegeben, tatsächlich eine deutlich höhere Anzahl an Matten in die Fahrerhäuser montiert worden sein sollen und die zuvor gemachten Angaben unzutreffend gewesen sind. Der Senat legt seiner Beurteilung daher die vom Kläger anlässlich des Gesprächs mit den Mitarbeitern des Präventionsdienstes der Beklagten R. und G. gemachten Angaben zu Grunde. Die Berücksichtigung von Hebe- und Tragbelastungen im Zusammenhang mit der Montage von 80 Fahrerhäusern (statt 60) ergäbe im Übrigen zwar eine Tagesdosis von 10,5 x 103 Nh statt der errechneten 7,9 x 103 Nh und damit für den Beschäftigungszeitraum vom 05.05. bis 31.10.1986 statt der zu Grunde gelegten Dosis von 0,85 MNh eine solche von 1,13 MNh, zu einer relevanten Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis würde dies jedoch nicht führen. Denn diese würde sich lediglich auf 5,6 MNh erhöhen.
Der Kläger erfüllt - wie das SG zutreffend dargelegt hat - damit nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die in Rede stehende BK.
Soweit der Kläger geltend macht, das SG habe seiner Beurteilung zu Unrecht das MDD zu Grunde gelegt, weil dieses Modell zwar für Fließbandarbeiten passend sei, nicht aber für die von ihm ausgeübten handwerklichen Tätigkeiten, trifft dies nicht zu. Insoweit ist zwar einzuräumen, dass die Erhebung der im Einzelnen anfallenden körperlichen Belastungen bei Fließbandarbeiten wegen der Regelmäßigkeit der Arbeitsabläufe im Regelfall leichter sein mag als bei Arbeiten, die durch einen ständigen Wechsel verschiedener körperlicher Anforderungen geprägt sind. Diese Schwierigkeit bei der Feststellung der relevanten Hebe- und Tragbelastungen stellt jedoch keinen Grund für die Annahme dar, das MDD sei im Bereich der handwerklichen Tätigkeiten kein geeignetes Modell, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln. Notwendig ist im Hinblick auf die vom Kläger angesprochenen häufig wechselnden und vielseitigen Bewegungsabläufe vielmehr eine sorgfältige umfassende Analyse der konkreten Abläufe, wie sie hier während des Klageverfahrens durch den Präventionsdienst der Beklagten erfolgt ist. Das MDD ist daher gleichermaßen für Tätigkeiten im Industriebereich und im handwerklichen Bereich heranzuziehen.
Soweit der Kläger ganz allgemein darauf hinweist, dass in die Berechnung der Gesamtbelastungsdosis nicht alle wirbelsäulenbelastenden bzw. als belastend empfundenen Tätigkeiten eingeflossen sind, verkennt er, dass im Rahmen der BK 2108 nicht jegliche körperliche Belastungen Berücksichtigung finden. Diese BK erfasst - wie oben dargelegt - vielmehr lediglich Belastungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung. Körperliche Belastungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, haben daher unberücksichtigt zu bleiben. Hierzu gehören insbesondere das vom Kläger beschriebene Öffnen, Anziehen und Nachziehen von Schrauben, für das zum Teil zwei Personen erforderlich gewesen seien, das Einnehmen von Zwangshaltungen bei Arbeiten im Motor- und Fußraum sowie das Ein- und Aussteigen aus hohen Führerhäusern.
Da die Berufung des Klägers nach alledem keinen Erfolg haben kann, ist diese zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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