S 53 R 102/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
53
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 53 R 102/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. &8195;

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihrer Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung von Zeiten ihres Aufenthaltes in H. Kinder- und Jugendheimen in den 1960ern.

Die am XXXXX1952 geborene Klägerin bezieht seit Oktober 1999 von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. In dem dem Rentenbescheid vom 04.10.1999 beigefügten Versicherungsverlauf (Anlage 2) werden Beitragszeiten erstmals für die Zeit ab 01.04.1968 ausgeführt. In der Folgezeit ergingen mehrere Bescheide zur Neuberechnung und Neufeststellung der Rente, zuletzt am 13.07.2009.

Mit Schreiben vom 06.09.2011 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen "Antrag auf Kontenklärung/Überprüfung nach § 44 SGB X", mit dem sie die Kontenklärung für den Zeitraum 1964 – 1967 beantragte, in dem sie Zwangsarbeit während der Heimerziehung habe leisten müssen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.09.2011 ab. Die Überprüfung des Bescheids vom 13.07.2009 habe ergeben, dass dieser Bescheid rechtmäßig ist. Die Vorschriften über die gesetzliche Rentenversicherung sähen keine Berücksichtigung von Beitragszeiten für solche Zeiten vor, in denen Heimkinder ohne ein versicherungspflichtiges Lehr- oder Beschäftigungsverhältnis arbeiten mussten. Welche Zeiten als Beitragszeiten berücksichtigt werden können, sei durch die maßgebenden Rechtsvorschriften abschließend geregelt. Pflichtbeitragszeiten seien danach solche Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten. Die Berücksichtigung einer Pflichtbeitragszeit setze voraus, dass ein versicherungsrechtlich relevantes Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt mit Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgelegen hat oder eine Lehre oder eine sonstige Berufsausbildung im Rahmen eines versicherungsrechtlich relevanten Beschäftigungsverhältnisses vorlag, für das grundsätzlich Versicherungspflicht bestand. Bei der Berechnung der Rente der Klägerin seien alle nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachten Beitragszeiten, Ersatzzeiten und Anrechnungszeiten berücksichtigt worden. Die Beklagte habe keine Möglichkeit, die von der Klägerin geschilderten Sachverhalte als rentenrechtliche Zeit in der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 04.10.0211 Widerspruch. Sie habe Garten- und Feldarbeit geleistet, außerdem in der Großküche gearbeitet. Die Arbeit sei in einer Fünftagewoche täglich 8 – 9 Stunden geleistet worden. Dies entspreche einem faktischen Beschäftigungsverhältnis, auch wenn es nicht vom freien Willen der Klägerin getragen gewesen sei. Nach Art und Umfang habe es sich mindestens um eine Teilzeitbeschäftigung gehandelt, die grundsätzlich rentenversicherungspflichtig sei und definitiv auch nicht als erzieherische Maßnahme gewertet werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2012 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung der Begründung aus dem Bescheid vom 23.09.2011 zurück.

Am 26.01.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, sie könne die genauen Daten, wann sie in welchem Heim gewesen sei, nicht mehr erinnern. Zum ersten Mal sei sie nach dem Tod ihres Vaters im Alter von 12 Jahren in ein Kinderheim gekommen. Ihre Mutter habe sie dann zunächst wieder zu sich genommen, später sei sie jedoch erneut ins Heim, diesmal in das Kinder- und Jugendheim F., gekommen. Ab 1964 habe die dort geleistete Arbeit im Wesentlichen aus Mitarbeit in der anstaltsinternen gewerblich betriebenen Wäscherei sowie in der Großküche und verschiedenen anderen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten bestanden. Die Arbeit sei in einer Fünftagewoche mit je acht bis neun Stunden täglich geleistet worden. Die ausgeübte Beschäftigung habe durchweg gewerblichen Charakter gehabt. Die Arbeit sei auch bezahlt worden, wenn auch nur geringfügig in Form von Kost, Logis, Bekleidung und sonstigen Gegenständen des täglichen Gebrauchs sowie geringen DM-Beträge. Von den ausgezahlten Geldbeträgen habe sie auch noch Hygiene-Artikel kaufen müssen. Wenn man die Arbeit verweigerte, sei man in eine Isolierzelle gesteckt worden.

