L 15 VK 2/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VK 12/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VK 2/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann erfolgen, wenn das SG weitere Sachverhaltsermittlungen unterlassen hat, obwohl es sich dazu nach seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen.
2. Die Ablehnung eines Kausalzusammenhangs zwischen Schädigungsfolgen, die sich erheblich auf das Gehvermögen auswirken, und dem Tod, der auf eine Gangunsicherheit zurückzuführen ist, kann nicht mit einer auf Lebenserfahrung beruhenden Annahme begründet werden, dass bei Menschen in vergleichbarem Alter Gangunsicherheiten und daraus resultierende Stürze nicht untypisch wären, so dass die altersbedingten Einschränkungen als allein wesentliche Ursache der zum Tod führenden Verletzung anzusehen seien.
3. Im Rahmen der Ermessensausübung, ob der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, ist maßgeblich zu berücksichtigen, wenn ein Kläger selbst die Zurückverweisung beantragt. Denn damit macht er deutlich, dass sein Interesse an einer möglichst schnellen rechtskräftigen Sachentscheidung hinter das Interesse am Erhalt der gesetzlich garantierten zwei Tatsacheninstanzen zurücktritt.
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Februar 2012 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht München zurückverwiesen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Klägerin begehrt als Witwe ihres am 23.05.2010 verstorbenen Ehemanns B. A. Witwenrente und volles Bestattungsgeld nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Ehemann der Klägerin erlitt am 26.03.1945 als Soldat der deutschen Wehrmacht eine Granatsplitterverletzung am linken Unterschenkel und der rechten Ferse. Der Heilungsverlauf war sehr langsam. Links verblieb ein großer Knochendefekt.

Bei einer versorgungsärztlichen Begutachtung im Jahre 1973 durch den Chirurgen Dr. W. (Gutachten vom 02.04.1973) wurden ein etwas hinkendes Gangbild und eine Ver-schmächtigung der Muskulatur des linken Beins festgestellt. Die Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenks war endgradig eingeschränkt. Zudem bestanden Sensibilitätsstörungen am linken Fußrücken. Der Zehenstand war links nicht möglich. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 30 v. H. bewertet. Einen ausgesprochenen Stehberuf könne der Ehemann der Klägerin wegen der Schädigungsfolgen nicht ausüben.

Mit Bescheid vom 11.11.1976 wurden auf der Grundlage der Folgen der Kriegsverletzung die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt.

Zuletzt wurden die Schädigungsfolgen nach Abschluss eines vor dem Sozialgericht Köln geschlossenen Vergleichs mit Bescheid vom 11.01.1984 wie folgt festgestellt: "Großer Knochendefekt am linken Wadenbein mit empfindlicher Narbenbildung, Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, gelenkverformende Veränderungen am linken oberen Sprunggelenk, Einschränkung der Streckfähigkeit der Großzehe links infolge Teilparese des linken Nervus peronaeus, Muskelverschmächtigung der Muskulatur des ganzen linken Beines, reizlose Narbe an der Außenseite der rechten Ferse". Versorgung wurde nach einer MdE in Höhe von 40 v. H. gewährt.

Mit Bescheid vom 26.06.2006 wurde beim Ehemann der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt. Dem lagen neben den anerkannten Schädigungsfolgen ein Parkinson-Syndrom samt Polyneuropathie (Einzel-GdB 40), eine koronare Herzkrankheit mit Bluthochdruck (Einzel-GdB 30), eine Vitiligo (Einzel-GdB 20) und eine Zuckerkrankheit (Einzel-GdB 20) zugrunde.

Mitte März 2010 stürzte der Ehemann der Klägerin in den Nächten vor und nach einer Augenoperation. Danach hatte er anhaltende Schmerzen in der linken Hüfte. Röntgenaufnahmen ergaben zunächst keinen Nachweis einer Fraktur. Er stürzte anschließend nochmals. Auch in der Vergangenheit war er bereits gestürzt, so zum Beispiel am 19.12.2009.

