L 11 VU 15/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 VG 202/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VU 15/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 6/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Revision zurückgewiesen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

Der 1941 geborene Kläger ist unter anderem gelernter Zugführer (Zeugnis der Deutschen Reichsbahn vom 1964) sowie ausgebildeter Facharbeiter für den Betriebs- und Verkehrsdienst der Deutschen Reichsbahn (Facharbeiterzeugnis der Deutschen Reichsbahn vom 1967). Er war ausweislich seines Arbeitsbuches vom 5. November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G beschäftigt.

Ausweislich eines Schreibens des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – Außenstelle Frankfurt (Oder) - (nachfolgend: Bundesbeauftragter) vom 8. November 1999, das zahlreiche Anlagen enthält, wurde von Mitarbeitern der Kriminalpolizei mit dem Kläger am 25. März 1966 ein Kontaktgespräch geführt, in dessen Ergebnis er sich bereit erklärte, der Kriminalpolizei, die auf dem Bahnhof G ermittelte, zu helfen. Weitere Kontaktgespräche fanden am 4. und 19. April 1966 statt. In Letzterem berichtete er über Kollegen und Unregelmäßigkeiten auf dem Bahnhof. Der Kläger sollte nun als inoffizieller Mitarbeiter (IM) geworben werden. Laut Vorschlag der Anwerbung bestand das Ziel der Werbung darin, nach mehreren Unregelmäßigkeiten und Vorkommnissen auf dem Bahnhof G mit Hilfe eines IM die Kollegen dieser Brigade zu analysieren und nach der Ermittlung Tatverdächtiger diese "operativ zu bearbeiten". Im Übrigen bestand der Verdacht von Schmuggelgeschäften zwischen polnischen und deutschen Eisenbahnern sowie schwerpunktmäßig auftretenden Eigentumsdelikten. Ein nächstes Kontaktgespräch fand am 5. Mai 1966 statt, ehe der Kläger am 13. Mai oder 13. Juni 1966 als IM geworben wurde und sich bereit erklärte, die Kriminalpolizei bei der Aufdeckung strafbarer Handlungen zu unterstützen. Der Kläger unterschrieb eine entsprechende Verpflichtung und wählte den Decknamen "L". Nach dem genannten Schreiben des Bundesbeauftragten lassen sich Art und Umfang der weiteren Zusammenarbeit nur anhand von Einschätzungen und Aktenvermerken nachweisen. Aus einem Auskunftsbericht vom 14. Mai 1968 geht dabei hervor, dass in der Zeit nach der Werbung 17 Treffen durchgeführt wurden, bei denen der Kläger stets sicher
erschienen sei und sich immer sachlich und aufgeschlossen verhalten habe. Im April 1968 habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis beim Bahnhof G aufgelöst und eine neue Tätigkeit aufgenommen. Zu einem für den 12. Juni 1968 vereinbarten Treffen sei der Kläger nicht erschienen; es sei auch zu keiner weiteren Zusammenarbeit mehr gekommen. Am 11. Juli 1977 seien die Akten des Klägers geschlossen und archiviert worden.

Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Der Kläger war vom 15. April bis zum 28. September 1968 als Reinigungsmüller bei den Mühlenwerken G und ab dem 30. September 1968 bis zum 31. Dezember 1979 als Koch und Küchenleiter zunächst im R Heim in G, ab 1976 im N Stift Krankenhaus in G tätig. Sein Arbeitsverhältnis im R Heim kündigte der Kläger selbst. Vorausgegangen war dem unter anderem ein vom Rat der Stadt G – R Heim – unter dem 21. April 1976 erteilter Verweis, nach dem der Kläger seine Arbeit als Küchenleiter nicht mehr ausgeführt und somit die ordnungsgemäße Essensversorgung der Heimbewohner gefährdet habe. Gegen diesen Verweis sowie gegen eine Abschlussbeurteilung vom 18. Mai 1976 wendete sich der Kläger mit teilweisem Erfolg an das
Kreisgericht G, das mit Urteil vom 24. August 1976 den Verweis insgesamt für ungültig erklärte und das R-Heim verurteilte, die Abschlussbeurteilung zu ändern. Ab dem 1. Januar 1980 war der Kläger im N Stift Krankenhaus in G als Beikoch tätig, war aber häufig krankgeschrieben und beendete diese Tätigkeit am 7. November 1980.

In den Sozialversicherungsausweisen des Klägers (Ausstellungsdaten 21. September 1956, 30. Januar 1967 und 18. Juli 1980) sind Heilbehandlungen seit Februar 1960 dokumentiert. Vom 9. bis 20. Juni 1966 war der Kläger arbeitsunfähig wegen einer akuten
Mandelentzündung (Diagnoseschlüssel 414 K nach dem zu dieser Zeit in der DDR gültigen ICD 6) erkrankt. Eine weitere Arbeitsunfähigkeitszeit vom 25. August bis zum 7. September 1966 ist ohne Diagnoseschlüssel angegeben. Neben diversen zahnärztlichen Behandlungen und einer Augenerkrankung im Juni 1973 sind bis Mitte 1980 folgende Diagnoseschlüssel genannt worden:

&61485; 5. August 1967 (akute Mandelentzündung), &61485; 27. Januar 1969 (Krankheiten der Talgdrüsen; Diagnoseschlüssel 706 nach dem seit 1968 in der DDR gültigen ICD 8), &61485; 29. Oktober 1970 (Gastritis und Duodenitis; Diagnoseschlüssel 535, mit Arbeitsunfähigkeit vom 29. Oktober bis 11. November 1970), &61485; 11. November 1971 (Gastritis und Duodenitis; Diagnoseschlüssel 535, mit Arbeitsunfähigkeit vom 8. bis 11. November 1971), &61485; 16. Mai 1974 (akute Tonsillitis; Diagnoseschlüssel 463, mit Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis 31. Mai 1974), &61485; 20. April 1976 (sonstige Psychosen; Diagnoseschlüssel 298, mit Arbeitsunfähigkeit vom 18. bis 26. April 1976), &61485; zwischen Juni 1978 und März 1979 (affektive Psychosen; Diagnoseschlüssel 296 mit verschiedenen Arbeitsunfähigkeitszeiten), &61485; seit 12. September 1979 (Neurosen; Diagnoseschlüssel 300; ab 15. April 1980 paranoide Zustände; Diagnoseschlüssel 297; mit zwei stationären Heilbehandlungen vom 18. Januar bis 17. März 1980 und vom 15. April bis 13. Juni 1980).

Dem Kläger wurde mit Rentenbescheid des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) vom 23. September 1980 ab dem 1. Juli 1980 eine Invalidenrente in Höhe von 450,- Mark zuzüglich 31,- Mark aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung monatlich bewilligt. Er war danach noch für kurze Zeit als Beikoch mit einer täglichen Arbeitszeit von zwei Stunden beschäftigt, gab diese Tätigkeit aber bald auf. Der Kläger übte ab dem 1. Oktober 1987 neben dem Bezug der Invalidenrente eine Teilzeitbeschäftigung als Sachbearbeiter in der Schul- und Kindergartenverwaltung der Stadt G aus. Der Kläger bezog die Invalidenrente auch ab dem 1. Juli 1990. Zum 1. Januar 1992 nahm die Landesversicherungsanstalt F eine Umwertung und Anpassung der Invalidenrente nach § 307a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vor und gewährte dem Kläger nach Durchführung einer Neuberechnung eine Invalidenrente als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Mit Bescheiden vom 11. Juli 1995 und vom 7. September 1995 erkannte der Beklagte ab dem 1. Januar 1991 bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) fest.

