L 1 R 393/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 1175/10 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 393/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Landshut vom 19. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1948 geborene Klägerin, kroatische Staatsangehörige mit Wohnsitz in ihrem Heimatland, hat - mit Unterbrechungen - von September 1970 bis Dezember 1982 Pflichtbeitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland, von Oktober bis November 1983 Pflichtbeitragszeiten in Kroatien, von Oktober 1984 bis Januar 1985 Pflichtbeitragszeiten in Deutschland und erneut in Kroatien von August 1986 bis Oktober 1986, September 1987 und Februar 1988 bis Juni 1992 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Sie erhält seit 17. September 2008 Altersrente vom kroatischen Rentenversicherungsträger.

Die Klägerin begehrte mit Antrag vom 28. Dezember 2007 über den kroatischen Sozialversicherungsträger Altersrente für Frauen von der Beklagten. In diesem Antrag machte die Klägerin keine weiteren Versicherungszeiten geltend. Eine Rente aus der kroatischen Renten- und Invalidenversicherung beziehe sie nicht. Die Beklagte legte diesen Antrag zugleich als Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung aus und lehnte mit angefochtenem Bescheid vom 3. September 2008 sowohl den Antrag auf Altersrente für Frauen als auch den auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Im maßgeblichen Zeitraum 28. Dezember 2002 bis 27. Dezember 2007 seien nur 0 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Es sei auch nicht jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Auch sei die Wartezeit nicht vorzeitig erfüllt.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, sie sei krank und auf einem Auge blind. Sie bitte um eine möglichst frühzeitige Rentenzahlung. Sie legte einen augenärztlichen Befundbericht vom 29. Dezember 2008 über eine Katarakt- und Glaukomoperation am linken Auge vor.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2009 nur im Hinblick auf die Ablehnung einer Altersrente für Frauen zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) unter dem Az.: S 12 R 870/09 A. Der Vorsitzende Richter wies in der öffentlichen Sitzung am 9. November 2009 darauf hin, dass der Widerspruch der Klägerin nur im Hinblick auf die Altersrente für Frauen mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2008 verbeschieden worden sei, nicht hingegen hinsichtlich der durch Bescheid vom 3. September 2008 ebenfalls abgelehnten Rente wegen Erwerbsminderung. Der Vertreter der Beklagten sicherte daraufhin zu, insoweit einen weiteren Widerspruchsbescheid zu erlassen. Die Klage gegen die Ablehnung der Altersrente für Frauen durch Bescheid vom 3. September 2008 wurde daraufhin mit Urteil vom 9. November 2009 abgewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2009 wies die Beklagte auch den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung durch den angefochtenen Bescheid vom 3. September 2008 zurück.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 hat die Klägerin Berufung gegen das Urteil des SG vom 9. November 2009 beim Bayerischen Landessozialgericht unter dem Az.: L 1 R 2/10 eingelegt und zugleich Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2009 erhoben. Das Bayerische Landessozialgericht hat die Klage an das SG abgegeben und die Berufung mit Urteil vom 19. Januar 2011 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer beim SG unter dem Az.: S 16 R 1175/10 A geführten Klage darauf verwiesen, sie sei zu 100 % Invalide. Deshalb stehe ihr auch eine Invalidenrente zu. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19. Januar 2012 unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2009 abgewiesen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Leistungsfall bereits im Juli 1994 und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt gewesen seien, eingetreten sei.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht unter dem Az.: L 1 R 393/12 eingelegt und darauf verwiesen, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert. Ihr Sehvermögen verschlechtere sich permanent und auch die Finanzen seien schlecht. Sie nehme regelmäßig Medikamente gegen hohen Blutdruck und für ihre Blutgefäße (Krampfadern) ein. Sie könne Tätigkeiten, die sie früher verrichtet habe, nicht mehr erledigen. Sie hat einen Bescheid des kroatischen Rentenversicherungsträgers vom 29. Dezember 2009 übersandt, wonach bei ihr eine Körperbehinderung in Höhe von 100 % festgestellt worden sei sowie die Mitteilung über eine Begutachtung durch
Dr. L. am 28. Oktober 2002.

Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nur in Betracht käme, wenn Erwerbsminderung spätestens im Juli 1994 eingetreten wäre, hat der Senat die Klägerin mehrfach gebeten, medizinische Unterlagen aus dieser Zeit vorzulegen bzw. anzugeben, wo sie damals in Behandlung gewesen sei. Die Klägerin hat hierzu erklärt, 1993 und 1994 sei sie nicht in Behandlung gewesen. Damals habe Kriegszustand geherrscht. Sie sei erst ab 2002 behandelt worden. Die Blindheit, das Rheuma und die Gefäßkrankheiten seien vor 10 Jahren eingetreten. Es hätten 5 Operationen stattgefunden. Außerdem habe sie als Kind mit 10 Jahren eine Nasennebenhöhlenoperation gehabt. Sie hat einen Befundbericht ihres Allgemeinarztes Dr. A. B. vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin seit 2000 aufgrund eines Glaukoms in Behandlung ist. Sie sei mehrmals stationär aufgenommen worden (2000, 2002 und 2008). Es sei Blindheit am rechten Auge eingetreten. Seit 2000 sei sie auch bei einem Gefäßchirurgen im Allgemeinkrankenhaus K. in Behandlung. Der letzte Dopplerbefund vom August 2011 weise auf eine deutliche Insuffizienz der rechten safeno-femoralen Mündung hin, während die linke suffizient sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 2012 sowie des Bescheids der Beklagten vom 3. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2009 zu verurteilen, antragsgemäß Rente wegen Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 3. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2009 zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1, 2 SGB VI) zu, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (bei Berufsunfähigkeit) nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung (bei Berufsunfähigkeit) spätestens bis Juli 1994 eingetreten ist. Nur dann liegen - ausgehend von einer letztmaligen Entrichtung von Pflichtbeiträgen bis Juni 1992 - in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit für die Klägerin vor.

Ein Tatbestand im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI, der zu einer Verlängerung des Zeitraums von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung führt, ist nicht gegeben. Seit Juli 1992 liegen keine Rentenbezugszeiten, Berücksichtigungszeiten, Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeiten nicht unterbrochen ist bzw. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres im Sinne des § 43 Abs. 4 Nr. 1-4 SGB VI bei der Klägerin vor.

Bei der Klägerin liegt auch kein Tatbestand vor, durch den die Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI i.V.m.§ 53 Abs. 1,2 SGB VI).

Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI erfüllt, da der Zeitraum 1. Januar 1984 bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung nicht durchgängig mit sog. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Lücken im Versicherungsverlauf der Klägerin bestehen von Januar bis September 1984, Februar 1985 bis Juli 1986, November 1986 bis August 1987, Oktober 1987 bis Januar 1988 und ab Juli 1992. Insoweit ist auch keine Zahlung von freiwilligen Beiträgen mehr möglich (vgl. § 241 Abs. 2 S. 2 SGB VI), da freiwillige Beiträge nur dann wirksam sind, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (§ 197 Abs. 2 SGB VI). Der Klägerin ist auch nicht gemäß § 197 Abs. 3 SGB VI nach Ablauf dieser Frist zur Zahlung von Beiträgen von der Beklagten zugelassen worden. Hierauf besteht auch kein Anspruch, da die Klägerin nicht an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war.

Es ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass bei der Klägerin spätestens im Juli 1994 volle bzw. teilweise Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI eingetreten ist. Die Klägerin hat selbst ausgeführt, dass die bei ihr vorliegenden wesentlichen Erkrankungen (Blindheit, Rheuma und Gefäßkrankheiten) erst seit 10 Jahren vorliegen. Befundunterlagen aus dem maßgeblichen Zeitraum 1993/1994 gibt es nicht. Sie war nach ihren eigenen Angaben in diesem Zeitraum nicht in ärztlicher Behandlung. Die vorgelegten Befundberichte datieren frühestens ab 2008. Im Befundbericht der behandelnden Allgemeinärztin Dr. A. B. wird auch erst von einer Behandlung der Augen- und der Gefäßerkrankung der Klägerin ab dem Jahr 2000 berichtet. Eine ärztliche Begutachtung durch Dr. L. im Jahr 2002 hat jedenfalls nicht zu der Gewährung einer Invalidenpension durch den kroatischen Rentenversicherungsträger geführt.

Nach alledem gibt es keinen Nachweis dafür, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin für zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bereits im Juli 1994 auf unter 6 Stunden täglich abgesunken sein könnte. Angesichts der aktenkundigen Befundlage und der Angaben der Klägerin zu einer fehlenden Behandlung in den Jahren 1993 und 1994 fühlt sich der Senat auch nicht zu einer weiteren Ermittlung von Amts wegen etwa durch die Einholung eines Gutachtens gedrängt.

Die Klägerin hat damit keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt ebenfalls nicht in Betracht, da hierfür gleichermaßen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI). Dies ist jedoch - wie oben dargelegt - nicht der Fall.

Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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