L 4 SO 65/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 7 SO 43/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 65/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;

Tatbestand:

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs für die an den Hilfeempfänger H.B. ab 13. Mai 2007 erbrachten Leistungen im ambulant betreuten Wohnen und damit verbundenen Leistungen. Der 1961 geborene Hilfeempfänger bezog neben seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zunächst auf den Zeitraum April 2004 bis September 2007 befristet war, von der Klägerin bis einschließlich Oktober 2005 laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten am 12. Oktober 2005 gab der Hilfeempfänger an, dass er sich Anfang Oktober bei seiner Mutter in L. polizeilich angemeldet habe und beabsichtige, zum 1. November eine Wohnung im betreuten Wohnen in M. zu beziehen. Am 7. November 2005 stellte er dann über ein Betreuungsbüro unter der Adresse seiner Mutter beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 1. Dezember 2005 ab 1. Dezember 2005 Leistungen der Grundsicherung nach § 41 ff SGB XII.

Zum 1. Dezember 2005 bezog der Hilfeempfänger dann eine betreute Wohnanlage in 77972 M.; einen entsprechenden Antrag auf Leistungen im ambulant betreuten Wohnen vom 2. Dezember 2005 leitete der Beklagte an die Klägerin mit dem Hinweis auf die dortige Zuständigkeit nach § 98 Abs. 5 SGB XII weiter. Im Rahmen dieses Antrags gab die Betreuerin an, dass der Hilfeempfänger aus der Wohnung seiner Mutter ausziehen wolle und müsse. Er habe Anfang November 2005 (muss wohl Anfang Oktober 2005 heißen) H. "Hals über Kopf" verlassen und sei vorübergehend zu seiner Mutter nach L. gezogen. Er wolle unbedingt eine Wohnung in M. im betreuten Wohnen beziehen, da er sich dort geborgen und sicher fühle.

Die Klägerin verneinte gegenüber dem Beklagten zwar ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 21. Dezember 2005 und 21. Februar 2006, bewilligte aber gegenüber dem Hilfeempfänger Eingliederungsleistungen. Zum 30. April 2007 stellte der Beklagte dann die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ein und machte mit Schreiben vom 21. März 2007 gegenüber der Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 30. April 2007 geltend, da er davon ausging, dass nunmehr die Zuständigkeitsfrage zu seinen Gunsten geklärt sei.

Auf einen entsprechenden Antrag der Betreuerin vom 21. März 2007 bewilligte die Klägerin neben den bereits seit Dezember 2005 gewährten Eingliederungs- und Pflegeleistungen mit Bescheid vom 2. April 2007 dann auch Grundsicherungsleistungen ab Mai 2007. Mit Schreiben vom 13. Mai 2008, das am gleichen Tag mit Fax an den Beklagten abgesandt wurde, wandte sich die Klägerin gegen die begehrte Kostenerstattung des Beklagten und machte selbst einen Kostenerstattungsanspruch nach § 102 SGB X gegenüber dem Beklagten geltend zusammen mit der Bitte, den Fall wieder in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen. Mit Schreiben vom 16. Juni 2009 lehnte der Beklagte eine Anerkennung des Kostenerstattungsanspruches ab.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 29. September 2009 ihren Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten noch einmal wiederholt hatte, erhob sie am 21. Januar 2011 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg mit der Begründung, dass der Beklagte mit der Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes in H. und des tatsächlichen Aufenthaltes in L. ab September 2005 für die Leistungsgewährung gegenüber dem Hilfeempfänger ab Oktober 2005 örtlich zuständig geworden sei. Sie beantragte festzustellen, dass der Beklagte gem. § 98 Abs. 5 SGB XII für die an den Hilfeempfänger bewilligten Leistungen im ambulant betreuten Wohnen und die sonstigen hiermit verbundenen Leistungen örtlich zuständig sei, und den Beklagten zu verurteilen, die der Klägerin in der Zeit ab dem 13. Mai 2007 bis zum Entscheidungszeitpunkt entstandenen Aufwendungen in Höhe von 37.643,75 EUR wie auch die bis zur Übernahme durch den Beklagten in die eigene Zuständigkeit weiter entstehenden Aufwendungen gemäß § 14 Abs. 4 SGB IX i.V.m. 102 ff. SGB XII zu erstatten.