Es sei von einer Vollzeitbeschäftigung auszugehen, für die grundsätzliche Sozialversicherungspflicht bestanden habe. Die Pflicht, Abgaben abzuführen, habe dem Träger des Heims – der Stadt Hamburg – oblegen. Dass Sozialabgaben tatsächlich nicht abgeführt wurden, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Die rentenrechtliche Relevanz eines Beschäftigungsverhältnisses könne nicht davon abhängen, ob ein Arbeitgeber seine sozialversicherungsrechtlichen Pflichten einhält. Es habe sich um ein faktisches Arbeitsverhältnis gehandelt, dass durch schlüssiges Handeln zustande gekommen sei. Auf eine wirksame Willenserklärung der Klägerin komme es insoweit nicht an. Einzig der Amtsvormund (hier: das Jugendamt) sei in der Lage gewesen, im Namen des Mündel eine vertragsbegründende Erklärung abzugeben. Es sei zu unterstellen, dass der Amtsvormund von der Tätigkeit seines Mündels wusste. Seine Einwilligung hierzu habe er durch schlüssiges Verhalten erteilt. Damit sei ein Arbeitsvertrag zwischen Heimträger und Klägerin geschlossen worden. Die Beklagte hätte keine Sachverhaltsermittlungen hinsichtlich des Beschäftigungsverhältnisses und in Bezug auf die Frage, ob Beiträge abgeführt wurden, durchgeführt. Es sei zu bezweifeln, dass sie damit ihrer Amtsermittlungspflicht genüge.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 23.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Erwerbsminderungsrente der Klägerin unter Berücksichtigung der Arbeitszeiten von 1964 bis 1967 neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin sei in der fraglichen Zeit 11,5 – 15,5 Jahre alt gewesen. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres am XXXXX 1966 habe das generelle Verbot der Kinderarbeit gegolten. Auch wenn die Klägerin trotz des bestehenden Verbots zur Arbeit gezwungen worden sei, könnten dafür keine Beitragszeiten berücksichtigt werden. Beitragszeiten könnten nur solche Zeiten sein, für die Beiträge gezahlt wurden oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Das sei vorliegend nicht der Fall. Für die Zeit der geleisteten Zwangsarbeit seien keine Pflichtbeiträge gezahlt worden. Für die Zeit vor 1973 genüge nach § 286 Abs. 5 SGB VI Glaubhaftmachung der Beschäftigung und der Beitragszahlung. Dabei seien Tatsachen glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich sei. Hier sei aber zumindest die Zahlung von Beiträgen nicht glaubhaft gemacht. Es existiere keine Versicherungskarte, die entsprechende Eintragungen enthält. Es sei vielmehr erstmals am 22.05.1968 eine Quittungskarte Nr. 1 für die ab 01.04.1968 zurückgelegten Beitragszeiten zur Arbeiterrentenversicherung ausgestellt worden. Dass Beiträge hätten gezahlt werden müssen, reiche zur Anerkennung von Beitragszeiten nicht aus.

Es habe sich bei der verrichteten Tätigkeit ferner nicht um eine Lehre oder um eine sonstige Berufsausbildung gehandelt. Es habe aber auch keine Versicherungspflicht vorgelegen. Versicherungspflicht setze ein freies Arbeitsverhältnis voraus, das hier nicht vorgelegen habe. Aber selbst wenn man entsprechend den Ausführungen der Klägerin von einem Arbeitsvertrag ausginge, ändere dies nichts daran, dass keine Pflichtbeiträge gezahlt worden seien. Eine Nachforderung von Versicherungsbeiträgen gegenüber dem Heimträger käme bereits deshalb nicht in Betracht, weil keine Versicherungspflicht gegeben war. Im Übrigen wären Forderungen auch verjährt (4jährige bzw. 30jährige Verjährungsfrist).

