S 28 AS 3119/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 28 AS 3119/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Auch im Rahmen einer vorläufigen Leistungsbewilligung nach dem SGB II sind die dem Grundsicherungsträger bekannten Kosten der Unterkunft und Heizung in zutreffender Höhe in die Leistungsberechnung einzustellen. (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 6.April 2011, Aktenzeichen B 4 AS 119/10 R Rn 34).

2. Erledigt sich das Hauptsachebegehren nach Klageerhebung durch den Erlass eines Festsetzungsbescheides, der die Kosten der Unterkunft und Heizung in zutreffender Höhe berücksichtigt und erklärt der Leistungsempfänger den Rechtsstreit hieraufhin für erledigt, so sind im Rahmen der Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG die Erfolgsaussichten beim Eintritt der faktischen Hauptsacheerledigung bei der gerichtlichen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

3. Eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers ist bei gemäß § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren vor den Sozialgerichten als Klagerrücknahme im Sinne des § 102 SGG auszulegen.
Der Beklagte hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Gründe:

1. Der Antrag auf Erlass einer Kostengrundentscheidung gemäß § 193 SGG ist zulässig und teilweise begründet.

Ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird (§ 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Hier endete das Verfahren gemäß § 102 Abs.1 SGG durch die dem Schriftsatz vom 28. September 2012 konkludent erklärte Klagerücknahme. Eine einseitige Erledigungserklärung gibt es in gemäß § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren nicht. Jedoch ist aus dem Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 28. September 2012 eindeutig der Wille zu erkennen, dass das Verfahren in der Hauptsache beendet werden soll. Die Erledigungserklärung ist somit in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB mangels hiermit verbundener nachteiliger Folgen für die Klägerin als Klagerücknahme auszulegen.

Nach § 193 Abs. 1 S. 1 SGG ist über die Kosten im Rahmen des richterlichen Ermessens unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Dabei sind insbesondere auch die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Maßgebend für die Kostentragung ist danach grundsätzlich der vermutliche Verfahrensausgang. Das Gericht kann aber auch den Anlass für die Klageerhebung berücksichtigen, z. B. wenn die Behörde bei falscher Sachbehandlung, auch falscher oder fehlender Begründung des Verwaltungsaktes Anlass für eine unzulässige oder unbegründete Klage gegeben hat (vgl. die Darstellung bei Meyer-Ladewig/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2012, zu § 193 Rn. 12ff mit Hinweisen auf Rechtsprechungsergebnisse). Hat der Beklagte dagegen sofort anerkannt oder sonst einer Änderung des Sach- und Streitstandes Rechnung getragen, sind dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, sofern nicht schon im Vorverfahren eine Notwendigkeit weiterer Ermittlungen offenbar gewesen wäre (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2006 ¬- L 27 B 52/05). Diese Gesichtspunkte sind Ausdruck des Veranlassungsprinzips.

An diesen Grundsätzen gemessen hat der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2/3 zu erstatten. Der streitgegenständliche vorläufige Leistungsbescheid vom 14. März 2011 in Gestalt der ihn gemäß § 86 SGG während des Widerspruchverfahrens abändernden Bescheide und des Widerspruchbescheides vom 28. November 2011 waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung rechtswidrig und wären zu diesem Zeitpunkt abzuändern gewesen, gegebenenfalls im Sinne einer Verpflichtungsentscheidung, dass der Beklagte monatlich um einen gewissen Betrag höhere Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin bei der endgültigen Entscheidung zu berücksichtigen gehabt hätte. Erst nach der Klageerhebung im Dezember 2011 hat der Beklagte dieses im Rahmen der Änderungsbescheide vom 5. Januar 2012 für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 26. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 getan, so dass er entsprechend der bis dahin bestehenden Erfolgaussichten der Klage auch den überwiegenden Teil der Kosten zu tragen hat. Hierbei ist auf Folgendes hinzuweisen:

Der Beklagte hat bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung auch bei einer vorläufigen Entscheidung diese Kosten in der zutreffenden Höhe zu berücksichtigen, insbesondere wenn deren Höhe eindeutig zu ermitteln ist. Die Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 328 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) räumt der Verwaltung zwar grundsätzlich sowohl hinsichtlich des "Ob" als des "Wie" (Art, Höhe, Dauer) der vorläufigen Leistung Ermessen ein, also ein Entschließungs- und Auswahlermessen. Allerdings verbleibt dem Beklagten im Bereich der Leistungen nach dem SGB II nur ein sehr eng begrenzter Entscheidungsfreiraum. So ist zunächst die Höhe der Leistung ohne das zu berücksichtigende Einkommen auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben zu bestimmen. Dabei sind alle Leistungsbestandteile in zutreffender Höhe zu ermitteln, hier Regelleistung und Leistung für Unterkunft und Heizung. Erst im Hinblick auf die Höhe eines möglicherweise zu berücksichtigenden Einkommens, das sodann die zuvor ermittelte Leistungshöhe senkt, ist das Vorhandensein eines Ermessensspielraums im Sinne eines Auswahlermessens denkbar, der gerichtlich gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüft werden kann. Zu beachten ist jedoch auch dabei, dass die Leistungen nach dem SGB II der Gewährleistung des Existenzminimums dienen, weshalb die Ermessensspielräume sich verengen, soweit es um die Sicherung der physischen Existenz (Nahrung, Kleidung, Wohnung) des Leistungsempfängers geht. Eine zweckentsprechende Ermessensbetätigung hat im Rahmen des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III deshalb regelmäßig zur Folge, dass die Leistungen in derjenigen Höhe gewährt werden, die bei Bestätigung der wahrscheinlich vorliegenden Voraussetzungen voraussichtlich auch endgültig zu leisten sein wird. Ein "vorsorglicher" Abschlag aufgrund der Vorläufigkeit scheidet im Regelungskreis des SGB II wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen regelmäßig aus (so Bundessozialgericht, Urteil vom 6. April 2011, B 4 AS 119/10 R Rn 34).

Dieser Argumentation des Bundessozialgerichts folgend ist es daher möglich, auch gegen vorläufige Entscheidungen mit Widerspruch und gegebenenfalls anschließender Klage vorzugehen. Die richtige Klageart ist dabei grundsätzlich die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Bundessozialgericht, a.a.O. Rn 21). Es muss jedoch nicht in jedem Fall zwingend auf die Verpflichtung des Trägers der Leistungen nach SGB II auf Abänderung seiner vorläufigen Entscheidungen im Rahmen einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geklagt werden. In den Fällen, in dem entweder von vornherein eine endgültige Entscheidung hätte ergehen müssen, oder das Ermessen der Behörde bezüglich der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Leistungsgewährung als auch bezüglich der Höhe der Leistungsgewährung auf Null reduziert sind, kann aber auch mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage aus prozessökonomischen Gründen direkt auf die Gewährung höherer endgültiger Leistungen nach dem SGB II geklagt werden (Bundessozialgericht, a.a.O. Rn 20f.). Falls die vorgenannten Bedingungen für eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nicht vorliegen, ist in dieser gegebenenfalls als Minus eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu sehen (Bundessozialgericht, a.a.O. Rn 21).

Tritt während eines laufenden Klageverfahrens eine endgültige Entscheidung an die Stelle einer vorläufigen Entscheidung gemäß § 40 SGB II i.V.m. § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch so führt dieses, wie der Beklagte unter Zitierung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend ausführt, dazu, dass die vorläufige Entscheidung gemäß § 39 Abs.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch sich auf sonstige Weise erledigt, da insbesondere die endgültige Leistungsgewährung eine aliud zu der vorangegangenen vorläufigen Leistungsgewährung darstellt und damit - grundsätzlich - nicht gemäß § 96 SGG an deren Stelle tritt. Prozessual hat dies zur Folge, dass bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage regelmäßig das Klageziel – die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass einer anders lautenden vorläufigen Entscheidung – nicht mehr zu erreichen ist. In diesem Fall müsste die Klage in der Hauptsache für erledigt erklärt werden.