Der Beklagte wandte sich gegen die Klage und vertrat die Auffassung, dass die Klägerin über § 98 Abs. 5 SGB XII weiterhin für die Leistungen im ambulant betreuten Wohnen zuständig sei. Der Hilfeempfänger sei ausschließlich mit der Absicht nach L. verzogen, an einer Maßnahme des betreuten Wohnens teilzunehmen. Da der Hilfeempfänger sich nur vorübergehend bei seiner Mutter aufgehalten habe, habe er dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet und seinen letzten feststellbaren gewöhnlichen Aufenthalt damit in H. gehabt. Selbst wenn der Hilfeempfänger das ambulant betreute Wohnen erst zum 1. Dezember 2005 angetreten habe, liege der Zeitraum zwischen Zuzug und Beginn der Maßnahme innerhalb der 2-Monatsfrist des § 98 Abs. 2 SGB XII.

Mit Urteil vom 27. Juli 2011 verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, die der Klägerin in der Zeit ab dem 13. Mai 2007 bis zum Entscheidungszeitpunkt entstandenen Aufwendungen in Höhe von 37.643,75 EUR wie auch die bis zur Übernahme durch den Beklagten in die eigene Zuständigkeit weiter entstandenen Aufwendungen gem. § 14 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 102 ff. SGB X zu erstatten. Die Voraussetzungen des § 102 SGB X lägen vor, da der Kläger die an den Hilfeempfänger erbrachten Leistungen nur vorläufig gewährt habe und der Beklagte nach § 98 Abs. 1 Satz 2 SGB XII örtlich zuständig sei. Auf Grund der formalen Ummeldung zum Wohnsitz seiner Mutter habe der Hilfeempfänger zweifellos im Zuständigkeitsbereich des Beklagten einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Es komme insoweit nicht mehr darauf an, ob der Hilfeempfänger zu diesem Zeitpunkt bereits plante, in eine Wohnform des betreuten Wohnens zu wechseln. Der Aufenthalt bei der Mutter habe zwar nur wenige Wochen gedauert, dies sei jedoch unschädlich, da auch ein kurzer Aufenthalt ein gewöhnlicher Aufenthalt sein könne. Damit sei der Beklagte seit formaler Ummeldung zuständig für die Leistungsgewährung. Auch die Anwendung des § 98 Abs. 5 SGB XII führe zu keinem anderen Ergebnis, da der Beklagte seit Oktober 2005 und damit vor Eintritt in die betreute Wohnform am 1. Dezember 2005 zuständig für die weitere Leistungsgewährung gewesen sei. Im Übrigen sei die Höhe des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs nicht zu beanstanden. Da der Hilfeempfänger nach wie vor Leistungen des betreuten Wohnens in Anspruch nehme, bestehe auch ein berechtigtes Interesse daran, dass eine Übernahmepflicht für die Zukunft ausgesprochen werde.

Dagegen hat der Beklagte am 22. November 2011 Berufung eingelegt. Nach seiner Auffassung habe der Leistungsempfänger vor Aufnahme in das betreute Wohnen in seinem Zuständigkeitsbereich keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Allein der Umstand, dass der Leistungsempfänger sich zum Wohnsitz seiner Mutter umgemeldet habe, reiche für die Annahme nicht aus, dass er dort auch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Der Leistungsempfänger müsste zudem die Absicht gehabt haben, bei seiner Mutter nicht nur vorübergehend zu verweilen, da entscheidend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts der Wille des Betroffenen sei. Dieser Wille habe dem Leistungsempfänger gefehlt, da er schon zu Beginn des Aufenthalts bei seiner Mutter die Absicht gehabt habe, in das betreute Wohnen nach M. zu ziehen. Dies ergebe sich aus den Angaben seiner Betreuerin vom 2. Dezember 2005 und dem bereits am 18. Oktober 2005 unterschriebenen Mietvertrag. Zudem habe der Leistungsempfänger bereits bei seiner ersten Vorsprache bei einer Außenstelle in L. angegeben, dass er nur nach L. zu seiner Mutter gezogen sei, um in das ambulant betreute Wohnen nach M. zu ziehen.

Weiterhin lägen die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X nicht vor, da die Klägerin in ihren Bescheiden nicht auf die ungeklärte Zuständigkeit und die daraus resultierende Vorläufigkeit der Leistung hingewiesen habe.

Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten für das betreute Wohnen wird beanstandet, da nicht ersichtlich sei, ob und in welchem Umfang Unterhaltsansprüche gegen die Mutter und die Tochter des Leistungsempfängers geprüft worden seien. Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass der erstattungsbegehrende Sozialhilfeträger alle vorrangigen Ansprüche zu überprüfen und auszuschöpfen habe, um die Aufwendungen so gering wie möglich zu halten, andernfalls verstoße er gegen den Interessenwahrungsgrundsatz.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

da der Leistungsempfänger erkennbar seinen Aufenthalt in H. Ende September 2005 endgültig aufgegeben habe, seinen Lebensmittelpunkt in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten verlegen und dort eine Wohnung mit ambulanter Betreuung habe beziehen wollen. Damit habe er einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) im Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet. Da die Existenz der Mutter und der Tochter des Hilfeempfängers der Klägerin nicht bekannt gewesen seien, seien auch keine Unterhaltsansprüche geprüft worden.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143,144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht.

Sie ist aber nicht begründet, da der Beklagte für die Leistungsgewährung an den Hilfeempfänger nach § 98 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 SGB XII zuständig ist und der Klägerin ein Kostenerstattungsanspruch nach § 105 SGB X zusteht. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts richtet sich die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB XII und nicht nach § 98 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGB XII, da der Leistungsempfänger vor Eintritt in das betreute Wohnen einen Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff SGB XII und keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff SGB XII hatte. Folglich richtet sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Leistungsempfängers, der unstreitig im Zuständigkeitsbereich des Beklagten lag.

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich hier grundsätzlich nach § 98 Abs. 5 SGB XII, da es um die Erstattung von Leistungen geht, die nach dem Eintritt in das betreute Wohnen am 1. Dezember 2005 bewilligt wurden. Nach dieser Vorschrift ist für Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Damit ist zu klären, welcher Träger vor dem Beginn des betreuten Wohnens zuständig war. Dies wiederum richtet sich nach § 98 Abs. 1 SGB XII. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist für Sozialhilfe der Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte aufhält. Nach Satz 2 der Vorschrift ist für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung der Träger der Sozialhilfe zuständig, in dessen Bereich der gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten liegt.

Damit hängt die örtliche Zuständigkeit unmittelbar davon ab, ob der Leistungsempfänger vor Eintritt in das betreute Wohnen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff SGB XII oder Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff SGB XII hatte.

Da der Leistungsempfänger im fraglichen Zeitpunkt lediglich Anspruch auf laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach §§ 27 SGB XII hatte, richtet sich die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII.

Der Beklagte hat zwar ab November 2005 Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff SGB XII bewilligt, die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen lagen aber nicht vor. Ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht nur dann, wenn ein Leistungsempfänger entweder die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht hat oder dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Der Leistungsempfänger erfüllte diese Voraussetzungen zum maßgeblichen Zeitpunkt jedoch nicht; so hatte er weder die maßgebliche Altersgrenze überschritten noch war er vor Eintritt in das betreute Wohnen dauerhaft erwerbsgemindert. Zum Zeitpunkt des Eintritts in das betreute Wohnen bezog der Leistungsempfänger lediglich eine zeitlich bis zum 30. September 2007 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Erst mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 bewilligte der Rententräger eine zeitlich unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum ab 1. Oktober 2007. Da nach § 45 SGB XII für die Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung nicht der Sozialhilfeträger sondern der Rententräger zuständig ist, ist insoweit die Entscheidung des Rententrägers maßgeblich. Im Übrigen wurde der Leistungsempfänger auch erst im März 2007 in eine Werkstatt für Behinderte aufgenommen, so dass auch unter Berücksichtigung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht bereits im November 2005 von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ausgegangen werden kann. Allein der Umstand, dass der Beklagte - aus welchen Gründen auch immer – (zu Unrecht) tatsächlich Leistungen der Grundsicherung bewilligte, hat keinen Einfluss auf die Zuständigkeitsregel in § 98 SGB XII.

Damit richtet sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Leistungsempfängers. Vor Eintritt in das betreute Wohnen hatte sich der Leistungsempfänger unstreitig im Zuständigkeitsbereich des Beklagten - nämlich bei seiner Mutter in L. - tatsächlich aufgehalten, so dass der Beklagte nach § 98 Abs. 5 SGB XII für die Leistungen nach Eintritt in das betreute Wohnen zuständig bleibt. Damit kommt es vorliegend nicht mehr auf die zwischen den Parteien bisher streitige Frage an, ob der Leistungsempfänger bei seiner Mutter, das heißt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, auch einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) begründet hatte, bevor er die betreute Wohnung in M. bezog.

