L 5 R 5250/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 6044/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5250/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.09.2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1941 geborene Kläger, gelernter Großhandelskaufmann, war zuletzt bei der Staatlichen T.-Gesellschaft als Gruppenleiter beschäftigt. Er beantragte am 13.11.2000 die Gewährung einer Altersrente. Am 28.11.2000 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zur Krankenversicherung gemäß § 106 SGB VI und zur Pflegeversicherung gemäß § 106a SGB VI. Er verpflichtete sich - entsprechend dem unterzeichneten Vordrucktext - u.a. die Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung, jede Veränderung der Beitragshöhe für die Krankenversicherung, den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, jede Änderung des Pflegeversicherungsverhältnisses (z.B. Eintritt von Versicherungspflicht) unverzüglich der Rechtsvorgängerin der Beklagten anzuzeigen.

Mit Rentenbescheid vom 27.12.2000 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente ab 01.04.2001 in Höhe von monatlich 3.152,88 DM. Mit Rentenbescheid vom 13.03.2001 wurde die Altersrente des Klägers ab 01.04.2001 neu berechnet (monatlicher Zahlbetrag: 3.383,04 DM). Dem Kläger wurde ein Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 203,36 DM und zur Pflegeversicherung in Höhe von 26,80 DM ab 01.04.2001 gewährt. Unter dem Abschnitt "Mitteilungspflichten" wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss für die freiwillige oder private Krankenversicherung mit der Aufgabe oder dem Ruhen dieser Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfalle. Daher bestehe die gesetzliche Verpflichtung, jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen.

Mit Schreiben vom 19.04.2002 teilte die beigeladene Krankenkasse dem Kläger mit, dass für ihn eine Pflichtmitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner ab 01.04.2002 beginne und die freiwillige Mitgliedschaft zum 31.03.2002 ende. Der zuständige Rentenversicherungsträger sei von der Beigeladenen darüber informiert worden. Dieser werde die Zahlung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung einstellen. Die Pflichtbeiträge ab 01.04.2002 würden direkt von dem Rentenversicherungsträger an die Beigeladene überwiesen.

Die Beigeladene teilte der Beklagten am 20.06 2008 sowie mit Datensätzen vom 30.06./06.08.2008 mit, dass der Kläger ab dem 01.04.2002 in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 SGB V pflichtversichert sei.

Mit Rentenbescheid vom 25.08.2008 berechnete die Beklagte daraufhin die Rente des Klägers ab 01.01.2004 neu und gewährte ihm ab 01.10.2008 monatlich 1.550,54 EUR. Für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2008 ergebe sich eine Überzahlung i. H. v. 9.089,94 EUR‚ weil sich das Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis bereits zum 01.04.2002 geändert habe. Rückforderungsansprüche seien allerdings bis zum 31.12.2003 verjährt. In Anlage 10 zum Bescheid vom 25.08.2008 hörte die Beklagte den Kläger zudem zur rückwirkenden Aufhebung des gewährten Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.09.2008 in Höhe von 9.486,24 EUR an. Der Kläger habe erkennen müssen, dass durch den Wegfall der freiwilligen Krankenversicherung der Anspruch auf die Zuschüsse nicht mehr bestehe. Er habe seitdem keine Aufwendungen mehr für die Krankenversicherung erbracht, für die er Zuschüsse erhalten habe.

Gegen den Bescheid vom 25.08.2008 erhob der Kläger am 24.09.2008 Widerspruch. Er machte geltend, die Bewilligung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung lasse sich nicht nach § 48 SGB X aufheben, weil die Jahresfrist abgelaufen sei. Er sei auch nicht bösgläubig gewesen, da er keine Pflicht gehabt habe, Gesetzesänderungen zu verfolgen. Zudem liege ein atypischer Fall vor, der eine Ermessensausübung der Beklagten darüber erfordere, ob von der rückwirkenden Aufhebung und der Rückforderung abgesehen werden könne.

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Beigeladene dieser mit Schreiben vom 28.01.2009 mit, der Kläger sei über das Ende der freiwilligen Versicherung mit Mitteilung vom 19.04.2002 informiert worden. Ab April 2002 seien keine Beiträge mehr eingezogen worden; es seien keine freiwilligen Beiträge mehr gezahlt worden.

Mit Bescheid vom 10.02.2009 hob die Beklagte den Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 13.03.2001 ab dem 01.04.2002 auf und forderte einen Betrag i. H. v. 9.486,24 EUR zurück. Der Kläger habe gewusst, dass er keinen Anspruch mehr auf Beitragszuschüsse ab 01.04.2002 gehabt hatte, denn er habe aufgrund der Mitteilung der Beigeladenen vom 19.04.2002 vom Ende der freiwilligen Versicherung erfahren und habe aus den Rentenanpassungsmitteilungen ersehen können, dass er noch einen Beitragszuschuss beziehe. Er habe zudem gewusst, dass er Änderungen im Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis der Beklagten hätte mitteilen müssen.

