S 27 KR 223/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 27 KR 223/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 45/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erklärt die Krankenkasse durch Bescheid dem Grunde nach die Inanspruchnahme einer privatärztlichen Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse durch den Versicherten für zulässig, muss die Krankenkasse auch die Kosten der privatärztlichen Leistung in voller Höhe lediglich begrenzt durch die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen erstatten. Die Kostenübernahme kann dann nicht unter Verweis auf das Sachleistungsprinzip (teilweise) abgelehnt werden.
1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2011 rechtswidrig ist und die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, dem Kläger bei Inanspruchnahme des Klinikums F. für die von der Beklagten genehmigten intravitrealen Injektion des Medikaments Lucentis die Kosten entsprechend des Kostenvoranschlags des Klinikums F. vom 05.08.2011 zu erstatten.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet war, die Kosten der privatärztlichen Inanspruchnahme zum Zwecke der intravitreale Injektion des VEGF-Hemmers Lucentis® zu übernehmen.

Der 1955 geborene Kläger leidet an einer linksseitigen Visusbeeinträchtigung infolge eines diabetischen Makulaödems. Hierbei handelt es sich um eine Folgeerkrankung des beim Kläger diagnostizierten Diabetes mellitus. Es kommt zu einer Beschädigung der Gefäßwände der Netzhaut und zur zusätzlichen Bildung von kleinen Gefäßausbuchtungen, so genannten Mikroaneurysmen. Tritt Flüssigkeit aus diesen aus, kann sich im Bereich der Makula eine Schwellung (Ödem) bilden. Man spricht dann vom diabetischen Makulaödem. Der Körper versucht hierauf zu reagieren, indem er vermehrt Wachstumsfaktoren wie den VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) produziert, die eine Neubildung von Blutgefäßen vorantreiben. Im Ergebnis führt dies jedoch zu einer weiteren Verschlechterung des Sehvermögens bis hin zur vollständigen Erblindung (vgl. hierzu Fath, in: Deutsches Ärzteblatt 108, Heft 12, S. A-659).

Therapieoption ist insoweit der Einsatz eines VEGF-Hemmers. Zur Anwendung am Auge verfügt jedoch derzeit allein der Wirkstoff Ranibizumab, der unter dem Handelsnamen Lucentis® vertrieben wird, über eine entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung. Es handelt sich hierbei um einen technisch hergestellten Antikörper, für den in Studien gezeigt werden konnte, dass er sowohl in Kombination mit Laser als auch als alleinige Therapie zu einer signifikanten Verbesserung der Sehkraft führen kann. Ranibizumab wirkt durch die Blockade des VEGF (vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor), der bei diabetischem Makulaödem vermehrt nachgewiesen wird. Somit wirkt die Substanz auch der Neubildung von schadhaften Blutgefäßen entgegen (vgl. zum Ganzen: Informationen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/NA/Archiv/2011022-Lucentis.pdf).

Das Medikament wird direkt ins Auge gespritzt; zu Beginn der Therapie häufiger, bis eine Verbesserung des klinischen Befunds eingetreten ist. Der Antikörper wird nur dann erneut verabreicht, wenn im Zuge der erforderlichen monatlichen Nachkontrollen wieder ein signifikanter Verlust der Sehkraft festgestellt wird.

Am 09.08.2011 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für die Durchführung von zunächst 3 intravitrealen Injektionen (IVI) von Lucentis® am linken Auge. Der von der Klinik für Augenheilkunde des Klinikums F. (im Folgenden: Augenklinik) ausgestellte Kostenvoranschlag vom 05.08.2011 wies insoweit ein ärztliches Honorar pro IVI in Höhe von 276,87 EUR analog Ziffer 1383 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ, Steigerungssatz 1,9) sowie ein ärztliches Honorar in Höhe von ca. 80,00 EUR für eine Nachuntersuchung aus.

