L 3 R 140/08

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 R 2766/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 140/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der aufgrund einer Vielzahl unter anderem bei den Hamburger Sozialgerichten geführter Rechtsstreitigkeiten gerichtsbekannte Kläger – auf die Auflistung in den Stammblättern der Gerichtsakte und den Inhalt der dort genannten Akten wird Bezug genommen – begehrt so gestellt zu werden, als wäre ihm nicht mit Wirkung vom 1. November 1983 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt und diese über verschiedene Stellen ausgezahlt worden, und des Weiteren die Weiterbeschäftigung bei seinem letzten Arbeitgeber, dem N.

Der 1947 geborene Kläger hat nach seinen Angaben im Anschluss an den Haupt-schulabschluss von 1963 bis 1966 eine Ausbildung als Filmkopienfertiger absolviert. Im Jahre 1969 wurde er zum Kameraassistenten ausgebildet und war anschließend in diesem Beruf bis Anfang Oktober 1975 erwerbstätig, zuletzt beim N. als freier Mitarbeiter auf Grund so genannter Stückverträge. In den Jahren 1976 und 1978 war er noch tageweise insbesondere für Radio B. als Kameramann beschäftigt. Ab Oktober 1975 bezog er Arbeitslosengeld und ab April 1976 zunächst Arbeitslosenhilfe. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund, zuvor Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) bewilligte ihm auf den Antrag seines seinerzeitigen Pflegers mit Bescheid vom 22. Januar 1985 Rente wegen Erwerbs¬unfähigkeit auf unbestimmte Zeit ab dem 1. November 1983. Der Kläger, der sich nicht für erwerbsunfähig hielt und hält, hat diese Rente nie akzeptiert und strebt seit 1976 seine Weiter- bzw. Wiederbeschäftigung beim N. an. Zu diesem Zweck hat er zahlreiche Verfahren in der hamburgischen Arbeitsgerichtsbarkeit anhängig gemacht, die sämtlich erfolglos geblieben sind.

Darüber hinaus waren und sind zahllose Gerichtsverfahren außer in der hamburgischen Sozialgerichtsbarkeit auch in anderen Gerichtszweigen der hamburgischen Gerichts¬bar¬keit und im Freistaat Sachsen anhängig, mit denen der Kläger u. a die Rehabilitierung seiner Person und Schadensersatzforderungen geltend gemacht hat. Er hat ferner zahlreiche Rechtsstreite gegen die Beklagte geführt, in welchen er wiederholt erfolglos die Aufhebung bzw. die Annullierung des Rentenbescheides bzw. Restitution beantragt hat.

Vorliegend beantragte der Kläger unter dem 18. April 2005 die Vergabe einer neuen Versicherungsnummer sowie eine Kontenführung durch die Landesversicherungsanstalt Hamburg. Im September 2005 beantragte der Kläger mehrfach die Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung durch die LVA Hamburg. Die Beklagte leitete die Schreiben des Klägers an Deutsche Rentenversicherung Bund weiter. Hierüber entstand ein Schriftwechsel, weil der Kläger mit dieser Weiterleitung offenbar nicht einverstanden war, sondern die Beklagte als zuständig erachtete.

Schließlich hat der Kläger am 7. November 2005 Klage mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zu verpflichten "seine Reha- und Revision mit dem Neuanfangsantrag vom 18.04.2005 ins Berufs- und Erwerbsleben wieder einzuführen."

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2008 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, die Beklagte habe keinen Verwaltungsakt erlassen, gegen welchen sich der Kläger mit der Klage wenden könne. Zudem sei die Klage auch wegen partieller Prozessunfähigkeit des Klägers unzulässig.

Der Kläger hat gegen das ihm am 13. Juni 2008 zugestellte Urteil am 13. Juni 2008 Berufung eingelegt mit folgender Begründung: "Ich kann mit diesem Gerichtsbescheid ohne Anberaumungstermin, ohne Rechtsbeistand nicht einverstanden sein."