Am 27.03.2009 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 10.02.2009 gemäß § 44 SGB X zu überprüfen. Die Beigeladene habe ihm mit Schreiben vom 19.04.2002 mitgeteilt, dass sie die Beklagte über die Änderung seines Krankenversicherungsverhältnisses informieren werde.

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2009 ab. Die Mitteilung der Beigeladenen habe den Kläger nicht von seiner eigenen Mitteilungspflicht entbunden.

Dagegen erhob der Kläger am 24.04.2009 Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2009 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 25.08.2008 und 16.04.2009 zurück. Die Nacherhebung der Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner für die Zeit ab dem 01.01.2004 bis zum 30.09.2008 in Höhe von 9.089,94 EUR sei nicht zu beanstanden; für den davor liegenden Zeitraum sei die Beitragsforderung verjährt. Der Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung habe rückwirkend ab 01.04.2002 aufgehoben werden dürfen, weil der Eintritt von Versicherungspflicht eine Änderung i. S. d. § 48 SGB X darstelle. Die ohne Rechtsgrund geleisteten Beitragszuschüsse in Höhe von 9.486,24 EUR würden nach § 50 SGB X zurückgefordert. Es liege ein atypischer Fall vor, weil die Beklagte sich das Verschulden der Beigeladenen zurechnen lassen müsse. Aufgrund einer "Ermessensreduzierung auf Null" sei kein Ermessen auszuüben, denn der Kläger habe seine Mitteilungspflichten vorsätzlich verletzt.

Am 07.09.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben. Er vertrat die Ansicht, dass die Rückforderung der Beitragszuschüsse schon daran scheitere, dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X bereits abgelaufen sei. Zudem sei er nicht bösgläubig gewesen. Es bestehe keine Verpflichtung, Gesetzesänderungen zu verfolgen. Es liege zumindest ein atypischer Fall vor, weil die Beklagte den geänderten Sachverhalt zwar nicht durch die vom Kläger gebotene Mitteilung, jedoch aus anderer Quelle erfahren habe. Dies habe die Beklagte auch selbst zugestanden.

Die K. wurde vom Sozialgericht mit Beschluss vom 26.04.2011 zum Verfahren beigeladen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 28.07.2011 gab der Kläger an, er sei aufgrund des Schreibens der Beigeladenen vom 19.04.2002 davon ausgegangen, dass die Mitteilung an die Beklagte durch die Krankenversicherung erfolge, so dass er nichts weiter veranlassen müsse. Aus den jährlichen Rentenanpassungsmitteilungen gehe zwar hervor, dass er auch in der Folgezeit weiterhin Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung erhalten habe. Er habe aber keinen Anlass gehabt, dies genau zu prüfen, sondern die Mitteilungen einfach abgelegt. Der Kläger beschränkte sein Klagebegehren auf die Anfechtung des Überprüfungsbescheides vom 16.04.2009 und die Verurteilung der Beklagten, die Rückforderung von erhaltenen Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung im Bescheid vom 10.02.2009 auf die Hälfte des Betrages (4.743,12 EUR) zu beschränken.

