L 4 P 5/12 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 21 P 91/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 P 5/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. April 2012 wird aufgehoben.

Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

Eine Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss, mit dem das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen hat. In der Hauptsache begehrt sie die Erstattung von Kosten für ein von ihr in Auftrag gegebenes Pflegegutachten in Höhe von 450 EUR.

Sie bezieht von der Beschwerdegegnerin seit 2008 Leistungen nach der Pflegestufe III. Vom 25. August bis 7. September 2011 unterzog sie sich im Diakoniekrankenhaus H. wegen zunehmender Verwirrtheit bei bekannter Demenz einer geriatrischen Komplexbehandlung mit physio- und ergotherapeutischer Beübung nebst aktivierender Pflege. Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses ist bei der Beschwerdeführerin ein deutlicher Leistungszuwachs eingetreten und weiteres Rehapotential im Rahmen einer geriatrischen tagesklinischen Behandlung vorhanden. Über einen bereits gestellten Antrag habe die Krankenkasse noch nicht entschieden. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ließ der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI vom 13. September 2011 durch die unabhängige Pflegegutachterin S. G. erstellen. Diese stellte ihm hierfür am 12. Oktober 2011 450 EUR in Rechnung.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2011, bei der Beschwerdegegnerin am 24. Oktober 2011 eingegangen, nahm der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin Bezug auf seinen "letzten Antrag auf Höherstufung" sowie auf die beantragte Rehabilitationsmaßnahme, über die noch nicht entschieden sei. Der Beschwerdegegnerin sei der seit dem Krankenhausaufenthalt dramatisch gestiegene Hilfebedarf der Beschwerdeführerin bekannt und ihr liege ein entsprechender Höherstufungsantrag vor. Da ihm bisher weder der Umfang noch die Art der Hilfeleistungen entsprechend den Bestimmungen des SGB XI mitgeteilt worden sei, habe er selbst ein Pflegegutachten in Auftrag gegeben. Dieses übersandte er an die Beschwerdegegnerin und beantragte die Erstattung der hierfür gezahlten Kosten.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 teilte die Beschwerdegegnerin mit, den Antrag auf eine geriatrische teilstationäre Krankenhausbehandlung entsprechend weitergeleitet zu haben. Bezüglich des Sachstands zur Entscheidung über die Pflegestufe 4 werde auf das laufende Klageverfahren verwiesen. Eine Kostenerstattung für das Pflegegutachten sei nicht möglich, da es nicht von der Beschwerdegegnerin veranlasst worden sei.

Dagegen legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. November 2011 Widerspruch ein: Der Beschwerdegegnerin liege der Antrag auf Höherstufung vom 13. September 2011 vor. Erst am 19. Oktober 2011 habe der SMD die Beschwerdeführerin in ihrer Häuslichkeit untersucht; Feststellungen bezüglich ihrer Pflegebedürftigkeit lägen jedoch bis heute nicht vor. Die Pflege sei seit der Entlassung aus dem Krankenhaus am 7. September 2011 sicherzustellen gewesen. Das anhängige Gerichtsverfahren beziehe sich auf einen Antrag aus Januar 2011. Die im Zusammenhang mit diesem Verfahren erstellten Gutachten könnten den etwaigen Hilfebedarf nach dem im August 2011 aufgetretenen Schlaganfall nicht berücksichtigen.

Ebenfalls mit Schreiben vom 1. November 2011 hat die Beschwerdeführerin Klage beim Sozialgericht Halle mit dem Begehren erhoben, die Beschwerdegegnerin zu verurteilen, ihr die für das Pflegegutachten entstandenen Kosten in Höhe von 450 EUR zu erstatten. Sie ist der Auffassung, die Beschwerdegegnerin sei ihren Verpflichtungen zur Sicherstellung der Pflege und zur entsprechenden Beratung nach dem SGB XI nicht nachgekommen.

Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, der Höherstufungsantrag sei am 15. September 2011 bei ihr eingegangen und die Beschwerdeführerin sei am 19. Oktober 2011 in ihrer Häuslichkeit begutachtet worden, wobei der bereits vorher vorliegende Pflegebedarf nach der Pflegestufe III bestätigt worden sei. Die Entscheidung sei ihr mit Bescheid vom 3. November 2011 mitgeteilt worden. Die Bearbeitungszeit habe mithin sieben Wochen betragen. Die Notwendigkeit einer Ersatzvornahme zur Sicherung der Pflege könne nicht nachvollzogen werden. Völlig unverständlich sei, aus welchem Grund die Beschwerdeführerin bereits am 13. September 2011 und somit bereits vor der Beantragung der Höherstufung habe begutachtet werden müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2011 hat der Widerspruchsausschuss der Beschwerdegegnerin den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen, da es sich bei dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 28. Oktober 2011 nicht um einen Verwaltungsakt, sondern lediglich um ein Antwortschreiben in Form einer individuellen Auskunft gehandelt habe. Eine unmittelbare rechtliche Regelung – die Voraussetzung für einen Verwaltungsakt sei – sei damit nicht beabsichtigt. Der Widerspruchsbescheid werde Gegenstand des Klageverfahrens.

Die Beschwerdeführerin hat hierzu ausgeführt, sie gehe davon aus, dass es sich bei dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 28. Oktober 2011 um einen Ablehnungsbescheid und somit um einen Verwaltungsakt handele. Einen anderen Bescheid habe die Beschwerdegegnerin bis heute nicht zu diesem Antrag erlassen.

Auf einen Hinweis des Sozialgerichts Halle, dass für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlicher Pflichten die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig und daher eine Verweisung an das Landgericht Halle beabsichtigt sei, hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, sie begehre keinen Schadensersatz, sondern die Kostenerstattung für eine Ersatzvornahme nach dem Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX. Sie hat diesbezüglich auf die §§ 15, 18 Abs. 3 SGB IX Bezug genommen und des weiteren auf die Vorschriften des SGB XI sowie § 62 SGB XII verwiesen. Für eine Entscheidung hierüber sei das Sozialgericht Halle zuständig.

Mit Beschluss vom 3. April 2012 hat das Sozialgericht Halle den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Halle verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beschwerdeführerin mache Ersatzansprüche in Geld außerhalb eines öffentlichrechtlichen Vertragsverhältnisses geltend und begründe den Anspruch mit Pflichtverletzungen der Beschwerdegegnerin. Ein Anspruch nach § 15 SGB IX könne nicht bestehen, da die Anfertigung eines Pflegegutachtens keine Leistung zur Teilhabe und die Beschwerdegegnerin kein Träger der Leistungen zur Teilhabe sei. Für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlichrechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhten, seien die ordentlichen Gerichte zuständig.

Die Beschwerdeführerin hat gegen den ihr am 7. April 2012 zugestellten Beschluss am 11. April 2012 Beschwerde erhoben und geltend gemacht: Das Sozialgericht habe allein fünf Monate zur Prüfung der Zuständigkeit benötigt. Die Rechtsansicht des Sozialgerichts sei unverständlich, da bisher in all seinen Klageverfahren gegen die Beschwerdegegnerin die Sozialgerichtsbarkeit zuständig gewesen sei. Er habe für die Beschwerdeführerin keine höheren Leistungen, sondern eine neue Begutachtung zur Sicherstellung der Pflege nach dem Krankenhausaufenthalt beantragt. Ohne eine Begutachtung durch eine unabhängige Pflegegutachterin wäre der tatsächliche Hilfebedarf bis heute nicht sicher festgestellt worden. Die Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gehöre nach § 18 SGB XI zu den Leistungen der Beschwerdegegnerin. Diese Leistung habe sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist erbracht. Die Beschwerdegegnerin sei als gesetzliche Krankenkasse auch Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 SGB IX. Für den Fall der Zurückverweisung an das Sozialgericht Halle werde gegen den Vorsitzenden der ursprünglich entscheidenden Kammer vorsorglich ein Befangenheitsantrag gestellt.

Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. April 2012 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zur Kostenerstattung in Höhe von 450 EUR zu verurteilen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

In der Sache hat sie keine Ausführungen gemacht.

II.

Die Beschwerde ist in Bezug auf das Anfechtungsbegehren nach § 17 Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in Verbindung mit § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Es handelt sich insbesondere nicht um einen unanfechtbaren Beschluss nach § 98 SGG, da diese Vorschrift nur für Verweisungen innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit, nicht bei einer Verweisung an einen anderen Gerichtszweig gilt.