Mit Bescheid vom 15.08.2011 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass diese die Kosten für drei IVI’en des linken Auges mit Lucentis® übernehme. Die Behandlung könne nicht über die Krankenversicherungskarte abgerechnet werden. Aus diesem Grund werde ein Betrag in Höhe von 153,03 EUR je Injektion übernommen. In dieser Summe seien sämtliche Kosten auch für Nachuntersuchungen enthalten. Mehrkosten seien vom Kläger zu zahlen. Der Kläger habe jedoch die Möglichkeit, die geplante Behandlung als Sachleistung kostenfrei abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung bei den in einer Liste beigefügten Einrichtungen/Praxen durchführen zu lassen.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27.08.2011 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch mit der Begründung, angesichts der fehlenden Abrechnungsfähigkeit der IVI mangels EBM-Ziffer als vertragsärztliche Leistung liege ein Systemversagen im Sinne der Rechtsprechung des BSG vor. Der Kläger sei daher berechtigt, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Die Abrechnung der GOÄ-Gebührenziffer 1383 analog sei nicht zu beanstanden. Ein Verweis auf den von der Beklagten mit verschiedenen Leistungserbringern geschlossenen Versorgungsvertrag sei angesichts der durch § 76 SGB V garantierten freien Arztwahl unzulässig.

Mit Schreiben vom 06.09.2011 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, die IVI könne derzeit mangels EBM-Ziffer nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung, sondern nur auf privatärztlicher Basis erbracht werden. Die Abrechnung habe auf Basis der GOÄ zu erfolgen. Insoweit sei mangels ausdrücklicher Gebührenziffer jedoch nicht auf die Gebührenziffer 1383 analog, sondern auf die GOÄ-Ziffern 256 und 445 zurückzugreifen. Hieraus ergebe sich eine Kostenbeteiligung in Höhe von lediglich 153,03 EUR. Ungeachtet dessen habe die Beklagte mit verschiedenen Leistungsträgern eine Vereinbarung geschlossen. Die dieser Vereinbarung angeschlossenen Augenärzte würden bis zu 3 Injektionen im Sachleistungsprinzip erbringen. Die vermeintliche Lücke im vertragsärztlichen System sei somit bis zur Aufnahme der IVI in den EBM-Katalog außerhalb dieses Systems geschlossen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2011 wies die Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers zurück. Die Begründung entspricht im Wesentlichen dem Schreiben der Beklagten vom 06.09.2011.

Nachdem der Kläger die IVI des Medikaments Lucentis® durch eine dem o. g. Versorgungsvertrag beigetretene augenärztliche Praxis hat durchführen lassen, begehrt er mit der am 29.11.2011 erhobenen Klage die Feststellung, dass die Beklagte bei privatärztlicher Behandlung verpflichtet gewesen wäre, die in Rechnung gestellten Behandlungskosten in voller Höhe zu übernehmen. Zur Begründung verweist der Kläger u. a. auf § 13 Abs. 3 SGB V, wonach die Kosten der IVI in der entstandenen Höhe zu erstatten seien. Darüber hinaus habe der Kläger das Recht der freien Arztwahl. Da die Behandlung nicht abgeschlossen sei und er diese im Klinikum F. fortführen wolle, habe er im Übrigen noch ein erhebliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angekündigten bloß teilweisen Kostenübernahme durch die Beklagte.

