S 27 R 2080/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 R 2080/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 65/11 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Gewährung einer Rente streitig.

Die am 00.00.1932 in Zaleszczyki geborene Klägerin ist anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus und hat eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) erhalten. Sie besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Am 24.10.2002 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten auf der Grundlage des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Sie habe im Ghetto Tluste Reinigungs- und Feldarbeiten verrichtet und sei dann nach Zaleszczyki überführt worden. Sie sei auf dem Weg von und zur Arbeit bewacht worden, für die Tätigkeit habe sie Nahrungsmittel am Arbeitsplatz erhalten. Mit Bescheid vom 28.06.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Nach dem ZRBG seien keine Versicherungszeiten anrechenbar. In Tluste habe es kein Ghetto, sondern lediglich ein Zwangsarbeitslager gegeben. Hiergegen erhob die Klägerin keine Rechtsmittel.

Am 16.07.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die "Anerkennung einer Altersrente" rückwirkend ab Juli 1997 und wies hierbei auf die geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum ZRBG aus den Urteilen vom 02.06. und 03.06.2009 hin. Sie machte geltend, im Ghetto Tluste gearbeitet und hierfür mit Essen entlohnt worden zu sein. Diesem Antrag entsprach die Beklagte zum Teil mit Bescheid vom 30.03.2010 und gewährte der Klägerin Regelaltersrente ab dem 01.01.2005. Ab dem 01.04.2010 seien 93,91 EUR monatlich zu zahlen, die Nachzahlung für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.03.2010 betrage 6.299,82 EUR. Für die Zeit davor sei die Rente nicht zu gewähren, da bei der Rücknahme von Bescheiden die Leistung längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht werde. Ferner betrage der Zugangsfaktor für die Rente 1,435; der eigentlich für die Altersrente vorgesehene Zugangsfaktor von 1,0 sei für jeden Monat, den die Rente trotz erfüllter Wartezeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen worden sei, um 0,005 zu erhöhen. Daraus folge hier eine Erhöhung um 87 Kalendermonate, da die Klägerin die Voraussetzungen für die Altersrente seit dem 26.09.1997 erfülle.

Die Klägerin widersprach und machte geltend, die Rente sei unter Berücksichtigung von § 3 ZRBG ab dem 01.07.1997 zu zahlen. § 3 ZRBG mit der dort festgelegten Fiktion, dass ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente als am 18.06.1997 gestellt gelte, sei lex specialis gegenüber dem von der Beklagten angewandten vierjährigen Anspruchsausschluss aus § 44 Abs. 4 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X). Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2010 zurück. Die Klägerin könne die Rente nur für die letzten 4 Jahre vor ihrem Überprüfungsantrag beanspruchen. Das folge aus der anspruchsvernichtenden Wirkung des § 44 Abs. 4 SGB X. Der Anspruchsausschluss trete auch dann ein, wenn der Versicherungsträger bei Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes schuldhaft gehandelt habe. Diese Vorschrift stelle eine ausgewogene Gesamtregelung dar, die zwischen dem Interesse des Einzelnen an einer möglichst vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung einerseits und dem Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer möglichst geringen finanziellen Belastung mit Ausgaben für zurückliegende Zeiträume andererseits vermittle. Das BSG halte die Vorschrift für verfassungsmäßig. Die Beklagte sehe keinen Anlass, § 44 Abs. 4 SGB X in ZRBG-Fällen nicht anzuwenden. Insbesondere erfolge die Anwendung der Vorschrift nicht gleichheitswidrig, da alle Betroffenen rückwirkend Leistungen für maximal 4 Jahre erhielten. Auch das ZRBG enthalte keine abweichende Regelung und bestimme nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge die Rückwirkung zum 01.07.1997.