Insoweit ist die Beschwerde auch begründet und der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. April 2012 war daher aufzuheben (dazu 1.). In Bezug auf das Begehren, die Beschwerdegegnerin zur Kostenerstattung in Höhe von 450 EUR zu verurteilen, ist die Beschwerde nicht zulässig (dazu 2.). Zu einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter einen Richter des Sozialgerichts ist der Senat mangels Zuständigkeit nicht berufen (dazu 3.).

1. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist zulässig. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden nach § 51 Abs. 1 SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u. a. in allen Angelegenheiten der Sozialversicherung und in den Angelegenheiten der Sozialhilfe. Die Beschwerdeführerin wünscht eine Entscheidung über einen Kostenerstattungsanspruch nach den gesetzlichen Regelungen der verschiedenen Sozialgesetzbücher. Sie ist der Auffassung, die Beschwerdegegnerin sei ihren Verpflichtungen zur Sicherstellung der Pflege und zur entsprechenden Beratung nach dem SGB XI nicht nachgekommen. Die Beschwerdegegnerin sei nach §§ 15, 18 Abs. 3 SGB IX sowie nach den Vorschriften des SGB XI und SGB XII zur Kostenerstattung verpflichtet. Nachdem die Beschwerdegegnerin selbst keine Begutachtung vorgenommen habe, sei eine Ersatzvornahme erforderlich geworden. Damit hat sie deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Entscheidung über einen solchen Kostenerstattungsanspruch begehrt.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach den gesetzlichen Regelungen der verschiedenen Sozialgesetzbücher ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 51 Abs. 1 SGB V. Daher ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Das Sozialgericht Halle hat bisher nicht über den geltend gemachten Anspruch entschieden. Der vom Sozialgericht erlassene Verweisungsbeschluss vom 3. April 2012 beinhaltet nicht zugleich eine Klageabweisung bezüglich des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruches. Denn über die Klage wird durch Urteil (§ 125 SGG) oder durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs. 1 SGG) entschieden. Eine Entscheidung durch Beschluss ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Das Sozialgericht Halle durfte den Rechtsstreit aufgrund des ausdrücklich verlautbarten entgegenstehenden Willens der Beschwerdeführerin nicht an das Landgericht Halle verweisen. Der Streitgegenstand einer Klage wird vom Kläger bestimmt. Hier hat die Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Verweisung deutlich zum Ausdruck gebracht, keinen Amtshaftungsanspruch zu verfolgen. Eine solche Klage kann ihr nicht durch eine Verweisung an das Landgericht aufgedrängt werden. Die Beschwerdeführerin hat den Streitgegenstand, über den sie eine Entscheidung begehrt, klar umrissen, für den allein die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist. Eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht kommt daher nicht in Betracht.

Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. April 2012 war daher aufzuheben. Mit der Aufhebung fällt der Rechtsstreit in die Zuständigkeit des Sozialgerichts zurück.

2. Sofern das Begehren der Beschwerdeführerin darüber hinaus auch auf eine Entscheidung über den Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 450 EUR durch das Landessozialgericht gerichtete sein sollte, ist die Beschwerde unzulässig. Der Senat versteht den Antrag der Beschwerdeführerin insbesondere aufgrund ihres letzten Schriftsatzes in diesem Sinne. Zudem ist bei einer Unklarheit die Auslegung zu wählen, die eine möglichst umfassende Prüfung erlaubt. Da das erstinstanzliche Gericht jedoch über den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch noch keine Entscheidung getroffen hat, kommt eine Entscheidung durch den Senat nicht in Betracht. Eine Beschwerdemöglichkeit ist schon mangels Erstentscheidung nicht eröffnet.

3. Bezüglich des von der Beschwerdeführerin für den Fall der Zurückverweisung an das Sozialgericht Halle vorsorglich gestellten Befangenheitsantrags gegen den Vorsitzenden der ursprünglich entscheidenden Kammer ist der Senat nicht berufen, da er hierfür nicht zuständig ist. Er hat daher auch nicht darüber zu befinden, ob der Befangenheitsantrag unzulässigerweise unter einer Bedingung gestellt wurde. Die Entscheidung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen nach § 60 SGG in Verbindung mit §§ 41 - 49 Zivilprozessordnung (ZPO) trifft das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört (§ 45 Abs. 1 ZPO). Für diese Entscheidung ist nach § 60 SGG in Verbindung mit § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO ein anderer Richter des Sozialgerichts zuständig.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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