L 8 SB 2145/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 596/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2145/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seines Grades der Behinderung (GdB) mit 50.

Der 1954 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und zum unbefristeten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Für ihn wurde mit Bescheid vom 30.01.2003 ein GdB von 30 wegen Bluthochdrucks, Fettstoffwechselstörung, koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Koronardilatation (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelgleiten (Teil-GdB 10), Depression (Teil-GdB 10) und Atembehinderung bei Verengung des Nasengangs (Teil-GdB 10) festgestellt. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26.05.2003). Im Rahmen des dagegen angestrengten Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG - S 3 SB 1641/03) einigten sich die Beteiligten auf die Feststellung eines GdB von 40. Den Vergleich führte der Beklagte mit Bescheid vom 14.02.2005 aus.

Am 27.07.2006 beantragte der Kläger eine Änderung der bisherigen Entscheidung und legte Arztunterlagen seiner behandelnden Ärzte vor. Die Kardiologin Dr. G.-F. berichtete am 21.06.2005 über eine koronare Drei-Gefäß-Erkrankung bei ausreichender linksventrikulärer Funktion, Hypokinesie septal und apikal mit geringer Dilatation. Es bestehe eine labile arterielle Hypertonie mit grenzwertiger linksventrikulärer Hypertrophie und rückläufiger diastolischer Ventrikelfunktionsstörung. Ein Anhalt für einen Herzklappenfehler bestehe nicht. Angina pectoris Beschwerden seien bei einer Belastung in der Ergometrie bis 150 Watt nicht aufgetreten. Weiterhin bestehe der Verdacht auf ACE-Hemmer-Nebenwirkungen, ein Schlafapnoe-Syndrom und eine Depression. Die Schultern seien schmerzhaft, die linke Schulter könne er gar nicht heben. Beim Bergangehen werde Atemnot angegeben. Sein Diabetes sei mit einem HbA1c von 6,8 % nicht optimal, er habe keine Tabletten, spritze auch kein Insulin. Der Blutdruck war mit Medikamenten gut eingestellt.

Der Orthopäde Dr. He. bescheinigte am 29.05.2006 eine PHS ankylosans beidseits, ein Halswirbelsäulen- (HWS) Syndrom mit Osteochondrose C4/5, eine chronische Lumbago mit ausgeprägter Osteochondrose L5/S1 und fraglicher Olisthese, Hyperlordose und Beinverkürzung rechts um einen Zentimeter, eine Epicondylitis radialis links mehr als recht und einen Außenbandreiz sowie hochgesprengte Füße beidseits.

Die Neurologin Dr. Be. berichtete unter dem 11.07.2006, der Kläger gebe in letzter Zeit vermehrte Traurigkeit, schnelle Aggressivität und Angespanntheit an. Er habe den Eindruck, seine Gedächtnisstörungen hätten sich verschlimmert; im Gespräch habe sich aber kein Anhalt für mnestische Störungen ergeben. Es bestehe eine leichte kognitive Beeinträchtigung ohne Zunahme seit 2002.

Der Beklagte zog Unterlagen des Hausarztes Dr. Sche. bei. Darunter befanden sich Arztbriefe von Dr. He. vom 26.11.2005 und 03.06.2006.

Auf Nachfrage des Beklagten übersandte die Kardiologin Dr. G.-F. einen Arztbrief vom 19.09.2006. Der Kläger gab dort bei häufigem Wetterwechsel verstärkte Kopfschmerzen und Rückenbeschwerden an. Zur Behandlung des Diabetes mellitus erhalte er jetzt Glibenclamid 2x1 Tablette. Die orthopädischen Beschwerden standen im Vordergrund, der kardiale Befund war stabil.

Dr. Sche. erstattete am 26.10.2006 einen Befundbericht, in dem er mitteilte, dass der Kläger infolge von körperlichen Beschwerden und finanziellen und sozialen Problemen zunehmend depressiv werde. Es bestehe ein Typ-II-Diabetes, der ausreichend mit Medikamenten oral eingestellt sei, Insulin werde nicht gegeben. Betreffend das Schlaf-Apnoe-Syndrom verhalte man sich abwartend, eine CPAP-Therapie werde nicht durchgeführt.

Nach Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. F. , 24.04.2007) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19.06.2007 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab.

