L 9 R 5017/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 R 826/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5017/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und dabei u.a., ob und wann der Leistungsfall eingetreten ist und ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

Die 1961 geborene Klägerin, bei der seit 26.10.2007 ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt ist, war zuletzt als Fabrikarbeiterin beschäftigt. Wegen häufiger Krankheitszeiten wurde ihr zum 1.5.2005 gekündigt; seit dem 10.1.2005 bestand Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin bezog bis zum 30.5.2005 Kranken- bzw. Übergangsgeld und anschließend bis 29.5.2006 Arbeitslosengeld. Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 8.10.2010 weist die Klägerin nach dem 29.5.2006 keine Versicherungszeiten auf. Ab Oktober 2009 übte die Klägerin eine geringfügige Beschäftigung aus (Betreuung einer älteren Dame).

Am 10.8.2010 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf eine psychische Erkrankung, Schwerhörigkeit und Arthrose die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin von der Ärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. K. begutachten. Diese stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 24.9.2010 folgende Gesundheitsstörungen fest: Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk bei Impingementsyndrom mit erfolgter Arthroskopie, rezidivierende Rückenschmerzen bei Aufbraucherscheinungen vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS), ohne relevante aktuelle Funktionseinschränkungen sowie rezidivierende, multiple Gelenksschmerzen bei Aufbraucherscheinungen beider Hüftgelenke und des linken Kniegelenks ohne wesentliche Funktionseinschränkungen. Weiterhin sei eine psychische Erkrankung (depressive Anpassungsstörung, chronifizierte Angststörung mit Agoraphobie, Somatisierungssyndrom, aktuell keine schwere Ausprägung ersichtlich) dokumentiert. Die Klägerin habe anamnestisch eine Schwerhörigkeit (Verständigung ohne Hörgeräte ist problemlos möglich) sowie eine Laktoseintoleranz angegeben. Dr. Klose gelangte zum Ergebnis, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung könne die Klägerin sechs Stunden und mehr verrichten. Dabei sollten insbesondere Stressbelastungen (extremer Zeitdruck, Nachtschicht u.ä.), Zwangshaltungen sowie derzeit auch Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die grobe Kraft des rechten Armes nicht abverlangt werden.

Mit Bescheid vom 8.10.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rente nicht erfülle. Zur Begründung führte sie aus, als möglichen Eintritt der Erwerbsminderung habe sie den 10.8.2010 angenommen. In dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 10.8.2005 bis zum 9.8.2010 habe die Klägerin nur 10 Monate, anstelle der erforderlichen 36 Monate, mit Pflichtbeiträgen belegt. Auch die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 in Verbindung mit § 53 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und des § 241 SGB VI lägen nicht vor. Da die Klägerin bereits die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle, habe sie nicht weiter geprüft, ob die Klägerin erwerbsgemindert sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.10.2010 Widerspruch ein und trug vor, die Erwerbsminderung sei schon früher, ca. im Jahr 2004, eingetreten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, wie sich aus der Beurteilung des sozialmedizinischen Dienstes ergebe. Darüber hinaus lägen auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 27.12.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, sie sei seit ca. 2004 erwerbsgemindert. Aufgrund ihrer Erkrankungen sei sie nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach der Operation vom 28.7.2010 könne sie ihren rechten Arm kaum bewegen. Auch verschlechtere sich ihre psychische Situation immer mehr.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin, den Arzt für Nervenheilkunde K. (Auskunft vom 17.5.2011: Leistungsvermögen unter 3 Stunden seit Dezember 2009; Auskunft vom 19.9.2011: Leistungseinschränkung besteht seit dem Jahr 2005; erneute Verschlechterung 2007, von 2005 bis jetzt keine gravierende Verbesserung; aus nervenärztlicher Sicht besteht Erwerbsunfähigkeit) und den Orthopäden Dr. B. (Auskunft vom 17.6.2011: Leichte Tätigkeiten vollschichtig; derzeit wegen einer Arthroskopie der rechten Schulter im März 2011 arbeitsunfähig) schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein Gutachten bei Dr. S., Arzt für Neurologie und Psychiatrie am Zentrum für Psychiatrie W., eingeholt. Dieser hat bei der Klägerin im Gutachten vom 14.2.2012 eine Panikstörung und eine chronifizierte leichte Depression festgestellt. Er führte aus, trotz der aus den Unterlagen hervorgehenden Vorgeschichte und der bei seiner gutachterlichen Untersuchung erhobenen Befunde sei aufgrund der psychiatrischen Diagnosen nicht von einer quantitativen Leistungseinschränkung auszugehen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien der Klägerin sechs Stunden täglich möglich. Ihr seien keine Arbeiten mit häufigem Wechsel des Arbeitsplatzes, häufigem Zeitdruck oder hoher Verantwortung bzw. hohen Ansprüchen an das Konzentrationsvermögen zumutbar. Aufgrund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet sollten Arbeiten mit Zwangshaltungen oder hohen Ansprüchen an die Körperkraft und eine hohe Belastung der Schultergelenke vermieden werden.

Nach Vorlage einer Stellungnahme des Arztes K. vom 14.3.2012 und Einholung einer weiteren Zeugenaussage bei diesem Arzt vom 27.7.2012 hat Dr. S. in der ergänzenden Stellungnahme vom Oktober 2012 ausgeführt, eine phobische Störung führe üblicherweise nicht zu einer zeitlichen Leistungsminderung. Eine generalisierte Angststörung könne nur bei sehr ausgeprägten Beeinträchtigungen der Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben eine zeitliche Leistungseinschränkung begründen. Die sozialmedizinische Beurteilung von Panik-attacken sei von deren Frequenz und Dauer abhängig. Ausgehend von den "Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung für Menschen mit psychischen Störungen" sei bei der Klägerin nicht von einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens auszugehen. Die grundsätzliche Problematik, dass Patienten, die so lange wie die Klägerin unter einer psychischen Krankheit aus dem Formenkreis der Angststörung bzw. der depressiven Störung litten, sich subjektiv nicht mehr in der Lage fühlten, eine Arbeitsstelle auszufüllen, deute er in seinem Gutachten an. Inwieweit bei dieser subjektiven Überzeugung von einer bestehenden Leistungsminderung mit Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit auszugehen sei, sei eher eine normative Entscheidung, als eine fachpsychiatrische.

Mit Urteil vom 23.10.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Das SG stütze seine Überzeugung insoweit auf das Gutachten von Dr. S ... Da die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderung nicht vorlägen, seien die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei der Klägerin nicht zu prüfen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären nur bei einem Leistungsfall bis Juni 2008 gegeben. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 7.11.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3.12.2012 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG verkenne, dass sie voll erwerbsgemindert sei. Dies ergebe sich aus den Beurteilungen des Nervenarztes K ... Als langjährig behandelnder Arzt sei nur er in der Lage, eine ausschlaggebende fachärztliche Beurteilung abzugeben. Die Klägerin hat eine ärztliche Stellungnahme des Arztes für Nervenheilkunde K. vom 10.1.2013 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Oktober 2012 und dem Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen. Sie verweise auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Mit Verfügung vom 18.12.2012, 22.1.2013 und 31.1.2013 hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das Landessozialgericht - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 18.12.2012, 22.1. und 31.1.2013 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit- §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht besteht, weil die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück. Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240Abs. 1 SGB VI scheidet darüber hinaus auch schon deshalb aus, weil die Klägerin nicht vor dem 2.1.1961 geboren ist, sondern erst am ... 1961.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass Dr. S. im Gutachten vom 14.2.2012 und in der ergänzenden Stellungnahme von Oktober 2012 auch für den Senat nachvollziehbar und überzeugend begründet hat, dass die auf psychiatrischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht zu derart gravierenden Funktionsstörungen führen, dass auch leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden täglich nicht mehr möglich wären. Die Ausführungen des behandelnden Arztes K. sind – unter Berücksichtigung des strukturierten Tagesablaufs der Klägerin, der ihr noch möglichen Aktivitäten, der Betreuung einer älteren Dame und der verbliebenen Kontakte – nicht geeignet, Zweifel an dem Gutachten von Dr. S. hervorzurufen oder dieses zu widerlegen. Der Umstand, dass der Arzt für Nervenheilkunde K. die Klägerin schon jahrelang behandelt, bedeutet nicht, dass er, als behandelnder Arzt, das Leistungsvermögen der Klägerin besonders gut und mit kritischer Distanz beurteilen kann. Darüber hinaus vermag seine Einschätzung den Senat schon angesichts seiner widersprüchlichen Angaben (Eintritt des Leistungsfalls im Dezember 2009, so Zeugenaussage vom 17.5.2011 bzw. Eintritt des Leistungsfalls im Jahr 2005, so Zeugenaussage vom 19.9.2011) nicht zu überzeugen. Darüber hinaus war er als behandelnder Arzt auch nicht in der Lage, die Klägerin zu einer auch von ihm als sinnvoll erachteten stationären Behandlung zu bewegen, obwohl seine Behandlungsmaßnahmen bei der Klägerin – so seine Angaben – seit 2005 zu keiner wesentlichen Besserung führten.

Soweit die Klägerin geltend macht, ihr Leistungsvermögen sei schon seit dem Jahr 2004 gemindert, spricht gegen den Eintritt eines Leistungsfalls zu diesem Zeitpunkt, dass die Klägerin vom 31.5.2005 bis 29.5.2006 Arbeitslosengeld bezogen hat, wofür Voraussetzung ist, dass die Klägerin in der Lage war, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Darüber hinaus war sie auch noch ab Oktober 2009 in der Lage, drei- bis viermal pro Woche über eineinhalb bis drei Stunden eine ältere Dame zu betreuen, auf sie aufzupassen, ihr zu essen und zu trinken zu geben sowie darauf zu achten, dass sie zur Toilette geht. Angesichts dessen und der Feststellungen in den Gutachten von Dr. K. und Dr. S. vermag auch den Senat die Beurteilung des Nervenarztes K., der die Klägerin als erwerbsunfähig bzw. unter drei Stunden leistungsfähig ansieht, nicht zu überzeugen.

Unabhängig davon, dass eine Leistungsminderung schon nicht nachgewiesen ist, ist insbesondere nicht feststellbar, dass ein Leistungsfall spätestens am 30.6.2008 eingetreten ist, zumal nur dann die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären. Denn weder Dr. K. noch Dr. S. vermochten bei ihren gesundheitlichen Untersuchungen vom 23.9.2010 bzw. 30.1.2012 derart gravierende Funktionseinschränkungen bei der Klägerin festzustellen, die im Jahr 2010 bzw. 2012 zu einem unter sechsstündigen Leistungsvermögen geführt hätten. Angesichts dessen fehlen sämtliche Anhaltspunkte für einen schon zuvor, spätestens am 30.6.2008, eingetretenen Leistungsfall.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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