Bei weiteren Untersuchungen wurde eine Fraktur der Gelenkpfanne des Hüftgelenks festgestellt. Am 20.04.2010 wurde eine zementierte Totalendoprothese implantiert. Am 22.04.2010 erfolgte nach Luxation operativ eine geschlossene Reposition. In der Folge wurde der Ehemann der Klägerin am 11.05.2010 wegen einer zunehmenden respiratorischen Insuffizienz bei einer nosokomialen Pneumonie auf die Intensivstation des Klinikums H. verlegt, wo er am 23.05.2010 verstarb.

In der Todesbescheinigung ist als unmittelbare Todesursache ARDS als Folge von Pneumonie, diese wiederum als Folge einer Schenkelhalsfraktur vermerkt.

Am 06.08.2010 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenversorgung.

Mit Bescheid vom 18.08.2010 sprach der Beklagte der Klägerin ein Sterbegeld in Höhe von 2.154,- EUR sowie ein Bestattungsgeld in Höhe von 781,- EUR zu. Wäre der Tod Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gewesen, hätte - so der Beklagte im Bescheid - das Bestattungsgeld 1.560,- EUR betragen. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch.

Mit Bescheid vom 13.09.2010 lehnte es der Beklagte ab, der Klägerin Witwenrente gemäß § 38 BVG zu gewähren. Sie habe (lediglich) Anspruch auf Witwenbeihilfe. Witwenrente könne nicht gewährt werden, da der Ehemann der Klägerin nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben sei. Todesursache sei laut der Bescheinigung des Gesundheitsamts eine Pneumonie. Die anerkannten Schädigungsfolgen würden mit dem zum Tod führenden Leiden nicht in ursächlichem Zusammenhang stehen. Auch dagegen erhob die Klägerin Widerspruch.

Mit Schreiben vom 15.12.2010 begründete sie ihre Widersprüche damit, dass ihr Ehemann an den Folgen der Kriegsverletzung verstorben sei. Sein Sturz stehe in direktem Zusammenhang mit seiner schädigungsbedingten Bewegungseinschränkung, die durchgeführten Operationen sollten die Sturzfolgen beheben/mildern, der durch die Operationen bedingte Bewegungsmangel habe zu einer Lungenentzündung und diese schlussendlich zum Tod geführt. Der Tod ihres Ehemanns könne nicht isoliert ohne diese Kausalkette betrachtet werden. Ergänzend trugen die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 30.06.2011 vor, dass die aus der Kriegsbeschädigung resultierende Stand- und Gangunsicherheit oft zu Stürzen geführt habe, obwohl der Ehemann der Klägerin orthopädische Schuhe getragen habe. Wegen der Kriegsbeschädigung habe er auch das Merkzeichen G gehabt.