Am 12. Oktober 1998 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen formlosen Antrag auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit". Er sei durch die Staatssicherheit der DDR bedroht und unter Druck gesetzt worden, so dass bei ihm Angst ausgelöst worden sei.

Unter dem 23. November 1999 wurde durch das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg eine Bescheinigung nach dem VwRehaG und nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ausgestellt, in der festgestellt wurde, dass der Kläger durch Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei (K1) Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs. 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG ist. Als Verfolgungszeit insoweit wurde der 8. April 1968 bis zum 2. Oktober 1990 angegeben. In der Sachverhaltsdarstellung dieser Bescheinigung heißt es unter anderem:

"Sie waren Facharbeiter für Betriebs- und Verkehrstechnik und als Zugfertigsteller auf dem Bahnhof G tätig. Aufgrund von kriminalpolizeilichen Ermittlungen auf dem Bahnhof G traten Mitarbeiter des Arbeitsgebietes l der Kriminalpolizei (K 1) an Sie heran und erbat Ihre Mitarbeit. Sie erklärten sich Ende März 1966 bereit, der Kriminalpolizei bei der Aufklärung der aufgetretenen Unregelmäßigkeiten, die u. a. auch den reibungslosen Zugverkehr behinderten und gefährdeten, zu unterstützen. Dazu unterzeichneten Sie am 13.05.1966 eine "Erklärung", in der Sie sich zum Schweigen verpflichteten. Zugleich wurde Ihnen bei Verletzung der Schweigepflicht strafrechtliche Verfolgung angedroht. Im Rahmen der Unterstützung der K l machten Sie Mitteilungen über auftretende technische und Sicherheitsprobleme. Zu Personen berichteten Sie nicht. Als Sie Personen belasten sollten, verweigerten Sie dies. Ihnen wurde gedroht, dass man - wenn Sie nicht die K l weiter unterstützen würden - etwas finden würde, um Sie zu ins Gefängnis zu bringen. Da Sie nicht gewillt waren, andere Personen zu belasten und den Drohungen mit Gefängnisstrafe ausgesetzt waren, sich niemandem anvertrauen konnten, gerieten Sie unter enormen psychischen Druck. Den ständigen Zugriffsmöglichkeiten der Mitarbeiter der K l und den damit zusammenhängenden Repressalien am Arbeitsplatz waren Sie nicht mehr gewachsen, so dass Sie keinen anderen Ausweg sahen, als Ihren erworbenen Beruf aufzugeben. Sie kündigten am 08.04.1968 bei der Deutsche Reichsbahn, wechselten zu den VEB M, wo Sie als angelernter Reinigungsabfüller tätig waren. Da die K l weiterhin versuchte, zu Ihnen Kontakt aufzunehmen, wechselten Sie zum Feierabendheim bzw. im W-Stift, wo Sie erst als Beikoch und später als Küchenleiter arbeiteten. Der psychische Druck lastete aber nach wie vor auf Ihnen, so dass Sie 1976 erstmals akut erkrankten; ab 1978 konnten Sie nur noch 2 Stunden am Tage die Tätigkeit als Koch ausüben; 1980 wurden Sie invalidisiert. Sie befinden sich auch heute noch in ständiger psychotherapeutischer Behandlung.".

Nach Eingang des Bescheides des Ministeriums des Innern Brandenburg vom 23. November 1999 forderte der Beklagte bei der Landesklinik L - Klinik für Psychiatrie/Psychotherapie - die komplette Krankenakte des Klägers an, in der Unterlagen über stationäre Aufenthalte des Klägers im Bezirksfachkrankenhaus L vom 18. Januar bis 17. März 1980 sowie vom 15. April bis 13. Juni 1980 enthalten sind. Dem Beklagten lagen Unterlagen aus dem
Schwerbehindertenverfahren, hier insbesondere eine ärztliche Auskunft der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie L von Juni 1995, vor. Der Beklagten holte des Weiteren ärztliche Auskünfte bei dem Facharzt für Innere Medizin und Psychotherapeuten Dr. H vom 30. November 1999 (Eingangsdatum) und dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M vom 14. Dezember 1999 (Eingangsdatum) und Behandlungsunterlagen bei dem Landkreis S ein. Der Landkreis S übermittelte dabei Unterlagen der Kreispoliklinik G über Behandlungen des Klägers in der Inneren Abteilung, der Hals-, Na-sen-, Ohren-Abteilung, der Allgemeinen Abteilung und der psychiatrisch-neurologischen Abteilung. Eine Anfrage des Beklagten an die Deutsche Bahn, mit der er Personalakten und Krankenunterlagen des Betriebsarztes der Reichsbahn G angefordert hatte, blieb ohne Erfolg, weil nach Mitteilung der Deutschen Bahn vom 13. Januar 2000 derartige Unterlagen nicht vorlägen.

Des Weiteren holte der Beklagte den Verwaltungsvorgang des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg zu dem Antrag des Klägers nach dem VwRehaG ein (Aktenzeichen: ). Hierin enthalten waren neben dem Antrag des Klägers unter anderem Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Brandenburg (LVA), die ärztliche Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie der Kreispoliklinik G Dr. T vom 1. September 1980, vom 7. August 1982, vom 5. Juli 1985 sowie vom 15. Juli 1988 übermittelt hatte, in denen jeweils eine paranoide Schizophrenie – seit dem Gutachten vom 7. August 1982 als chronisch verlaufend bezeichnet – diagnostiziert worden war, wegen der eine Invalidität vorliege. In einem weiteren Gutachten von Dr. T vom 7. August 1982 hatte diese die Pflegebedürftigkeit des Klägers im Umfang von bis zu fünf Stunden am Tag festgestellt, was sie in dem Gutachten vom 5. Juli 1985 bestätigt hatte, ehe mit Gutachten vom 15. Juli 1988 die Pflegebedürftigkeit verneint worden war. Im Verwaltungsvorgang des Ministeriums des Innern waren des Weiteren unter anderem enthalten an dieses gerichtete Briefe des Facharztes für Innere Medizin und Psychotherapeuten Dr. H vom 10. Oktober 1999 und der Ehefrau des Klägers vom 15. November 1999.

Der Beklagte holte nunmehr ein nervenärztliches Kausalitätsgutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T vom 29. Mai 2000 ein, das dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 9. Mai 2000 erstellte. Dr. T kam zu dem Ergebnis, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne. Verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden ließen sich nicht verifizieren. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der leitenden Ärztin Dr. H vom 8. Juni 2000 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem VwRehaG in Verbindung mit dem BVG mit Bescheid vom 22. Juni 2000 ab. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers holte der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der leitenden Ärztin Dr. H vom 14. Juli 2000 ein und übermittelte an den Kläger ein nicht aktenkundiges Schreiben vom 2. August 2000, auf das hin der Kläger mit Schreiben vom 5. August 2000 den Wunsch äußerte, seine "Versorgungsangelegenheit vorläufig" einzustellen. Mit Schreiben vom 25. August 2000 teilte der Beklagte dem Kläger mit, die Widerspruchsprüfung vorläufig einzustellen; als Frist für eine weitere Nachricht des Klägers werde der 30. November 2000 vorgemerkt.

Telefonisch am 10. Februar 2005 und schriftlich am 14. Februar 2005 beantragte der Kläger die Überprüfung seiner "Versorgungsleistungen nach dem [ ...] VwRehaG" und fügte dem Antrag ein fachärztliches Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie L vom 15. Januar 2005 bei. Anforderungsgemäß übermittelte Letztere dem Beklagten auch eine ärztliche Auskunft vom 29. März 2005 nebst Anlagen. Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des leitenden Arztes K vom 31. Mai 2005 ein.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2005 lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 22. Juni 2000 und Anerkennung von Schädigungsfolgen und Versorgung nach dem VwRehaG in Verbindung mit dem BVG ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und übermittelte ein fachärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin und Psychotherapeuten Dr. H vom 14. August 2005. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Versorgungsärztin und Sozialmedizinerin Dr. W vom 19. September 2005 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 1. Juli 2005 durch Widerspruchsbescheid vom 28. September 2005, mit dem er das Begehren des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 22. Juni 2000 gemäß § 44 SGB X prüfte, zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Oktober 2005 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Er habe zwischen 1966 und 1976 versucht, ärztliche Hilfe zu erlangen, die aber überall – beispielsweise in der C – abgelehnt worden sei. Dr. T habe bewusst eine falsche Diagnose gestellt. Dr. T habe kurz nach der Wende dem Kläger erklärt, dass die Staatssicherheit 1977 eine Auskunft über den Kläger eingeholt habe. Die Invalidisierung des Klägers aufgrund einer falschen Diagnose habe seiner Isolierung dienen sollen. Der Kläger habe nicht an einer paranoiden Schizophrenie gelitten, sondern an einer Angststörung. Dies habe Dr. T auch gewusst. Der Kläger hat eine Erklärung vom 18. Juli 2005 vorgelegt, die von der Sprechstundenschwester von Dr. T, W H, unterschrieben worden ist. In diesem Schreiben heißt es, die Diagnose paranoide Schizophrenie sei ihr unbekannt; es sei immer eine Angststörung diagnostiziert worden.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten T vom 5. Dezember 2006 eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 26. Oktober und 9. November 2006 bei diesem eine gemischte Angst-Zwangsstörung, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei hervorgerufen worden sei, diagnostiziert. Der Grad der schädigungsbedingten MdE betrage 70 v. H. Hierzu hat der Beklagte eine versorgungsfachärztliche Stellungnahme des Versorgungsarztes und Sozialmediziners Dr. J vom 22. Januar 2007 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 12. Juli 2007 die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen.

Der Kläger hat auf Anforderung des Sozialgerichts Unterlagen übermittelt, die im Zusammenhang mit dem am 21. April 1976 von seinem damaligen Arbeitgeber, dem R Heim G, erteilten Verweis stehen. Des Weiteren hat er die Fotografie eines undatierten Briefes übermittelt, den der Kläger als Abschiedsbrief an seine Mutter gerichtet hat.

In einem weiteren Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. September 2007 hat das Sozialgericht die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie L als sachverständige Zeugin vernommen. Der Kläger hat in diesem Termin selbst umfassend Stellung genommen.

Das Sozialgericht hat von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg die Sozialversicherungsausweise des Klägers im Original angefordert und nach deren Eingang zu den Akten genommen. Es hat weiter vom Landkreis S Behandlungsunterlagen über den Kläger angefordert.

Der Kläger hat ein Schreiben vom 28. September 1979 an die psychiatrische Abteilung des Bezirkskrankenhauses N vorgelegt, das nach seinen Angaben von Dr. T stammt und zu dem der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin und Sozialmedizinerin Dr. W vom 14. Februar 2008 vorgelegt hat. Zuvor hat der Beklagte dem Sozialgericht bereits eine Stellungnahme von Dr. W vom 13. Dezember 2007 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G vom 30. Juni 2008. Dieser hat den Kläger am 23. Juni 2008 ambulant untersucht und ist zu folgender Einschätzung gelangt: Bei dem Kläger lägen seitens des gutachterlichen Fachgebietes eine chronifizierte Zwangsstörung mit
Begleitphänomenen, ein aklinischer/asymptomatischer Zustand nach kurzer psychotischer Episode im Juni 2007 und ein kleines Akustikneurinom links vor. Die beiden letztgenannten Erkrankungen beruhten nicht ursächlich auf den Verfolgungsmaßnahmen von April 1966 bis Juni 1968. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Verfolgungsmaßnahmen und der schweren Zwangsstörung nebst Begleitphänomenen hat sich der Sachverständige wie folgt geäußert: Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren beim Kläger auf, als da wären Belastungen in Kindheit und Jugend, die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen und die späteren Vorkommnisse im R-Heim. Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig, wobei eine etwaig genauere und prozentuale Aussage nicht möglich sei. Somit stellten die Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger eine wesentliche Bedingung für die Manifestation und für das Aufrechterhalten der schweren Zwangsstörung dar. Diese Zwangsstörung sei nach der Theorie der wesentlichen Bedingung durch die Verfolgungsmaßnahmen wesentlich mitbedingt im Sinne der Hervorrufung. Als Problem stelle sich aber dar, dass die Brückensymptome zwischen 1968 und Mitte der 1970er Jahre nicht eindeutig objektiv-befundlich belegt seien. Sofern man nun die Angaben des Klägers zu seinen Ängsten aufgrund von staatlicher Bedrohung seit 1966 bis 1968 zugrundelegen und die besonderen Umstände in der ehemaligen DDR dafür verantwortlich machen wollte, dass bis etwa Mitte der 1970er Jahre keine psychisch relevante Brückensymptomatik befundlich zu belegen sei, würde man zu der Beurteilung des Sachverständigen T und der Ärztin L gelangen. Sofern man indes eindeutig objektive Befunde verlangen würde, würde man diese nicht finden und zu dem Ergebnis von Dr. T gelangen. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 v. H. vor.

Durch Urteil vom 13. Januar 2009 hat das Sozialgericht die auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Verurteilung des Beklagten zur Feststellung einer Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge und Gewährung einer Versorgung unter Rücknahme des Bescheides vom 22. Juni 2000 gerichtete Klage abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe für das Gericht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei der ehemaligen DDR sei. Lägen zwischen einem schädigenden Ereignis und dem Auftreten der Gesundheitsstörungen zeitlich längere Zeiträume, so stelle sich in besonderem Maße die Frage des Ursachenzusammenhangs. Denn vielfach lasse der große zeitliche Abstand ohne Brückensymptome den ursächlichen Zusammenhang als unwahrscheinlich erscheinen. Insoweit habe der Gutachter Dr. T zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Nachweis von Brückensymptomen fehle. Den neurotisierenden Erlebnissen in der Kindheit des Klägers sowie den Konflikten am Arbeitsplatz kom-me eine weitaus höhere Bedeutung für die bestehende Zwangsneurose zu als die Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968. Hierfür spreche auch, dass die Erkrankung 1976 zeitnah im Zusammenhang mit dem vom Kläger geführten Arbeitsrechtsstreit ausgebrochen sei.