Der Kläger beantragt nunmehr (wörtlich),

die ausgezahlten Ruhegelder 01.11.1983 an Zweit- und Drittpersonen mir in meine Rentenkasse zurückzuerstatten oder zu zahlen. Außerdem sind mir die außer- und gerichtlichen Kosten und Rechtsanwaltskosten, meine Auslagen, meine Mehrkosten durch die Ärzte als Kostenerlassung und als Kostenübertragung von der Gegenpartei zurückzuerstatten

sowie

da bereits die Grundsicherung als Geldverwaltung zum 31.08.2006 beendet wurde, die heutige Grundsicherung als Geldverwaltung nach SGB XII zu werten und zu berechnen bzw. aufzuheben. Durch eine einmalige Zahlung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für die letzten zwei Jahre an die Bundesagentur für Arbeit zu leisten. Damit mein Widerspruch gegenüber Bescheinigung 13.12.2011 Bundessagentur für Arbeit aufgehoben wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Durch Beschluss vom 3. April 2009 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Am Tag der mündlichen Verhandlung, dem 24. Juli 2012, hat der Kläger im Verlauf einer mündlichen Verhandlung vom selben Tag in anderer Sache vor dem Senat in seiner vollständigen Besetzung erneut medizinische Unterlagen und Atteste vorgelegt. Unter Hinweis hierauf behauptet er, er stehe dem Arbeitsmarkt zu Verfügung. Auch hat er einen Lebenslauf, Qualifikationsnachweise und Unterlagen über selbstgesuchte Fortbildungsmaßnahmen zu den Akten gereicht. Hierzu trägt er vor, er sei in ungekündigter Stellung beim N. und habe deshalb rückwirkend Ansprüche. Zudem habe er nie selbst einen Rentenantrag gestellt und auch von ärztlicher Seite sei nie Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden. Auf diese Feststellung lege er Wert. Schließlich hat der Kläger eine Sammlung von Sitzungsprotokollen von den von ihm geführten Verfahren überreicht. Er trägt insoweit vor, das Protokoll des Verhandlungstages komme da noch hinzu. Er sei auch überall selber anwesend gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung und hier insbesondere des Vorbringens des Klägers wird auf die Sitzungsniederschrift in diesem Verfahren und in den Verfahren L 3 R 150/10, L 3 R 151/10 und L 3 R 5/11 Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 24. Juli 2012 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie ist nicht schon wegen der fehlenden Prozessunfähigkeit des Klägers, von welcher der Senat im Übrigen nicht zuletzt aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindrucks überzeugt ist, unzulässig.

Zwar ist für die Zulässigkeit der Berufung grundsätzlich die Prozessfähigkeit des Berufungsklägers als Prozesshandlungsvoraussetzung erforderlich. Jedoch muss im Interesse eines vollständigen Rechtsschutzes auch der Prozessunfähige die Möglichkeit haben, den Prozess durch seine Handlungen in die höhere Instanz zu bringen. Dies gilt anerkanntermaßen für das Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, dass sie in der Vorinstanz zu Unrecht als prozessfähig oder als prozessunfähig behandelt worden ist (BSG, Beschluss v. 29.7.2005 – B 7a AL 162/05 B- Juris; BGH, Urteil v. 4.11.1999 – III ZR 306/98 - BGHZ 143, 122-128). Andernfalls bliebe ein an dem Verfahrensverstoß leidendes Urteil der unteren Instanz aufrechterhalten, erwüchse in Rechtskraft und könnte nur mit der Nichtigkeitsklage beseitigt werden (BGH a.a.O.). Gleiches gilt, wenn die Partei, deren Prozessfähigkeit fraglich ist, sich gegen ein in der Vorinstanz gegen sie ergangene Sachurteil wendet und mit ihrem Rechtsmittel ein anderes, ihrem Begehren entsprechendes Sachurteil erstrebt (BGH, Urteil v. 8.12.2009 – VI ZR 284/08 - FamRZ 2010, 548-550). Denn auch in diesem Fall würde mit der Verwerfung der Berufung als unzulässig ein möglicherweise fälschlich ergangenes Urteil bestätigt, obwohl es sich bei der Prozessfähigkeit der Partei um eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung handelt. Aus den genannten Gründen ist der Kläger jedenfalls für die Einlegung der Berufung als prozessfähig zu betrachten.