Mit Urteil vom 01.09.2011 hob das Sozialgericht Stuttgart den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2009 auf und verpflichtete die Beklagte, den Bescheid vom 10.02.2009 aufzuheben, soweit darin ein Betrag für die überzahlten Beitragszuschüsse in der Zeit vom 01.04.2002 bis 30.09.2008 in Höhe von über 4.743,12 EUR zurückgefordert wurde. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X für eine Überprüfung und Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides seien gegeben, denn der Bescheid vom 10.02.2009 sei im tenorierten Umfang rechtswidrig, weil die Beklagte das Recht unrichtig angewandt habe. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Teilaufhebung des Bescheids vom 10.02.2009 im beantragten und tenorierten Umfang. Ob eine darüber hinausgehende Rechtswidrigkeit vorliege, könne dahin gestellt bleiben, da der Kläger seinen Klageantrag auf die Aufhebung der Hälfte des mit Bescheid vom 10.02.2009 aufgehobenen Betrags begrenzt habe. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des bewilligten Beitragszuschusses sei vorliegend § 48 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 4 SGB X. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei durch das Ende der freiwilligen Versicherung des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner zum 01.04.2002 eingetreten, weil der Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zur freiwilligen Versicherung ( 106 SGB VI) damit weggefallen sei. Zwar sei dem Kläger nicht bereits eine grob fahrlässige Verletzung seiner Mitwirkungspflichten im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X vorzuhalten, obwohl er seine Mitteilungspflicht gegen über der Beklagten gekannt habe. Aufgrund der ausdrücklichen Mitteilung der Beigeladenen sei der Kläger zur Überzeugung der Kammer davon ausgegangen, dass die Mitteilungspflicht bereits durch die Beigeladene erfüllt worden sei. Allerdings habe der Kläger auch gewusst, dass der sich aus dem Bescheid vom 13.03.2001 ergebende Anspruch auf Beitragszuschuss weggefallen sei. Er habe aufgrund des Schreibens der Beigeladenen vom 19.04.2002 Kenntnis vom Wegfall des Anspruchs gehabt, denn er sei klar verständlich über das Ende der freiwilligen Versicherung sowie darüber informiert worden, dass die Beklagte die Zahlung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung einstellen werde. Sein Vortrag, dass er die jährlichen Rentenanpassungsmitteilungen ungelesen abgeheftet habe, sei zwar glaubhaft, er habe also offenbar keine Kenntnis davon gehabt, dass der monatliche Zahlbetrag der Beklagten weiterhin einen Zuschussanteil enthalten habe. Hierauf komme es jedoch im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X zunächst nicht an, weil diese Norm sich nur auf Kenntnis des Anspruchswegfalls selbst beziehe, nicht jedoch auf die Kenntnis vom weiteren Leistungsbezug. Für die Entscheidung über die rückwirkende Aufhebung des Zuschusses sei allerdings zu berücksichtigen gewesen, dass hier ein atypischer Fall vorliege, denn die Leistungsüberzahlung sei durch einen Verwaltungsfehler der Beigeladenen eingetreten, den sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Deshalb sei die Beklagte hier gehalten gewesen, Ermessen auszuüben. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht vor. Die rechtzeitige Einstellung der Zahlungen und Aufhebung der Bewilligung sei aufgrund von Fehlern der Beigeladenen unterblieben, und zwar der angeblichen, aber tatsächlich unterlassenen Mitteilung an die Beklagte sowie den fehlenden bzw. fehlerhaften Meldungen nach § 201 Abs. 5 SGB 5 über 6 Jahre und der fehlerhaften Speicherung einer freiwilligen Versicherung durch die Beigeladene. Bei einer solchen atypischen Sachlage sei die Beklagte verpflichtet gewesen, eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht Gebrauch machen wolle. Hierbei könnten auch jene Gesichtspunkte erneut berücksichtigt werden, die die Atypik des Falles ausmachten, daneben jedoch auch andere, insbesondere wirtschaftliche Momente. Der Kläger habe zwar vom Wegfall des Anspruchs auf Beitragszuschuss Kenntnis gehabt, sich aber aus Sorgfaltslosigkeit in Unkenntnis des Umstands befunden, dass er den Beitragszuschuss weiter als Teil seiner monatlichen Rentenzahlung beziehe. Ein Betrug, wie ihn die Beklagte behaupte, könne nur dann zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen, wenn auch weitere Ermessensgesichtspunkte daneben nicht ersichtlich seien. Die Beklagte hätte neben dem Fehlverhalten des Klägers ebenso die gegenüber dem Kläger behauptete Erfüllung der Mitteilungspflicht durch die Beigeladene sowie die fehlerhafte Speicherung durch die Beigeladene berücksichtigen müssen. Die so vorzunehmende Ermessensausübung hätte zwar zur selben Entscheidung wie im Bescheid vom 10.02.2009 führen können, jedoch auch zu einer anderen Entscheidung, etwa einer nur teilweisen, ggf. hälftigen Aufhebung und Rückforderung des Beitragszuschusses. Da damit nicht von vornherein nur eine Entscheidung möglich gewesen sei, liege eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor. Die Entscheidung der Beklagten vom 10.02.2009 sei damit wegen des Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Die Beklagte habe weder im Klageverfahren Ermessenserwägungen angestellt noch wären solche zu diesem Zeitpunkt noch nachholbar gewesen.

