Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3810/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Vermutungsregelung der Vertretung der Bedarfsgemeinschaft gemäß § 38 Abs. 1 SGB II
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 31.10.2009 in Höhe von 266,12 Euro.
Mit Bescheid vom 03.09.2009 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2010, den er an die Mutter der Klägerin adressierte und die einzelnen Leistungsansprüche nach der Klägerin und ihrer Mutter differenzierte. Nachdem beim Beklagten am 24.09.2009 eine Studienbescheinigung der Klägerin vorgelegt worden war, nach der sie im Wintersemester 2009/2010 an der Universität M für ein Psychologie-Studium eingeschrieben war (Bl. 399 von Band II des Verwaltungsvorgangs), erließ der Beklagte nach Anhörung der Mutter der Klägerin den an die Mutter der Klägerin gerichteten Bescheid vom 27.04.2010, mit dem er den Leistungsanspruch der Mutter der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2010 neu berechnete, weil die Klägerin aufgrund der Aufnahme des Studiums zum 01.09.2009 aus der Bedarfsgemeinschaft fiel.
Mit einem weiteren – dem hier streitgegenständlichen – Bescheid vom 27.04.2010 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.09.2009 bis 31.10.2009 gegenüber der Klägerin gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf und forderte von ihr 266,12 Euro gemäß § 50 SGB X zurück. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie damit begründete, dass sie in den Monaten September und Oktober 2009 tatsächlich keine Leistungen vom Beklagten erhalten habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Entgegen der Behauptung der Klägerin seien die Leistungen an die Mutter der Klägerin zur Auszahlung gekommen. Nach § 38 SGB II werde unterstellt, dass die Mutter der Klägerin die Leistungen auch weitergegeben habe. Da die Klägerin ab September 2009 ein Studium in M aufgenommen habe, sei der Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 5 SGB II entfallen. Insoweit habe eine Änderung der Verhältnisse vorgelegen, so dass mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse die Bewilligungsentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X aufzuheben gewesen sei, wobei es sich nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) um eine gebundene Entscheidung gehandelt habe. Am 26.07.2010 hat die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg Klage erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, dass der Beklagte von der Klägerin Leistungen zurückfordere, die nicht ihr, sondern ihrer Mutter bewilligt worden seien. Als der Bewilligungsbescheid vom 03.09.2009 erging, habe nämlich schon keine Bedarfsgemeinschaft mehr bestanden, so dass die Vertretungsvermutung aus § 38 SGB II nicht greife.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 27.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung rechtmäßig sei und verweist zur Begründung auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Vertretungsvermutung greife solange, wie entgegenstehende Anhaltspunkte nicht ersichtlich seien.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten über die Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Im Verfahren war gemäß § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II zu beachten, dass die (beteiligungsfähigen) gemeinsamen Einrichtungen mit der Bezeichnung "Jobcenter" als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten sind. Das Passivrubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2010 ist rechtmäßig.
Die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist zwar nicht – wie vom Beklagten in Bescheid und Widerspruchsbescheid zugrunde gelegt – § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X, sondern § 45 SGB X. Im Ergebnis tritt dadurch jedoch keine Änderung ein und eine entsprechende Umdeutung ist gemäß § 43 SGB X möglich sowie insbesondere nicht durch § 43 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen. Danach kann eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 und Abs. 2 SGB III ist die Aufhebung aber auch im Fall der Rückwirkung sowohl nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X als auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X – wie hier – eine gebundene Entscheidung ohne Ermessen der Behörde.
Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf dabei nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf seinen Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Mit § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X wird der Grundsatz aufgestellt, dass das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt dabei vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Der Bescheid vom 03.09.2009 ist ein begünstigender Verwaltungsakt, der zu seinem Erlasszeitpunkt bereits rechtswidrig war, weil der Klägerin Leistungen bewilligt worden waren, obwohl diese bereits zuvor am 01.09.2009 ein Studium aufgenommen hatte, so dass sie gemäß § 7 Abs. 5 SGB II insoweit gesetzlich vom Leistungsbezug ausgeschlossen war. Auf eine Kenntnis der Behörde von den die Rechtswidrigkeit begründenden Umständen kommt es dabei nicht an, sondern es ist auf die objektive Sach- und Rechtslage zum Erlasszeitpunkt abzustellen, auch wenn die maßgebliche Studienbescheinigung erst verspätet am 24.09.2009 vorgelegt worden ist. So konnte der Bescheid vom 03.09.2009 nur nach § 45 SGB X unter Beachtung der von dieser Norm aufgestellten Einschränkungen aufgehoben werden. Die Klägerin kann sich allerdings nicht mit Erfolg auf den nach § 45 SGB X grundsätzlich gewährten Vertrauensschutz berufen, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 03.09.2009 jedenfalls hätte kennen müssen. Für die Kenntnis der Rechtswidrigkeit genügt eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre. Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45, Rn. 55). Als der Bescheid vom 03.09.2009 bekannt gegeben wurde, hätte die Klägerin jedenfalls ohne weitere Mühe erkennen können, dass für sie Leistungen bewilligt wurden, obwohl sie ihr Studium in M aufgenommen hatte und ihr die Leistungen daher nicht mehr zustehen konnten.
Die nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X für die Rücknahme zu beachtende Jahresfrist hat der Beklagte eingehalten, da er nach Eingang der maßgeblichen Studienbescheinigung am 24.09.2009 bereits am 27.04.2010 die angefochtene Aufhebungsentscheidung erließ.
Zwar wurde mit Schreiben vom 10.12.2009 lediglich die Mutter der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört und nicht die Klägerin selbst. Ein insoweit bestehender Mangel wurde jedoch durch Nachholung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt, da sich der Beklagte in Bescheid und Widerspruchsbescheid auf dieselben Tatsachen stützt und darüber hinaus sogar auf dieselbe Rechtsgrundlage. Zu der erst durch das Gericht vorgenommenen Umdeutung wurde die Klägerin zudem im Rahmen des rechtlichen Gehörs durch das Gericht angehört.
Die aufgrund der Aufhebung zu Unrecht gezahlten Beträge sind gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Die Erstattungsforderung hat der Beklagte rechtmäßig nach § 50 Abs. 3 SGB X mit der Aufhebung verbunden festgesetzt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Leistungsbewilligung mit dem an ihre Mutter adressierten Bescheid vom 03.09.2009 auch ihr gegenüber erfolgt und wurde mit der Zahlung an ihre Mutter erfüllt. Denn die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit ihrer Mutter war zwar zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 03.09.2009 bereits beendet, soweit Anhaltspunkte dem nicht entgegenstehen, wird jedoch nach § 38 Abs. 1 SGB II vermutet, dass die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Leistungsberechtigte in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten der Antrag stellenden Person. Den vorangegangenen Weiterbewilligungsantrag hatte wie bereits die zahlreichen Anträge zuvor die Mutter der Klägerin gestellt, so dass der Beklagte auch bei Erlass und Erfüllung des Bescheides vom 03.09.2009 der gesetzlichen Vermutung folgen durfte. Denn Anhaltspunkte, dass die Vermutungsregelung nicht (mehr) gelten könnte, waren dem Beklagten nicht bekannt. Insbesondere ging die maßgebliche Studienbescheinigung dem Beklagten erst am 24.09.2009 zu. Dass sich ihre Mutter etwa strafbar verhalten und die der Klägerin bewilligten Leistungen nicht an sie herausgegeben habe (womöglich Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch [StGB] oder gar Betrug nach § 263 StGB), hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zudem ausdrücklich verneint und erklärt, dass sie die Gelder erhalten habe und ihr bekannt gewesen sei, dass ihr diese aufgrund der Aufnahme des Studiums nicht zugestanden hätten.
Vor diesem Hintergrund verstößt die Klägerin außerdem gegen den auch das Sozialrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben entsprechend § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wenn sie zwar die Bewilligung und Entgegennahme der Leistungen für sich über ihre Mutter akzeptiert, sich aber gleichzeitig letztlich darauf beruft, dass die Bewilligung und Leistung an ihre Mutter nicht hätten erfolgen dürfen.
Im Übrigen wäre die Klägerin selbst dann zur Rückzahlung der empfangenen Leistungen verpflichtet, wenn man ihrer Rechtsansicht folgen würde. Denn in diesem Fall hätte sie Leistungen zu Unrecht ohne Verwaltungsakt empfangen und müsste diese nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X erstatten, wobei die über § 50 Abs. 2 S. 2 SGB X entsprechend geltenden Voraussetzungen des § 45 SGB X wie vorangehend bereits dargestellt erfüllt wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 31.10.2009 in Höhe von 266,12 Euro.