Gegen das ihm am 5. Februar 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2009 Berufung eingelegt. Die bei ihm vorliegende Angst-/Zwangsstörung sei ausweislich der eingeholten Sachverständigengutachten wahrscheinlich durch die Verfolgungsmaßnahmen der Staatssicherheit hervorgerufen worden. Die Kindheitsereignisse seien nicht geeignet gewesen, die bei ihm vorliegende Gesundheitsstörung hervorzurufen. Seine seelische Störung liege darin, dass er seit den Verfolgungsmaßnahmen Angst habe, eine Straftat zu begehen. Dies sei Folge der Drohungen der Staatssicherheit, ihm eine Straftat in Verbindung mit der Misshandlung von Kindern unterzuschieben. Seine Familiengeschichte habe zwar eine gewisse Anfälligkeit zu erkranken begründet, reiche aber nicht aus, seine massive Erkrankung zu erklären. Somit hätten sich die Konfliktsituationen in der Kindheit nicht in der Angst, Sexualdelikte zu begehen, manifestieren können, zumal die vom Beklagten als notwendig erachteten Brückensymptome gerade im Zeitraum zwischen den Belastungssituationen in der Kindheit und dem Jahr 1968 fehlten. Brückensymptome lägen vor, was der behandelnde Arzt Dr. M, der Betriebsarzt im R-Heim gewesen sei, bezeugen könne. Selbst wenn das Vorliegen der Brückensymptome aber nicht bewiesen werden könne, stehe dies dem klägerischen Anspruch nicht unbedingt
entgegen.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. M vom 12. August 2011 eingeholt.

Der Kläger hat die vollständige Patientenakte von Dr. M über den Kläger zu den Akten gereicht. Der Senat hat eine Kopie derselben dem Sachverständigen Dr. G zur ergänzenden Stellungnahme übermittelt. In seiner Stellungnahme vom 29. November 2011 hat der Sachverständige ausgeführt, Brückensymptome seien auch durch die Patientenakte nicht hinreichend belegt.

Mit Schreiben vom 23. April 2012 hat der Berichterstatter des Senats eine weitere ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. G angefordert, die dieser unter dem 21. Mai 2012 erstellt hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 und die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005, jedenfalls Letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 (v. H.) zu gewähren.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt hilfsweise,

aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der Kausalität für die Angst- und Zwangsstörung durch die Gutachter Dr. T und T und Dr. G ein Obergutachten zu der Frage einzuholen, ob die Verfolgung durch die Mitarbeiter des Arbeitsgebietes der Kriminalpolizei von Ende März 1966 bis 12. Juni 1968 wesentliche Bedingung für die Angst- und Zwangsstörung im Sinne des Versorgungsrechts war.

Er beantragt weiterhin,

Dr. G M, K Straße, G, als Zeugen zu vernehmen.

Als Beweisthema wird benannt die ärztliche Behandlung des Klägers durch Dr. M im Zeitraum 1969 bis 2007.

Der Beweisantrag wird damit begründet, dass der Beklagte nach wie vor auf angeblich fehlende Brückensymptome abstellt, obwohl die Gutachten T vom 5. Dezember 2006, Seite 25, und Dr. G, Gutachten vom 30. Juni 2008, Seite 23, die Kausalität zwischen Verfolgungsmaßnahmen und Erkrankungen des Klägers ausdrücklich bejahen.

Dr. M kann bekunden, dass Brückensymptome sehr wohl vorlagen.

Der Kläger beantragt,

die Gutachter Dr. G, T und die behandelnden Ärzte Dipl.-Med. L und Dr. H zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu befragen.

Die Ärzte sollen dann in der mündlichen Verhandlung insbesondere erläutern, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen der Stasi und der psychischen Erkrankung des Klägers besteht und nach wissenschaftlichen Erkenntnis-sen zu bejahen ist, selbst wenn keine schriftlichen Diagnosen von Brückensymptomen existieren.

Weiterhin soll der Gutachter Dr. G dann dazu befragt werden, dass ausweislich Seite 26 seines Gutachtens die schwere Angst- und Zwangsstörung des Klägers vor den Verfolgungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit, also vor Ende März 1966, nicht bestand. Diese Aussage steht in wesentlichem Widerspruch zum Gutachten Dr. T vom 29. Mai 2000, der dort auf Seite 14 ganz allgemein und pauschal feststellt: "Neurosen gehen auf innere Fixierungen auf unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit zurück."

Diese Aussage ist so allgemein und pauschal, dass sie wissenschaftlichen Anforderungen an ein nervenärztliches Kausalitätsgutachten nicht genügt (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – zitiert nach juris, Rdnr. 26). Es fehlt auch eine
Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die schwere Angst- und Zwangsstörung des Klägers zeitlich erst nach den Verfolgungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit eingetreten ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise für den Fall, dass die Sachverständigen T und Dr. G als sachverständige Zeugen gehört werden sollen, auch Dr. T, Anschrift wie im Gutachten vom 29. Mai 2000, zu hören.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 22. Juni 2000 sowie der Bescheid vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung nach dem VwRehaG in Verbindung mit dem BVG ab dem 1. Oktober 1998.