Der Kläger beantragt zuletzt,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2011 rechtswidrig ist und die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die volle Kostenübernahme bezüglich der Behandlungskosten des Klägers für die von der Beklagten genehmigte Lucentistherapie auch bei einem nicht mit der Beklagten vertraglich gebundenen Augenarzt, bei dem die Beklagte die ärztliche Behandlung als Sachleistung gewährt, zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, eine Versorgungslücke bestehe gegenwärtig nicht mehr. Allein im Land Brandenburg hätten sich bereits 118 Augenärzte an dem Versorgungsvertrag beteiligt. 24 davon würden die IVI vornehmen. Die mit der fehlenden vertragsärztlichen Versorgung einhergehenden Beschränkungen seien zumutbar und mit dem Recht der freien Arztwahl vereinbar. Der Kläger sei daher verpflichtet, die von der Beklagten angebotene Sachleistung in Anspruch zu nehmen, bevor er diese auf Kostenerstattung in Anspruch nimmt. § 13 Abs. 3 SGB V sei wegen der nunmehr fehlenden Versorgungslücke nicht anwendbar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 131 Abs. 1 S. 3 SGG statthaft. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf anderer Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung gilt nicht nur - wie nach ihrem Wortlaut zu vermuten wäre - für reine Anfechtungsklagen, sondern auch bei anderen Klagearten und damit auch bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen, wenn sich der ursprünglich angegriffene Verwaltungsakt bereits erledigt hat (BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 P 5/10 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Der Statthaftigkeit steht auch nicht entgegen, dass sich der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2011 mit der anderweitigen Verabreichung des Medikaments Lucentis® im Wege der intravitrealen Injektion bereits vor Klageerhebung auf andere Weise im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat (BSG, Urteil vom 28.08.2007 – B 7/7a AL 16/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Das in diesem Fall für die Zulässigkeit geforderte (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse im Sinne des § 131 Abs. 1 S. 3 SGG (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.08.2007 – B 7/7a AL 16/06 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, welches wohl nur ein "berechtigtes Interesse" im Sinne des § 55 SGG fordert) liegt in Form der Widerholungsgefahr vor. Die Behandlung des Klägers mit dem Medikament Lucentis® ist noch nicht abgeschlossen. Demnach ist bei wiederholter Beantragung einer entsprechenden Kostenübernahme damit zu rechnen, dass die Beklagte erneut die vollständige Kostenübernahme bei Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlungsleistungen verweigert.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hatte einen Anspruch auf Übernahme sämtlicher privatärztlicher Behandlungskosten, die ihm im Rahmen der Verabreichung der intravitrealen Injektionen (IVI) des VEGF-Hemmers Lucentis® entstanden wären. In der Sache handelt es sich hierbei um 3 Behandlungszyklen mit Behandlungskosten von jeweils 276,87 EUR zuzüglich Nachbehandlungskosten von ca. 80,00 EUR. Abzüglich der von der Beklagten bewilligten 153,03 EUR verbleibt damit eine Differenz in Höhe von jeweils 203,84 EUR. Dies ergibt bei 3 Behandlungszyklen einen nicht bewilligten Differenzbetrag in Höhe von 611,52 EUR.

Der Bescheid der Beklagten erweist sich somit, soweit die Kostenübernahme auf 153,03 EUR pro Injektion begrenzt wurde, als rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids war daher neben der (erledigten) Verpflichtung der Beklagten zur vollständigen Kostenübernahme festzustellen.

a) Entgegen der bisher zur vorliegenden Rechtsfrage ergangenen Rechtsprechung (vgl. etwa LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.11.2012 – L 5 KR 330/11; SG Oldenburg, Urteil vom 15.06.2012 – S 61 KR 304/11; SG Aachen, Urteil vom 11.03.2010 – S 2 (15) KN 115/08 KR, alle veröffentlicht in JURIS-Datenbank) bedarf es zur Begründung eines Anspruchs des Klägers auf vollständige Kostenübernahme keines Rückgriffs auf den in § 13 Abs. 3 SGB V normierten Kostenerstattungsanspruch. Aus diesem Grund bedarf es auch keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Beklagte die infolge der fehlenden vertragsärztlichen Abrechnungsmöglichkeit mangels gebührenrechtlicher Erfassung der IVI im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) bestehende "Lücke" in der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.04.2001 – B 1 KR 40/00 R; BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 1 KR 17/10 R, beide veröffentlicht in JURIS-Datenbank) durch den Abschluss eines gesonderten Versorgungsvertrages ("Vertrag zur ambulanten ärztlichen Versorgung gem. § 73c SGB V") mit einzelnen ärztlichen Leistungserbringern geschlossen hat. Zwar kann ein Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen oder höhenmäßig begrenzt sein, wenn die Krankenkasse wie hier den Versicherten von sich aus auf günstige(re) Möglichkeiten der angemessenen Selbstbeschaffung hinweist (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 3/12 R, Rz. 34, veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Dem könnte allerdings hier der in § 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 1 des vorgenannten Versorgungsvertrages geregelte Freiwilligkeitsvorbehalt für Versicherte entgegenstehen. Danach ist der Versicherte nur dann berechtigt, die dem Versorgungsvertrag angeschlossenen ärztlichen Leistungserbringer in Anspruch zu nehmen, wenn er seine freiwillige Teilnahme zuvor schriftlich erklärt hat (vgl. hierzu SG Aachen, Urteil vom 11.03.2010 – S 2 (15) KN 115/08 KR, veröffentlicht in JURIS-Datenbank).