Mit Bescheid vom 03.09.2009 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2010, den er an die Mutter der Klägerin adressierte und die einzelnen Leistungsansprüche nach der Klägerin und ihrer Mutter differenzierte. Nachdem beim Beklagten am 24.09.2009 eine Studienbescheinigung der Klägerin vorgelegt worden war, nach der sie im Wintersemester 2009/2010 an der Universität M für ein Psychologie-Studium eingeschrieben war (Bl. 399 von Band II des Verwaltungsvorgangs), erließ der Beklagte nach Anhörung der Mutter der Klägerin den an die Mutter der Klägerin gerichteten Bescheid vom 27.04.2010, mit dem er den Leistungsanspruch der Mutter der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2010 neu berechnete, weil die Klägerin aufgrund der Aufnahme des Studiums zum 01.09.2009 aus der Bedarfsgemeinschaft fiel.
Mit einem weiteren – dem hier streitgegenständlichen – Bescheid vom 27.04.2010 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.09.2009 bis 31.10.2009 gegenüber der Klägerin gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf und forderte von ihr 266,12 Euro gemäß § 50 SGB X zurück. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie damit begründete, dass sie in den Monaten September und Oktober 2009 tatsächlich keine Leistungen vom Beklagten erhalten habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Entgegen der Behauptung der Klägerin seien die Leistungen an die Mutter der Klägerin zur Auszahlung gekommen. Nach § 38 SGB II werde unterstellt, dass die Mutter der Klägerin die Leistungen auch weitergegeben habe. Da die Klägerin ab September 2009 ein Studium in M aufgenommen habe, sei der Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 5 SGB II entfallen. Insoweit habe eine Änderung der Verhältnisse vorgelegen, so dass mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse die Bewilligungsentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X aufzuheben gewesen sei, wobei es sich nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) um eine gebundene Entscheidung gehandelt habe. Am 26.07.2010 hat die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg Klage erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, dass der Beklagte von der Klägerin Leistungen zurückfordere, die nicht ihr, sondern ihrer Mutter bewilligt worden seien. Als der Bewilligungsbescheid vom 03.09.2009 erging, habe nämlich schon keine Bedarfsgemeinschaft mehr bestanden, so dass die Vertretungsvermutung aus § 38 SGB II nicht greife.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 27.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung rechtmäßig sei und verweist zur Begründung auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Vertretungsvermutung greife solange, wie entgegenstehende Anhaltspunkte nicht ersichtlich seien.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten über die Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Im Verfahren war gemäß § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II zu beachten, dass die (beteiligungsfähigen) gemeinsamen Einrichtungen mit der Bezeichnung "Jobcenter" als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten sind. Das Passivrubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2010 ist rechtmäßig.
Die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist zwar nicht – wie vom Beklagten in Bescheid und Widerspruchsbescheid zugrunde gelegt – § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X, sondern § 45 SGB X. Im Ergebnis tritt dadurch jedoch keine Änderung ein und eine entsprechende Umdeutung ist gemäß § 43 SGB X möglich sowie insbesondere nicht durch § 43 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen. Danach kann eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 und Abs. 2 SGB III ist die Aufhebung aber auch im Fall der Rückwirkung sowohl nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X als auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X – wie hier – eine gebundene Entscheidung ohne Ermessen der Behörde.
Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf dabei nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf seinen Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Mit § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X wird der Grundsatz aufgestellt, dass das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt dabei vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Der Bescheid vom 03.09.2009 ist ein begünstigender Verwaltungsakt, der zu seinem Erlasszeitpunkt bereits rechtswidrig war, weil der Klägerin Leistungen bewilligt worden waren, obwohl diese bereits zuvor am 01.09.2009 ein Studium aufgenommen hatte, so dass sie gemäß § 7 Abs. 5 SGB II insoweit gesetzlich vom Leistungsbezug ausgeschlossen war. Auf eine Kenntnis der Behörde von den die Rechtswidrigkeit begründenden Umständen kommt es dabei nicht an, sondern es ist auf die objektive Sach- und Rechtslage zum Erlasszeitpunkt abzustellen, auch wenn die maßgebliche Studienbescheinigung erst verspätet am 24.09.2009 vorgelegt worden ist. So konnte der Bescheid vom 03.09.2009 nur nach § 45 SGB X unter Beachtung der von dieser Norm aufgestellten Einschränkungen aufgehoben werden. Die Klägerin kann sich allerdings nicht mit Erfolg auf den nach § 45 SGB X grundsätzlich gewährten Vertrauensschutz berufen, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 03.09.2009 jedenfalls hätte kennen müssen. Für die Kenntnis der Rechtswidrigkeit genügt eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre. Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45, Rn. 55). Als der Bescheid vom 03.09.2009 bekannt gegeben wurde, hätte die Klägerin jedenfalls ohne weitere Mühe erkennen können, dass für sie Leistungen bewilligt wurden, obwohl sie ihr Studium in M aufgenommen hatte und ihr die Leistungen daher nicht mehr zustehen konnten.