Der Klägerin steht auch ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X zu. Nach dieser Vorschrift hat ein unzuständiger Leistungsträger, der Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 SGB X vorliegen, einen Erstattungsanspruch gegenüber dem zuständigen bzw. dem zuständig gewesenen Leistungsträger, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Klägerin als unzuständiger Leistungsträger Leistungen der Sozialhilfe erbracht hat, für die der Beklagte örtlich zuständig war, die er aber nicht gewährt hat, und darüber hinaus die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 102 SGB X nicht vorliegen.

Auf einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie es unterlassen hat, nach außen deutlich zu machen, dass sie die an den Leistungsempfänger gewährten Leistungen nur vorläufig erbringt. So hat das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung von 22. Mai 1985 (1 RA 33/84) festgestellt:

Eine vorläufige Leistungsgewährung setzt begrifflich voraus, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers und damit von der eigenen Unzuständigkeit leistet oder sich noch im ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist (vgl BSG vom 28.3.1984 9a RV 50/82 = SozR 1300 § 102 Nr 1 S 4). Eine Vorleistung erfordert somit das Bestehen entweder eines Kompetenzkonflikts oder einer sonstigen Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung. Dabei muss der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein. Der Charakter der Erbringung einer vorläufigen Sozialleistung muss von Anfang an feststehen; die nachträgliche Umdeutung einer erbrachten Leistung in eine vorläufige Sozialleistung kommt nicht in Betracht.

Darüber hinaus ist weder ersichtlich noch wird behauptet, dass der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen ist (vgl. Roos: in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Aufl., § 105 Rn.10). Die Klägerin hat hier nicht bewusst oder offensichtlich Leistungen als unzuständiger Leistungsträger erbracht. Zwischen beiden Parteien lag ohne Zweifel von Beginn an ein Streit über die Zuständigkeit vor. Zum Teil war die Klägerin auch nach § 14 Abs. 2 SGB IX bzw. § 43 Abs. 1 SGB I gesetzlich verpflichtet bzw. berechtigt, zumindest vorläufig Leistungen zu erbringen. Erkennbar sollte jedenfalls nicht der Leistungsempfänger Leidtragender des Zuständigkeitsstreits sein.

Damit ist der Beklagte nach § 105 Abs. 2 SGB X auch verpflichtet, die von der Klägerin bewilligten Leistungen zu erstatten, da er als Sozialhilfeträger nach den gleichen Rechtsvorschriften wie die Klägerin die Leistungen zu erbringen gehabt hätte. Der Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand gehört werden, dass die Klägerin keinen Regress bei der Mutter und der Tochter des Leistungsempfängers genommen habe, da unabhängig von gegebenenfalls bestehenden Unterhaltspflichten grundsätzlich ein entsprechender Leistungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger bestand, den die Klägerin letztlich für den Beklagten auf Grund dessen jahrelanger Weigerung erfüllt hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin den Beklagten in irgendeiner Weise durch ihre konkrete Leistungsbearbeitung benachteiligen wollte, zumal sie entsprechende Regressansprüche auch nicht für die Zeit bis Oktober 2005 geprüft hat. Damit wird deutlich, dass sie diesen Fall wie jeden anderen bearbeitet hat. Dem Beklagten war es unbenommen, den Fall in seine eigene Zuständigkeit zu übernehmen und so zu bearbeiten, wie er es für sinnvoll und sachgerecht erachtet.

Da erst für den Zeitraum ab 13. Mai 2007 Kostenerstattung verlangt wird, ist der geltend gemachte Anspruch auch nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen.

Weitere Einwände gegen die Höhe der geltend gemachten Forderung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Es ist aus den vom Sozialgericht angeführten Gründen auch notwendig, eine Regelung zur Erstattung von Aufwendungen für den Zeitraum ab Erlass des Urteils bis zur Übernahme des Falles in die eigene Zuständigkeit des Beklagten zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört und die Berufung des Beklagten ohne Erfolg bleibt. Die Anwendbarkeit des § 197a Abs. 1 SGG folgt aus § 197a Abs. 3 SGG, da es sich vorliegend um eine Erstattungsstreitigkeit handelt. Letztgenannte Vorschrift gilt hier gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB X (angefügt durch Art. 0 des 7. SGG-ÄndG), obwohl die Träger der Sozialhilfe nach § 64 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz SGB X im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit von Gerichtskosten grundsätzlich befreit sind.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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