Dies kann jedoch letztlich für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits offen bleiben. Denn die Beklagte hat dem Kläger mit dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheides dem Grunde nach die Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen in Form der IVI des Medikaments Lucentis® gestattet. Nicht anders lässt sich der Bescheidtenor nach Vorlage eines privatärztlichen Kostenvoranschlags durch den Versicherten verstehen, wenn es dort heißt, die Beklagte werde die Kosten für drei IVI’en des linken Auges mit Lucentis® übernehmen. Die Behandlung könne nicht über die Krankenversicherungskarte abgerechnet werden. Soweit die Beklagte in demselben Bescheid auch auf die Möglichkeit hinweist, die geplante Behandlung als Sachleistung kostenfrei abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung durchführen zu lassen, schränkt sie die zuvor erteilte Genehmigung der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen nicht etwa wieder ein. Vielmehr handelt es sich um einen bloßen Hinweis ohne Regelungscharakter. Eine verbindliche Vorgabe im Sinne einer Verpflichtung zur Inanspruchnahme der angebotenen Sachleistung erfolgt hierdurch an den Kläger gerade nicht. Vielmehr wird diesem ausdrücklich die Wahl zwischen dem Sachleistungs- und Privatarztsystem gelassen.

Wenn jedoch wie hier aufgrund des durch die Beklagte erteilten Bescheides dem Grunde nach die Inanspruchnahme einer privatärztlichen Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse durch den Versicherten zulässig war, muss die Beklagte auch die Kosten der privatärztlichen Leistung in voller Höhe lediglich begrenzt durch die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen tragen. Insoweit kann nichts anderes gelten, als im Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3 SGB V (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 3/12 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank).

Kein rechtlich beachtlicher Einwand ist es demgemäß, wenn die Beklagte im Klageverfahren, nachdem sie die Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen bereits genehmigt hat, auf die zusätzlich geschaffenen Sachleistungsmöglichkeiten verweist. Will sie stattdessen die geschuldete IVI (vgl. hierzu ausführlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.11.2012 – L 5 KR 330/11, Rz. 21 f., veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.) jetzt ausschließlich im Wege der Sachleistung erbringen, muss sie zunächst die zuvor getroffene Bewilligungsentscheidung unter Beachtung der in den §§ 45, 48 SGB X geregelten Voraussetzungen aufheben. Andernfalls verbleibt es hinsichtlich der dem Grunde nach genehmigten privatärztlichen Versorgung bei der Bindungswirkung des zuvor erteilten Bewilligungsbescheids.

b) Ausgehend davon kann die Beklagte allenfalls einwenden, die für die einzelnen Behandlungszyklen erstellten privatärztlichen Rechnungen seien überhöht und damit nicht in voller Höhe zu übernehmen. Denn geht es wie hier allein um die Kosten einer ärztlichen Behandlung, besteht ein Vergütungsanspruch des Arztes für eine ärztliche Behandlung nur, wenn er dem Patienten darüber eine ordnungsgemäße Abrechnung nach den Bestimmungen der GOÄ erteilt hat (BSG, Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 3/12 R, veröffentlicht in JURIS-Datenbank, m. w. Nw.). Nach § 1 Abs. 1 GOÄ bestimmen sich nämlich die Vergütungen für die beruflichen (privatärztlich erbrachten) Leistungen der Ärzte (ausschließlich) nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist.