Zu der Frage der Kausalität hat sich der Chirurg Dr. N. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 04.08.2011 wie folgt geäußert: Eine Kausalitätskette zwischen Sturz, Bruch der Hüftpfanne, Operation, Lungenentzündung, Lungenfunktionseinschränkung und Tod sei herzustellen. Diese Kette sei sinngemäß auch in der Todesbescheinigung gesehen worden. Zum Anknüpfungstatbestand, wie es zu den Stürzen gekommen sei, gebe es keine Informationen. Stürze hätten sich vor und nach einer Augenoperation ereignet. Genaueres sei dazu nicht bekannt, gegebenenfalls bestehe noch die Möglichkeit weiterer Sachaufklärung. Führend bei den Schädigungsfolgen sei die Teilparese des Nervus peronaeus mit Fuß-/Zehenheberschwäche gewesen. Von orthopädischer Seite sei bestätigt worden, dass der Verstorbene orthopädische Schuhe getragen habe. Allerdings sei damit nicht belegt, dass die Schädigungsfolgen auch ursächlich für den Sturz gewesen seien. Die multiplen Stürze kurz vor der stationären Aufnahme würden eher für ein generalisiertes Problem als für eine umschriebene Gesundheitsstörung am Bein sprechen. Im Jahre 2005 habe der Ehemann der Klägerin im Krankenhaus H. über Schwindel und Abgeschlagenheit geklagt; bekannt sei ein Morbus Parkinson. Der Hausarzt habe 2006 über eine deutliche Verschlechterung des Gehvermögens berichtet. Bescheinigt worden sei eine außerordentliche Gehbehinderung mit vermehrten Stürzen in der Wohnung, Gangunsicherheit und Sehstörung bei fortgeschrittener Linsentrübung. Auszugehen sei von einer multifaktoriellen Gangstörung im zunehmenden Lebensalter, unter anderem bei Parkinson-Erkrankung und Sehminderung. Da das Gehvermögen zuvor deutlich besser gewesen sei und die Akten seit den Begutachtungsuntersuchungen Anfang der Achtzigerjahre keine Hinweise auf eine Gehbehinderung mit Sturzneigung enthalten würden, könne man davon ausgehen, dass für das eingeschränkte Gehvermögen mit Sturzneigung weitaus überwiegend schädigungsfremde Faktoren verantwortlich seien. Ein Zusammenhang sei nur dann herzustellen, wenn ein für eine Peronaeusparese typischer Schadensablauf gesichert werden könne. Nachdem zum Sturzhergang überhaupt keine Informationen vorlägen, sei dies bislang nicht der Fall.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2011 wurden die Widersprüche der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die multiplen Stürze vor der stationären Behandlung sprächen eher für ein generalisiertes Problem. Angesichts der weiteren Erkrankungen des verstorbenen Ehemanns (Parkinson, Sehminderung, Schwindel) sei am ehesten von einer multifaktoriellen Gangstörung im fortgeschrittenen Lebensalter auszugehen. Hinweise auf eine schädigungsbedingte Sturzneigung würden sich in den Akten nicht finden.

Am 29.09.2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Klägerin - so die Bevollmächtigten in der Klagebegründung vom 30.09.2011 - begehre die Gewährung einer Hinterbliebenenrente gemäß § 38 BVG und die Zahlung des vollen Bestattungsgeldes gemäß § 36 BVG. Die Klägerin sei der Auffassung, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den Schädigungsfolgen und dem Tod ihres Ehemanns bestehe.

Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht lediglich einen Befundbericht des Orthopäden Dr. L. eingeholt, in dem keine spezifischen Fragen zur Behinderung des Gehvermögens des Verstorbenen gestellt worden waren. Weitere Ermittlungen sind nicht durchgeführt worden.

Mit Urteil vom 09.02.2012 hat das Sozialgericht München die Klage gegen den Bescheid vom 18.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.08.2011 abgewiesen. Begründet hat dies das Gericht wie folgt: Die Klage sei nur insoweit zulässig, als die Klägerin ein volles Bestattungsgeld begehre; nur damit nämlich hätten sich die angegriffenen Bescheide beschäftigt. Die Klage sei unbegründet. Ein volles Bestattungsgeld stehe der Klägerin nicht zu. Der verstorbene Ehemann der Klägerin sei nicht an den Folgen seiner Kriegsbeschädigung verstorben, sondern durch einen natürlichen Tod. Die medizinische Wissenschaft und Alltagserfahrung seien sich darüber einig, dass sich bei hochbetagten Menschen gesundheitliche Risiken und Komplikationen addieren würden, die den immer schwächeren Gesamtorganismus immer stärker belasten würden. Ganz oft gewinne ein Sturz entscheidende Bedeutung für den schließlich zum Tod führenden gesundheitlichen Niedergang. Dass es überhaupt zu solchen Stürzen komme, liege nicht nur, wie von der Klägerin vermutet, an schon älteren körperlichen Behinderungen, die ja wie beim verstorbenen Ehemann über Jahrzehnte keine Einbuße an Sicherheit der Bewegung im Alltag bedeutet hätten. Vielmehr würden altersbedingte Risikofaktoren hinzutreten. Absolut alterstypisch sei der Bruch eines instabil gewordenen Oberschenkelhalsknochens. Es handle sich um einen schicksalhaften Verlauf. Das Gericht könne bei der Familie des Verstorbenen letztlich nur um einen versöhnlichen Blick auf sein langes Leben werben.