Gegen das ihr am 04.11.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.11.2011 Berufung eingelegt. Der vom Sozialgericht erhobene Vorwurf des Ermessensnicht- bzw. -fehlgebrauchs sei nicht zu halten. Der Kläger habe die ihm obliegende Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Die Ansicht des Sozialgerichts, dass dem Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen sei, da er von der Beigeladenen mit Schreiben vom 19.04.2002 darauf hingewiesen worden sei, eine entsprechende Meldung an die Rentenversicherungsträger sei bereits erfolgt, werde nicht geteilt. Die Beklagte verwies auf die Entscheidungen des 11. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 23.01.2007 (Az. L 11 R 1868/06) sowie des erkennenden Senats vom 17.08.2009 (Az. L 5 R 2654/08). Darin habe das LSG deutlich gemacht, dass das zwischen den Kranken- und Rentenversicherungsträgern bestehende Meldeverfahren den Kläger nicht von seiner Pflicht, das Ende der freiwilligen Versicherung und den Beginn der Versicherungspflicht der Beklagten selbst anzuzeigen, entbinde. Das Bundessozialgericht -BSG- habe entschieden, dass selbst die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse den Betroffenen nicht von seiner Mitteilungspflicht entbinde (BSG vom 12.02.1980 - 7 RAr 13/79 - sowie vom 29.11.1989 - 7 RAr 138/88 -). Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides über die Beitragszuschüsse sowie die Rückforderung der überzahlten Beitragszuschüsse auch für die Vergangenheit könne auch auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 50 SGB X gestützt werden. Hierzu teile die Beklagte aber nicht die Ansicht des Sozialgerichts, dass aufgrund der besonderen Umstände ein Regelfall des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu verneinen sei und ein atypischer Fall vorliege. Zwar sei im vorliegenden Fall ein Verwaltungsfehler aufgetreten, dadurch dass die Beigeladene dem Kläger fälschlich mitgeteilt habe, eine Mitteilung an die Beklagte sei bereits vorgenommen worden, sodass der Kläger zunächst von der eigenen Vornahme der Mitteilung abgesehen habe. Dass der Kläger aber nicht bemerkt haben wolle, dass trotz der Einstellung seiner eigenen Beitragszahlungen an die Krankenkasse sowohl die (Brutto-)Rente als auch die Zuschüsse (monatlich ca. 110 EUR) unverändert an ihn ausgezahlt worden seien, könne nur als grob fahrlässige Pflichtverletzung angesehen werden. Die Beklagte habe den Zuschuss mehrmals der Höhe nach neu bestimmt und in den entsprechenden Bescheiden vom 08.03.2004, 04.02.2005 und 05.02.2007 dem Kläger zur Kenntnis gebracht hat, dass sie nach wie vor vom Vorliegen eines freiwilligen bzw. privaten Krankenversicherungsverhältnisses ausgehe. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass für ihn eine freiwillige Versicherung ab 01.04.2002 nicht mehr bestanden habe und deshalb keine freiwilligen Beiträge mehr zu entrichten gewesen seien. Er habe deshalb erkennen können, dass kein Anspruch auf den insoweit zweckgebundenen Beitragszuschuss des Rentenversicherungsträgers mehr bestanden habe. Zumindest hätte ihm klar sein müssen, dass er dem Rentenversicherungsträger die Änderung der Beitragszahlungen mitzuteilen habe. Gleichwohl habe der Kläger die Beklagte nicht über das Ende seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der K. informiert und insoweit grob fahrlässig gehandelt. Für vergleichbare Fallkonstellationen habe das LSG Baden-Württemberg bereits das Vorliegen eines atypischen Falles abgelehnt (Urteile vom 23.01.2007 - L 11 R 1868/06 - sowie vom 17.08.2009 - L 5 R 2654/08 -). Jedenfalls habe sie ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. So sei im Aufhebungsbescheid vom 10.02.2008 ausdrücklich dargelegt worden, dass der von der Beigeladenen unterlassenen Änderungsmitteilung keine besondere Bedeutung zukomme. Ferner sei darauf hingewiesen worden, dass der Kläger aufgrund der jährlichen Rentenanpassungsmitteilungen aus den Jahren 2002 bis 2008 hätte erkennen können, dass er weiterhin monatlich einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung beziehe. Sie habe damit das ihr obliegende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Besondere Umstände, die in eine Ermessensabwägung hätten weiter einfließen können, seien nicht vorgetragen worden. Das Sozialgericht habe offengelassen, welche Umstände die Beklagte im Rahmen der geforderten Ermessensabwägung hätte berücksichtigen sollen, und auch keinerlei Anhaltspunkte benannt, welche die Beklagte zur Ermittlung unbekannter Umstände hätten veranlassen müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.09.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die beigeladene Krankenkasse hat keine Anträge gestellt.

Der Kläger hat vortragen lassen, er habe zwar seine Mitteilungspflicht aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1 über die Beendigung der freiwilligen Versicherung verletzt. Ihm sei aber keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Da hier rückwirkend eine KVdR-Pflichtmitgliedschaft festgestellt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bis zum Zeitpunkt der Entscheidung der Krankenkasse nicht habe wissen können, dass sich sein Versicherungsverhältnis rückwirkwirkend ändern werde. Auch das Sozialgericht habe keine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht angenommen, da der Kläger davon ausgegangen sei, die Mitteilung sei bereits durch die Beigeladene erfolgt. Das Sozialgericht sei auch davon ausgegangen, dass der Kläger keine Kenntnis von dem weiteren Erhalt der Zuschüsse gehabt habe, da seine Einlassung, die Rentenanpassungsbescheide ungelesen abgeheftet zu haben, für glaubhaft erachtet worden sei. Die Beklagte hätte im Rahmen einer Ermessensausübung über die rückwirkende Aufhebung des bewilligten Zuschusses entscheiden müssen, was sie unterlassen habe. Eine Ermessensreduzierung auf Null habe das Sozialgericht nicht angenommen, so dass die Entscheidung der Beklagten vom 10.02.2009 wegen des Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig sei. Der Beklagten sei ein grobes Organisationsverschulden vorzuwerfen. Dem Rentenversicherungsträger sei die Gesetzesänderung zum 01.04.2002 bekannt gewesen. Durch geeignete organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Datenverarbeitung wäre die entsprechende Gruppe mit Beitragszuschuss aufgrund freiwilligen Beiträgen zu ermitteln und eine Überzahlung zu vermeiden gewesen. Durch jegliches Unterlassen entsprechender organisatorischer Maßnahme habe die Beklagte es billigend hingenommen, dass eine Vielzahl von Fällen mit Überzahlungen bei bereits sehr alten Versicherten entstanden sei. Vor diesem Hintergrund werde es als sozial grob unbillig empfunden, die Überzahlung trotz Mitverschuldens der Beklagten alleine dem Kläger aufzuerlegen.

Die Beklagte hat dem entgegnet, sie treffe kein Organisationsverschulden. Die gesetzliche Einführung der Pflichtversicherung der Rentner habe nicht zur Folge gehabt, dass vom 01.04.2002 an alle bis dahin freiwillig versicherten Rentenbezieher der Versicherungspflicht in der KVdR unterlagen. Es habe vielmehr jeweils einer individuellen Prüfung der Vorversicherungszeiten nach neuem Recht (unter Berücksichtigung der Zeiten einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung) bedurft. Diese Prüfung habe allein den in § 4 Abs. 2 SGB V genannten gesetzlichen Krankenkassen oblegen. Nur diese seien als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 21 Abs. 2 SGB I) befugt, eine abschließende und rechtsverbindliche Entscheidung über das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner bzw. über die Berechtigung zur freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zu treffen. Der Kläger müsse sich fragen lassen, warum er Monat für Monat den Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung entgegengenommen habe, obwohl er aufgrund der bestehenden Pflichtmitgliedschaft in der KVdR keine weiteren Zahlungen an die Krankenversicherung zu leisten gehabt habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 16.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2009 sowie der Ausgangsbescheid vom 10.02.2009, mit dem die Bewilligung eines Zuschusses zum Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag durch Bescheid vom 13.03.2001 mit Wirkung vom 01.04.2002 aufgehoben und vom Kläger für die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.09.2008 überzahlte Zuschüsse in Höhe von 9.496,24 EUR zurückgefordert worden sind. Auch angesichts der vom Kläger lediglich anteilig begehrten Reduzierung des Erstattungsbetrags auf 4.743,12 EUR ist der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) deutlich überschritten. Die Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen gem. § 151 SGG zulässig.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Überprüfungsbescheid vom 16.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.2009 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die Abänderung des Rückforderungsbescheids vom 10.02.2009 im Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGB X zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf - auch nur hälftige - Aufhebung der Rückforderung der überzahlten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für eine Rücknahme des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 10.02.2009 sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat die bewilligten Zuschüsse zu Recht ab dem 01.04.2002 bis zum 30.09.2008 aufgehoben und den überzahlten Betrag von 9.486,24 EUR zu Recht vom Kläger zurückgefordert.

Diese Entscheidung beruht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt.