Dagegen erhob der Kläger am 28.06.2007 Widerspruch, zu dessen Begründung er verschiedene ärztliche Gutachten vorlegte. Der Orthopäde Dr. W.-S. erstattete am 14.05.2007 ein Gutachten für die Rentenversicherung. Dort gab der Kläger Schmerzen in beiden Hüften, beiden Schultern und der Wirbelsäule an. Früher auftretende Beschwerden in den Ellenbogen und den Knien seien nach Behandlung besser geworden. Dr. W.-S. stellte ein unbehindertes Gangbild rechts bei geringfügiger Beinverkürzung gegenüber links fest. Es bestanden Knick-Senkfüße. Die Muskeleigenreflexe in den unteren Extremitäten waren nicht auslösbar. Dr. W.-S. kam zu dem Ergebnis, dass eine anlagebedingte hohlrunde Wirbelsäulenfehlform mit muskulären Beschwerden ohne Nachweis einer Nervenwurzelreizung bestehe. Weiterhin seien deutliche, das altersentsprechende Maß überschreitende degenerative Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule (LWS) mit erheblicher Bandscheibenverschmälerung (Schober 10/15 cm, Ott 30/31,5 cm, FBA 40 cm), eine Coxalgie (Beweglichkeit der Hüften 0/0/120°) und eine Gonalgie beidseits (Knie 0/0/130°) festzustellen.

Der Internist Dr. Ha. erstattete am 15.05.2007 ebenfalls ein Gutachten für die Rentenversicherung. Dort gab der Kläger an, nachts bis zu 15 Mal Wasser lassen zu müssen. Ohne Tabletten sei er nervös und leide unter Depressionen, bei häufigem Wetterwechsel habe er verstärkt Kopfschmerzen. Der Finger-Boden-Abstand bei dieser Untersuchung betrug 20 cm. Der Kläger wirkte psychisch ausgeglichen, freundlich zugewandt. Die Laboruntersuchung erbrachte einen HbA1c Wert von 7,7 %. In der Lungenfunktionstestung zeigte sich eine leichte Restriktion und der Verdacht auf eine leichte Obstruktion. Im Belastungs-EKG war eine Belastung bis 150 Watt möglich. Bei 150 Watt kam es zu Zeichen einer koronaren Durchblutungsstörung. Dr. Ha. diagnostizierte eine koronare Herzerkrankung, einen labilen arteriellen Bluthochdruck (155/100 mmHg), einen Diabetes mellitus, eine Hyperlipidämie und eine latente Schilddrüsenüberfunktion. Der Blutzucker sei gut eingestellt.

Der Kläger legte weiterhin einen Arztbrief von Dr. G.-F. vom 10.10.2007 (Herzkatheterbefund) vor.

Nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. A.-F., 09.10.2007, Dr. Wo. , 27.12.2007) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2008 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 21.01.2008 abgesandt.

Dagegen erhob der Kläger am 15.02.2008 Klage zum SG, zu deren Begründung er vortrug, der Beklagte habe die Behinderungen nicht hinreichend berücksichtigt.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Sche. bestätigte unter dem 01.05.2008 die Diagnosen koronare Drei-Gefäß-Erkrankung mit seit ca. September 2007 zunehmenden Schmerzen bei körperlicher Belastung, arterielle Hypertonie mit derzeit unter Therapie überschießenden Blutdruckwerten, Hyperlipoproteinämie, Diabetes mellitus mit oralen Antidiabetika befriedigend eingestellt, gastroösophagale Refluxkrankheit, leichte chronische Gastritis, Rhonchopathie ohne wesentliche Atemregulationsstörung und chronische Raucherbronchitis, depressives Syndrom medikamentös teilweise kompensiert, orthopädische Erkrankungen. Letztere würden ausschließlich durch Dr. He. behandelt. Der GdB sei zu niedrig angesetzt, der Gesamt-GdB liege deutlich über 50. Dr. Sche. übersandte weitere Arztbriefe des Internisten/Kardiologen M. vom 25.09.2007 (Belastungs-EKG mit 2 min 100 Watt), dem Kardiologen Dr. L. vom 30.01.2008 (125 Watt, Kläger aktuell beschwerdefrei) und dem Internisten Dr. We. vom 15.12.2006 (Rhonchopathie, keine relevante Atemregulationsstörungen im Sinne einer Schlaf-Apnoe).

Der Kardiologe Dr. L. teilte am 05.05.2008 mit, der GdB von 20 für die Herzerkrankung sei zu niedrig, die letzte Intervention liege sieben Monate zurück. Derzeit scheine zwar ein stabiler Zustand erreicht zu sein, aufgrund der multiplen Risikofaktoren könne aber nie von einem konstanten Befund gesprochen werden. Er übersandte seinen Arztbrief vom 02.05.2008, nach dem der Kläger nunmehr auf Metformin zur Behandlung seines Diabetes eingestellt war. Die Belastung war bis 100 Watt möglich. Für eine Weiterentwicklung der koronaren Herzkrankheit ergaben sich keine Hinweise. In der Zeit vom 08. bis 09.10.2007 wurde der Kläger zur Koronarangiographie und koronarangiographischen Intervention stationär behandelt (Entlassungsbericht Kreiskliniken R. 07./15.11.2007).

Der Internist und Endokrinologe Dr. Z. gab am 09.05.2008 an, der Kläger sei nur einmal im Jahr 2004 zu einer Magenuntersuchung in seiner Praxis gewesen. Er habe eine Anschwellung des Bauchs nach bestimmten Nahrungsmitteln beklagt. Es habe sich eine ausgeprägte erosive Gastritis und eine chronische Gastritis durch Helicobacter pylori gezeigt.

Der Orthopäde Dr. He. teilte unter dem 08.05.2009 mit, er habe den Kläger im Jahr 2007 wegen einer Periarthritis humeroscapularis rechts (Abduktion der Schulter 140°), eines Halswirbelsäulen (HWS) Syndroms, einer zervikalen Diskopathie und einer Osteochondrose der Wirbelsäule behandelt.

Dr. Be. antwortete am 06.05.2008, dass der Kläger nur einmal am 11.07.2006 in Behandlung wegen einer bekannten Depression wegen damals erneuter depressiver Episode gewesen sei.

Das SG befragte Dr. He. erneut schriftlich. Der Kläger war dort im Jahr 2008 wegen einer Gelenksteife in der Schulterregion mit Arthrose, einer Radikulopathie im Zervikalbereich mit Osteochondrose, einer Lumbago mit Osteochrondrose in der LWS und sonstiger Reduktionsdefekte der unteren Extremitäten in Behandlung (Zeugenaussage vom 29.11.2008).

Am 08.12.2008 wurde erneut eine Herzkatheteruntersuchung beim Kläger durchgeführt (Arztbrief Dr. L. , 15.12.2008, Herzkatheterbericht Klinikum am S. vom 08.12.2008), nachdem er nach einem Jahr weitgehender Beschwerdefreiheit wieder über bei Belastung auftretende Beschwerden linksthorkcal geklagt hatte (Arztbrief Dr. L. vom 26.11.2008).

Der Beklagte legte versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. von der B. vom 28.07.2008 und Dr. G. vom 17.03.2009 vor.

In der Zeit vom 30.12.2008 bis 20.01.2009 befand sich der Kläger in stationärer Rehabilitation in der M. Klinik Bad L ... Ausweislich des Entlassungsberichts vom 16.02.2009 gab der Kläger dort Schmerzen in den Ellenbogen, Knien, der Wirbelsäule, Bewegungseinschränkung beider Schultern und einen Schwindel wegen der Einnahme von Tabletten an. Bei der dortigen Untersuchung konnten keine manifesten kardiopulmonalen Dekompensationszeichen festgestellt werden. Bei der Untersuchung der Wirbelsäulenfunktion kam der Verdacht auf eine gesteigertes Schmerzempfinden auf. Der Kläger konnte die Schultern aktiv nur bis 100 bzw. 110° heben. In der psychosomatischen Mitbehandlung wurde eine leichte depressive Episode diagnostiziert. Eine regelmäßige Dokumentation des Blutzuckers wurde im Rehabilitationsentlassungsbericht nicht wiedergegeben.

Der Beklagte legte eine Stellungnahme von Dr. K. vom 22.06.2009 vor.