Mit ihrer am 30.08.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist über die Widerspruchsbegründung hinaus der Auffassung, das BSG habe bereits mit Urteil vom 03.05.2005 (B 13 RJ 34/04) zu einer ähnlichen Fallkonstellation entschieden, das ZRBG enthalte Sonderrecht und bezwecke die Rentengewährung ab dem 01.07.1997. Ferner verstoße die von der Beklagten getroffene Entscheidung gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Es sei kein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung von Rentenansprüchen ersichtlich, der es rechtfertige, diejenigen, die nicht gegen die unhaltbare rechtswidrige Ablehnungspraxis der Beklagten vorgegangen seien, schlechter zu stellen, als diejenigen, die prozessiert hätten. Schließlich sei spätestens nach dem Vorlagebeschluss des 4. Senats des BSG vom 21.12.2007 klar gewesen, dass die bisherige Rechtsauffassung der Beklagten rechtswidrig sei. Mit einem weiteren Urteil habe es entschieden, der Versicherte sei bei der Überprüfung der Ablehnung seines Rentenantrages so zu stellen, wie er bei richtiger Rechtsanwendung im Zeitpunkt der erstmaligen Bescheiderteilung gestanden hätte (Urteil vom 14.11.2002 – B 13 RJ 47/01). Im Übrigen sei der Auslegung der Vorrang einzuräumen, die eine schnelle Wiedergutmachung ermögliche.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid vom 30.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2010 aufzuheben und die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, ihr im Wege der Neufeststellung nach Maßgabe des ZRBG eine Altersrente ab dem 01.07.1997 mit entsprechender Verzinsung gemäß § 44 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend. Die Klägerin werde durch den Rückgriff auf § 44 Abs. 4 SGB X nicht unangemessen benachteiligt, dieser vierjährige Anspruchsausschluss gelte selbst dann, wenn der Versicherungsträger bei Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes schuldhaft gehandelt habe. Die Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X erfolge auch nicht gleichheitswidrig, da die Antragsfiktion aus § 3 Abs. 1 ZRBG im Falle der Klägerin verbraucht sei, ihr fristgerecht bis zum 30.06.2003 gestellter Rentenantrag sei bestandskräftig abgelehnt geworden. Ferner sei die Antragsfiktion aus § 3 Abs. 1 ZRBG nicht Spezialvorschrift zum 4-jährigen Anspruchsausschluss aus § 44 Abs. 4 SGB X.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt hatten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 30.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2010 beschwert die Klägerin nicht nach § 54 Abs. 2 SGG. Diese Bescheide sind rechtmäßig, weil die Beklagte der Klägerin zu Recht nur rückwirkend für die letzten 4 Jahre vor dem Überprüfungsantrag vom 16.07.2009 Rente nachgezahlt hat, also für die Zeit ab dem 01.01.2005. Ein Rentenzahlungsanspruch der Klägerin für den Zeitraum bis 01.10.1997 besteht nicht; der von der Klägerin begehrte Rentenbeginn 01.07.1997 scheidet ohnehin aufgrund des Lebensalters der Klägerin aus. Dass die Klägerin keinen Rentenanspruch für den Zeitraum bis zum 01.10.1997 hat, folgt aus § 44 Abs. 4 SGB X. Dort ist in Satz 1 geregelt, dass Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Nach Satz 2 der Vorschrift wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Bei der auch hier gegebenen Rücknahme auf Antrag ist nach Satz 3 für die Berechnung der Vierjahresfrist der Tag der Antragstellung maßgeblich. Ferner ergibt sich aus dem Regelungsgefüge der Sozialgesetzbücher, dass die allgemeine Ausschlussregelung in § 44 Abs. 4 SGB X nicht gilt, wenn sie durch eine spezialgesetzliche Sonderregelung verdrängt wird (Kasseler Kommentar-Steinwedel, § 44 SGB X Rn. 50; von Wulffen-Schütze, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn. 40ff.). Daraus folgt hier, dass die Rente rückwirkend nur für die Zeit ab dem 01.01.2005 zu gewähren ist. Denn die Klägerin hat den Überprüfungsantrag 2009 gestellt, § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X. Nichts anderes folgt aus dem von der Klägerin erwähnten Vorlagebeschluss des BSG vom 21.12.2007. Dieser Vorlagebeschluss bedingt nicht die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens. Ferner gibt es keine spezialgesetzliche Regelung, die Abweichendes zur allgemeinen Ausschlussregelung aus § 44 Abs. 4 SGB X regelt (dazu: 1); die allgemeine vierjährige Ausschlussregelung in § 44 Abs. 4 SGB X ist zudem nach den allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden einschlägig (dazu: 2).