§ 48 SGB X regelt die Aufhebung von Verwaltungsakten, die nicht schon bei ihrem Erlass rechtswidrig waren, sondern erst danach rechtswidrig geworden sind. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also rückwirkend, aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Rentenbezieher, die nach näherer Maßgabe der §§ 106, 106a (a.F.) SGB VI einen Zuschuss zu den Aufwendungen (Beiträgen) für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung erhalten, sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und damit i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X aufgrund einer Rechtsvorschrift verpflichtet, dem Rentenversicherungsträger Änderungen in den Verhältnissen, die für diese Sozialleistung (§ 11 Satz 1 SGB I) erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Gewährung eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung setzt u.a. voraus, dass der Rentenbezieher freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist (§ 9 SGB V). Endet die freiwillige Versicherung, etwa weil Versicherungspflicht eintritt (§ 191 Nr. 2 SGB V), fällt naturgemäß auch der Anspruch auf Beitragszuschuss weg. Auf ihre gesetzliche Mitteilungspflicht werden die Rentenbezieher in den Bescheiden über die Bewilligung der Beitragszuschüsse eingehend hingewiesen. Sie werden darüber belehrt, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss mit der Aufgabe oder dem Ruhen der freiwilligen Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfällt und deswegen die gesetzliche Verpflichtung besteht, jede Änderung des Kranken- bzw. Pflegeversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen. Im Antrag auf Zuschussbewilligung verpflichtet sich der Rentenbewerber außerdem ausdrücklich, u.a. die Beendigung einer freiwilligen Versicherung sowie Veränderungen der Beitrags- und Prämienhöhe unverzüglich anzuzeigen.

Grobe Fahrlässigkeit (auch i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X) liegt gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist. Notwendig ist, dass schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (vgl. etwa BSG, Urt. v.08.02.2001, - B 11 AL 21/00 R -).

§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Sollvorschrift. Das bedeutet, dass der Leistungsträger den Verwaltungsakt in der Regel rückwirkend aufheben muss und nur in atypischen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen hiervon abweichen darf. Das Vorliegen eines atypischen Falles stellt eine Rechtsvoraussetzung für die Eröffnung des Aufhebungsermessens dar. Maßgeblich hierfür sind die Umstände des Einzelfalls. Es kommt darauf an, ob der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, die die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht und die vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt oder nicht, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in den Nr. 1 bis 4 vorausgesetzten Tatbestände erfüllt ist. Zu berücksichtigen ist auch, ob die Rückerstattung nach Lage des Falles eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSG, Urt. v. 31.01.2008, - B 13 R 23/07 R -).

Ist der Behörde danach Ermessen eröffnet, muss sie das Interesse des Versicherten am Behalten-dürfen der rechtswidrig (weiter-)bezogenen Leistung mit dem öffentlichen Interesse an deren Rückführung abwägen. Letzterem kommt grundsätzlich der Vorrang zu. Das folgt aus dem für alle Versicherungsträger geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 69 Abs. 2 SGB IV). Außerdem ist die Stundung oder Niederschlagung von Ansprüchen - wie Erstattungsansprüchen gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X - an enge Voraussetzungen gebunden (vgl. i. e. § 76 Abs. 2 SGB IV; auch BSG, Urt. v. 114.2002, - B 3 P 6/01 R – Juris Rdnr. 21). Für eine von dieser gesetzlichen Wertung abweichende Ausübung des Aufhebungsermessens müssen damit erhebliche Gründe vorliegen. Hierfür kommen etwa grobes Verschulden der Behörde ohne Verschulden des Betroffenen oder eine besondere Härte oder die Unverhältnismäßigkeit der Rückforderung in Betracht. Hat der Versicherte Gesichtspunkte dieser Art nicht vorgetragen und sind solche auch sonst nicht ersichtlich, wird die Betätigung von Aufhebungsermessen (unbeschadet des Vorliegens eines atypischen Falles) grundsätzlich nicht veranlasst sein (dazu näher Senatsurteile v. 23.02.2011, - L 5 KR 3975/09 – und v. 28.09.2011, - L 5 R 3888/10 – zum Rücknahmeermessen nach § 45 SGB X mit w. N. auf die Rspr. des BSG).

Gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde die Aufhebung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen verfügen, welche die Aufhebung des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Die Frist beginnt mit Kenntnis der Behörde vom Aufhebungsgrund. Hierzu gehört jedenfalls die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsakts ergibt. Insoweit kommt es auch auf den Umfang der Rechtswidrigkeit an, weil der Verwaltungsakt nur aufgehoben werden soll, "soweit" eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen, also alle Umstände bekannt sind, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Aufhebung zu entscheiden. Der Umfang der Kenntnis der Tatsachen richtet sich nach dem Tatbestand der Aufhebungsnorm. Im Fall der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts (§ 45 SGB X) muss die Behörde nicht nur diejenige Tatsachen vollständig kennen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergibt, sondern auch sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen. Bei der Anwendung der Jahresfristregelung auf die Aufhebungsvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X muss das maßgebende Wissen der Behörde sämtliche Tatsachen und Umstände betreffen, die die wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsakts darstellen, und außerdem auch diejenigen Tatsachen umfassen, die die Behörde zur Ausübung ihres Ermessens benötigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behörde gleichzeitig Kenntnis von jenen Umständen hatte, die nach ihrer Rechtsmeinung auch eine Atypik i. S. des "Soll"-Ermessens begründen. Denn der Sinn der Jahresfrist dient nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sondern der Rechtssicherheit (BSG, Urt. v. 31.1.2008, - B 13 R 23/07 R -).