Am 04.06.2012 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung eingelegt. Das Sozialgericht - so die Klägerin in der Berufungsbegründung - habe es nicht für nötig erachtet, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten erstellen zu lassen. Stattdessen seien ziemlich allgemein gehaltene Ausführungen zu den Lebensumständen älterer Menschen gemacht worden mit der Quintessenz, dass irgendwann jeder mal sterben müsse.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.02.2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht München zurückzuverweisen.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Es liegen zwei Zurückverweisungsgründe vor; die Zurückverweisung stützt sich sowohl auf § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als auch auf § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.

1. Nichteinbeziehung des Streitgegenstands Witwenrente (Bescheid vom 13.09.2010)

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, ohne in der Sache selbst, d.h. über die Frage der Gewährung von Witwenrente, zu entscheiden (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Das Sozialgericht hat die Klage nur insofern für zulässig erachtet, als damit ein volles Bestattungsgeld begehrt werde. Es hat dies damit begründet, dass sich die angegriffenen Bescheide nur damit, nicht aber mit der Frage von Witwenrente, beschäftigt hätten. Über die Gewährung von Witwenrente hat das Sozialgericht folglich nicht in der Sache entschieden.

Die Annahme des Sozialgerichts, dass die Frage, ob der Klägerin Witwenrente zustehe, nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei, ist falsch.

Der Bescheid vom 13.09.2010, mit dem der Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Witwenrente gemäß § 38 BVG entschieden hat, ist von der Klägerin mit Widerspruch angegriffen worden. Im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid vom 30.08.2011, der neben dem Bescheid vom 13.09.2010 auch den Bescheid vom 18.08.2010 betrifft, hat der Beklagte den Widerspruch auch insofern als unbegründet zurückgewiesen, als die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente ausgesprochen worden war. Dies wiederum hat die Klägerin ausdrücklich mit der Klage angegriffen (vgl. Klagebegründung vom 30.09.2011). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 09.02.2012 hat die Klägerin ausdrücklich die Gewährung von Witwenrente beantragt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum das Sozialgericht davon ausgeht, dass die streitgegenständlichen Bescheide sich nur mit Bestattungsgeld, nicht aber mit Witwenrente befassen würden. Auch die Frage der Gewährung von Witwenrente ist Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht gewesen.

Darüber, warum das Sozialgericht zu der falschen Annahme gekommen ist, dass die Witwenrente nicht Verfahrensgegenstand sei, kann nur spekuliert werden. Denkbar - aber rechtlich nicht haltbar - ist allenfalls, dass das Sozialgericht wegen der falschen Benennung des Datums des angegriffenen Bescheids ("19.09.2010" statt 13.09.2010) bei der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2012 von einer Nichteinbeziehung ausgegangen ist. Zwar trifft es zu, dass maßgeblich für die Bestimmung des Streitgegenstands die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 23.08.1989, Az.: 2 BU 97/89). Allein daraus, dass das Datum eines angegriffenen Bescheids - offenkundig - falsch angegeben worden ist, kann aber nicht geschlossen werden, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens geworden wäre. Denn auch aus den weiteren Ausführungen im Antrag der Klägerin ("sowohl eine Witwenrente als auch Bestattungsgeld") ergibt sich unzweifelhaft, dass die Klägerin auch ihr Begehren nach Witwenrente weiter verfolgt hat. Das Sozialgericht kann sich insofern nicht formal auf die Angabe eines falschen Datums stützen, zumal für das Sozialgericht gemäß § 106 Abs. 1 SGG auch die Verpflichtung bestanden hätte, auf sachgerechte Anträge hinzuwirken, was auch die Angabe des richtigen Bescheidsdatums umfasst.

2. Verstoß gegen die Aufklärungspflicht aus § 103 SGG

Das Verfahren vor dem Sozialgericht leidet an einem wesentlichen Mangel (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG), der eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich macht.

