L 11 R 5772/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3029/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5772/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.11.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung ihrer Witwenrente aus der Unfallversicherung auf ihre große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die 1963 geborene Klägerin ist Witwe des an den Folgen einer Berufskrankheit (Nr 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards) verstorbenen R. G. (-1946 - 2009; im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte hat nach seinem Versicherungsverlauf 14 der knappschaftlichen Rentenversicherung zugewiesene Monate zurückgelegt.

Mit Bescheid vom 08.02.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 02.12.2009 große Witwenrente ab 14.11.2009 bis 28.02.2010 in Höhe von monatlich 283,50 EUR und ab 01.03.2010 in Höhe von 170,10 EUR ohne Anrechnung von Einkommen. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine rückwirkende Überprüfung des (vom Steuerberater der Klägerin mit 0 EUR bescheinigten) Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit erfolge und überzahlte Rentenbeträge zu erstatten seien. Ferner enthielt der Bescheid unter dem Punkt Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten einen Hinweis auf den Einfluss auch von Erwerbsersatzeinkommen auf die Rentenhöhe, hierbei wurde ua Rente an Hinterbliebene aus der gesetzlichen Unfallversicherung erwähnt. Die Klägerin erhob Widerspruch wegen der Rentenhöhe, die ihr extrem niedrig erschien. Mit Schreiben vom 29.03.2010 informierte die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) die Beklagte über die Anerkennung einer Berufskrankheit.

Nach Vorlage einer vom Steuerberater der Klägerin erstellten Hochrechnung über das Jahreseinkommen 2010 rechnete die Beklagte dieses rückwirkend ab 01.01.2010 an mit der Folge, dass die Rente ab 01.05.2010 nicht mehr zur Auszahlung kam und die entstandene Überzahlung ab 01.01.2010 in Höhe von 403,78 EUR zurückgefordert wurde (Änderungsbescheid vom 10.06.2010). Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2010 zurück.

Hiergegen richtete sich die am 29.10.2010 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage (S 2 R 5575/10). Mit Bescheid vom 16.12.2010 bewilligte die BG RCI der Klägerin Witwenrente aus der Unfallversicherung in Höhe von 3.466,67 EUR für die Zeit vom 14.11.2009 bis 28.02.2010 und in Höhe von 2.080 EUR ab 01.03.2010. Mit Änderungsbescheid vom 07.01.2011 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin ab Rentenbeginn neu unter Anrechnung der Witwenrente aus der Unfallversicherung. Danach wurde die Rente der Klägerin ab 01.01.2011 wieder ausgezahlt (monatlich 113,97 EUR); für die Zeit vom 14.11.2009 bis 31.12.2010 erfolgte eine Nachzahlung in Höhe von 208,87 EUR. Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2011 zurückwies.

Im Erörterungstermin am 19.05.2011 nahm die Klägerin vor dem SG die Klage S 2 R 5575/10 zurück.

Am 09.06.2011 hat die Klägerin sodann gegen den Bescheid vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2011 Klage erhoben (S 2 R 3029/11). Sie verweist darauf, dass die Leistungen der Rentenversicherung aufgrund von Beitragsleistungen des Versicherten gewährt würden. Ihr Ehemann sei an einer der schlimmsten Berufskrebserkrankungen verstorben. Es sei daher rechtssystematisch verfehlt, nach § 93 Abs 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die beitragsgetragenen Rentenleistungen zu kürzen, wenn eine Berufskrankheit hinzutrete. Ein Problem der Schadenshöhe sei im Recht der Unfallversicherung zu regeln. Dies führe zur Unanwendbarkeit der Kürzungsvorschrift der Rentenversicherung.

Das SG hat die Klage (S 2 R 3029/11) mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2011 zurückgewiesen mit der Begründung, diese sei unzulässig. Der angefochtene Bescheid vom 07.01.2011 sei nach Erhebung der Klage S 2 R 5575/10 ergangen und damit bereits Gegenstand des vorangegangenen Klageverfahrens geworden, das zurückgenommen worden sei. Ein gesondertes Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 07.01.2011 sei entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung nicht statthaft gewesen. Hieran ändere das gleichwohl durchgeführte Widerspruchsverfahren nichts, auch nicht der Widerspruchsbescheid, der in der Sache nur die Zurückweisung des Widerspruchs regele. Ob in der unzulässigen Klage zugleich ein Überprüfungsantrag liege, bedürfe im vorliegenden Klageverfahren keiner Klärung. Ohne dass es darauf ankäme, sei die Klage auch unbegründet. Eine "rechtssystematische Verfehlung" führe nicht zur Unanwendbarkeit gesetzlicher Vorschriften. Die Regelung der grundsätzlichen Anrechnung gemäß § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI sei auch verfassungsgemäß.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 01.12.2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 29.12.2011 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie macht weiter geltend, dass ein rechtssystematischer Fehlansatz sehr wohl zur Unanwendbarkeit gesetzlicher Anrechnungsvorschriften führe, wenn es sich um Fälle handele wie bei § 93 SGB VI. Überdies bestünden weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.11.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2011 zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes ungekürzt auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Unfallhinterbliebenenrente führe gemäß § 93 Abs 1 Nr 2 SGB VI zu einer Rentenkürzung in der gesetzlichen Rentenversicherung, soweit die entsprechenden Grenzbeträge überschritten würden (aktuell bei der Klägerin um ca 83 EUR monatlich). Höchstrichterliche Entscheidungen hierzu seien bereits mehrfach getroffen worden (unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG) 31.03.1998, B 4 RA 59/96 R, SozR 3-2600 § 93 Nr 8).