Jedoch ist die Berufung unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, denn der Kläger ist zur Überzeugung des Senats prozessunfähig.

Wie verschiedene Senate des erkennenden Gerichts bereits mehrfach entschieden haben (siehe etwa Urteil vom 14.10.2004 – L 5 AL 57/04; Beschluss vom 1.9.2005 – L 5 B 88/05 ER AS; Beschlüsse vom 20.8.2008 – L 5 B 229/08 PKH AS u. a.; Beschluss vom 16.12.2008 – L 5 B 1077/08 PKH AS; Beschluss vom 9.11.2009 – L 5 B 411/09 ER AS; ebenso Urteil des 1. Senats vom 11.10.2006 – L 1 KR 17/06 – und Beschluss vom 26. Januar 2009 – L 1 R 6/07 sowie Urteil vom 24.11.2010 – L 4 SO 61/10), ist der Kläger zwar nicht als vollen Umfangs geschäftsunfähig anzusehen. Aufgrund der maßlosen Inanspruchnahme der Gerichte mit Verfahren, die in Zusammenhang mit der Beendigung seiner Tätigkeit beim N., seiner nachfolgenden Arbeitslosigkeit und dem Begehren nach Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche trotz festgestellter Erwerbsunfähigkeit stehen, ist jedoch insoweit von einer partiellen Geschäfts- und Prozessunfähigkeit auszugehen. Dem schließt sich nunmehr auch dieser Senat mit Blick auf die große Anzahl von Verfahren des Klägers vor den Hamburger Sozialgerichten (und auch vor den Hamburger Verwaltungs- und Arbeitsgerichten), den Umfang seiner Prozessführungstätigkeit und die zwanghafte, teils konfuse Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche im näheren und ferneren Zusammenhang mit einer Wiedereingliederung ins Berufsleben an.

Davon, dass der Kläger partiell prozessunfähig ist, soweit Lebensbereiche betroffen sind, die im Zusammenhang mit der Beendigung seiner Tätigkeit beim N. und seiner nachfolgenden Arbeitslosigkeit sowie dem nachfolgenden Bezug von Erwerbs-minderungsrente und Leistungen der Grundsicherung stehen, hat sich der Senat in der mündlichen Verhandlung auch aktuell überzeugen können. Eine sachliche Erörterung des Sachverhalts mit dem Kläger war nicht möglich, da dieser unmittelbar das ihn beherrschende Thema zur Sprache brachte. Eindrucksvoll hat der Kläger dokumentiert und auch ausdrücklich bestätigt, dass die Vielzahl der angestrengten Verfahren für ihn keinen konkreten Bezug jeweils zu einem bestimmten beanstandeten Verwaltungs¬handeln haben, sondern dass es ihm immer und einzig um die Feststellung eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum N. und einer bestehenden Erwerbs¬fähigkeit geht. Hierum kreist sein ganzes Denken und Handeln, so dass er auch die Vielzahl und Sinnleere der anhängigen Verfahren zu keiner Zeit hinterfragt, sondern schlicht alle Verfahren – ohne Rücksicht auf ihre formelle und materielle Rechtfertigung im Einzelfall – zu diesem einen Punkt hinführen möchte.

Gleichwohl war die Bestellung eines besonderen Vertreters durch das Sozialgericht nicht angezeigt. Sie ist bei Querulanten und wenn das Rechtsmittel aus anderen Gründen unzulässig ist oder bei zweifellos aussichtsloser und abwegiger Rechtsverfolgung nicht notwendig (vgl. Keller/Leitherer, a.a.O, § 72 Rn. 2 c, s. a. BSG, Urteil v. 3.7.2003 - B 7 AL 216/02 B - SozR 4-1500 § 72 Nr. 1). Das ist vorliegend der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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