2.1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht aus
§ 103 SGG verstoßen. Das Sozialgericht ist - zutreffend - davon ausgegangen, dass der Erfolg oder Misserfolg der Klage davon abhängt, ob in den Schädigungsfolgen eine rechtlich wesentliche Ursache für den zum Tod des Ehemanns der Klägerin führenden Sturz zu sehen ist. Gleichwohl hat es keinerlei weiteren Ermittlungen angestellt, obwohl es sich dazu nach seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 16.02.2012, Az.: B 9 SB 1/11 R). Vielmehr hat es weitere Aufklärungsmaßnahmen, wie sie schon der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten in den Raum gestellt hatte (vgl. versorgungsärztliche Stellungnahme vom 04.08.2011: Wie ist es zu den Stürzen gekommen? Für eine Peronaeusparese typischer Schadensablauf?) unterlassen und sich angemaßt, über eigene medizinische Erkenntnisse zu verfügen, die für eine abschließende Beurteilung des Sachverhalts ausreichend seien. Ganz abgesehen davon, dass derartige medizinische Kenntnisse bei einem Juristen ohne medizinische Ausbildung nicht erwartet werden können und auch im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind, hat das Sozialgericht zudem noch seine Abweisung der Klage mit lediglich allgemein gehaltenen laienhaft-medizinischen Erfahrungen und Lebensweisheiten begründet, ohne dass den individuellen Gegebenheiten Beachtung geschenkt worden wäre.

Dem Sozialgericht muss bewusst gewesen sein, dass in der Person des Ehemanns der Klägerin mit einer MdE bzw. einem Grad der Schädigung von 40 bewertete Schädigungsfolgen, die allein die linke untere Extremität betrafen und zudem die alleinige Ursache für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G schon im Jahre 1976 waren, vorhanden waren, also eine erhebliche schädigungsbedingte Beeinträchtigung der Gehfähigkeit gegeben war. Gleichwohl hat das Sozialgericht die rechtlich wesentliche Ursache für den letztlich zum Tod führenden Sturz - eine Kausalität zwischen Sturz und Tod ist nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme unzweifelhaft - in schädigungsfremden Erkrankungen gesehen, die - so das Sozialgericht - im Wesentlichen altersbedingt seien. Letztlich hat das Sozialgericht die Ablehnung eines Kausalzusammenhangs zwischen Schädigungsfolgen und Tod damit begründet, dass bei Menschen im Alter des verstorbenen Ehemanns der Klägerin Gangunsicherheiten nicht untypisch wären, so dass die altersbedingten Einschränkungen als allein wesentliche Ursache der zum Tod führenden Verletzung anzusehen seien. Diese auf Lebenserfahrung beruhende Annahme mag zwar in vielen Fällen durchaus zutreffend sein, sie übergeht aber vollends die im Fall des Ehemanns der Klägerin vorliegende Besonderheit, dass bei diesem schädigungsbedingt eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens vorgelegen hat. In einer solchen Konstellation können mit allgemeinen Lebensweisheiten nicht alle anderen potentiellen - und im Übrigen auch gar nicht so fern liegenden - Gründe für das letztlich zum Tod führende Sturzgeschehen als unbedeutend beiseite gewischt werden.

