L 11 SF 236/12 VE U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 SF 236/12 VE U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Antragstellers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von E für eine Klage nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), in Kraft getreten mit Wirkung zum 03.12.2011 aufgrund des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I 2011, 2302).

Im Ausgangsverfahren hat der Antragsteller nach Durchführung des Verwaltungsverfahrens vor der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft mit seiner Klage vom 19.12.1990 die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit begehrt. Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 08.01.1998; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 11.06.2003; Beschluss des Bundessozialgerichts vom 11.03.2004; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.06.2004). Der von ihm angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach dem Antragsteller mit Urteil vom 16.07.2009 wegen nicht angemessener Gesamtdauer des Verfahrens unter Zurückweisung weitergehender Forderungen u.a. eine Entschädigung i.H.v. 1.500,00 EUR in Bezug auf den immateriellen Schaden und i.H.v. 250,00 EUR für Kosten und Auslagen in Bezug auf die Durchführung des innerstaatlichen Verfahrens zu.

Am 01.06.2012 beantragte der Antragsteller, ihm Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen nach § 198 GVG zu bewilligen: Durch die Verfahrensverzögerungen in den Verfahren bei den Sozialgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen einschließlich des Vorverfahrenes sei ihm ein deutlich über der durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugesprochenen Entschädigung liegender Schaden entstanden. Das Verfahren wegen überlanger Dauer sei auch noch nicht abgeschlossen. Deutschland sei seiner Pflicht zur vollständigen Wiedergutmachung nicht nachgekommen. Insbesondere seien ihm die Kosten des vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführten Verfahrens nicht erstattet worden. Er sei nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in eine Situation zu versetzen wie s+ie ohne Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestanden hätte. Das sei aber bis jetzt nicht geschehen. Zu berücksichtigen sei im Übrigen auch die Dauer des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese habe die Bundesregierung durch ihre Behauptung verursacht, das Verfahren bei den deutschen Gerichten sei angemessen gewesen.

II.

Der auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerichtete Antrag ist unbegründet.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Prozesskostenhilfe kann schon deshalb nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird derjenige angemessen entschädigt, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Dem Antragsteller steht jedoch kein auf diesem Gesetz beruhender Anspruch auf angemessene Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des vor den Sozialgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen geführten Ausgangsverfahrens zu, weil dieses Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift bereits abgeschlossen war und § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG deshalb nicht gilt.

Nach Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 "gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann."

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das von dem Antragsteller als überlang gerügte Gerichtsverfahren war spätestens mit Zustellung des Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.06.2004 abgeschlossen und damit bei Inkrafttreten des § 198 GVG am 03.12.2011 nicht mehr anhängig. Die Dauer dieses Verfahrens war zwar Gegenstand einer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Beschwerde; das Beschwerdeverfahren war aber spätestens mit Zustellung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht vom 16.07.2009 abgeschlossen. Die Dauer des Verfahrens war somit am 03.12.2011 auch nicht Gegenstand einer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Beschwerde noch könnte sie es zulässigerweise (noch einmal) werden. Insoweit stünden bereits die Vorgaben des Art. 35 Europäische Menschenrechtskonvention entgegen, der in Abs. 1 für die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung vorgibt und in Abs. 2 die Nichtbefassung des Gerichtshof mit einer Individualbeschwerde vorsieht, die im Wesentlichen mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmt.

Bereits angesichts der aufgeführten Vorgaben der Übergangsreglung des Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist der Schluss des Antragstellers, dass Verfahren wegen überlanger Dauer sei noch nicht abgeschlossen, weil u.a. Deutschland seiner Pflicht zur vollständigen Wiedergutmachung nicht nachgekommen sei, ihm die Kosten des vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführten Verfahrens nicht erstattet habe und ihn nicht in eine Situation versetzt habe, die ohne Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestanden hätte, nicht nachzuvollziehen. Dies gilt umso mehr, als das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 16.07.2009 u.a. ausgeführt hat "In Bezug auf die in dem Verfahren vor dem Gerichtshof entstandenen Kosten spricht der Gerichtshof im Hinblick auf seine Rechtsprechung und in Ermangelung entsprechender Nachweise keinen Betrag zu." und im Übrigen zu den über die zugestandene Entschädigung hinaus geltend gemachten Ansprüchen tenoriert hat "Die Forderung des Beschwerdeführers nach gerechter Entschädigung wird im Übrigen zurückgewiesen."

Aufgrund des vorgenannten Ergebnisses bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass die Dauer des einem sozialgerichtlichen Rechtsstreit in der Regel vorgehenden Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahrens nicht von den Regelungen des § 198 GVG erfasst wird (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.09.2012 - L 38 SF 73/12 EK AS -) oder ob und inwieweit das Land Nordrhein-Westfalen für die Dauer eines vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens geführten Rechtsstreits über § 198 GVG in Anspruch genommen werden kann.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved