L 6 R 902/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 1044/11 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 902/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
- zu den Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
- das Sozialgericht ist im Rahmen der Untersuchungsmaxime (Grundsatz der Amtsermittlung) nicht zu Ermittlugnen ins Blaue hinein veranlasst
- im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ist es nicht zu beanstanden, wenn das Sozialgericht einen für die Vergangenheit geltend gemachten Leistungsfall alleine aufgrund der Aktenlage verneint und von der Einholung beantragter Gutachten nach Aktenlage aufgrund fehlender Anhaltspunkte für einen früheren Leistungsfall absieht
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 31. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten für das am Sozialgericht Landshut anhängig gewesene Klageverfahren auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1948 geborene, in Bosnien wohnhafte Kläger besitzt die dortige Staatsangehörigkeit. Neben serbischen und slowenischen Beitragszeiten weist der Versicherungsverlauf des Klägers in der Zeit vom 25.03.1970 bis 07.01.1972 Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in Deutschland auf. Zuletzt sind durchgehende Versicherungszeiten in Bosnien-Herzegowina von 1978 bis 21.12.2000 vermerkt. Der Kläger bezieht seit 01.12.2005 im Heimatland eine Invalidenrente.

Am 30.09.2005 stellte er Antrag auf Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dieser wurde von der Beklagten mit rechtskräftigem Bescheid vom 29.03.2006 mit der Begründung abgelehnt, in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vor Antragstellung seien lediglich 4 anstatt der erforderlichen 36 Kalendermonate mit Beiträgen belegt. Am 04.03.2011 stellte die Bevollmächtigte des Klägers Antrag auf Überprüfung dieser Entscheidung nach § 44 SGB X. Bei dem Kläger habe aufgrund eines Verkehrsunfalls sowie einer bestehenden Schwerhörigkeit Erwerbsminderung bereits ab dem Jahre 2000 vorgelegen. Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen des bosnischen Versicherungsträgers bei, die u.a. einen Entlassungsbericht über eine stationäre psychiatrische Behandlung im Februar 2005 sowie ein nach Untersuchung des Klägers am 01.12.2005 erstelltes Gutachten enthielten, welches aufgrund der Diagnosen einer Depression sowie einer 91%igen Schwerhörigkeit Invalidität ab dem Untersuchungszeitpunkt bestätigte. Nach Einbeziehung des prüfärztlichen Dienstes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.08.2011 und Widerspruchsbescheid vom 12.09.2011 eine Aufhebung des Bescheides vom 29.03.2006 ab. Im Zeitpunkt des Leistungsfalles seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Aus den medizinischen Unterlagen habe sich eine Erwerbsminderung erst ab 01.12.2005 jedoch nicht bereits seit dem Jahre 2000 ergeben.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 15.09.2011 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) und beantragte gleichzeitig die Bewilligung von PKH. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, medizinische Ermittlungen zum Nachweis eines früheren Leistungsfalls durchzuführen. Beim Kläger liege aufgrund eines im Jahre 1994 erlittenen Knalltraumas sowie eines Verkehrsunfalls im Jahre 2000 mit offener Unterschenkelfraktur Erwerbsunfähigkeit sowie eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Ab 2000 sei auch die Wegefähigkeit nicht mehr gegeben gewesen. Die Einholung entsprechender Gutachten auf chirurgischem, HNO-ärztlichem und psychiatrischem Fachgebiet wurde angeregt. Demgegenüber wies die Beklagte darauf hin, dass ein Leistungsfall spätestens im Januar 2003 hätte vorliegen müssen, so dass eine aktuelle Begutachtung des Klägers nicht mehr aussagekräftig sei. Aus den für die Zeit bis Januar 2003 vorliegenden medizinischen Unterlagen lasse sich ein solcher Leistungsfall nicht entnehmen. Die Folgen des Verkehrsunfalls seien operiert und rehabilitiert worden. Dementsprechend habe auch der bosnische Versicherungsträger Invalidität erst ab 01.12.2005 allein aufgrund der bestehenden psychischen Störung angenommen. Berufschutz könne der Kläger nicht beanspruchen, da er seine Tätigkeit in Deutschland vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit aufgegeben habe.