Die nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X für die Rücknahme zu beachtende Jahresfrist hat der Beklagte eingehalten, da er nach Eingang der maßgeblichen Studienbescheinigung am 24.09.2009 bereits am 27.04.2010 die angefochtene Aufhebungsentscheidung erließ.
Zwar wurde mit Schreiben vom 10.12.2009 lediglich die Mutter der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört und nicht die Klägerin selbst. Ein insoweit bestehender Mangel wurde jedoch durch Nachholung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt, da sich der Beklagte in Bescheid und Widerspruchsbescheid auf dieselben Tatsachen stützt und darüber hinaus sogar auf dieselbe Rechtsgrundlage. Zu der erst durch das Gericht vorgenommenen Umdeutung wurde die Klägerin zudem im Rahmen des rechtlichen Gehörs durch das Gericht angehört.
Die aufgrund der Aufhebung zu Unrecht gezahlten Beträge sind gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Die Erstattungsforderung hat der Beklagte rechtmäßig nach § 50 Abs. 3 SGB X mit der Aufhebung verbunden festgesetzt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Leistungsbewilligung mit dem an ihre Mutter adressierten Bescheid vom 03.09.2009 auch ihr gegenüber erfolgt und wurde mit der Zahlung an ihre Mutter erfüllt. Denn die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit ihrer Mutter war zwar zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 03.09.2009 bereits beendet, soweit Anhaltspunkte dem nicht entgegenstehen, wird jedoch nach § 38 Abs. 1 SGB II vermutet, dass die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Leistungsberechtigte in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten der Antrag stellenden Person. Den vorangegangenen Weiterbewilligungsantrag hatte wie bereits die zahlreichen Anträge zuvor die Mutter der Klägerin gestellt, so dass der Beklagte auch bei Erlass und Erfüllung des Bescheides vom 03.09.2009 der gesetzlichen Vermutung folgen durfte. Denn Anhaltspunkte, dass die Vermutungsregelung nicht (mehr) gelten könnte, waren dem Beklagten nicht bekannt. Insbesondere ging die maßgebliche Studienbescheinigung dem Beklagten erst am 24.09.2009 zu. Dass sich ihre Mutter etwa strafbar verhalten und die der Klägerin bewilligten Leistungen nicht an sie herausgegeben habe (womöglich Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch [StGB] oder gar Betrug nach § 263 StGB), hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zudem ausdrücklich verneint und erklärt, dass sie die Gelder erhalten habe und ihr bekannt gewesen sei, dass ihr diese aufgrund der Aufnahme des Studiums nicht zugestanden hätten.
Vor diesem Hintergrund verstößt die Klägerin außerdem gegen den auch das Sozialrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben entsprechend § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wenn sie zwar die Bewilligung und Entgegennahme der Leistungen für sich über ihre Mutter akzeptiert, sich aber gleichzeitig letztlich darauf beruft, dass die Bewilligung und Leistung an ihre Mutter nicht hätten erfolgen dürfen.
Im Übrigen wäre die Klägerin selbst dann zur Rückzahlung der empfangenen Leistungen verpflichtet, wenn man ihrer Rechtsansicht folgen würde. Denn in diesem Fall hätte sie Leistungen zu Unrecht ohne Verwaltungsakt empfangen und müsste diese nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X erstatten, wobei die über § 50 Abs. 2 S. 2 SGB X entsprechend geltenden Voraussetzungen des § 45 SGB X wie vorangehend bereits dargestellt erfüllt wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegen.
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