L 7 AS 315/12 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 825/12 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 315/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine Zusicherung zum Umzug ist gem. § 22 Abs. 4 SGB II zu erteilen, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Der Umzug ist regelmäßig erforderlich, wenn dem Hilfebedürftigen ein Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. § 543 Abs. 1, 3 i.V.m. § 569 Abs. 1 BGB (z.B. wegen mangelhafter Beheizungsmöglichkeit der Wohnung) gegen den Vermieter zusteht.

2. Eine außerordentliche Kündigung der bisherigen Wohnung setzt gem. § 543 Abs. 3 BGB den erfolglosen Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder eine erfolglose Abmahnung voraus.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 23. März 2012, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren, in dem die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für eine neue Unterkunft begehrt hat.

Die 1959 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit dem 15.04.2009 bewohnt sie allein eine 31,02 m² große Ein-Zimmer-Wohnung in der B S in L , für die sie zuletzt monatlich eine Grundmiete von 175,00 EUR, eine Betriebskostenvorauszahlung von 30,00 EUR und eine Heizkostenvorauszahlung von ebenfalls 30,00 EUR zu entrichten hatte. Mit Bescheid vom 08.03.2012 gewährte ihr der Antragsgegner Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2012 bis 30.09.2012 unter Einschluss der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 235,00 EUR.

Mit Schreiben vom 05.02.2012 beantragte die Antragstellerin die Zustimmung zum Umzug in eine 34,64 m² große Ein-Zimmer-Wohnung in der P in L , für die monatlich eine Nettomiete von 190,52 EUR und eine Vorauszahlung auf die Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 79,67 EUR zu zahlen seien. Ihren Antrag begründete sie damit, dass in ihrer bisherigen Wohnung die Heizkörper die Räume nur auf 16 bis 18 Grad Celsius erwärmten und beim zusätzlichen Aufstellen eines Elektroheizkörpers die elektrischen Sicherungen auslösten. Zudem sei sie in den Jahren 2009 bis 2012 in den Wintermonaten erkrankt gewesen und habe dabei unter starkem Husten gelitten. Schließlich bröckele die Tapete von der Zimmerdecke. Sie habe mehrfach telefonisch mit dem Wohnungseigentümer wegen der nicht ausreichenden Erwärmung der Wohnräume Rücksprache gehalten. Die daraufhin vor Ort gewesenen Handwerker hätten auf die Notwendigkeit eines Wechsels der Heizkörper hingewiesen, was der Wohnungseigentümer und Vermieter jedoch nicht veranlasst habe. Beigefügt war dem Antrag das seinerzeitige Übergabeprotokoll vom 14.04.2009, in dem eine Reihe von Mängeln aufgeführt waren.

Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 09.02.2012 die Zustimmung zum Umzug in die Wohnung in der P in L ab. Für die Beseitigung der Mietmängel sei der Vermieter verantwortlich. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Antragstellerin vom 29.02.2012.