Der SG holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 11.08.2009 ein. Er kam zu dem Ergebnis, dass der GdB von 40 weiterhin zutreffend sei. Der Kläger teilte dort mit, dass er zur Senkung des Blutzuckers dreimal täglich eine Tablette Metformin Sandoz 850 mg und eine Tablette Glimeperid Hexal 2 mg einnehme. Der Kläger erschien klagsam, aber nicht auffällig dysphorisch oder depressiv. Der Kläger entkleidete sich unauffällig, auch das Polohemd und Unterhemd könne er beidhändig über Kopf abstreifen. Der Kläger habe chronische Wirbelsäulenbeschwerden in LWS und HWS, die schon seit über 30 Jahren bestünden. In der LWS beschreibe er einen variablen Dauerschmerz mit Ausstrahlung in das Gesäß. In der HWS bestehe ein bewegungs- und belastungsabhängiger vorübergehender Schmerz. Der Bewegungsumfang sei in etwa altersentsprechend reduziert, die Wirbelsäule mäßiggradig druck- und klopfempfindlich. Weiterhin bestünden bewegungs- und belastungsabhängige Schulterschmerzen mit Ausstrahlung in Ober- und Unterarme bis in die Hände mit gelegentlichen schmerzhaften Verkrampfungen. Die Bewegungsfähigkeit der Schultern war bei der Untersuchung nicht eingeschränkt. Bei der Prüfung sei die Hüftgelenksbeweglichkeit durch muskuläres Gegenspannen eingeschränkt, bei Spontanbewegungen wie z.B. der tiefen Hocke ließe sich keine relevante Bewegungseinschränkung erkennen. Die subjektiven Beschwerden des Klägers ließen sich auf der Grundlage der objektiven Befunde nur teilweise nachvollziehen. Die Funktionsstörung der Wirbelsäule bedinge einen GdB von 20, der Schultergelenke von 10, die koronare Herzerkrankung 20, die Depression 20 und die Atemwegserkrankung 20, so dass insgesamt der GdB von 40 weiter angemessen sei. Die Werte für die koronare Herzerkrankung habe er den versorgungsärztlichen Stellungnahmen entnommen, die Bewertungen von Dr. L. mit einem GdB von 40 erscheine ihm aber eher nachvollziehbar. Selbst wenn man aber den GdB auf internistischem Fachgebiet mit 40 einschätzen wolle, erhöhten die orthopädischen Beschwerden den GdB nicht. Die vorliegenden Befunde hebten den Kläger nicht wesentlich aus der Gruppe der Gleichaltrigen hervor.

Der Beklagte legte eine ärztliche Stellungnahme von Dr. Pa. vom 04.12.2009 vor. Der Kläger reichte einen Arztbrief des Dr. Mi. vom 13.04.2010 zu den Akten. Dort war der Kläger wegen Wirbelsäulenbeschwerden in Behandlung. Es bestünden ausstrahlende Schmerzen in der distalen LWS bei rechts hinkendem Gangbild. Ein konkretes klinisches Korrelat für die Beschwerden fand Dr. Mi. nicht. Ausweislich einer Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin und spezielle Schmerztherapie Dr. Ma. vom 30.07.2010 wurde der Kläger schmerztherapeutisch behandelt. Im Vordergrund stehe eine ausgeprägte Angsterkrankung, die eine sinnvolle Schmerztherapie fast unmöglich mache. Dr. He. beschrieb in einem Arztbrief vom 12.10.2010 chronische Ruhe- und Belastungsbeschwerden in der gesamten Wirbelsäule und den Schultern. In beiden Schultern finde sich eine Abduktionssperre bei 100°.

Der Beklagte legte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 05.04.2011 vor.