Beiträge würden auch nicht als gezahlt gelten. Nach § 247 Abs. 2a SGB VI sei das der Fall für Zeiten zwischen 01.06.1945 und 30.06.1965, in denen die Person als Lehrling oder sonst zur Berufsausbildung beschäftigt war und für die trotz bestehender Versicherungspflicht keine Beiträge gezahlt wurden. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor. Auch eine Berücksichtigung als Anrechnungs- oder Ersatzzeiten im Sinne von §§ 58, 252, 250 SGB VI sei nicht möglich.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Es hat ferner beim Jugendamt W., Abteilung Amtsvormundschaft nach der Vormundschaftsakte der Klägerin gefragt. Von dort ist mitgeteilt worden, dass in H. keine Akte der Klägerin mehr vorhanden sei. Die Vormundschaftsakten würden aus Datenschutzgründen in der Regel bei Volljährigkeit vernichtet; in Ausnahmefällen würden sie für weitere 10 Jahre aufbewahrt.

Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration hat auf Anfrage des Gerichts eine Kopie der Karteikarte der Klägerin übersandt. Weitere Unterlagen lägen der Behörde nicht vor; insbesondere sei keine Fürsorgeakte mehr vorhanden. Aus der Karteikarte ergibt sich, dass die Klägerin am 27.01.1966 in das Heim F. aufgenommen wurde. Am 18.05.1966 wurde sie in das Heim K. verlegt, am 13.06.1966 kam sie zurück in das Heim F ... Unter dem 17.04.1967 ist "Werkabschlussklausur" im J.-Heim vermerkt.

Das Gericht hat ferner bei der AOK R. angefragt, ob dort Unterlagen zu einer Tätigkeit der Klägerin in der Zeit 1964 – 1967 vorhanden seien. Die AOK hat dies verneint. Außerdem hat es beim Staatsarchiv H. um Übersendung von Unterlagen zu den H. Kinderheimen, insbesondere die Heime F. und J.-Heim gebeten, aus denen sich etwas zu der Frage der Arbeit der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen ergibt. Explizit gefragt wurde auch nach Unterlagen aus der Lohn- oder Personalbuchhaltung sowie nach Geschäftsbüchern der gewerblichen Betriebe der Heime. Das Staatsarchiv H. hat daraufhin diverse Unterlagen übersandt und mitgeteilt, dass Geschäfts-, Personal- und Lohnbücher nicht recherchiert werden konnten.

Schließlich hat das Gericht bei der Handwerkskammer H. angefragt, ob dort etwas über die Anerkennung von Ausbildungszeiten in den Heimen F. und J.-Heim bzw. über eine mögliche Eintragung der Klägerin in die Lehrlingsrolle bekannt sei. Die Handwerkskammer hat dazu mitgeteilt, dass dort keine Unterlagen über Zöglinge der Kinder- und Jugendheime bzw. betreffend dortige Ausbildungen vorlägen.

Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogenen Unterlagen verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Der Bescheid vom 23.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neufeststellung ihrer Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der Zeiten ihrer Arbeit in Kinder- und Jugendheimen von 1964 bis 1967.

Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Neufeststellung der Rente kommt vorliegend allein § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) – in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Keine dieser beiden Alternativen ist hier verwirklicht. Die Beklagte hat in ihren Bescheiden zur Berechnung der Rente der Klägerin, insbesondere in dem Bescheid vom 13.07.2009, weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Vielmehr hat die Beklagte den Zeitraum 1964 – 1967, in dem die Klägerin sich in H. Kinder- und Jugendheimen aufhielt, zu Recht nicht als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt.

Zunächst kommt eine Anerkennung dieses Zeitraums als Anrechnungs- oder Ersatzzeit nach §§ 58, 250 oder 252 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) – nicht in Betracht, da die dort genannten Voraussetzungen für die Anerkennung einer solchen Zeit erkennbar nicht vorliegen.