Bei einer Klage, die unter den vorab dargestellten Bedingungen des Bundessozialgerichts – zulässig - als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf die Gewährung endgültiger höherer Leistungen nach dem SGB II gerichtet war, müsste dieses den Ansatz des Bundessozialgerichts konsequent fortgeführt, anders sein. In diesem Fall müsste der später ergehende Bescheid zumindest gemäß der Rechtsansicht des 26. Senats des Landessozialgerichts Berlin – Brandenburg, dem sich das Gericht anschließt, gemäß § 96 SGG Gegenstand des laufenden Klageverfahrens werden (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2011, Aktenzeichen L 26 AS 660/11 B PKH, Rn 7).

Ob ein solcher Fall hier gegeben ist, braucht das Gericht jedoch nicht zu entscheiden. Der Klägerbevollmächtigte hat ohne schuldhaftes Zögern nach Erlass der endgültigen Entscheidung durch den Beklagten, durch dem seinem Klagebegehren auf Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung im Übrigen auch in der Sache im Wesentlichen abgeholfen wurde, das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. In diesem Fall hat das Gericht in jedem Fall gemäß § 193 SGG eine Entscheidung nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen, insbesondere unter Berücksichtigung der Frage, ob die Klage bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung durch den Beklagten Erfolgsaussichten gehabt hätte.

Vorliegend wäre die Klage zumindest überwiegend begründet gewesen. Die Klägerin hat durch die Widerspruchsbegründung ihres Prozessbevollmächtigten vom 21. April 2011 ihr Begehren zum Ausdruck gebracht, dass für ihre Leistungsberechnung nach dem SGB II Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 353,46 Euro zu Grunde zu legen sind. Die Beklagte berücksichtigte in den streitgegenständlichen Bescheiden lediglich 327,66 Euro. Letztendlich wurden von dem Beklagten 343,89 Euro und im Monat Juli 2011 auf Grund der Erhöhung der monatlichen Heizgasabschläge 354,89 Euro bei der Leistungsbewilligung berücksichtigt. Hierbei liegt der Grund für die zu geringen Bewilligung von Leistungen nicht in einer fehlenden Mitwirkungshandlung des Klägerin sondern in einer von Anfang an bestehenden Missinterpretation der vorhandenen KdU – Unterlagen durch den Beklagten, die erst mit der endgültigen Leistungsbewilligung nach Klageerhebung durch den Beklagten korrigiert wurde. Der Beklagte hatte nämlich einen Betrag von 25,52 Euro für die Kabelgebühren der Klägerin von deren monatlichen Kosten der Unterkunft abgesetzt. Dabei entging dem Beklagten, dass dieser in der Betriebskostenrechnung der Firma Systeme & Service Abrechungsgesellschaft mbH ausgewiesen und monatlich von dem Beklagten in Abzug gebrachte Betrag ein Zweimonatsbetrag für den Zeitraum vom 1. November bis 31. Dezember 2009 war, was sich ohne Weiteres aus der dem Beklagten vorliegenden Unterlagen ergab (vgl. Blatt 18 der VA Rückseite). Tatsächlich betrugen die Kabelanschlussgebühren monatlich nur 9,57 Euro, was der Beklagte bei entsprechender Nachfrage wahrscheinlich auch erfahren hätte. In dieser Höhe hatte der Beklagte die Kabelanschlussgebühren allerdings tatsächlich nicht zu übernehmen, da sie nicht unabdingbarer Bestandteil der Miete waren, sondern die Klägerin die Wohnung auch ohne Kabelanschluss hätte anmieten können (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2009, Aktenzeichen B 4 AS 48/08 R Rn 20). Da der Klägerbevollmächtigte in seiner Widerspruchsbegründung auch die Übernahme dieser Kosten gefordert und die Klage zum Zeitpunkt der Abhilfe durch den Beklagten auch nicht entsprechend begrenzt hatte, waren Widerspruch und Klage teilweise ohne Erfolg bzw. Erfolgsaussichten.

Vor diesem Hintergrund sieht es das Gericht im Rahmen der Ausübung des richterlichen Ermessens für angemessen an, wenn die Klägerin 1/3 ihrer außergerichtlichen Kosten selber trägt und der Beklagte ihr den restlichen Betrag zu ersetzen hat.

2. Dieser Beschluss ist gem. § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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