Zwar ist es durchaus möglich, dass sich die vom Sozialgericht getroffene Einschätzung - aufgrund von Tatsachenfeststellungen, aber auch wegen des Grundsatzes der objektiven Beweislast - letztendlich als zutreffend erweisen wird. Eine zuverlässige Beurteilung lässt sich aber auf der Basis des jetzigen Erkenntnisstands nicht treffen. Das Sozialgericht wird aufzuklären haben, ob die anerkannten Schädigungsfolgen eine rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache für den Tod des verstorbenen Ehemanns gewesen sind. Dies erfordert noch umfassende und aufwändige Ermittlungen. So wird sich das Sozialgericht unter Inanspruchnahme fremder medizinisch-fachkundiger Hilfe jedenfalls mit folgenden Fragen auseinandersetzen müssen:
- Ist es hinreichend wahrscheinlich, dass allein die anerkannten Schädigungsfolgen zu den Stürzen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin im März 2010, bei denen die Hüftverletzung entstanden sein dürfte, geführt haben?
- Wenn die letztlich zum Tod führenden Stürze nicht bereits auf Grund ihres konkreten Ablaufs, der sich möglicherweise nicht mehr ermitteln lässt, die alleinige Zuordnung zu den anerkannten Schädigungsfolgen zulassen, ist von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen oder können die Stürze ausschließlich einer schädigungsfremden Erkrankung zugerechnet werden?
- Wenn von einer multifaktoriellen Verursachung auszugehen ist, ist die aus den anerkannten Schädigungsfolgen resultierende Gangunsicherheit und Sturzneigung eine wesentliche (Mit-)Ursache für die letztlich zum Tod führenden Stürze oder kommt einer oder allen anderen (Mit-)Ursachen eine gegenüber der schädigungsbedingten Gehstörung überragende Bedeutung (zur Mitursächlichkeit vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10) für das Sturzgeschehen zu?
Vor Klärung dieser Fragen wird es angezeigt sein, sich durch weitergehende Ermittlungen bei den behandelnden Ärzten, aber möglicherweise auch bei Angehörigen des Verstorbenen Klarheit über die Ausprägung der in Betracht kommenden Ursachen für die Stürze zu verschaffen. Auch wird der Versuch zu unternehmen sein, die näheren Umstände beim Sturz aufzuklären. Ob dabei weitergehende Erkenntnisse gewonnen werden können, bleibt abzuwarten.

2.2. Der Verfahrensfehler der nicht ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ist wesentlich. Wesentlich ist ein Mangel dann, wenn das Urteil darauf beruhen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, ders., Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 159, Rdnr. 3a). Dies ist hier der Fall. Bei Durchführung der erforderlichen weiteren Ermittlungen ist nicht auszuschließen, dass das Sozialgericht zu einem anderen Ergebnis kommen wird als im Urteil vom 09.02.2012.

2.3. Wegen des Mangels ist eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich. Wie oben aufgezeigt, sind zur ausreichenden Aufklärung des Sachverhalts weitergehende Ermittlungen nicht unbedeutenden Umfangs erforderlich. Diese Ermittlungen erfordern einen erheblichen Mitteleinsatz (vgl. Keller, a.a.O.,
§ 131, Rdnr. 19).

3. Ermessensausübung des Senats

Im Rahmen des gemäß § 159 SGG auszuübenden Ermessens ist der Senat zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffene Entscheidung des Sozialgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen ist. Das Sozialgericht hat nicht nur eine Entscheidung ohne die offenkundig erforderlichen umfangreichen Ermittlungen getroffen, sondern hat auch einen ganz wesentlichen Streitgegenstand (Witwenrente) einer Entscheidung in der Sache entzogen. Auch wenn eine Zurückverweisung allenfalls in Ausnahmefällen sachgerecht ist (vgl. BSG, Beschluss vom 07.05.2009, Az.: B 14 AS 91/08 B), ist vorliegend doch eine Zurückverweisung geboten, um der Klägerin nicht eine Tatsacheninstanz zu nehmen. Da es aufgrund der vergleichsweise schnell erfolgten Zurückverweisung zu keiner erheblichen Verzögerung des Verfahrens kommt, steht dem auch nicht das Interesse der Klägerin an einer zügigen Erledigung des Verfahrens entgegen. Zudem hat Klägerin selbst die Zurückverweisung beantragt und damit deutlich gemacht, dass ihr Interesse an einer möglichst schnellen rechtskräftigen Sachentscheidung hinter das Interesse am Erhalt der gesetzlich garantierten zwei Tatsacheninstanzen zurücktritt.

Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben (vgl. Keller, a.a.O., § 159, Rdnr. 5f).

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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