Am 13.03.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Leipzig (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie habe ihr Mietverhältnis mit außerordentlicher Kündigung vom 17.02.2012 zum 31.03.2012 gekündigt. Der Mietvertrag in der P soll am 01.04.2012 beginnen. Da sie in den Wintermonaten kontinuierlich erkranke, sei ihr ein weiteres Abwarten nicht mehr zumutbar. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 13.03.2012 hat sie darauf hingewiesen, dass ihr vor dem Einzug die unzureichende Funktion der Heizkörper und die nicht ausreichende Stromabsicherung nicht bekannt gewesen seien. Mit Schriftsatz vom 20.03.2012 hat sie darauf hingewiesen, dass sie sich bereits im Winter 2009/2010 beim Vermieter gemeldet und die mangelnde Beheizbarkeit der Wohnung mitgeteilt habe. Im Frühjahr sei daraufhin ein Gutachter erschienen, der sich als Onkel des Vermieters ausgewiesen habe und dem Vermieter die Heizprobleme habe mitteilen wollen. Nachfolgend habe der Vermieter die Antragstellerin hingehalten. Im November 2011 sei ein Heizungsmonteur erschienen, der darauf hingewiesen habe, dass die Heizkörper nicht ausreichend seien, um überhaupt eine Raumtemperatur von über 20 Grad Celsius zu erreichen. Hierauf sei keine Reaktion des Vermieters erfolgt. Die mangelnde Beheizbarkeit der Wohnung stelle mietrechtlich einen außerordentlichen Kündigungsgrund dar.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 23.03.2012 abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Vorliegend sei eine Erforderlichkeit des Umzugs nicht glaubhaft gemacht. Der Begriff der Erforderlichkeit werde nicht nur in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, sondern auch in § 22 Abs. 4 SGB II verwendet. Wegen des Zusammenhangs beider Regelungen könne davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in beiden Fällen die gleichen Maßstäbe zugrunde legen wollte. Maßgeblich sei danach, ob der Umzug durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt sei bzw. ob für den Umzug ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Anlass vorliege, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger hätte leiten lassen. Dafür sprächen auch die in der amtlichen Begründung zur Neuregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (BT-Drucksache 16/1410, Seite 23 zu Nr. 21) genannten Beispiele eines erforderlichen Umzugs: Umzug zur Eingliederung in Arbeit, aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe ließen den Umzug nicht als notwendig erscheinen. Bei einem Mangel an der bisherigen Wohnung sei der Umzug erst dann erforderlich, wenn der Vermieter eine ihm obliegende Mängelbeseitigung ablehnt habe, die Beseitigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei oder dem Hilfebedürftigen etwa wegen der Dauer und des Umfangs der Beseitigungsmaßnahmen nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen der Verbleib nicht mehr zugemutet werden könne. Es spreche in diesem Zusammenhang viel dafür, einen vernünftigen Grund erst dann anzuerkennen, wenn ein Recht des Hilfebedürftigen zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages nach § 543 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 oder Satz 2 in Nr. 1 i.V.m. § 569 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestehe. Dabei habe der Hilfebedürftige zunächst alle Möglichkeiten der Selbsthilfe auszuschöpfen, wozu vor allem die (notfalls gerichtliche) Verfolgung von Ansprüchen gegen den Vermieter wegen eines Mangels an der Wohnung gehöre. Diesen Obliegenheiten habe die Antragstellerin auch nach ihrem eigenen Vortrag nicht genügt. So habe sie zwar vorgetragen, sie habe mehrfach mündlich auf die Ihrer Meinung nach bestehenden Mängel der Mietwohnung hingewiesen, wobei sie zuletzt erstmals vorgetragen habe, sie habe sich in dieser Angelegenheit bereits im Winter 2009/2010 an den Vermieter gewandt. Im Nachgang seien dann durch einen "Gutachter" bzw. Handwerker die Probleme in Augenschein genommen, jedoch - nach dem Vortrag der Antragstellerin - nicht nachhaltig beseitigt worden. Bei dieser Sachlage hätte es ihr oblegen, den Vermieter nachdrücklich – jedenfalls schriftlich und notfalls auch gerichtlich – auf eine Mangelbeseitigung unter Androhung der Kündigung in Anspruch zu nehmen. Dass bloß unverbindliche Gespräch über tatsächliche und vermeintlich vorliegende Mängel rechtfertige keinen Auszug, wenn die Gespräche nicht im Sinne des Hilfebedürftigen verlaufen seien.

Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das SG mit Beschluss vom selben Tag wegen mangelnder Erfolgsaussichten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abgelehnt. Gegen diesen den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 27.03.2012 zugestellten Beschluss haben sie am 11.04.2012 Beschwerde beim SG eingelegt, die am 20.04.2012 beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingegangen ist. Da die Antragstellerin nunmehr zum 01.04.2012 in die P gezogen sei und daher das Rechtsschutzbedürfnis für ein Zusicherungsverfahren entfallen sei, richte sich die Beschwerde ausschließlich gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Zusicherung hätte ihr erteilt werden müssen. Die Antragstellerin habe eidesstattlich versichert, dass sie den Vermieter auf die Mängel der Wohnung, speziell die mangelnden Heizmöglichkeiten, mehrfach hingewiesen habe. Dafür spreche auch, dass der Vermieter zumindest zwei Vertreter zwecks Begutachtung der Heizung in die Wohnung geschickt habe. Der alte Mietvertrag habe am 15.04.2009, also nach der Heizperiode, begonnen. Sie habe zunächst versucht, auf Klärung der Mängel hinzuwirken. Aufgrund der Versprechungen des Vermieters, die Mängel zu beseitigen, habe sie nicht davon ausgehen müssen, hingehalten zu werden. Nachdem im Winter 2010/2011 erneut die Temperaturen in der Wohnung nicht über 20 Grad Celsius gestiegen seien, habe sie das Problem erneut angezeigt. Ein Monteur habe festgestellt, dass die Heizkörper für die Wohnung zu klein seien. Da wieder keine Reaktion des Vermieters erfolgt sei, habe die Antragstellerin von ihrem Recht zur außerordentlichen Kündigung Gebrauch gemacht. Dieser Kündigung sei der Vermieter nicht entgegengetreten. Die mangelnde Beheizbarkeit der Wohnung werde als außerordentlicher Kündigungsgrund angesehen (OLG Dresden, Entscheidung vom 18.06.2002 – 5 O 260/02). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei es zivilrechtlich nicht geboten, vor Kündigung eine Frist zur Mangelbeseitigung zu setzen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus dem BGB. Entgegen der Auffassung des SG sei die Antragstellerin nicht gehalten gewesen, einen langjährigen Zivilrechtsstreit auf Mangelbeseitigung zu führen. Darüber hinaus hätte es sich um umfangreiche bauliche Maßnahmen gehandelt, wenn die Antragstellerin die Ersetzung der Heizkörper verlangt hätte. Dadurch, dass der Vermieter stets lediglich telefonischen Kontakt zu ihr aufgenommen und die Antragstellerin hingehalten habe, habe sie davon ausgehen können, dass kein ernstlicher Wille zur Beseitigung etwaiger Heizungsmängel bestanden habe.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig über die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 23.03.2012 aufzuheben und der Antragstellerin für das erstinstanzliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt.

Er ist der Auffassung, für den Fall, dass die Einzelrichterin des Senats die Beschwerde für begründet erachten sollte, habe die Antragstellerin keine Zahlungen an die Staatskasse zu leisten.

Der Einzelrichterin des Senats liegen die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten nicht mehr vor.

II.

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 155 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Beschluss vom 23.03.2012 den Antrag abgelehnt.

Gemäß § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig ist. Das Wort "hinreichend" kennzeichnet, dass das Gericht sich mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussichten begnügen darf und muss (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 07.05.1997 – 1 BvR 296/94, NJW 1997, S. 2745 ff; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung (ZPO), 68. Auflage 2008, § 114 RdNr. 80). Der Erfolg braucht also nicht gewiss zu sein, er muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben (Hartmann, a.a.O.). Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung ist eine hinreichende Erfolgsaussicht zu verneinen, wenn sich aus den Verfahrenunterlagen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung ergeben. Wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich sind, ist die Erfolgsaussicht häufig, aber nicht immer gegeben. Prozesskostenhilfe kann durchaus verweigert, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechterdings ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (SächsLSG, Beschluss vom 27.02.2012 - L 7 AS 474/11 B PKH).

Gemessen hieran bot die erstinstanzliche Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Einen Anordnungsanspruch auf Erteilung der vorläufigen Zusicherung zur Übernahme der Unterkunftskosten für die neue Wohnung hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

Nach § 22 Abs. 4 SGB II soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II wird nur der bisherige Bedarf für Unterkunft und Heizung anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.

Das Erfordernis, die vorherige Zusicherung des kommunalen Trägers gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II einzuholen, ist lediglich eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, stellt also keine Anspruchsvoraussetzung dar (BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 10/10 R, zitiert nach Juris, RdNrn. 17, 18; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R, zitiert nach Juris, RdNr. 27; SächsLSG, Beschluss vom 05.04.2012 - L 7 AS 425/11 B ER). § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II kommt nach der Rechtsprechung des BSG jedoch die Funktion zu, vor einem Umzug zu klären, ob die höheren Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen werden (BSG, Urteil vom 30.08.2010, a.a.O., RdNr. 17). Die Regelung dient dem Schutz der Hilfebedürftigen vor den weitreichenden Konsequenzen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, die in der nur gekürzten Übernahme der tatsächlichen angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Übergangsfrist bestehen (BSG, Urteil vom 30.08.2010, a.a.O.). Den Leistungsberechtigten steht jedoch auch bei fehlender Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu (SächsLSG, Beschluss vom 05.04.2012, a.a.O.; SächsLSG, Beschluss vom 12.03.2012 – L 7 AS 985/11 B ER).

Zur Erteilung der Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist der kommunale Träger nach Satz 2 der Vorschrift lediglich verpflichtet, wenn die Kosten der neuen Unterkunft ihrerseits angemessen sind und der Umzug erforderlich ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass auch nur bei Vorliegen beider Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Zusicherung besteht. Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde (SächsLSG, Beschluss vom 12.03.2012, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.12.2009 - L 2 AS 4587/09, zitiert nach Juris, RdNr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.11.2009 - L 29 AS 1196/09 B ER, zitiert nach Juris, RdNr. 29). Hierfür sprechen auch die in der amtlichen Begründung zur Neuregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (BT-Drucks. 16/1410 S. 23) genannten Beispiele eines erforderlichen Umzugs: Umzug zur Eingliederung in Arbeit, aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12.03.2012, a.a.O.; SG Dortmund, Urteil vom 04.10.2010 - S 31 AS 317/08, zitiert nach Juris, RdNr. 18). Von der Rechtsprechung sind u. a. eine ungünstige Wohnflächenaufteilung bei bevorstehender Geburt eines Kindes, die bevorstehende Geburt eines weiteren Kindes bei Unzumutbarkeit der Wohnungssuche kurz nach der Geburt, eine Summierung unterwertiger Wohnverhältnisse (schlechte sanitäre Verhältnisse und Ofenheizung bei älterem, gesundheitlich angeschlagenen Leistungsbezieher; Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses in einer Wohngemeinschaft) und der Rückbau der bisherigen Wohnung als Gründe für die Erforderlichkeit eines Umzugs angesehen worden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.09.2009 - L 34 AS 1724/08, zitiert nach Juris; SG Dresden, Urteil vom 08.01.2010 - S 23 AS 1952/09, zitiert nach Juris, RdNr. 24). Mehr oder minder nachvollziehbare Gründe unterhalb der Erforderlichkeitsschwelle rechtfertigen jedoch auch geringfügige Mehrkosten nicht (Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 22 RdNr. 49). Das Sächsische LSG hat mit Beschluss vom 21.06.2012 – L 3 AS 828/11 (zitiert nach Juris, RdNr. 30, 40) entschieden:

Tenor:

"Aus dem Begriff der Erforderlichkeit folgt aber auch, dass ein vernünftiger Grund für den Umzug erst dann anerkannt werden kann, wenn das durch den vorgetragenen Grund definierte Ziel des Umzugs zumutbar nicht auf andere Weise als durch einen Umzug erreicht werden kann (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 2008, a. a. O.; Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 38; SG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2007 – S 63 AS 10511/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 5). Dies korrespondiert mit der in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II festgelegten allgemeinen Obliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zur Selbsthilfe. Danach ist der erwerbsfähige Leistungsberechtigte vor einer Leistungsgewährung auf die Ausschöpfung aller zumutbaren Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit zu verweisen. Der erwerbsfähige Leistungsberechtigte soll zu "umfassender Eigenaktivität" (vgl. Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [4. Aufl., 2012], § 2 Rdnr. 9, m. w. N.) angehalten werden. Hierzu gehört insbesondere die Verfolgung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen andere (vgl. Berlit, a. a. O., § 2 Rdnr. 15). Ein Umzug kann in solchen Fällen erst dann erforderlich werden, wenn der Vermieter eine ihm obliegende Mängelbeseitigung ablehnt oder die Beseitigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist oder dem Hilfebedürftigen, etwa wegen der Dauer oder des Umfangs der Beseitigungsmaßnahmen oder nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, nicht (mehr) zugemutet werden kann (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 208 – L 3 B 136/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 8). Regelmäßig ist ein vernünftiger Umzugsgrund erst dann anzuerkennen, wenn ein Recht des Hilfebedürftigen zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages nach § 543 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 1 i. V. m. § 569 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) besteht (vgl. Sächs. LSG, a. a. O.)."