Mit Schreiben vom 04.07.2012 teilte das SG den Beteiligten mit, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei. Mit Beschluss vom 31.08.2012 lehnte es im Weiteren die Bewilligung von PKH und Beiordnung der Bevollmächtigten des Klägers ab. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Nachweis des Eintritts von Erwerbsminderung aufgrund einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse sei erst ab Februar 2005 geführt. Anhaltspunkte für einen früheren Leistungsfall lägen nicht vor. Hiergegen legte die Bevollmächtigte des Klägers am 16.10.2012 Beschwerde ein.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2012 wies das SG auch die Klage ab. Eine Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide wie auch des Bescheides vom 29.03.2006 komme nicht in Betracht, da ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht bestehe. Der Eintritt von Erwerbsminderung vor Februar 2003 sei nicht nachgewiesen. Unterlagen über den Hörverlust des Klägers hätten erst ab dem Jahr 2005 vorgelegt werden können. Die Folgen des Verkehrsunfalls im Jahr 2000 seien weitgehend folgenlos ausgeheilt, der Rehabilitations-Abschlussbericht habe bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit eine dauerhafte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nur i.H.v. 16,5 % angenommen. Auch das Gutachten der Invalidenkommission habe insoweit lediglich endgradige Einschränkungen im linken Sprunggelenk festgestellt. Ausschlaggebend für die Annahme einer Erwerbsunfähigkeit des Klägers sei letztlich die stationäre Behandlung aufgrund einer Depression der Zeit von 17. bis 18.02.2005 gewesen. Jetzt habe der Kläger selbst angegeben, dass eine Verschlechterung lediglich einige Monate zuvor eingetreten sei. Veranlassung zur Einholung der geforderten Gutachten bestehe nach dieser Aktenlage nicht.

Nach Zustellung des Gerichtsbescheids begründete die Bevollmächtigte des Klägers die eingelegte Beschwerde gegen die Versagung von PKH damit, dass im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags auf Bewilligung von PKH die Klage hinreichende Erfolgsaussicht gehabt habe. Sie habe mehrfach die Aufnahme entsprechender Ermittlungen beantragt. Das SG hätte entsprechende Gutachten nach Aktenlage einholen müssen. Insbesondere die bestehende Schwerhörigkeit stelle eine schwere spezifische Leistungseinschränkung dar, welche dem Kläger den Arbeitsmarkt verschlossen habe. Das Sozialgericht hätte sich detaillierte Kenntnisse über den Umfang dieser Einschränkung verschaffen müssen. Auch habe sie sich ausdrücklich gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gewandt. Dieser sei rechtswidrig, da der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei. Sie habe nur deshalb kein Rechtsmittel eingelegt, weil ein entsprechender Auftrag durch den Kläger nicht erteilt worden sei.

II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist unbegründet.
Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, §§ 73a SGG, 121 Abs. 2 S. 1 ZPO. Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt ist. Ist der geltend gemachte Anspruch noch ungewiss und bedarf er einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, ist dies ausreichend, um eine gewisse Erfolgsaussicht wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Werden also zum Beispiel die Einholung eines Gutachtens oder sonstige Ermittlungen von Amts wegen für notwendig erachtet, kann in der Regel PKH nicht verweigert werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 73a Nr. 7a m.w.N.).