Die Zeiten, in denen die Klägerin in den Kinder- und Jugendheimen arbeitete, erfüllen aber auch nicht die Voraussetzungen von Beitragszeiten. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten; nach § 55 Abs. 1 Satz 3 SGB VI gelten als Beitragszeiten auch Zeiten, für die Entgeltpunkte gutgeschrieben worden sind, weil gleichzeitig Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für mehrere Kinder vorliegen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 3 SGB VI sind erkennbar nicht gegeben; auch sind freiwillige Beiträge für den hier streitigen Zeitraum nicht gezahlt. Beitragszeiten lägen daher nur vor, wenn Pflichtbeiträge gezahlt worden wären.

Die Beitragsentrichtung muss grundsätzlich nachgewiesen werden. Ein solcher Nachweis kann vorliegend nicht erbracht werden. Insbesondere ergibt sich die Beitragsentrichtung nicht aus den Versicherungskarten, die der Beklagten vorlagen. Ausweislich des Versicherungsverlaufs und des Vortrags der Beklagten weist die Quittungskarte Nr. 1 Beitragszahlungen erst ab 01.04.1968 aus. Die AOK R. hat keine Informationen über die Klägerin, eine Mitgliedschaft für den fraglichen Zeitraum lässt sich somit nicht feststellen. Sofern die Klägerin rügt, die Beklagte habe bezüglich einer möglichen Beitragszahlung unzureichende Ermittlungen angestellt, kann sie damit nicht durchdringen. Die Tatsache, dass die Quittungskarte Nr. 1 erst Zeiten ab 01.04.1968 erfasst, ist ein Indiz dafür, dass für die davorliegende Zeit keine Versicherungskarte existiert. Somit fehlt es an Anhaltspunkten dafür, in welche Richtungen weiter zu ermitteln wäre. Auch die Klägerin hat diesbezüglich nicht näher vorgetragen.

Auch eine Anerkennung als Beitragszeit infolge einer Glaubhaftmachung gemäß § 286 Abs. 5 SGB VI scheidet vorliegend aus. Nach § 286 Abs. 5 SGB VI ist eine Beitragszeit anzuerkennen, wenn Versicherte für Zeiten vor dem 1. Januar 1973 glaubhaft machen, dass sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt haben, die vor dem Ausstellungstag der Versicherungskarte liegt oder nicht auf der Karte bescheinigt ist, und für diese Beschäftigung entsprechende Beiträge gezahlt worden sind. Eine Tatsache ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

Vorliegend ist weder überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt hat, noch dass hierfür Beiträge gezahlt worden sind.

Ob eine versicherungspflichte Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt wurde, richtet sich nach dem im streitigen Zeitraum geltenden Recht. Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 1227 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung waren in der Rentenversicherung der Arbeiter pflichtversichert alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt oder als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist es vorliegend unwahrscheinlich, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts in den Kinder- und Jugendheimen als Arbeitnehmerin gegen Entgelt beschäftigt war. Gegen eine Arbeitnehmereigenschaft spricht zunächst, dass die Klägerin ihre Tätigkeit selbst als "Zwangsarbeit" bezeichnet und ausgeführt hat, diese habe nicht ihrem Willen entsprochen. Auch die von der Klägerin geschilderten drastischen Konsequenzen einer Verweigerung der Arbeit zeigen, dass die Arbeit auf der Anstaltsgewalt beruhte und nicht auf einem Arbeitsvertrag. Der Zwangscharakter gehörte zum Wesen der Heimerziehung, weshalb der Heimträger den Zöglingen regelmäßig nicht als Arbeitgeber, sondern als Organ der Erziehungsbehörde gegenübertrat (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1975, Az.: 2 RU 200/72). Dies schließt zwar nicht aus, dass die zuständige Behörde als Amtsvormund auch bei Heimunterbringung für den Zögling ein freies Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis begründete (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1975, Az.: 2 RU 200/72), doch wäre das Vorliegen eines solchen dann gesondert festzustellen. Die stillschweigende Duldung der Verhältnisse im Heim durch den Amtsvormund – auf die sich die Klägerin vorliegend als vertragsbegründend beruft – reicht in diesen Fällen nicht aus. Sie geht über die Duldung der konkreten Ausübung der Anstaltsgewalt nicht hinaus; ein Wille zum Abschluss eines Arbeits- oder Ausbildungsvertrags kann – unabhängig davon, ob ein solcher Vertrag wie hier gegen den Willen des Zöglings überhaupt wirksam geschlossen werden kann – ohne weitere Anhaltspunkte nicht angenommen werden.