Hinsichtlich der weiterein Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akte des SG zum Verfahren S 2 R 5575/10 und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, denn der Bescheid vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2011 konnte zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 09.06.2011 aufgrund der zuvor erklärten Klagerücknahme im Verfahren S 2 R 5575/10 nicht mehr gerichtlich angefochten werden.

Der Bescheid vom 07.01.2011 war nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 2 R 5575/10 geworden, da er angesichts der Neuberechnung der Rente ab Rentenbeginn den Bescheid vom 08.02.2010, abgeändert durch Bescheid vom 10.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.09.2010 abgeändert bzw ersetzt hat. Hierauf hat das SG die Beteiligten in seinem Vergleichsvorschlag vom 07.02.2011 ausdrücklich hingewiesen. Im Erörterungstermin am 19.05.2011 hat die Klägerin sodann die Klage zu Protokoll des SG vollumfänglich zurückgenommen und auch die Rücknahme des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 08.02.2010 erklärt. Die Klagerücknahme betraf den gesamten Streitgegenstand und führte somit zur Erledigung der Hauptsache (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG), denn irgendwelche Einschränkungen sind aus der Niederschrift des SG nicht ersichtlich. Damit war als Gegenstand des Verfahrens auch der Bescheid vom 07.01.2011 erfasst, der durch die Klagerücknahme in Bestandskraft erwachsen ist (§ 77 SGG).

Nach erfolgter Klagerücknahme konnte die Klägerin vorliegend auch keine neue Klage erheben. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich eine neue Klage nach Klagerücknahme nicht möglich ist. Dabei geht es davon aus, dass den Regelungen in § 102 SGG und in den anderen Verfahrensgesetzen hinsichtlich des Schutzes des Beklagten vor einer willkürlichen Disposition des Klägers über den Streitgegenstand derselbe Rechtsgedanke zugrundeliegt: Hat der Beklagte ein für ihn günstiges Urteil erstritten, so soll ihm dieses Urteil - auch solange es noch nicht rechtskräftig ist - nicht durch Klagerücknahme mit der Folge aus der Hand geschlagen werden, dass eine neue Klage mit demselben Streitgegenstand gegen ihn erhoben werden kann (BSG 28.04.1967, 3 RK 107/64, SozR Nrn 9 zu § 102; BSG 27.09.1983, 8 BK 16/82, SozR 1500 § 102 Nr 5). Aber auch soweit die Auffassung vertreten wird, eine neue Klage sei nach Klagerücknahme noch möglich, soweit sie fristgemäß erhoben werde (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 102 RdNr 11; Hauck in Hennig, SGG, § 102 RdNr 27), sind dafür jedenfalls die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu beachten. Eine isolierte Klage gegen den Bescheid vom 07.01.2011 war nicht zulässig, da die Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) der ursprünglichen Klage (S 2 R 5575/10) sich hierauf erstreckte und ein zweites Verfahren zwischen denselben Beteiligten über denselben Streitgegenstand unzulässig ist (Sperrwirkung, § 202 SGG iVm § 17 Abs 1 Gerichtsverfassungsgesetz). Insoweit besteht kein Wahlrecht der Klägerin zwischen Einbeziehung und selbstständiger Anfechtung (BSG 17.11.2005, B 11a/11 AL 57/04 R, SozR 4-1500 § 96 Nr 4; BSG 23.11.2006, B 11b AS 9/06 R, SozR 4-4300 § 428 Nr 3). Der gegen den Bescheid vom 07.01.2011 eingelegte Widerspruch war unzulässig (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO § 96 RdNr 11c). Wäre lediglich die Widerspruchsfrist abgelaufen gewesen, hätte die Beklagte im Rahmen ihrer Sachherrschaft gleichwohl über den Widerspruch sachlich entscheiden können (BSG 12.10.1979, 12 RK 19/78, BSGE 49, 85, 87 = SozR 1500 § 84 Nr 3). Anders ist die Situation indes hier, denn ein Widerspruch war als gesetzlicher Rechtsbehelf wegen der Einbeziehung in das laufende Verfahren gar nicht statthaft. Insoweit bestand keine Kompetenz der Widerspruchsbehörde, aufgrund eines nicht gegebenen Rechtsbehelfs den angefochtenen Bescheid in der Sache zu überprüfen und dadurch einen (weiteren) Rechtsbehelf entgegen dem Gesetz zu geben (BSG 23.06.1994, 4 RK 3/93, SozR 3-1500 § 87 Nr 1). Auch wenn die Klagefrist am 09.06.2011 hinsichtlich des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2011 noch nicht abgelaufen war, konnte insoweit eine zulässige Klage nicht erhoben werden, denn durch die Einlegung eines von vornherein nicht statthaften Rechtsbehelfs kann der Eintritt der Bindungswirkung des Verwaltungsakts nicht gewillkürt hintangehalten werden (BSG 23.06.1994, aaO).

Auch eine isolierte Aufhebung allein des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2011 kommt nicht in Betracht, denn ein Rechtsschutzinteresse ist insoweit nicht ersichtlich (vgl Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 05.07.2012, L 11 AS 759/11, juris mwN). Der Widerspruchsbescheid vom 04.05.2011 weist den Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.01.2011 lediglich zurück und enthält insoweit keine vom Ausgangsbescheid losgelöste Sachentscheidung mit einer neuen Beschwer für die Klägerin. Das eigentliche Rechtsschutzbegehren zielt nicht auf einen prozessualen Teilerfolg (Aufhebung des Widerspruchsbescheids), sondern auf eine positive Sachentscheidung. Hier ist indes eine für die Klägerin günstigere Entscheidung nicht möglich, da der Widerspruch als unzulässig verworfen werden müsste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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