1. Zunächst ist keine Spezialregelung zu § 44 SGB X aus dem Sechsten Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfüllt. Hierbei kann offenbleiben, ob die die Ausschlussfrist verkürzende Sonderregelung in § 100 Abs. 4 SGB VI einschlägig ist, da die Beklagte diese nicht angewandt hat und die Klägerin im Klageverfahren wegen des in § 123 SGG geregelten Verböserungsverbotes nicht schlechter gestellt werden darf. Auch die sonstigen Spezialregelungen des SGB VI sind offensichtlich nicht einschlägig; das gilt insbesondere für § 300 Abs. 3b SGB VI (Bedeutung nur für die Neuberechnung von nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechneten Renten), § 307b SGB VI (betrifft nur Bestandsrenten aus überführten Renten des Beitrittsgebiets) und § 309 SGB VI (gilt nur für die Neufeststellung von vor dem 01.01.1996 geleisteten Renten). Ebenso enthält das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) keine Sonderregelung, namentlich ist der in § 17c WGSVG geregelte Sonderfall der Wartezeiterfüllung durch Sonderzahlung oder durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten nicht einschlägig. Auch beinhaltet das Fremdrentengesetz (FRG) keine abweichende Bestimmung. Schließlich ergibt sich nichts Abweichendes aus dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). § 3 ZRBG regelt "Besonderheiten beim Rentenbeginn", nach Abs. 1 Satz 1 gilt ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt. Diese Vorschrift ist bereits nach ihrem Wortlaut nicht einschlägig. Der für die Rentengewährung maßgebliche Antrag wurde hier nicht innerhalb der in § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG genannten Frist, sondern erst viel später gestellt. Denn entscheidend für die angefochtene Rentengewährung ist nicht der ursprünglich von der Klägerin (fristgerecht) gestellte Rentenantrag, sondern der außerhalb der Frist gestellte Überprüfungsantrag. Aus dem Rentenantrag allein kann die Klägerin wegen der bestandskräftigen Ablehnung nichts mehr herleiten. Denn diese Ablehnung ist nach § 77 SGG bindend. Danach ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt und soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird. Eine von dieser Bindungswirkung abweichende Entscheidung wird erst durch das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X eröffnet, das hier durch den außerhalb der Frist aus § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gestellten Überprüfungsantrag eingeleitet worden ist.

Den Regelungen des ZRBG lässt sich auch durch die juristischen Auslegungsmethoden nichts anderes für das Schicksal eines (verspäteten) Überprüfungsantrages im Sinne der Klägerin entnehmen. Dagegen, dass im Falle eines außerhalb der Frist aus § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gestellten Überprüfungsantrages die Rente immer rückwirkend zum 01.07.1997 – oder wie im Falle der Klägerin zum 01.10.1997 - gezahlt werden soll, spricht bereits der zuvor beschriebene eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der einer anderslautenden Auslegung mangels Zweifelsfragen entgegensteht. Denn die Grenze jeder Auslegung ist der eindeutige Wortsinn einer Vorschrift, da die zur Auslegung gesetzlicher Bestimmungen heranzuziehenden Gesichtspunkte des Bedeutungszusammenhanges, der Regelungsabsicht, des Sinnes und Zweckes des Gesetzes, der Gesetzeshistorie oder des Gebotes einer verfassungskonformen Auslegung voraussetzen, dass der Wortlaut einer Bestimmung unklar oder nicht eindeutig ist (BSG, Urteil vom 25.06.2009 – B 10 EG 8/08 R -, Rn. 30 bei Juris; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, 143 m.w.N.; Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 11.06.1980 – 1 PbvU -, BVerfGE 54, 277, 299f.; so auch: SG Lübeck, Urteil vom 08.10.2010 – S 15 R 188/10).

Überdies sprechen auch Gesetzesbegründung und Entstehungsgeschichte des ZRBG gegen die von der Klägerin gewünschte Auslegung. Der Gesetzgeber hat zwar mit dem ZRBG unter Anerkennung des Verfolgungsschicksals für die Betroffenen allgemein im Bereich der Rentenversicherung Neuland betreten und ist von bestimmten Grundsätzen sowohl im Bereich der Anerkennung von Beitragszeiten als auch der Erbringung von Leistungen daraus ins Ausland abgewichen (BT-Drucks. 14/8583, S. 5). Für den Rentenbeginn hat er aber nur regeln wollen, dass ein fristgerecht bis zum 30.06.2003 gestellter Rentenantrag – vorbehaltlich der weiteren rentenrechtlichen Regelungen - auf den Tag der Verkündung des Urteils des BSG zur erstmaligen Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten zurückwirkt und es mit dieser rückwirkenden Antragsfiktion im Zusammenhang mit der Regelung über das Inkraftreten des Gesetzes zum 01.07.1997 (und unter Heranziehung der allgemeinen Rentenbeginnregelung in § 99 SGB VI) zu einem Rentenbeginn 01.07.1997 kommt (BT-Drucks. 14/8583, S. 6). Eine Sonderbestimmung des Rentenbeginns für alle später gestellten Ghetto-Rentenanträge und auch Überprüfungsanträge rückwirkend zum 01.07.1997 oder späteren "frühestmöglichen" Zeitpunkt hat der Gesetzgeber nach der auch insoweit eindeutigen Begründung aber nicht gewollt. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich auch kein anderes Ergebnis durch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift ausgerichtete Auslegung finden.