Das SG holte auf Antrag des Klägers ein orthopädisches Gutachten des Dr. St. vom 19.09.2011 ein. Er stellte fest, dass der Kläger Schmerzen in der LWS habe (Ott´sche Differenz 3 cm, Schober´sche Differenz 6 cm) und die Schulterbeweglichkeit links mehr als rechts eingeschränkt sei (140° rechts, 100° links). Die Ellenbogen wiesen einen Druckschmerz bei freier Beweglichkeit auf. Die Hüftgelenksbeweglichkeit war endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Die Kniegelenksbeweglichkeit war nahezu frei, die Bänderführung straff. Dr. St. kam zu dem Ergebnis, dass die Beschwerden in der Wirbelsäule einen GdB von 30, in den Hüften von 10, in den Schultern von 10, den Knien von 10, den Ellenbogen von 0 und durch einen Kipp-Hohl-Spreiz-Fuß von 0 bedingten. Bis 2007 habe der GdB für die Wirbelsäulenbeschwerden noch bei 20 gelegen. Jetzt sei eine zunehmende Muskelminderung im linken Bein von 2 cm im Ober- und einem Zentimeter im Unterschenkel eingetreten. Der Gesamt-GdB betrage unter zusätzlicher Berücksichtigung von 20 für die Herzerkrankung, 20 für die Depression und 20 für den Diabetes 50.

Dieser Einschätzung trat der Beklagte unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 14.10.2011 entgegen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.11.2011 blieb Dr. St. bei seiner Einschätzung, weil zwar Schober und Ott normal, der Finger-Boden-Abstand aber eingeschränkt gewesen sei und die Muskelminderung im Oberschenkel zu berücksichtigen sei. Es bestehe eine rezidivierende Bewegungseinschränkung. Dem trat der Beklagte erneut unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Br. vom 02.02.2012 entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.04.2012 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass den Ausführungen von Dr. H. im Gutachten vom 11.08.2009 zu folgen sei. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien unter Berücksichtigung der von Dr. H. mitgeteilten Bewegungsausmaße mit einem GdB von 20 zu berücksichtigen. Dem entsprächen die im Entlassungsbericht der Klinik L. mitgeteilten Bewegungsausmaße. Dr. St. habe die Beweglichkeit der Wirbelsäule in seinem Gutachten ähnlich beschrieben, seine Einschätzung des GdB mit 30 sei insofern nicht nachvollziehbar, insbesondere weil allein in bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen noch keinen GdB rechtfertigten. Die Beschwerden in den Schultern bedingten einen GdB von 10. Hinsichtlich der Hüftgelenke liege keine Funktionsbeeinträchtigung vor. Selbst wenn man die Coxarthrose mit Dr. St. mit 10 veranschlagen wolle, hätte das keine Auswirkungen auf den Gesamt-GdB. Auch hinsichtlich der Kniegelenke ergebe sich keine Funktionseinschränkung. Die koronare Herzerkrankung mit metabolischem Syndrom sei mit einem GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Diesbezüglich schildere der Kläger seit 2009 keine Probleme mehr. Rhythmusstörungen und signifikante Endstreckenveränderungen seien nicht aufgefallen. Blutdruck und Pulsverhalten seien regelrecht auch nach Belastung. Die nach den Akten immer wieder angegebene depressive Episode bedinge einen GdB von höchstens 20. Im Entlassungsbericht der Klinik L. sei lediglich eine leichte depressive Episode beschrieben, der Kläger sei nach den Angaben von Dr. Be. in den letzten zwei Jahren nur einmal nervenfachärztlich behandelt worden. Hinsichtlich der Behinderung des Nasenganges, des Schlafapnoe-Syndroms und der chronischen Bronchitis sei der Beklagte zutreffend von einem GdB von 20 ausgegangen, der Diabetes bedinge einen GdB von 10. Der Gesamt-GdB betrage 40.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 26.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23.05.2012 eingelegte Berufung des Klägers, zu deren Begründung er vorträgt, dass das SG nicht ausreichend deutlich gemacht habe, warum der GdB für die Wirbelsäulenbeschwerden nicht 30 betrage wie Dr. St. vorgeschlagen habe. Insofern widersprächen sich Dr. H. und Dr. St. sowie Dr. He ... Es sei deshalb ein weiteres orthopädisches Gutachten einzuholen. Die übrigen GdB seien unstreitig.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.04.2012 und den Bescheid des Beklagten vom 19.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.01.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 ab dem 27.07.2006 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich dem Gerichtsbescheid des SG an.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne münd-liche Verhandlung einverstanden erklärt.

Betreffend die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, einen Band Akten des Sozialgerichts Reutlingen und die beim Senat angefallenen Akten.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Die Entscheidung des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht kein höherer GdB als 40 zu. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die rechtlichen Grundlagen und auch die Bemessung der Einzel-GdB sowie den Gesamt-GdB zutreffend und ausführlich dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug, § 153 Abs. 2 SGG.