Der Antragstellerin stand zwar ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 Satz 3 bzw. Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 569 Abs. 1 BGB zu. Nach § 543 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragspartei, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund insbesondere vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Das Kammergericht Berlin hat mit Urteil vom 28.04.2008 – 8 U 209/07 (zitiert nach Juris, RdNr. 37 ff.) entschieden:

Tenor:

"Dem Kläger stand ein Kündigungsgrund zur Seite. Nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache wieder entzogen wird. Darunter fällt jede erhebliche Störung des Mietgebrauchs durch das nachträgliche Auftreten eines Sach- oder Rechtsmangels, der aus der Sphäre des Vermieters stammt, ohne dass es auf ein Verschulden des Vermieters ankommt (vgl. Kinne/Schach/Bieber-Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 5. Auflage, 2008, § 543 BGB, Rn. 25; Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O., § 543 BGB, Rn. 24). Eine mangelhafte Beheizung während der Heizperiode stellt eine solche erhebliche Störung dar, wenn, wie hier, der Vermieter für die Beheizung zu sorgen hat (vgl. Kinne/Schach-Bieber, a.a.O.; Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O., Rn. 28). Die Heizperiode läuft vom 1. Oktober bis zum 30. April des Folgejahres (vgl. Kinne/Schach/Bieber-Schach, a.a.O., § 535 BGB, Rn. 45). Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (veröffentlicht in MDR 2002, 575 = ZMR 2002, 46 ff.) befasst sich mit keiner vergleichbaren Fallgestaltung, weil die geringen Innentemperaturen im dortigen Fall im Sommer, d.h. außerhalb der Heizperiode auftraten. Der Bundesgerichtshof hat zu einem Wohnraummietvertrag ausgeführt, dass das Funktionieren der Heizung in den Wintermonaten und in der Übergangszeit von erheblicher Bedeutung für die Gebrauchstauglichkeit ist; die Annahme eines unerheblichen Mangels ist nur bei sehr kurzem Heizungsausfall oder bei vorübergehend geringfügiger (1 ° C) Unterschreitung der erforderlichen Heizleistung gerechtfertigt (in GE 2004, 1228 f. = NJW-RR 2004, 1450 ff.). Diese Rechtsprechung kann auf Räume, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, unverändert übernommen werden. Der Kläger durfte erwarten, dass während der Heizperiode, also einschließlich November/Dezember 2005, in den als Büro vermieteten Räumen eine Mindesttemperatur von 20 ° C erreicht wird."(ebenso: Landgericht (LG) Landshut, Urteil vom 18.12.1985 – 1 S 1222/85, zitiert nach Juris, RdNr. 2 ff; Bieber in Münchner Kommentar, 5. Auflage 2008 § 543 RdNr. 13; Lützenkirchen in Ermann, BGB, 13. Auflage 2011, § 543 RdNr. 9).

Die Antragstellerin hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung ausgesprochen hat. Gemäß § 543 Abs. 3 BGB ist die Kündigung, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietverhältnis besteht, erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt nicht, wenn eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht (Nr. 1) oder die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (Nr. 2). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) setzt eine außerordentliche Kündigung regelmäßig den erfolglosen Ablauf einer zur Abhilfe gesetzten angemessenen Frist oder eine erfolglose Abmahnung voraus (BGH, Urteil vom 18.01.2007 – VIII ZR 182/06, zitiert nach Juris, RdNr. 10 ff.; ebenso: Kammergericht Berlin, Urteil vom 28.04.2008 – 8 U 209/07, zitiert nach Juris, RdNr. 46; OLG Dresden, Urteil vom 18.06.2002 – 5 U 260/02, zitiert nach Juris, RdNr. 53; Lützenkirchen, a.a.O., RdNr. 39). Die Antragstellerin hat weder glaubhaft gemacht, dass sie den Vermieter abgemahnt hat oder ihm eine angemessene Frist zur Abhilfe gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen ist, noch dass vorliegend eine Ausnahme von o.g. Grundsatz gegeben ist.

Nach alledem war die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Anders Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht
Rechtskraft
Aus
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