Auch eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht in Betracht. Soweit die Klägerin eine gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung zu den Verfolgten sieht, deren ursprünglicher (fristgerechter) Rentenantrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden war und die insoweit unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 02. und 03.06.2009 regelmäßig in den Genuss einer Rentengewährung ab dem 01.07.1997 kommen, trifft das nicht zu. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können (sog. neue Formel, BSG, Urteil vom 25.06.2009 – B 10 EG 8/08, Rn. 52 bei Juris; Urteil vom 23.01.2008 – B 10 EG 5/07 R; BVerfG, Beschluss vom 09.11.2004 – BVerfGE 112, 50, 67). Umgekehrt verbietet Art. 3 Abs. 1 GG auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, insbesondere die Gleichbehandlung einer Gruppe von Normadressaten mit einer anderen, obwohl zwischen beiden Gruppen gewichtige Unterschiede bestehen, die deren Gleichbehandlung verbieten (BSG, Urteil vom 25.06.2009, a.a.O.; Jarass in Jarass/Pieroth, GG Komm, 9. Aufl 2007, Art 3 Rn. 5 m.w.N.). Zwischen den von der Klägerin angeführten beiden Gruppen gibt es einen gewichtigen Unterschied, der eine ungleiche Behandlung rechtfertigt. Dieser besteht in der bestandskräftigen Ablehnung des ersten Rentenantrages (vgl. auch: SG Lübeck, Urteil vom 08.10.2010 – L 15 R 188/10). Die Bestandskraft wird grundsätzlich stärker gewichtet als die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung, was bereits § 77 SGG belegt. Auch ein Vergleich zum Verfassungsrecht streitet dafür. Denn selbst wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit von Normen mit dem GG erklärt, gilt diese Erklärung nach § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nur für alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, während den übrigen Entscheidungen trotz festgestellter Verfassungswidrigkeit die Bestandskraft entgegengehalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.11.1998 – 2 BvL 10/95; Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153, 178). Ferner ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, dass eine fehlerhafte Rechtsanwendung erst dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn sie bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG, Beschluss vom 13.01.1987 – 2 BvR 209/84, BVerfGE 74, 102, 127). Für das Vorliegen einer derartigen Willkür bestehen hier aber keine Anhaltspunkte, die Beklagte hat den ursprünglichen Rentenantrag abgelehnt, weil nach ihrer damaligen Rechtsauffassung in Tluste schon kein Ghetto bestanden hat. Als sachfremd im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG kann dies nicht bezeichnet werden, was auch die Klägerin nicht substantiiert getan hat, sie hat die vor der durch das BSG vorgenommenen Rechtsprechungsänderung vertretene Auslegung des ZRBG lediglich ohne weitere Begründung als rechtswidrig bezeichnet. Ohnehin ist die jetzt erfolgte Rentengewährung weniger der Änderung der Rechtsprechung des BSG zum ZRBG aus den Urteilen vom 02. und 03.06.2009 geschuldet, sondern vielmehr der heutigen Einschätzung der Beklagten, dass in Tluste ein Ghetto bestanden hat.

Letztlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Urteil des BSG vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R. Diese Entscheidung lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Das BSG hat dort aus Gleichheitsgründen für alle Ghetto-Rentenberechtigten, die bereits vor dem 01.07.1997 eine Rente bezogen haben und für die wegen der Sperregelung in § 306 Abs. 1 SGB VI (keine Rentenneuberechnung wegen Rechtsänderung) das ZRBG eigentlich nicht anwendbar war, im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung § 306 Abs. 1 SGB VI nicht angewandt. Das BSG hielt es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG schlechterdings für nicht vertretbar, den Personenkreis von der Gesetzeswohltat des ZRBG auszuschließen, der die Gewährung von Altersruhegeld (Altersrente) bereits vor dem 18. Juni 1997 beantragt hatte und damit gewissermaßen "Vorkämpfer" für die jetzige Gesetzesnovelle gewesen ist. Ferner ist das BSG davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber des ZRBG die Sperrwirkung des § 306 Abs. 1 SGB VI für berechtigte Rentenbezieher (Bestandsrentner) offenbar übersehen hat. Die verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung von im Wesentlichen vergleichbaren Personengruppen könne – so das BSG – nur behoben werden, indem das Recht dahingehend fortgebildet wird, dass für den besonderen Personenkreis der Berechtigten nach dem ZRBG die Ausnahmevorschrift des § 306 Abs. 1 SGB VI nicht nachteilig anzuwenden sei (BSG, a.a.O.).

