L 8 LW 20/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 14 LW 6/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 LW 20/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 13.11.2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Beitragsforderung der Antragsgegnerin.

Die 1973 geborene Antragstellerin heiratete am 9.6.2009 den Landwirt T, dessen Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte mit Bescheid vom 1.9.1988 festgestellt und der ab dem 30.12.1996 von der Versicherungspflicht befreit worden ist (Bescheid v. 5.3.1997). Unter dem 10.8.2012 teilte die Antragstellerin das Datum der Eheschließung mit. Die Antragsgegnerin stellte daraufhin ihre Versicherungspflicht als Ehegattin eines Unternehmers ab dem 9.6.2009 sowie eine bislang aufgelaufene Beitragsschuld von 8.483,00 Euro und eine laufende Beitragsverpflichtung von 224,00 Euro ab September 2012 fest (Bescheid v. 16.8.2012). Mit Schreiben vom 3.9.2012 bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um Einhaltung der Fälligkeitstermine zur Vermeidung eines Mahnverfahrens. Am 12.9.2012 beantragte die Antragstellerin die Befreiung von der Versicherungspflicht. Diesem Antrag entsprach die Antragsgegnerin für die Zeit ab dem 12.9.2012; zugleich bezifferte sie die offene Forderung gegen die Antragstellerin auf nunmehr 8.707,00 Euro (Bescheid v. 14.9.2012). Die Antragstellerin erhob gegen die Bescheide vom 16.8.2012 und 14.9.2012 sowie gegen das Schreiben vom 3.9.2012 Widerspruch.

Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat die Antragstellerin vorgetragen, dass die in § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) geregelte Frist von drei Monaten für einen Befreiungsantrag auch für sie erst mit Zugang des Bescheides über die Versicherungspflicht beginnen dürfe. Andernfalls liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Vollziehung der Bescheide der Antragsgegnerin vom 16.8.2012, 3.9.2012 und 14.9.2012 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Antragsgegnerin anzuordnen.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, dass die Drei-Monats-Frist ab Bekanntgabe des Mitglieds- und Beitragsbescheides nach der ausdrücklichen Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 4 ALG nicht gelte, wenn die Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 3 ALG wegen erfolgter Eheschließung mit einem Landwirt beginne, dessen Versicherungspflicht zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestellt gewesen sei.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat den Antrag abgelehnt und sich zur Begründung u.a. auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 16.11.2011 (L 8 LW 20/11 B ER) bezogen. Schwere und unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin seien durch eine sofortige Vollziehung des Bescheides nicht zu erkennen.

Mit der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

Sie beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Münster vom 13.11.2012 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 2.10.2012 gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 14.9.2012 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss des SG für richtig.

Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin haben bei Beschlussfassung vorgelegen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 14.9.2012, soweit sie darin zur Zahlung von Beiträgen aufgefordert wird, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Versicherungs- und Beitragspflichten sowie die Anforderung von Beiträgen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; juris und sozialgerichtsbarkeit.de; jeweils m.w.N.).

Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung ergeben sich nicht, da die Antragstellerin mit ihrem Begehren, bereits ab dem 9.6.2009 von der Versicherungspflicht befreit zu werden, im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Erfolg haben und die Zahlungsaufforderung der Antragsgegnerin sich deshalb nicht als rechtswidrig erweisen wird.

§ 3 Abs. 2 Satz 1 ALG erlaubt eine Befreiung der Antragstellerin erst vom Eingang des Antrags an, da die Antragstellerin ihn nicht innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen gestellt hat. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 4 ALG i.V.m. § 34 Abs. 2 Satz 3 ALG, wonach die Drei-Monats-Frist erst mit der Bekanntgabe des Bescheides über die Versicherungspflicht gilt, findet hier keine Anwendung, weil die Versicherungspflicht der Antragstellerin nach § 1 Abs. 3 ALG wegen Eheschließung mit einem Landwirt nach § 1 Abs. 2 ALG begonnen hat, dessen Versicherungspflicht zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestellt worden war. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes kommt es dabei nur auf die Feststellung der Versicherungspflicht an. Ob der Landwirt - wie im vorliegenden Fall - nach Feststellung der Versicherungspflicht von dieser befreit worden ist, ist hingegen unerheblich.

Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 4 ALG in der seit dem 11.8.2010 (aufgrund von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a) des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (3. SGB IV-ÄndG) v. 5.8.2010, BGBl. I, S. 1127) geltenden Fassung findet auch auf den vorliegenden Fall Anwendung, in dem die Eheschließung vor Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt ist und auch die Befreiungsvoraussetzungen - mit Ausnahme des Antrags - zu diesem Zeitpunkt bereits vorlagen. Das ergibt sich aus § 94 Abs. 1 ALG. Danach sind die Vorschriften des ALG vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auch dann auf einen Sachverhalt anzuwenden, wenn dieser bereits vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens bestanden hat. Die Ausnahmevorschrift des § 94 Abs. 2 ALG, wonach durch das Gesetz aufgehobene oder ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf einen bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird, kommt der Antragstellerin nicht zugute, weil sie den Befreiungsantrag nicht innerhalb dieser Frist gestellt hat.

Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 ALG zu gewähren wäre. Wiedereinsetzungsgründe sind von der Antragstellerin weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Hierzu reicht jedenfalls die Unkenntnis der Gesetzeslage nicht aus. Denn nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese individuell und tatsächlich Kenntnis erlangt haben (BSG, Urteil v. 24.11.2005, SozR 4-2600 § 6 Nr. 5 m.w.N.). Auch ein Herstellungsanspruch kommt nicht in Betracht, weil Anhaltspunkte für eine unrichtige oder missverständliche Information der Antragsgegnerin weder ersichtlich sind noch von der Antragstellerin geltend gemacht werden.

Wie der Senat bereits entschieden hat, bestehen gegen dieses Ergebnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Senat, Beschluss v. 16.11.2011, L 8 LW 20/11 B ER, juris).

Es liegt zunächst keine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) darin, dass der Gesetzgeber Ehegatten von Landwirten nach § 1 Abs. 2 ALG, deren Versicherungspflicht zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestellt war, nur innerhalb der Dreimonatsfrist ein auf den Beginn der Versicherungspflicht zurückwirkendes Befreiungsrecht einräumt, während bei anderen versicherungspflichtigen Landwirten nach wie vor eine rückwirkende Befreiung über die Dreimonatsfrist hinaus möglich ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Dreimonatsgrenze das legitime Ziel, in einem überschaubaren Zeitraum Rechtsklarheit über die Versicherungspflicht des Landwirts bzw. seines Ehegatten zu gewinnen. Er durfte dabei unbedenklich davon ausgehen, dass Ehegatten von Landwirten, deren Versicherungspflicht bereits festgestellt ist, aufgrund dessen ihre eigene Versicherungspflicht vergleichsweise unproblematisch erkennen und eine Entscheidung über den Verbleib in der Alterskasse innerhalb einer angemessenen Frist von drei Monaten zumutbar treffen können, während dies typischerweise wesentlich schwieriger sein kann, wenn beispielsweise noch nicht feststeht, ob die für eine Versicherungspflicht erforderliche Mindestgröße des Betriebs erreicht ist (vgl. hierzu die Gegenäußerung des Bundesrates zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BT-Drs. 17/1684, S. 23 Ziff. 10, die sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales zu Eigen gemacht hat, BT-Drs. 17/2169, Ziff. 8 Buchst. b) der Beschlussempfehlung, Begründung S. 10 zu Art. 7 Nr. 1 Buchst. b)). Zudem durfte er in zulässiger Weise daran anknüpfen, dass sich die Problematik einer über drei Monate hinaus rückwirkenden Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragserhebung bei dem Personenkreis, zu dem die Antragstellerin gehört, nur dann stellt, wenn - wie auch hier - die aus § 1 Abs. 3 Satz 3 ALG folgende Verpflichtung verletzt worden ist, innerhalb von drei Monaten nach Eheschließung der Alterskasse mitzuteilen, welcher Ehegatte das Unternehmen als Landwirt betreibt (vgl. zu dieser Erwägung BT-Drs. 17/1684, S. 17. zu Art. 7 Nr. 1 Buchst. a)).

Die Antragstellerin wird auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Zwar konnte sie bis zur Änderung des § 3 Abs. 2 Satz 4 ALG davon ausgehen, dass die Drei-Monats-Frist für den Befreiungsantrag erst ab Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht lief, und diese "Vertrauensposition" ist durch das Inkrafttreten des 3. SGB IV-ÄndG "entwertet" worden. Indessen folgt hieraus kein schützenswertes Vertrauen, bis zur Bekanntgabe des Bescheides über die Versicherungspflicht keine Beiträge zahlen zu müssen. Wie bereits dargestellt, ist ein zeitliches Auseinanderfallen von Beginn der Versicherungspflicht und Aufnahmebescheid nur möglich, wenn die Pflicht zur Mitteilung nach § 1 Abs. 3 Satz 3 ALG verletzt worden ist. Aus einer Verletzung gesetzlich normierter Pflichten kann aber kein geschütztes Vertrauen erwachsen. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber mit § 94 Abs. 2 ALG eine Übergangsregelung geschaffen hat, die es den Betroffenen noch innerhalb einer angemessenen Frist von drei Kalendermonaten ab Inkrafttreten der Neuregelung ermöglichte, eine rückwirkende Befreiung zu erhalten.

Bedenken gegen die Höhe der Beitragsforderung der Antragsgegnerin sind von Amts wegen nicht ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht worden.

Für eine besondere Härte der sofortigen Vollziehung des Beitragsanspruchs ist nichts ersichtlich oder vorgetragen.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren erfolgt in entsprechender Anwendung von § 193 SGG und trägt dem mangelnden Erfolg des Rechtsmittels Rechnung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved