S 16 R 3235/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 3235/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In der Schweiz lebende Bezieher deutscher Renten haben An-spruch auf einen Zuschuss zu den Kosten der nach schweize-rischem Recht obligatorischen Krankenpflegeversicherung.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.08.2012 verurteilt, der Klägerin ab Antragstel-lung am 30.01.2012 ein Beitragszuschuss zu den Auf-wendungen für die Krankenversicherung in der Schweiz unter Berücksichtigung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu zahlen. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung des Beitragszuschusses zu den seit dem 30.01.2012 für die Krankenversicherung der Klägerin angefallenen Aufwendungen.

Der am 17.12.2010 verstorbene Ehemann der Klägerin bezog seit dem 01.08.1992 von der Beklagten eine Altersrente. Der Klägerin gewährt die Beklagte seit dem 01.01.2011 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres Ehemanns.

Am 30.01.2012 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung und legte die Versicherungspolice 2012 der Xxx Kranken-versicherung vor.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.02.2012 und führt aus, aufgrund der in der Schweiz bestehenden gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sei ein Anspruch auf Zuschuss zu den Krankenversicherungsaufwendungen ausgeschlossen. Dies gelte auch für eine eventuell bestehende freiwillige oder private Zu-satzversicherung.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 14.03.2012 und verwies auf mehrere sozialgerichtliche Entscheidungen unter anderen der erkennenden Kammer, denen zufolge das Krankenversicherungsobligatorium um nach schweizerischem Recht der Gewährung eines Beitragszuschusses nach § 106 SGB Sechstes Buch (SGB VI) nicht entgegenstehe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2012 zu-rück. Zur Begründung führte sie aus, die von der Klägerin zitierten Entscheidungen berücksichtigten nicht die wesentlichen Merkmale der Pflichtversicherung nach dem schweizerischen Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG). Dies seien insbesondere die Prinzipien Versicherungspflicht, Solidarität, Wahlfreiheit und garan-tierter Zugang zu den Leistungen. Deswegen seien hinsichtlich der zitierten sozialge-richtlichen Urteile Berufungs- und Revisionsverfahren anhängig. Auch treffe es nicht zu, dass, wie dort ausgeführt, die Qualifikation als Pflichtversicherungsverhältnis einen Beitragszuschuss nicht ausschließe. Nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 106 Abs. 1 SGB VI könne ein Anspruch auf Beitragszuschuss ausschließlich für eine freiwillige oder private Krankenversicherung entstehen und sei damit für eine Pflichtversicherung völlig ausgeschlossen.

Am 06.09.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Sie trägt vor, aus ihrer Sicht stelle die schweizerische Krankenpflegeversicherung keine Pflichtversicherung dar. Diese Rechtsauffassung sei durch zwei obergerichtliche und vier sozialgerichtliche Entscheidungen bestätigt und hinreichend begründet worden. Die Anträge der Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus diesen Entscheidungen seien jeweils abgelehnt worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.08.2012 zu verurteilen, ihr ab Antrag-stellung am 30.01.2012 einen Beitragszuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung in der Schweiz unter Berücksichtigung der Kosten der obligatorischen freiwilligen Krankenversicherung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertieft ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten und die Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und des Beigeladenen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtene Ablehnungsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin hat Anspruch auf den begehrten Zuschuss zu ihren Aufwendungen für die Krankenversicherung. Dabei hatte die Kammer aufgrund des eingeschränkten Klageantrags nicht zu befinden, inwieweit ihr dieser ggf. auch rückwirkend (§§ 108, 99 Abs. 2 SGB VI) für die Zeit vor der am 30.01.2012 erfolgten Antragstellung zustand.

Der Anspruch auf Beitragszuschuss ergibt sich aus § 106 SGB VI. Danach erhalten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Dies gilt nicht, wenn sie gleichzeitig in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind (§ 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

a) Die Klägerin hat mit der Xxx-Gruppe einen Versicherungsvertrag zur obligatori-schen Krankenpflegeversicherung nach dem schweizerischen KVG sowie zwei Zusatzversicherungen abgeschlossen. Bei der Xxx handelt es sich um einen pri-vatrechtlich organisierten Krankenversicherungskonzern und nicht um einen öf-fentlich-rechtlich organisierten Träger (vgl. zu dieser Unterscheidung Landesso-zialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.09.2012 – L 22 R 543/10, Rdnrn. 46 ff. (Juris)). Darauf, dass die Xxx nicht der deutschen, sondern der schweizerischen Versicherungsaufsicht unterliegt, kommt es für die Frage des Beitragszuschusses nicht an. § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist vielmehr europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass hierunter auch Versicherungen bei einem Kranken-versicherungsunternehmen fallen, das der Aufsicht eines anderen EU-Staates oder der Schweiz unterliegen (vgl. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 8 und Anhang II des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit sowie Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 06.07.2000 – C-73/99 "Vicor Movrin./. Landesversicherungsanstalt Westfalen", Slg. 2000, I-5625; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2012 – L 11 R 3594/11; Urteil vom 14.04.2011 – L 10 R 5221/07, Rdnr. 27; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.09.2012 – L 22 R 543/10, Rdnrn. 60 ff.; Urteil vom 09.06.2010 – L 4 R 583/06, Rdnr. 25; Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 25.07.2011 – S 16 R 164/10, Rdnr. 20; Urteil vom 25.07.2010 – S 16 R 1794/10, Rdnr. 21 (Juris)). Aufgrund der europarechtlichen Vorgaben steht auch der gewöhnliche Aufenthalt in der Schweiz der Gewährung eines Beitragszuschusses nicht entgegen (§ 110 Abs. 3 SGB VI).

b) Der Beitragszuschuss ist nicht nach § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ausgeschlossen. Der Ausschluss bezieht sich nur auf Konstellationen, in denen gleichzeitig mit dem Versicherungsverhältnis, für das ein Beitragszuschuss begehrt wird, ein Pflichtversicherungsverhältnis in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Kran-kenversicherung besteht. Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Diese hat zwar Zusatzversicherungen abgeschlossen, begehrt einen Zuschuss aber gerade zu ihren Aufwendungen für ihren originären Krankenversicherungsschutz im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Hierbei handelt es sich – ungeachtet der von der Beklagten dargelegten Strukturprinzipien des schweizeri-schen Krankenversicherungsobligatoriums – nicht um ein Pflichtversicherungs-verhältnis in diesem Sinne. Die Beklagte verkennt den Gesetzeszusammenhang zwischen § 106 SGB VI und § 249a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sowie den Gesetzeszweck der Ausschlussvorschrift.

aa) Nach § 249a Satz 1 SGB V trägt der Träger der Rentenversicherung bei Versi-cherungspflichtigen, die eine Rente nach § 228 Absatz 1 Satz 1 SGB V (= Renten aus der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung) beziehen, die Hälfte der nach der Rente zu bemessenden Beiträge nach dem um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen Beitragssatz. Hierunter fallen auch im Ausland wohnende Bezieher einer deutschen Rente, die aufgrund besonderer zwischenstaatlicher Abkommen sozialversicherungspflichtig sind und aus ihrer deutschen Rente insoweit kraft Gesetzes Beiträge zu entrichten haben (vgl. hierzu näher Gerlach, in: HAUCK/NOFTZ, SGB V, Stand 2013, § 249a Rdnr. 9 m.w.N.). Für diejenigen im Ausland lebenden Bezieher einer deutschen Rente, welche die Voraussetzungen des § 249a SGB V nicht erfüllen, wird die Zuzahlung demgegenüber – in gleicher Höhe (§ 106 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) – über den in § 106 Abs. 1 SGB VI geregelten Beitragszuschuss realisiert. Damit ist sichergestellt, dass die Aufwendungen des Rentenbeziehers für den Krankenversicherungsschutz entweder über § 249a SGB V oder über § 106 SGB VI bezuschusst wird (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2012 – L 11 R 3594/11 (www.sozialgerichtsbarkeit.de)).

Dem wird die von der Beklagten favorisierte Auslegung nicht gerecht. Denn un-geachtet dessen, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung nach dem schweizerischen KVG nicht als Pflichtversicherung anzusehen ist (vgl. zuletzt Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.12.2012 – L 3 R 1250/11, Rdnr. 35; siehe hierzu im Übrigen bereits Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 25.07.2011 – S 16 R 164/10, Rdnr. 24; Urteil vom 25.07.2010 – S 16 R 1794/10, Rdnr. 21, jeweils m.w.N. (Juris)), scheitert ein Beitragstragung der Beklagten nach § 249a SGB V jedenfalls daran, dass sich die insoweit zu tragenden Beiträge nicht nach der Rente bemessen. Die Art der Finanzierung der ausländischen Krankenversicherung kann aber unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben jedenfalls nicht dazu führen, dass dem Bezieher einer deutschen Rente aufgrund seines Wohnsitzes in der Schweiz der Zuschuss zu den Kosten der Krankenversicherung als Teil seines Rentenanspruchs verloren geht (vgl. Lan-dessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2012 – L 11 R 3594/11; Urteil vom 14.04.2011 – L 10 R 5221/07, Rdnr. 36; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.06.2010 – L 4 R 583/06, Rdnr. 28 (Juris)).

bb) Auch Sinn und Zweck der Ausschlussvorschrift stützen die Auffassung der Be-klagten nicht. Anlass für deren Einführung in der heutigen Fassung zum 01.05.2007 war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der zufolge eine ausländische gesetzliche Krankenversicherung nur dann eine den Beitragszuschuss zur privaten Zusatzversicherung ausschließende Pflichtkrankenversicherung darstellt, wenn deren Leistungen im Wesentlichen denen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gleichen (vgl. zur Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/3794, S 37 f.). Aufgrund des mit der Prüfung der Vergleichbarkeit der Krankenversicherungssysteme verbundenen Verwaltungsaufwands und der damit einhergehenden Rechtsstreitigkeiten gewährte die Deutsche Rentenversicherung in der Vergangenheit Beitragszuschüsse zu ergänzenden privaten Versicherungen. Der Gesetzgeber sah darin eine Ungleichbehandlung zu im Ausland lebenden, aber in der deutschen Pflichtkrankenversicherung versicherten Rentnern. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Verwaltungspraktikabilität regelte der Gesetzgeber deshalb, dass auch eine ausländische Pflichtkrankenversicherung die Zahlung eines Zuschusses zu einer privaten Versicherung ausschließt (BT-Drucks 16/3794, S 37 f.). Dieser Gesetzeszweck wird nicht betroffen, wenn es wie hier um den Zuschuss zum originären Krankenversicherungsschutz selbst geht. Vielmehr würden nach der Auslegung der Beklagten im Ausland lebende Rentner schlechter gestellt als Inlandsrentner, denen eine Beitragsbeteiligung des Rentenversicherungsträgers entweder über § 249a SGB V oder über § 106 SGB VI garantiert ist. Eine derartige – erneute – Ungleichbehandlung entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers und wäre europarechtlich (vgl. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004) auch nicht zulässig.

c) Umfang und Höhe des Zuschusses ergeben sich aus § 106 Abs. 3 SGB VI.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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