Diese Gedanken lassen sich hier nicht im Sinne der Klägerin fruchtbar machen. Erstens besteht keine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil die ungleiche Behandlung zur Gruppe derjenigen, die die Rente bereits ab 01.07.1997 beziehen, in der dort fehlenden bestandskräftigen Ablehnung des fristgerecht bis zum 30.06.2003 gestellten Rentenantrages gerechtfertigt ist. Zweites fehlt die für eine derartige richterrechtliche Rechtsfortbildung erforderliche Gesetzeslücke. Gegen das Vorliegen einer vom Gesetzgeber nicht erkannten Regelungslücke spricht entscheidend, dass dies die Annahme voraussetzte, der Gesetzgeber habe schon bei Verabschiedung des ZRBG eine (zu) restriktive und v.a. rechtswidrige Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit durch Verwaltung und Gerichte befürchtet und habe dem damit begegnen wollen, dass bei einer Änderung dieser Rechtsprechung Überprüfungsanträge unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung immer bis zum 01.07.1997 zurückwirken. Das scheidet schon rein gedanklich aus, die Änderung der Rechtsprechung kann keine Regelungslücke bedingen. Zudem war eine solche Änderung der Rechtsprechung und dem folgend der Verwaltungspraxis bei Erlass des ZRBG nicht abzusehen (vgl. a. Röhl, Anm. zu BSG, Urteil vom 02.06.2009 – B 13 R 139/08 R, JurisPR-SozR 4/2010, Anm. 3). Außerdem kann dem Gesetzgeber die restriktive, weil am Rentenrecht orientierte Auslegung des ZRBG durch Verwaltung und Gerichte nicht entgangen sein. Er hat hierauf nicht reagiert. Das entsprach zumindest auch dem ausdrücklichen Willen der Bundesregierung, wie ihre Antworten auf zwei kleine Anfragen zum ZRBG belegen (BT-Drucks. 16/1955 und 16/5720). Dort heißt es u.a. wörtlich: "Es mag fraglich erscheinen, ob die Begriffe "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" im Zusammenhang mit Arbeit im Ghetto den Sachverhalt zutreffend beschreiben können. Aber im Bereich der Renenversicherung bleiben sie zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit. Ansonsten würden der Rentenversicherung Aufgaben zugewiesen, die keinerlei Bezug mehr zur Sozialversicherung und zur Versichertengemeinschaft haben, sondern als reine Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit anzusehen wären. Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit werden aber bereits nach den Maßgaben der Zwangsarbeiterentschädigung erbracht. Ob es sich bei einer bestimmten Tätigkeit um Zwangsarbeit oder um ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gehandelt hat, sei allerdings im Einzelfall zu entscheiden" (BT-Drucks. 16/5720, S. 3 und 5). Der Gesetzgeber (Bundestag) selbst hat sich Anwendungspraxis naturgemäß nicht geäußert.