Die Jahresfrist der §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt daher, wenn die Aufhebung keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert. Erst dann darf der Leistungsempfänger davon ausgehen, dass die Behörde den rechtsfehlerhaften Bescheid innerhalb eines Jahres nicht mehr revidiert. Das ist regelmäßig erst nach Anhörung des Leistungsempfängers gem. § 24 SGB X der Fall (vgl. BSG, Urt. v. 27.07.2000, - B 7 AL 88/99 R -; BVerwG, Urt. v. vom 18.07.2006, - 1 C 15/05 –; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.03.2011, - L 5 AS 1547/09 -). Nach durchgeführter Anhörung kann festgestellt werden, ob ein atypischer Fall vorliegt; außerdem sind dann die Tatsachen bekannt, die ggf. in die Ausübung des Aufhebungsermessens einzustellen sind.

Ist der Verwaltungsakt gem. § 48 SGB X aufgehoben worden, sind bereits erbrachte Leistungen gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne weitere Voraussetzungen zu erstatten. Ermessen ist nicht mehr auszuüben. Die zu erstattende Leistung ist gem. § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Der Erstattungsanspruch ist verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 SGB X (Erstattungsbescheid) unanfechtbar geworden ist (§ 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

Davon ausgehend hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.02.2009 die Bewilligung eines Zuschusses zum freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag durch Bescheid vom 13.03.2001 für die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.09.2008 rechtsfehlerfrei aufgehoben und vom Kläger zu Recht zu viel erhaltene Beitragszuschüsse in Höhe von 9.486,24 EUR zurückgefordert.

In den Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 13.03.2001 vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten, dass der Kläger zum 01.04.2002 versicherungspflichtig zur Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) geworden ist, weshalb seine bis dahin bestehende freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten gem. § 191 Nr. 2 SGB V geendet hat. Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung hat er deswegen nicht mehr zahlen müssen (§§ 250 Abs. 2, 252 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und unstreitig auch nicht mehr gezahlt; entsprechendes gilt für die Pflegeversicherung.

Die Beklagte hat den Bewilligungsbescheid vom 13.03.2001 daher gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X rechtsfehlerfrei mit Wirkung für die Vergangenheit ab 01.04.2002 aufgehoben.

Der Kläger hat der Beklagten nicht mitgeteilt, dass seit 01.04.2002 freiwillige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr gezahlt bzw. von seinem Konto nicht mehr abgebucht werden. Dadurch ist er gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I nicht nachgekommen. Er hat dabei grob fahrlässig gehandelt. Der Kläger hat von seiner Mitteilungspflicht gewusst. Er ist hierauf im Bewilligungsbescheid vom 13.03.2001 eingehend hingewiesen worden und hatte sich außerdem im Antrag auf Gewährung des Beitragszuschusses ausdrücklich verpflichtet, u.a. die Beendigung einer freiwilligen Versicherung sowie Veränderungen der Beitrags- und Prämienhöhe unverzüglich anzuzeigen. Der Kläger hat seine Mitteilungspflicht über die Änderung seiner Krankenversicherung grob fahrlässig verletzt, da er aufgrund des Schreibens des Beigeladenen vom 19.04.2002 positiv wusste, dass sich sein Krankenversicherungsverhältnis zum 31.03.2002 geändert hat, dass nämlich die freiwillige Versicherung zu diesem Zeitpunkt endete und er nunmehr als Rentner pflichtversichert war. Ebenso war ihm mitgeteilt worden, dass die Zahlung des Beitragszuschusses der Rentenversicherung eingestellt wird. Die Beigeladene hat - ausweislich ihrer Mitteilung an die Beklagte vom 28.01.2009 - ab April 2002 keine Beiträge vom Kläger mehr eingezogen. Der Kläger kann sich deshalb nicht darauf berufen, diese Änderung seines Versicherungsverhältnisses nicht bemerkt zu haben. Die Einstellung der Beitragsabbuchung kann dem Kläger, der ausgebildeter Großhandelskaufmann ist, nicht unbemerkt geblieben sein. Ebenso wusste er aufgrund der Mitteilung der Beigeladenen, dass Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung nicht mehr gewährt würden. Es stellt insoweit eine ganz nahe liegende Überlegung dar, dass Zuschüsse zu Beiträgen, die der Kläger selbst nicht mehr zahlt, auch nicht beansprucht werden können. Dass der Kläger weiterhin Beitragszuschüsse erhalten hat, musste ihm aus den Rentenanpassungsmitteilungen der Beklagten bekannt sein, die in der Berechnung des Auszahlungsbetrages neben dem Rentenbetrag allein den Zuschuss zur Krankenversicherung ausweisen (vgl. die von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Anpassungsmitteilungen zum 01.07.2007 und 01.07.2008). Der Kläger kann sich weder darauf berufen, diese ungelesen abgeheftet zu haben, noch aufgrund des Schreibens der Beigeladenen vom 19.04.2002 davon ausgegangen zu sein, dass er der Beklagten eine entsprechende Mitteilung nicht mehr zu machen habe. Hierin liegt gerade die ihm zur Last zu legende Sorgfaltspflichtverletzung begründet. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass dem Kläger insoweit ein ausreichendes Einsichtsvermögen gefehlt haben sollte. Der Kläger hat damit zugleich i. S d. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X wegen besonders schwerwiegender Sorgfaltsverletzung nicht gewusst, dass der Zuschussanspruch weggefallen ist.