Im Hinblick auf das Berufungsverfahren ist ergänzend Folgendes auszuführen:

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung einzig gegen die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20. Die Wirbelsäulenbeschwerden sind jedoch mit einem GdB von 20 ausreichend berücksichtigt. Der Senat sah sich insofern nicht veranlasst, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, widersprechen sich die Gutachten von Dr. St. und Dr. H. nicht wesentlich hinsichtlich der von ihnen festgestellten Bewegungsausmaße. Dr. St. interpretiert lediglich eine Muskelminderung von zwei bzw. einem Zentimeter im linken Bein als Hinweis auf eine höhergradige Beeinträchtigung der Lendenwirbelsäule, die sich aber anhand der von ihm in diesem Bereich festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne von Bewegungsausmaßen nicht verifizieren lässt. Insofern hat das SG zutreffend ausgeführt, dass eine Umfangminderung von einem bzw. zwei Zentimetern noch dem Normalen entspricht und nicht höhergradige Funktionsbeeinträchtigungen der Lendenwirbelsäule beweist, die auch Dr. St. in der klinischen Untersuchung nicht feststellen konnte. Einer weiteren medizinischen Sachaufklärung bedarf es insofern nicht. Im Übrigen hat auch der Kläger einen offenen klärungsbedürftigen medizinischen Sachverhalt nicht substantiiert dargetan, weshalb seinem Antrag auf Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens nicht zu entsprechen war.

Auch die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen hat das SG zutreffend bewertet. Insbesondere der beim Kläger vorliegende Diabetes bedingt jedenfalls keinen höheren GdB als 20. Für die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) sind die GdB-Bewertungsgrundsätze durch die Zweite Verordnung zur Änderung der VersMedV (BGBl. 2010, 928) mit Wirkung vom 22.07.2010 geändert worden. Mit dieser Änderung wurde Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nachvollzogen, die sowohl zu den bis 31.12.2008 anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) als auch zu den versorgungsmedizinischen Grundsätzen in der VersMedV seit 01.01.2009 (VG) ergangen ist (BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 9, v. 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R, Juris). Auf die VG in der Fassung der Änderungsverordnung kann auch für die Zeit vor deren Inkrafttreten zurückgegriffen werden (BSG, Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 12). Danach gilt nach den VG Teil B 15.1 für die GdB-Bewertung eines Diabetes mellitus: Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und die durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB-Werte bedingen.

Der Kläger wird nach seinen eigenen Angaben gegenüber Dr. H. durch die dreimal tägliche Einnahme von Metformin und die einmal tägliche Einnahme von Glimeperid behandelt. Hinweise darauf, dass der Kläger sich selbst den Blutzucker messen und ihn dokumentieren muss, ergeben sich weder aus den Akten einschließlich des Rehabilitationsentlassungsberichts und der Zeugenaussagen der Dr. Sche. , Dr. L. und Dr. Z. noch aus den Angaben des Klägers im erstinstanzlichen und Berufungsverfahren. Der Senat sah sich mangels Hinweises auf eine Änderung der Behandlung des Diabetes und des damit verbundenen Therapieaufwands auch nicht gehalten, insofern weitere Ermittlungen anzustellen. Der GdB für den Diabetes ist mit 20 hinreichend berücksichtigt.

Auch unter Berücksichtigung eines GdB von höchstens 20 für den Diabetes (statt 10 wie vom SG angenommen) ergibt sich kein höherer Gesamt-GdB als 40. Beim Kläger besteht keine schwerwiegende Behinderung, die mit einem Teil-GdB von 30 oder mehr zu bewerten ist. Nach den dargestellten Grundsätzen zu Bildung des Gesamt-GdB ist es bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 jedoch vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteile vom 25.03.2011 - L 8 SB 4762/08 - und 05.03.2010 - L 8 SB 5038/08 -, m.w.N., unveröffentlicht) ist es daher grundsätzlich nicht möglich, bei Vorliegen mehrerer Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20, wie dies beim Kläger zutrifft, einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen beim Kläger nicht vor. Solche Umstände sind im Gutachten von Dr. H. nicht beschrieben und sind auch sonst nicht erkennbar.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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