2. Steht damit fest, dass es keine Spezialregelung gibt, so greift die allgemeine vierjährige Ausschlussfrist aus § 44 Abs. 4 SGB X, aus der folgt, dass der Klägerin ausgehend von ihrem Überprüfungsantrag aus dem Jahr 2009 die Rente rückwirkend nur für die Zeit vom 01.01.2005 zu zahlen und ihr im Übrigen der 4-jährigen Ausschlusseinwand entgegenzuhalten ist. Auch die allgemeine Ausschlussfrist aus § 44 Abs. 4 SGB X ist nach ihrem Wortlaut absolut und keiner anderen Auslegung zugänglich; ihre Geltendmachung steht insbesondere nicht im Ermessen der Verwaltung (BSG – Großer Senat – Beschluss vom 15.12.1982 – GS 2/80, BSGE 54, 223, 225). Ebenso nach der Entstehungsgeschichte handelt es sich um eine Vorschrift, die einer restriktiven Auslegung im Sinne der Klägerin nicht zugänglich ist. Denn nach den Gesetzesmaterialien war eine generelle Abkehr von der früheren Rechtsprechung des BSG zum Entfallen der Verjährung bei rückwirkender Aufhebung eines Verwaltungsaktes (dazu: BSG, Urteil vom 04.12.1974 – 5 RknU29/73, BSGE 38, 224) beabsichtigt (BR-Drucks 170/78, S. 34 zu § 42 Abs. 4 des Entwufs; vgl. hierzu BSG Urteil vom 09.09.1986 – 11a RA 28/85, SozR 1300 § 44 Nr. 24). Leitend für die begrenzte Rückwirkung nur für die letzten vier Jahre war für den Gesetzgeber, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unterhaltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachzuzahlen sein sollen (vgl. BT-Drucks 8/2034, S. 34), womit letztlich die Interessen der Versichertengemeinschaft vor weiter zurückreichenden Zahlungsverpflichtungen geschützt werden. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu wörtlich: "Der Vierjahreszeitraum, der der Verjährungsfrist von Sozialleistungen nach § 34 SGB I entspricht, ist im Gesetz festgelegt, um sicherzustellen, dass nicht über diesen Zeitraum hinaus rückwirkend Leistungen zu erbringen sind" (BT-Drucks. a.a.O.). Handelt es sich aber insoweit bei § 44 Abs. 4 SGB X um eine bewusste Beschränkung der Rückwirkung gerade in Reaktion auf zuvor anderslautende Rechtsprechung des BSG, so spricht dies entscheidend dagegen, die Vorschrift entgegen dem klaren gesetzgeberischen Willen in eine andere Richtung auszulegen; eine solche Rechtsänderung obliegt dem allein hierzu legitimierten Gesetzgeber. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift gilt die Ausschlussfrist ausnahmslos, was auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass die Vorschrift verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BSG – Großer Senat – Beschluss vom 15.12.1982 – GS 2/80, BSGE 54, 223; BSGE 60, 158, 161ff.), dass sie unabhängig von einem Verschulden der Behörde beim Erlass des aufgehobenen Verwaltungsaktes gilt (BSG, Urteil vom 11.04.1985 – 4b/9a RV 5/84, BSG SozR 1300 § 44 Nr. 17 = ZfS 1985, 245 = SGb 1986, 11 Anm Hafe = VersBea 1986, 11; SozR 1300 § 48 Nr. 32; BSG, Urteil vom 28.01.1999 – B 14 EG 6/98 R) und ihre Anwendung keinen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, weil es sich um zwingend bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes zu beachtendes Recht handelt (BSG, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85; BSG Urteil vom 24.07.2001 – B 4 RA 94/00 R, SozR 3–5795 § 4 Nr. 7; BSG Urteil vom 06.03.2003 – B 4 RA 38/02 R). Das gilt insbesondere auch dann, wenn die auf einen Überprüfungsantrag hin erfolgte rückwirkende Leistungsgewährung – wie hier – einer Änderung der Rechtsprechung geschuldet ist (BSG, Urteil vom 13.09.1994 – 5 RJ 30/93: zur rückwirkenden Leistungserbringung wegen der Rechtsprechungsänderung zur Beweiserleichterung beim Berufsschadensausgleich).

Schließlich ergibt sich nichts anderes aus dem von der Klägerin erwähnten Urteil des BSG vom vom 14.11.2002 – B 13 RJ 47/01. Soweit das BSG erkannt hat, der Versicherte sei bei der Überprüfung der Ablehnung seines Rentenantrages so zu stellen, wie er bei richtiger Rechtsanwendung im Zeitpunkt der erstmaligen Bescheiderteilung gestanden hätte, besagt dies nichts zur Frage des Anspruchsausschlusses aus § 44 Abs. 4 SGB X, sondern allein dazu, welches Recht im Rahmen des Überprüfungsverfahrens anzuwenden ist, wenn es sich zwischenzeitlich zum Nachteil des Antragstellers geändert hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Das Gericht hat die Sprungrevision zugelassen, weil die Voraussetzungen aus §§ 161, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Rechtsfrage der rückwirkenden Leistungserbringung von Ghettorenten bei Überprüfungsanträgen, die auf die Rechtsprechungsänderung des BSG aus seinen Urteilen vom 02. und 03.06.2009 zurückgehen, bisher höchstrichterlich nicht geklärt und gleichzeitig eine Vielzahl von Rentenbeziehern hiervon betroffen ist, die zudem oft schon ein hohes Lebensalter erreicht haben.
Rechtskraft
Aus
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