Dabei sind die Beteiligten und das Sozialgericht allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger müsse seinen Anspruch im so genannten Zugunstenverfahren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verfolgen. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist danach der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der Bescheid vom 22. Juni 2000, dessen Rechtmäßigkeit der Beklagte mit Bescheid vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 geprüft (und bejaht) hat, ist aber nicht bestandskräftig geworden. Namentlich hat der Kläger mit dem im Schreiben vom 5. August 2000 geäußerten Wunsch, seine "Versorgungsangelegenheit vorläufig" einzustellen, ersichtlich keine Rücknahme des Widerspruchs erklärt. Auch andere Tatbestände, die zur Erledigung des gegen den Bescheid vom 22. Juni 2000 anhängigen Widerspruchsverfahrens hätten führen können, sind nicht ersichtlich. War das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 22. Juni 2000 demnach im Februar 2005, als der Kläger die Überprüfung seiner "Versorgungsleistungen nach dem [ ...] VwRehaG" begehrte, noch offen, hätte der Beklagte also das Widerspruchsverfahren fortsetzen und gegebenenfalls durch Erlass eines Widerspruchsbescheides beenden müssen. Dass es nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht Voraussetzung des Zugunstenverfahrens ist, dass der rechtswidrige Verwaltungsakt bereits unanfechtbar ist ("auch"), steht diesem Befund nicht entgegen. Denn wenn die Rechtsbehelfsfristen noch laufen - oder wie hier, ein Rechtsbehelfsverfahren läuft -, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 AL 76/03 R - juris). Dass der Beklagte demnach zu Unrecht einen Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X geprüft hat, geht nicht zu Lasten des Klägers. Namentlich ist nicht zu verlangen, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 22. Juni 2000 durch Erlass eines Widerspruchsbescheides förmlich einer Erledigung zugeführt wird. Denn jedenfalls im vorliegenden Einzelfall hat der Beklagte im Rahmen des von ihm als Überprüfungsverfahren behandelten Verwaltungsverfahrens den klägerischen Anspruch umfassend geprüft und einen Widerspruchsbescheid erlassen, so dass ein weitergehender Zweck mit der Nachholung des Widerspruchsverfahrens in Bezug auf den Bescheid vom 22. Juni 2000 nicht mehr zu erreichen wäre. Der Fall ist demnach vergleichbar mit dem Fall, in dem die prozessführende Behörde mit der Widerspruchsbehörde identisch ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren verteidigt und Fragen des Ermessens oder der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns keine Rolle spielen, so dass das Prozessvorbringen seinem Inhalt nach einer Widerspruchsentscheidung entspricht oder daraus jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen ist, dass auch bei Nachholung des Widerspruchsverfahrens eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden ist (vgl. BSG, Urteil vom 15. August 1996 - 9 RVs 10/94 - juris). Auch im hiesigen Verfahren könnte der Abschluss des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 22. Juni 2000 seinen Zweck, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, ihr Handeln im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen und die Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme zu schützen, nicht mehr erreichen; seine Durchführung wäre reiner Formalismus. Der Senat kann auch über den Zeitraum vom 1. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2000
entscheiden, denn bei verständiger Würdigung auch der Entscheidungsgründe des Sozialgerichts liegt eine erstinstanzliche Entscheidung auch insoweit vor. Zwar ist das Sozialgericht von einer Geltendmachung des klägerischen Anspruchs (nur) im Zugunstenverfahren ausgegangen, so dass es bei einem (vermeintlichen) Überprüfungsantrag des Klägers im Jahr 2005 wegen § 44 Abs. 4 SGB X inhaltlich auch nur über die Zeit ab dem 1. Januar 2001 entschieden haben könnte. Eine solche zeitliche Beschränkung lässt sich den Entscheidungsgründen aber gerade nicht entnehmen. Zudem hat das Sozialgericht - wie die Beweisfragen an den Sachverständigen Dr. G in der Beweisanordnung vom 18. Januar 2008 erhellen - den Gesundheitszustand des Klägers ab Oktober 1998 geprüft, was nur sinnvoll ist, wenn es auch sachlich ab diesem
Zeitpunkt entscheiden wollte. Eine Beschränkung der Klage auf Zeiten erst ab dem 1. Januar 2001 ist schließlich zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung hieraus. Der Anspruch auf Beschädigtenversorgung richtet sich vorliegend nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG. Nach dieser Vorschrift erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

Die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale - schädigendes Ereignis, hier die Maßnahme nach § 1 VwRehaG, gesundheitliche Schädigung (Primärschaden), gesundheitliche Folgen dieser Schädigung - müssen nach den allgemein für die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung maßgeblichen Anforderungen voll bewiesen werden, das heißt sie müssen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 9 VS 2/98 R - juris). Zur Anerkennung einer Gesundheitsschädi-gung als Folge einer Schädigung (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 3 Abs. 5 Satz 1 VwRehaG), die gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit oder ein zeitlicher Zusammenhang genügt nicht (vgl. nur Urteil des Senats vom 20. Januar 2012 - L 11 VU 47/08 - juris). Auch für die haftungsbegründende Kausalität, also den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung, gilt der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – a. a. O.).

Ein schädigendes Ereignis im Sinne des § 1 VwRehaG liegt hier vor. Der Kläger gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Denn mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 23. November 1999 wurde durch das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg eine Bescheinigung auch nach dem VwRehaG ausgestellt, in der festgestellt wurde, dass der Kläger durch Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei (K1) Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs. 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Zu Recht hat das Sozialgericht insoweit aber nur auf einen Zeitraum von 1966 bis 1968 abgestellt, wobei der konkrete Beginn auf den 25. März 1966 (Tag des ersten Kontaktgesprächs mit der Kriminalpolizei) und das konkrete Ende spätestens auf den 12. Juni 1968 zu datieren ist (für diesen Tag war ausweislich des Schreibens des Bundesbeauftragten vom 8. November 1999 ein Treffen vereinbart worden, zu dem der Kläger nicht erschienen war; eine weitere Zusammenarbeit gab es danach nicht; auch zu einer Kontaktaufnahme durch Kriminalpolizei oder Staatssicherheit kam es nach den Angaben des Klägers im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 17. September 2007 nicht). Denn nur die durch die Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei (K1) ausgeübten Verfolgungsmaßnahmen wurden nach Maßgabe des VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt.

Der Kläger hat infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen aber keine gesundheitliche Schädigung, aus der gesundheitliche Folgen resultieren würden, erlitten. Dabei gilt hier Folgendes:

Auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts hat der Senat die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 – AHP 1996 – und nachfolgend – seit Juli 2004 – die "Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) als allgemeine Tatsachen zu beachten (BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R - juris). Diese allgemeinen Festlegungen können, zumal die AHP sowohl für die Verwaltung als auch für die Gerichte eine gewisse Bindungswirkung hatten, nicht durch Einzelfallgutachten widerlegt werden. Die AHP hatten zwar keine Normqualität, wirkten in der Praxis jedoch wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit und hatten daher normähnlichen Charakter und waren wie untergesetzliche Normen heranzuziehen. Sie haben damit unter Berücksichtigung der herrschenden Lehre in der medizinischen Wissenschaft eine verlässliche, der Gleichbehandlung dienende Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung im sozialen Entschädigungsrecht geschaffen (so insgesamt BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R - juris). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die AHP zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (VersMedV) ersetzt worden sind. Die Grundsätze zur Frage, wann von einer wesentlichen Verursachung eines Schadens durch ein bestimmtes Ge-schehen ausgegangen werden kann, sind unverändert geblieben.

In Teil C Nr. 1 b der Anlage zu § 2 VersMedV ist weiterhin ausgeführt, dass Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ist, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen (und wie Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer
Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind; kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand al-lein Ursache im Sinne des Versorgungsrechtes. Diese Ausführungen entsprechen der für die rechtliche Beurteilung einer Verursachung des eingetretenen Schadens maßgeblichen versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung. Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser
Umstand allein Ursache im Rechtssinn. Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 40/82 -; Beschluss vom 9. März 1988 - 9/9a BV 122/86 –; Urteil vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - alle bei juris). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juni 1955 - 10 RV 390/54 – juris).

Hier gilt nun Folgendes: Bei dem Kläger liegt eine als Schädigungsfolge allein in Betracht kommende chronifizierte schwere Zwangsstörung vor. Diese Diagnose ist von allen Gutachtern im Kern gestellt worden, wenn auch in verschiedenen Nuancen: Dr. T ist von einer schweren Zwangsneurose, der Sachverständige T von einer gemischten Angst-/Zwangsstörung chronifiziert und Dr. G von einer chronifizierten Zwangsstörung mit Begleitphänomenen ausgegangen. Zwar leidet der Kläger also nicht im eigentlichen Sinn an einer Angststörung. Vielmehr geht die Angst mit der Zwangsstörung einher, was der Sachverständige Dr. Gin seinem Gutachten überzeugend darlegt und was die behandelnde Ärztin L im Rahmen der Zeugenvernehmung vor dem Sozialgericht am 17. September 2007 sinngemäß insoweit bestätigt hat, als sie die Angst als Krankheitssymptom bewertet hat. Dass mit den verschiedenen Bezeichnungen letztlich aber keine wesentlich unterschiedlichen Krankheitsbilder beschrieben werden, nimmt auch der Sachverständige Dr. G an, wenn er ausführt, dass diagnostisch im Wesentlichen Übereinstimmung mit Dr. T und dem Sachverständigen T bestehe.

Die für einen Anspruch nach dem VwRehaG entscheidenden Vorgänge zwischen März 1966 und Juni 1968 sind aber nicht wesentlich ursächlich für das genannte psychische Leiden des Klägers.

Soweit der Sachverständige T davon ausgeht, die von ihm gestellte Diagnose einer gemischten Angst-/Zwangsstörung chronifiziert sei wahrscheinlich durch die Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei hervorgerufen worden, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Sachverständige bei unzutreffender Heranziehung der Verfolgungszeit nach dem BerRehaG zu Unrecht annimmt, die Verfolgungszeit sei nicht 1968, sondern erst zum 2. Oktober 1990 beendet gewesen, so dass auch nach dem Arbeitsplatzwechsel von der Reichsbahn Maßnahmen gegen den Kläger veranlasst worden seien (Seiten 21, 26 und 30 des Gutachtens). Dementsprechend scheint der Sachverständige auch solche staatlichen "Zersetzungsmaßnahmen" zu berücksichtigen, die nach 1968 stattgefunden haben sollen, etwa wenn der Sachverständige ausführt, der Kläger habe den Eindruck gewinnen müssen, dass auch nach dem Wechsel seiner Arbeitsstelle (am 8. April 1968) weiterhin gegen ihn vorgegangen würde; das "beschriebene, unangemessene Gerichtsverfahren" - der Sachverständige meint hier offenbar den Arbeitsgerichtsprozess im Jahr 1976 - habe die Befürchtungen des Klägers bestätigt (Seiten 22/23 des Gutachtens). Weiter führt der Sachverständige aus, der Kläger habe sofort nach den Verfolgungsmaßnahmen (im Jahr 1968) mit massiver Symptomatik reagiert (Seiten 29/30 des Gutachtens); "nach der für den Kläger sich anschließenden weiteren Überwa-chung durch die Stasi mit zwanghafter Selbstreglementierung [sei] es dann nach dem beschriebenen Arbeitsgerichtsprozess zum manifesten Ausbruch der Angst-Zwangs-Erkrankung [gekommen]". Auch hieraus ergibt sich, dass der Sachverständige unzutreffend von einem zu ent-schädigenden Verfolgungszeitraum auch nach (Juni) 1968 ausgeht. Alternative Ursachen für die Erkrankung des Klägers werden vom Sachverständigen T angedeutet, aber nicht zu Ende diskutiert. Dies gilt namentlich für die unstreitig vorliegenden Belastungen des Klägers in dessen Kindheit und Jugend; insoweit beschränken sich die Ausführungen des Sachverständigen darauf, dass "gewisse Vulnerabilitätsfaktoren" aus der Familiengeschichte zu entnehmen seien, diese allein jedoch nicht ausreichen "dürften", das Auftreten der Erkrankung des Klägers zu erklären (Seite 27 des Gutachtens).

Unter Zugrundelegung des richtigen Verfolgungszeitraums nach dem VwRehaG kommt demgegenüber der Sachverständige Dr. G zu nachvollziehbaren Schlüssen. Er stellt überzeugend in den Vordergrund, dass die Zwangsstörung bei dem Kläger in Entstehung wie Aufrechterhaltung im Wesentlichen auf drei Ursachen beruht: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen und die Vorkommnisse im R Heim.

Dass der Kläger "in einer ausgesprochen neurotisierenden Familienkonstellation aufgewachsen" ist, hat bereits Dr. T angenommen und wird durch die biografischen Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen T, die der Kläger gegenüber Dr. G bestätigt hat, bestätigt. Danach ist der Kläger von seinem Vater nicht gewollt gewesen und verachtet worden. Der Kläger beschreibt, dass er vor seinem Vater "immer Angst" gehabt habe. Miterleben musste er, wie seine Mutter, zu der er offenkundig ein gutes Verhältnis hatte, im Krieg vergewaltigt wurde. Neben dem schwierigen Verhältnis zum Vater beschreibt der Kläger weiter, dass er von seinem Bruder, der zunächst beim Vater aufgewachsen und später zur Mutter gekommen war, als der Kläger zehn Jahre alt war, traktiert und geschlagen wurde.

Als weitere Einzelursache berücksichtigt Dr. G nachvollziehbar die Vorkommnisse im R-Heim, in dem der Kläger nach kurzer Tätigkeit als Reinigungsmüller an anderer Stelle ab dem 30. September 1968 bis 1976 als Koch und Küchenleiter tätig war. Dass auch Vorkommnisse während dieser Tätigkeit – auch im Verhältnis zu den Verfolgungsmaßnahmen – eine gleichwertige Einzelursache für die Zwangsstörung gesetzt haben, ist gleichfalls nachvollziehbar. Der Kläger hat insoweit gegenüber dem Sachverständigen T erklärt, während seiner Tätigkeit immer Angst gehabt zu haben; das R-Heim sei von der Staatssicherheit überwacht gewesen. Der Kläger hat geschildert, dass man versucht habe, ihm "etwas anzuhängen", etwa, indem man ihn habe verleiten wollen, heimlich Bananen und Konserven zu verkaufen. Gegenüber Dr. T hat der Kläger seine Erlebnisse im R-Heim noch detaillierter geschildert. So habe man nach sieben oder acht Jahren an seinem Essen "rumgemäkelt" und er von da an sehr darauf geachtet, nichts falsch zu machen, weshalb er immer wieder alles kontrolliert und "Zettel geschrieben" - hierauf vermerkt der Kläger offensichtlich auch heute noch seine gesamten Aktivitäten - habe. Gegenüber dem Sachverständigen T hat der Kläger ausgeführt, dass man ihm vorgeworfen habe, nicht richtig bestellt zu haben und versucht zu haben, die Heimbewohner verhungern zu lassen. Sogar der Staatsanwalt sei da gewesen. Diese sich ca. 1976 zuspitzenden Probleme am Arbeitsplatz werden nicht nur durch die Angaben des Klägers, sondern die von ihm übermittelten Dokumente zum Arbeitsgerichtsprozess im Jahr 1976 belegt.

Die nach dem VwRehaG rehabilitierten Vorgänge stellen schließlich die dritte Einzelursache für die Zwangsstörung des Klägers dar. Zu den Einzelheiten dieser Vorgänge greift der Senat auf die Bescheinigung (auch) nach dem VwRehaG vom 23. November 1999 und die
ausführlichen Schilderungen des Klägers im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 17. September 2007 zurück. Insoweit ergibt sich zusammengefasst, dass der Kläger praktisch von der ersten Kontaktaufnahme an bedroht wurde, weil sich immer ein Grund finden lasse, ihn nach "Bautzen" zu bringen. Sinngemäß wurde ihm angedroht, insoweit auch auf falsche Behauptungen – etwa Verfehlungen am Arbeitsplatz oder Unterstellungen, dass er - der Kläger - "irgendwas mit kleinen Kindern anstelle" – zurückzugreifen. Da der Kläger die ihm übertragenen Aufgaben nicht zur Zufriedenheit erfüllte, wurde er bedroht und dabei offenbar auch am Halfter der Pistole "gespielt". Als der Kläger eingesetzt wurde, um Güterzüge abzufertigen, wobei der Kläger die Bremsen kontrollieren und die Bremskraft berechnen musste, wurde ihm angedroht, er würde nach "Bautzen" kommen, sollten die Züge über ein Signal hinausfahren. Im weiteren Verlauf wurde er mit einem Trabant abgeholt, darin "fertig gemacht" und erneut bedroht, ihn nach "Bautzen" zu bringen, was man eigentlich auch gleich tun könne.

Dass die drei beschriebenen Einzelursachen nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. G in etwa gleichwertig für die Zwangsstörung des Klägers sind, ist bei einer Gesamtschau der Biografie des Klägers auch für den Senat nachvollziehbar. Der Senat gibt dieser Einschätzung den Vorzug auch vor der Einschätzung der behandelnden Ärztin L, die im Termin vor dem Sozialgericht vom 17. September 2007 erklärt hat, dass – bei allen Schwierigkeiten, sich in Zahlen festzulegen – die Vorkommnisse von 1966 bis 1968 im Umfang von ca. 60 Prozent für die psychische Erkrankung des Klägers ursächlich seien. Soweit die Ärztin L, die während der stationären Aufenthalte des Klägers im Bezirksfachkrankenhaus L vom 18. Januar bis 17. März 1980 sowie vom 15. April bis 13. Juni 1980 Stationsärztin gewesen war, ausgeführt hat, die Kindheitskonflikte seien "damals von uns nicht genügend als Ursache für eine Erkrankung erachtet" worden, ist festzuhalten, dass sich der Krankenakte über diese stationären Aufenthalte nicht entnehmen lässt, dass diese Kindheitskonflikte in irgendeiner Form Thema gewesen sind. Bei allen Vorbehalten, die man gegen die Ausführungen in der Krankenakte haben mag, ist festzustellen, dass die schriftliche Wiedergabe der Anamnese in Bezug auf die stationäre Behandlung vom 18. Januar bis 17. März 1980 doch immerhin recht offen die Ereignisse der Jahre 1966 bis 1968 und das Verlangen, der Kläger solle "Spitzeldienste" übernehmen, thematisiert – warum Kindheitskonflikte, wären sie thematisiert worden, in der Krankenakte "ausgespart" worden sein sollen, ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, so dass nicht anzunehmen ist, dass die Kindheitskonflikte als Ursache der psychischen Erkrankung des Klägers überhaupt in Betracht gezogen worden sein könnten. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die zunehmenden Konflikte am Arbeitsplatz. Auch sie sind offensichtlich im Rahmen der stationären Behandlungen 1980 nicht näher thematisiert worden, vielmehr heißt es in der Anamnese insoweit nur knapp, der Kläger habe sich 1976 erstmals bei Dr. T vorgestellt, "nachdem er sich nach einer dienstlichen Auseinandersetzung sehr erregt und mit Suizid gedroht hatte".

Sind die drei beschriebenen Einzelursachen demnach von ihrer Bedeutung her in etwa gleichwertig für die Zwangsstörung des Klägers, bedeutet dies hier - ungeachtet der für den Senat insoweit unmaßgeblichen gegenteiligen rechtlichen Bewertung des Sachverständigen Dr. G -, dass diese Ursache nicht wesentlich im versorgungsrechtlichen Sinne ist. Denn sie ist in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges im Verhältnis zu den übrigen Umständen nicht mindestens annähernd gleichwertig. Sie ist zwar im Verhältnis zu den beiden jeweiligen weiteren Einzelursachen in etwa gleichwertig. Innerhalb des gesamten Ursachenkomplexes nimmt sie aber mit einem Ursachenanteil von ca. einem Drittel nur eine untergeordnete Rolle ein. Auch bei einer wertenden Abwägung der vorliegend in Betracht kommenden Bedingungen reicht dieser Ursachenanteil im hier zu entscheidenden Einzelfall – und dies auch bei Betrachtung der Persönlichkeit des Klägers und seiner Reaktionsweise (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 1963 - 11 RV 808/61 – juris), in Bezug auf den Dr. G auch neurobiologisch relevante Belastungsfaktoren erkannt hat, – nicht aus, um anzunehmen, dass die für den Anspruch nach dem VwRehaG entscheidenden Vorgänge zwischen März 1966 und Juni 1968 wesentlich ursächlich für die Zwangsstörung des Klägers sein könnten. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger demgegenüber auf ein Urteil des für das Unfallversicherungsrecht zuständigen 2. Senats des BSG vom 9. Mai 2006 (B 2 U 1/05 R – juris). Denn dieser weicht von den für das soziale Entschädigungsrecht aufgestellten Grundsätzen ab, wenn er ausführt, auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache könne für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben); der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG, dessen Rechtsprechung der Senat hier folgt, legt also einen strengeren Maßstab an die Bestimmung der rechtlich wesentlichen Mitursache an (vgl. Knickrehm, SGb 2010, S. 381, 384; Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 1 BVG, Rn. 28).

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung darlegt, die Kindheitsereignisse seien nicht geeignet gewesen, die bei ihm vorliegende Gesundheitsstörung hervorzurufen, weil seine seelische Störung darin liege, dass er seit den Verfolgungsmaßnahmen Angst habe, eine Straftat - namentlich in Verbindung mit der Misshandlung von Kindern - zu begehen, womit die Konfliktsituationen in der Kindheit nicht in Verbindung zu bringen seien, ist dieser Einwand medi-zinisch durch den Sachverständigen Dr. G und seine bereits mehrfach wiedergegebenen Feststellungen widerlegt. Andererseits verkennt der Kläger, dass sich seine seelische Erkrankung auch, aber nicht nur in der von ihm benannten Angst niederschlägt. Vielmehr leidet er
ausweislich der Beschwerdeschilderungen gegenüber den Sachverständigen T und Dr. G allgemein unter der Angst, etwas falsch zu machen oder falsch gemacht zu haben. Abgesehen davon, dass erhebliche Ängste auch schon in der Kindheit vorgelegen haben, in der der Kläger – außer vor seinem Vater – auch vor seinem älteren Bruder "ganz schön Angst gehabt" habe und sich, wenn die Mutter bei der Arbeit gewesen sei, aus Angst vor seinem Bruder "nicht rauf getraut" habe (vgl. Seite 2 des Gutachtens von Dr. T), hat der Kläger Ängste, etwas falsch zu machen, auch im Zusammenhang mit seiner Küchenleitertätigkeit im R-Heim beschrieben, während der man ihm was habe "anhängen wollen", was zu noch "extremere[n] Ängste[n]" geführt habe (vgl. nur Seite 17 des Gutachtens des Sachverständigen T). Diese Geschehnisse haben auch einen erheblichen Einfluss auf das Erkrankungsbild des Klägers gehabt. Denn selbst wenn der Kläger auch schon zwischen 1968 und 1976 im weitesten Sinne wegen psychosomatischer Erkrankungen behandelt worden sein sollte, so ist doch festzuhalten, dass er nach eigenen Angaben im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 17. September 2007 konkret in
nervenärztlicher Behandlung erst seit 1976 gewesen war und sich aus den Sozialversicherungsausweisen des Klägers ebenfalls entsprechende Diagnosen und Krankschreibungen erst seit April 1976 ergeben, es zu der schließlich im Jahr 1980 zur Berentung führenden Zuspitzung der nervenärztlichen Erkrankungen des Klägers demnach erst im Anschluss an die Arbeitsplatzprobleme im R-Heim gekommen war.

Nach dem Gesagten kann hier demnach dahinstehen, ob so genannte Brückensymptome bei dem Kläger zwischen 1968 und 1976 vorgelegen haben. Selbst wenn dies nämlich der Fall sein sollte, vermag dies an der Einschätzung, dass die allein entschädigungsrelevante seelische
Erkrankung des Klägers nicht im genannten Sinne wesentlich ursächlich auf den Verfolgungsmaßnahmen durch die Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei (K1) beruht, nichts zu ändern.

Den in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2012 gestellten Beweisanträgen war hier nicht nachzukommen. Soweit der Kläger die Einholung eines so genannten "Obergutachtens" beantragt hat, ist vorab festzustellen, dass es einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" auch im SGG nicht gibt (vgl. nur BSG, Beschluss vom 23. Mai 2006 - B 13 RJ 272/05 B - juris). Das Gericht ist in der Würdigung der Sachverständigengutachten vielmehr grundsätzlich frei; es kann auch ohne Einholung eines weiteren Gutachtens von ihnen abweichen (BSG, Beschluss vom 6. Dezember 1989 - 2 BU 146/89 - juris). Bei widersprechenden Gutachten ist das Gericht aber gehalten, sich mit dem Gutachten, dem es nicht folgt, auseinander zu setzen. Dem ist der Senat hier nachgekommen, indem er im Einzelnen dargelegt hat, warum er dem Gutachten des Sachverständigen T nicht folgt und warum er demgegenüber dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G den Vorzug gibt. Auch aus anderen Gründen musste sich der Senat nicht zu weiterer Beweiserhebung gedrängt fühlen. Namentlich ist das Gutachten des Sachverständigen Dr. G überzeugend, in sich widerspruchsfrei und weckt keine Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 103, Rn. 11c).

Dem Antrag, Dr. M zur Frage des Bestehens von Brückensymptomen als Zeugen zu vernehmen, war nicht nachzukommen, weil es nach obigen Ausführungen auf des Vorliegen oder Fehlen von Brückensymptomen hier nicht ankommt (vgl. zur Entbehrlichkeit auf die Vernehmung eines ordnungsgemäß benannten Zeugen, wenn es auf die unter Beweis gestellte Tatsache nicht ankommt, BSG, Beschluss vom 31. Januar 2008 - B 13 R 53/07 B – juris).

Auch dem Antrag des Klägers, die Gutachter Dr. G, T und die behandelnden Ärzte Dipl.-Med. L und Dr. H zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu befragen, war hier nicht nachzukommen. Die Ärzte sollen nach dem Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung "insbesondere" erläutern, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen der Stasi und der psychischen Erkrankung des Klägers besteht und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu bejahen ist, selbst wenn keine schriftlichen Diagnosen von Brückensymptomen existieren. In Bezug auf die Sachverständigen Dr. G und T ist anzumerken, dass zwar
einem Beteiligten das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Allerdings sind dann die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, ist also zum Beispiel auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinzuweisen (vgl. BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - B 2 U 245/12 B – juris – m. w. N.). Dem genügt der Antrag des Klägers hier nicht, weil er nicht dargelegt hat, was die Sachverständigen aussagen sollen, was sich nicht bereits aus ihren
umfangreichen schriftlichen Gutachten ergibt. Namentlich haben beide Sachverständigen den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen und der psychischen Erkrankung des Klägers im Ergebnis bereits bejaht. In Bezug auf die Ergänzung im
Beweisantrag, "selbst wenn keine schriftlichen Diagnosen von Brückensymptomen existieren", hat der Kläger einerseits keine entscheidungserhebliche Tatsache unter Beweis gestellt. Andererseits haben die Sachverständigen zur Frage der Brückensymptome jeweils eingehend in ihren Gutachten Stellung genommen – was die Sachverständigen mündlich zusätzlich erläutern sollen, hat der Kläger nicht dargelegt.

Soweit Dr. G "befragt werden" – besser wohl: aussagen oder bestätigen - soll, dass ausweislich Seite 26 seines Gutachtens die schwere Angst- und Zwangsstörung des Klägers vor den
Verfolgungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit, also vor Ende März 1966, nicht bestanden habe, war dem schon deshalb nicht nachzukommen, weil der Sachverständige – wie sich aus dem Beweisantrag selbst ergibt – die unter Beweis gestellte Tatsache bereits schriftlich bestätigt hat.

Dr. H war - auch vor dem Hintergrund der umfangreichen Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren - nicht zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu den vom Kläger genannten Beweisthemen zu befragen gewesen, weil dem Senat von diesem eine ärztliche Auskunft vom 30. November 1999 und dessen Schreiben an das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg vom 10. Oktober 1999 vorliegen und der Kläger nicht dargelegt hat, welche darüber
hinausgehenden Tatsachen Dr. H bekunden soll.

In Bezug auf den Antrag des Klägers, die behandelnde Ärztin L zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu befragen, ist anzumerken, dass diese bereits in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. September 2007 vom Sozialgericht als sachverständige Zeugin vernommen worden ist. Die Wiederholung von Zeugenvernehmungen steht zwar grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts (vgl. BSG, Beschluss vom 5. September 2006 - B 7a AL 78/06 B – juris). Sie ist dann notwendig, wenn das Berufungsgericht von der Würdigung der persönlichen Glaubwürdigkeit durch das Erstgericht abweicht, insbesondere die bejahte Glaubwürdigkeit in Zweifel zieht oder eine protokollierte Aussage anders als das Erstgericht verstehen oder die Aussage eines Zeugen oder Beteiligten hinsichtlich des Inhalts und der Tragweite seiner Bekundungen anders würdigen will. Zum einen liegt hier keine der genannten Alternativen vor. Zum anderen hat die Ärztin L vor dem Sozialgericht den nach ihrer Ansicht bestehenden ursächlichen Zusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen und der psychischen Erkrankung des Klägers bejaht und sich in diesem Zusammenhang auch zur Frage der Brückensymptomatik geäußert, mithin zu der unter Beweis gestellte Tatsache bereits ausgesagt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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