Der dem Kläger unter dem 05.08.2011 durch die Augenklinik erteilte Kostenvoranschlag, in dem (u. a. analog) auf Gebührenziffern der GOÄ verwiesen wird, genügt jedoch gem. § 12 GOÄ formal den Anforderungen an das rechtswirksame Entstehen eines ärztlichen Vergütungsanspruchs. Ob dies bereits für eine Kostenübernahmeanspruch in voller Höhe genügt (so jedenfalls SG Oldenburg, Urteil vom 15.06.2012 – S 61 KR 304/11, veröffentlicht in JURIS-Datenbank) oder darüber hinaus die Abrechnung nicht offensichtlich wegen eines Verstoßes gegen die GOÄ rechtswidrig sein darf (so wohl LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.11.2012 – L 5 KR 330/11, Rz. 21 f., veröffentlicht in JURIS-Datenbank), kann ebenfalls offen bleiben. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten weist der Kostenvoranschlag hier zutreffend pro Behandlungszyklus einschließlich Nachbehandlung Kosten in Höhe von (ca.) 356,87 EUR aus.

aa) Hier haben die behandelnden Ärzte die Gebühren für die Injektion von Lucentis® nach der GOÄ berechnet. Da auch in der GOÄ eine Gebührennummer für die Injektion von Lucentis® nicht ausdrücklich bestimmt ist, durften sie hierfür in Anwendung des § 6 Abs. 2 GOÄ das Honorar einer gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnen. Die von den behandelnden Ärzten insoweit analog der Abrechnung zugrunde gelegte GOÄ-Nr. 1383 (Vitrektomie, Glaskörperstrangdurchtrennung, als selbständige Leistung) ist insoweit zutreffend (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.11.2012 – L 5 KR 330/11; SG Aachen, Urteil vom 11.03.2010 – S 2 (15) KN 115/08 KR; VG Ansbach, Urteil vom 26.01.2011 – AN 15 K 08.02057 u. a., alle veröffentlicht in JURIS-Datenbank). Denn mit dieser Analogziffer wird eine nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertige Leistung herangezogen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass es sich bei der IVI selbst nicht um eine Augenoperation handelt, bei der wie bei der Vitrektomie Teile des Glaskörpers entfernt werden. Allerdings handelt es sich entgegen der Beklagten ebenso wenig um eine Periduralinjektion (GOÄ-Nr. 256) oder gar eine Injektion in den Subarachnoidalraum (GOÄ-Nr. 257). Soweit die Beklagte auf die beiden zuletzt genannten GOÄ-Ziffern zurückgreifen will, weicht sie nicht nur von sämtlichen Abrechnungsempfehlungen anderer Institutionen ab (vgl. etwa Gebührenausschuss der Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 107, Heft 27, S. A-1372; Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 109, Heft 39, S. A-1952; Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 109, Heft 41, S. A-2056; vgl. ferner VG Ansbach, Urteil vom 26.01.2011 – AN 15 K 08.02057 u. a., Rz. 34, veröffentlicht in JURIS-Datenbank), sondern bagatellisiert gleichsam den beabsichtigten Eingriff:

So werden etwa gegenüber einer "normalen" Injektion deutlich erhöhte Anforderungen an die Durchführung der Injektion selbst als auch an den Behandlungsort gestellt (vgl. Empfehlung der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands für die Durchführung von intravitrealen Injektionen, April 2007, abrufbar über www.augeninfo.de/patinfo/0704ivi.pdf). So wird dort die folgende Vorgehensweise verpflichtend empfohlen: Pupillenerweiterung, topische Anästhesie, Spülung der Augenoberfläche, Desinfektion der periokularen Haut der Lider und der Zilien, Chirurgische Händedesinfektion und sterile Operationshandschuhe, Abdecken des Patienten mit sterilem Tuch, Einsetzen eines sterilen Lidspekulums, Einführen der Kanüle in 3,5 mm Abstand zum Limbus, stufenweises Vorgehen mit Verschieben der Bindehaut, postoperativ Prüfung auf Lichtscheinwahrnehmung, Augendruckkontrolle postoperativ (insbesondere bei einem Injektionsvolumen von mehr als 0,1 ml). Die IVI muss ausgehend von den vorgenannten Empfehlungen in einem für intraokulare Operationen geeigneten Raum erfolgen. Der Operationssaal muss zudem über eine näher definierte Ausstattung verfügen, die denen bei ambulanten Operationen entspricht.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten räumlichen und apparativen Anforderungen sowie der für die IVI verlangten Hygienstandards, die allesamt im Rahmen der Tatbestandsmerkmale "Zeit- und Kostenaufwand" im Sinne des § 6 Abs. 2 GOÄ einfließen müssen, handelt es sich bei der IVI durchaus um einen einer ambulanten Operation wie der Vitrektomie vergleichbaren Eingriff. Soweit die Beklagte hinsichtlich des Zeitaufwands, lediglich auf das unmittelbare Verabreichen des Medikaments abstellt, ist dies zur Bewertung des Zeit- und Kostenaufwands ersichtlich zu kurz gegriffen (ebenso VG Ansbach, a. a. O.). Da es sich bei der IVI zudem um einen Eingriff in den "hinteren" Augenabschnitt handelt, ist die "Art" der Leistung auch nicht mit der GOÄ-Ziffer 1384, sondern mit der GOÄ-Ziffer 1383 gleichwertig.

bb) Die Berechnung eines 1,9fachen Gebührensatzes kann auf § 5 Abs. 2 GOÄ gestützt werden und ist daher ebenso wenig zu beanstanden. Dies gilt in gleicher Weise, für die Kosten der Nachbehandlung in Höhe von ca. 80,00 EUR. Da die einzelnen Abrechnungspositionen für diese Nachbehandlung naturgemäß noch nicht bekannt sein können, ist es auch zulässig, insoweit lediglich einen ungefähren Betrag anzugeben. Die Rechnung selbst muss dann freilich unter Rückgriff auf GOÄ-Gebührenziffern erstellt werden (vgl. oben). Aus anderen Verfahren ist dem Gericht im Übrigen bekannt, dass der Betrag in Höhe von 80,00 EUR nicht per se überhöht erscheint. Denn regelmäßig werden neben der Gebührenziffer 1383 im Zusammenhang mit der IVI und der entsprechenden Nachbehandlung auch die Gebührenziffern 1 (Beratung), 6 (Untersuchung), 1201 (Refraktionsbestimmung), 1242 (Binokulare Untersuchung) sowie 1256 (Applanationstonometrie), die nicht Bestandteil der in der GOÄ-Ziffer 1383 geregelten Leistung sind (vgl. § 4 Abs. 2a GOÄ), ausgewiesen. Insoweit dürften dann in der hier vom Kläger ausgewählten Augenklinik unter Berücksichtigung des Kostenvoranschlags vom 05.08.2011 Kosten für jede IVI in folgender Höhe anfallen:

2500 (GOÄ-Ziffer 1383) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 1,9 Steigerungssatz = 276,87 EUR
80 (GOÄ-Ziffer 1) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 2,3 Steigerungssatz = 10,72 EUR
100 (GOÄ-Ziffer 6) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 2,3 Steigerungssatz = 13,41 EUR
89 (GOÄ-Ziffer 1201) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 2,3 Steigerungssatz = 11,93 EUR
152 (GOÄ-Ziffer 1242) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 2,3 Steigerungssatz = 20,38 EUR
100 (GOÄ-Ziffer 1256) x 0,0582873 EUR (§ 5 Abs. 1 GOÄ) x 1,8 Steigerungssatz (§ 5 Abs. 3 GOÄ) = 10,49 EUR

In der Addition weist somit der Kostenvoranschlag zutreffend die zu erwartenden und von der Beklagten zu übernehmenden Kosten der privatärztlichen Behandlung aus.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

3. Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier aufgeworfenen Rechtsfragen gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6

14482 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Frankfurt (Oder) Eisenhüttenstädter Chaussee 48

15236 Frankfurt (Oder),

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.
Rechtskraft
Aus
Saved