Für das Vorliegen eines atypischen Falles ist nichts ersichtlich. Es bestehen insbesondere keine nachweisbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ein Mitverschulden an der Überzahlung trifft. Ein Organisationsverschulden der Beklagten vermag der Senat nicht zu erkennen. In Anbetracht der individuellen Verhältnisse jedes Versicherten war eine Überprüfung aller Bezieher von Zuschüssen zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen der Massenverwaltung nicht zu verlangen. Zudem hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass es in die Zuständigkeit der Krankenversicherungsträger fällt, die Frage der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung abschließend festzustellen. Auch Versäumnisse der Beigeladenen können den Kläger nicht von seiner Mitteilungspflicht entbinden. Die Beklagte hat im Bescheid vom 10.02.2009 dementsprechend zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger sich nicht auf das zwischen der Beklagten und den Krankenkassen bestehende Meldeverfahren berufen könne, da ihn dieses nicht von seiner eigenen Mitteilungspflicht entbinde.

Selbst wenn man der Beklagten, die jedenfalls im Widerspruchsbescheid im Hinblick auf ein ihr zuzurechnendes Verschulden der Beigeladenen vom Vorliegen eines atypischen Falles ausgegangen ist, in dieser Einschätzung folgte, so ist - wie die Beklagte unter dieser Prämisse zu Recht angenommen hat - eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben. Die Beklagte hat bereits im Bescheid vom 10.02.2009 auf die gegen Vertrauensschutz sprechenden Gründe, insbesondere auf die Kenntnis des Klägers vom Wegfall der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und seine Kenntnis von der Fortzahlung der Beitragszuschüsse abgestellt. Sie hat auch im Widerspruchsbescheid auf die positive Kenntnis des Klägers vom Wegfall seines Anspruchs auf Beitragszuschüsse hingewiesen. Insoweit steht auch nach der Auffassung des Senats sogar der Vorwurf eines bedingt vorsätzlichen Verschweigens im Raum (vgl. auch Senatsurteil vom 15.02.2012 - L 5 R 3255/11 -, den Beteiligten bekannt). Es ist insbesondere nicht erkennbar, welche Ermessenserwägungen die Beklagte hier sonst noch hätte anstellen sollen.

Den Kläger trifft danach mindestens ein erhebliches Verschulden an der Entstehung der Überzahlung. Dass ihn die Erstattung der Zuschüsse unverhältnismäßig treffen könnte, ist weder substantiiert dargetan noch erkennbar.

Die einjährige Aufhebungsfrist (§§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) ist mit dem Auf-hebungsbescheid vom 10.02.2009 gewahrt. Die Beklagte hat von der Überzahlung durch Mitteilung der Beigeladenen am 30.06./06.08.2008 erfahren. Ohnehin kann die Jahresfrist frühestens nach Anhörung des Klägers im Aufhebungsverfahren nach § 48 SGB X beginnen, da erst dann die Prüfung eines atypischen Falles und ggf. die rechtsfehlerfreie Ausübung von Aufhebungsermessen möglich ist. Eine entsprechende Anhörung ist unter dem 25.08.2008 erfolgt.

Gegen die Berechnung des Erstattungsbetrags sind Einwendungen nicht erhoben; Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.

Da der angefochtene Überprüfungsbescheid rechtmäßig ist, war das Urteil des Sozialgerichts auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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