Vorliegend wies die Rechtsverfolgung durch den Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg auf. Weder im Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife über den Antrag auf Bewilligung von PKH noch im Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung war der Ausgang des Verfahrens als ungewiss anzusehen, so dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung oder weiterer medizinische Ermittlungen bedurft hätte. Zwar hat das Gericht nach dem Grundsatz der Amtsermittlung des § 103 SGG den entscheidungserheblichen Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen zu erforschen, es ist hierbei jedoch nach Satz 2 dieser Vorschrift an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das Ausmaß der Ermittlungen steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes (Meyer-Lade-wig, SGG, Rn. 4 zu § 103 m.w.N.). Beweisanträgen ist dann nicht zu folgen, wenn sich das Beweismittel zum Nachweis der behaupteten Tatsache als ungeeignet bzw. untauglich erweist oder wenn es sich hierbei um einen ohne greifbare Anhaltspunkte gestellten sog. Beweisermittlungs- oder Ausforschungsantrag handelt. Das Gericht ist nicht veranlasst, aufs Geratewohl ins Blaue hinein zu ermitteln (BSG Urteil vom 12.12.1995, 5 RJ 26/94; Meyer-Ladewig Rn. 8, 8a zu § 103 SGG m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Prämissen ist ein Ermittlungsdefizit nicht erkennbar. Die Entscheidung der Beklagten, eine Aufhebung des Bescheids vom 29.03.2006 abzulehnen, findet ihre berechtigte Grundlage in den beigezogenen medizinischen Befunden. Abgesehen von den Arztbriefen über unspezifische internistische Behandlungen in den Jahren 1995-1999 sowie über die (erfolgreichen) Behandlungen aufgrund des Verkehrsunfalls im Jahr 2000 enthalten die Akten Befunde bezüglich der für eine mögliche Erwerbsminderung alleine maßgeblichen Schwerhörigkeit bzw. der Depression ausschließlich für die Zeit ab Februar 2005. Zu Recht hat die Beklagte dementsprechend einen Leistungsfall frühestens im Jahr 2005 zugrunde gelegt. Die bosnische Invalidenkommission ging entsprechend dem von ihr eingeholten Gutachten trotz der auch dort aktenkundigen Befunde ebenfalls davon aus, dass Invalidität nach bosnischem Recht erst ab 01.12.2005 bestand. Zu beachten ist zudem, dass der Kläger Rentenanträge im Heimatland wie auch bei der Beklagten erst im Jahr 2005 gestellt hat. Es ist davon auszugehen, dass erst in dieser Zeit ein dem behaupteten Beschwerdebild entsprechender Leidensdruck vorlag.

Auch die Entscheidung des SG, von weiteren Ermittlungen abzusehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie wurde in rechtmäßiger Ausübung des zustehenden Ermessens getroffen und stellt insbesondere keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar. Das SG hat sich in seinen Entscheidungen zu Recht alleine auf die im Verwaltungsverfahren umfassend beigezogenen medizinischen Unterlagen gestützt. Dem Antrag der Bevollmächtigten des Klägers auf Durchführung weiterer Ermittlungen - insbesondere die Einholung medizinischer Gutachten - war nicht nachzukommen. Die Erstellung von Gutachten nach Untersuchung des Klägers erwies sich als nicht mehr zielführend, da eine Untersuchung für die Frage, ob beim Kläger spätestens bis 31.01.2003 Erwerbsunfähigkeit vorlag, schon aufgrund Zeitablaufs weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren hinreichend aussagekräftig gewesen wäre. Das SG hat sich daneben zu Recht nicht veranlasst gesehen, die beantragten Gutachten nach Aktenlage einzuholen. Dies hätte nur dann Sinn gemacht, wenn die Akten tatsächlich maßgebliche Befunde für die Zeit vor 2005 enthalten hätten. Tatsache ist jedoch, dass sämtliche beigezogenen medizinischen Unterlagen keine validen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines früheren Leistungsfalls boten. Auch von Seiten des Klägers wurden keine weiteren ärztlichen Unterlagen (z.B. Tonaudiogramme, orthopädische oder psychiatrische Befunde) insbesondere für die Zeit vor Februar 2003 vorgelegt, die über den bloßen Klägervortrag hinaus substantiierte Anhaltspunkte für das Ausmaß der Schwerhörigkeit, eines Wegfalls der Wegefähigkeit oder eine maßgebliche Verschlimmerung der Depression zu einem Zeitpunkt hätten geben können, in welchem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt waren. Zu Ermittlungen ins Blaue hinein ist das Gericht aber gerade nicht verpflichtet.

Soweit sich die Bevollmächtigte des Klägers weiter gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid wendet und insoweit die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, ist dies im Rahmen der Beschwerde gegen die durch Beschluss erfolgte Ablehnung von PKH nicht Prüfungsgegenstand und für die Frage, ob PKH zu Recht verweigert wurde, ohne Belang. Gleichwohl erlaubt sich der Senat den Hinweis, dass das SG die Beteiligten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ordnungsgemäß zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört hat. Eine Einverständniserklärung der Beteiligten ist in § 105 SGG nicht vorgesehen. Es stand dem Kläger offen, im Rahmen eines Berufungsverfahrens überprüfen zu lassen, ob - woran der Senat keinen Zweifel hat - die Voraussetzungen für eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheides im Übrigen vorgelegen haben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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