Im Übrigen wäre auch die Vorschrift des § 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung zu berücksichtigen, wonach versicherungsfrei war, wer als Entgelt für eine Beschäftigung, die nicht zur Berufsausbildung ausgeübt wird, nur freien Unterhalt erhielt. Freier Unterhalt in diesem Sinne ist, was zur unmittelbaren Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisses erforderlich und bestimmt ist. Hierzu gehören insbesondere die freie Verpflegung und freie Unterkunft, aber auch geringe Geldzuwendungen, die zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse bestimmt sind (vgl. Eicher/Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 3. Auflage 1966, § 1227 RVO Rn. 21). Ihrem eigenen Vortrag entsprechend hat die Klägerin für ihre Arbeit kein Entgelt erhalten, das über freien Unterhalt in diesem Sinne hinausgeht.

Die Klägerin war auch nicht als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt. Die Fürsorge- oder Heimerziehung stellt nicht bereits als solche eine Berufsausbildung dar (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 30.01.1963, Az.: 3 RK 36/59). Ein Lehrvertrag ist nicht ersichtlich; die Handwerkskammer hat auf Anfrage mitgeteilt, dass ihr keine Erkenntnisse über die Anerkennung von Lehrzeiten in den Heimen vorliegt. Aus dem vom Staatsarchiv H. übersandten Bericht des Rechnungshofs vom 01.02.1962 mit dem Titel "Ergebnis einer Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfung bei den Wäschereien in den Heimen der Jugendbehörde und der Vereinigung städtischer Kinder- und Jugendheime e.V." ergibt sich, dass zum damaligen Zeitpunkt die Wäscherei im Jugendheim O. von der Innung als Lehrbetrieb anerkannt war, die Wäscherei des Heims F. hingegen nicht.

Darüber hinaus fehlt es auch an der zweiten Voraussetzung des § 286 Abs. 5 SGB VI, der Glaubhaftmachung der Beitragszahlung. Angesichts der Tatsache, dass die erste der Beklagten vorgelegte Versichertenkarte, die Quittungskarte Nr. 1 erst anlässlich der zum 01.04.1968 aufgenommenen Beschäftigung der Klägerin ausgestellt wurde und angesichts dessen, dass bei der AOK R. keine Unterlagen betreffend die Klägerin vorhanden waren, ist es extrem unwahrscheinlich, dass für die Arbeit der Klägerin in den Kinder- und Jugendheimen im streitigen Zeitraum Versicherungsbeiträge gezahlt wurden.

Die Klägerin kann sich hinsichtlich der Beitragszahlung auch nicht auf die Regelung in § 286 Abs. 6 iVm § 203 Abs. 2 SGB VI stützen. Danach gilt ein Versicherungsbeitrag als gezahlt, wenn der Versicherte glaubhaft macht, dass der auf ihn entfallende Beitragsanteil vom Arbeitsentgelt abgezogen worden ist. Der Vortrag der Klägerin, aus der Tatsache, dass sie für ihre Tätigkeit nur ein extrem niedriges Entgelt erhielt, folge, dass der auf sie entfallende Beitragsanteil vom Arbeitsentgelt abgezogen worden sei, ist zur Glaubhaftmachung nicht geeignet. Die geringe Höhe der der Klägerin ausbezahlten Beträge ist nicht auf die Einbehaltung von Versicherungsbeiträgen zurückzuführen, vielmehr macht sie deutlich, dass die Klägerin gerade kein Entgelt im Sinne einer Gegenleistung für ihre Arbeit erhalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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