Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 932/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 933/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Betriebsprüfungsbehörde darf einen Summenbeitragsbescheid nicht erlassen, wenn personenbezogene Feststellungen zu Versicherungspflicht und Beitragshöhe möglich sind.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. September 2012 abgeändert in Ziffer II. Die Auflage der Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 215.000,00 EUR wird aufgehoben.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf 143.778,72 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist eine Nachforderung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung in Höhe von 431.336,18 EUR inklusive Säumniszuschläge in Höhe von 107.903,00 EUR.
Die Antragstellerin betreibt ein Reinigungsgewerbe und ist in einer Vielzahl von Autobahnraststätten entlang der bayerischen Autobahnen im Bereich der Toilettenreinigung tätig. Aufgrund einer anonymen Anzeige begann im Jahr 2009 das Hauptzollamt A-Stadt gegen die Antragstellerin zu ermitteln. Im Zuge dieser Ermittlungen wurden zahlreiche Mitarbeiter der Antragstellerin vernommen sowie auch zahlreiche Arbeitsverträge sichergestellt. Nachgeforscht wurde auch, in welchem zeitlichen Umfang die einzelnen Mitarbeiter in jeweiligen Raststätten mit Reinigungsarbeiten beschäftigt waren. Die Beschäftigten erzielten überwiegend ein Entgelt in Höhe zwischen 400,01 EUR und 800,00 EUR monatlich. Nach den Ermittlungsunterlagen haben zahlreiche Arbeitnehmer mehr Arbeitsstunden geleistet als letztlich abgerechnet wurden. Dies führte zu einer Mindestlohnunterschreitung.
Aufgrund der Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes erließ die Antragsgegnerin am 21.06.2012 einen Bescheid nach §§ 28 p Abs. 1, 107 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Sie forderte damit Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach für den Zeit vom 01.04.2008 bis 28.02.2010 in Form eines Summenbeitragsbescheides. Eine Prüfung innerhalb des Betriebes der Antragstellerin bzw. deren Steuerberater wurde von der Antragsgegnerin nicht durchgeführt. Die Beitragsnachforderung beruht auf der Annahme, dass Beschäftigte, die als Reinigungskräfte für die Antragstellerin tätig waren, nicht das ihnen zustehende Entgelt erhalten hatten und dass dadurch Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht in richtiger Höhe abgeführt wurden. Eine Zuordnung der Sozialversicherungsbeiträge zu den jeweiligen Beschäftigten nahm die Antragsgegnerin nicht vor.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch erhoben und hat am 23.07.2012 zudem einen Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beim Sozialgericht Nürnberg gestellt. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass eine sofortige Vollziehung des festgesetzten Betrages dazu führe, dass sie die laufenden Kosten nicht mehr decken könne. Sie müsste dann Insolvenzantrag stellen und die Arbeitnehmer entlassen. Sie hat weiter vorgetragen, dass die Arbeitnehmer während ihrer Anwesenheitszeiten an den Rasthöfen nicht durchgehend gearbeitet hätten. Sie seien vielfach auch privaten Dingen nachgegangen. Die Antragstellerin hat außerdem geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin einen Summenbeitragsbescheid erlassen habe, ohne die Beiträge namentlich den einzelnen Personen zuzuordnen. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin auf die Möglichkeit verwiesen, bei der Einzugsstelle einen Antrag auf Stundung zu stellen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 19.09.2012 in der Ziffer I. die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 11.07.2012 angeordnet. Gleichzeitig hat das Sozialgericht in der Ziffer II. die Auflage erteilt, eine Sicherheitsleistung in Höhen von 215.000,00 EUR zu erbringen.
Das Sozialgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass bislang nur unzureichende Unterlagen vorlägen, die die Antragsgegnerin zur Grundlage ihres Bescheides gemacht habe. Darüber hinaus sei offen, ob die Antragsgegnerin einen Summenbeitragsbescheid habe erlassen dürfen.
Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt am 19.10.2012. Sie hat die Beschwerde auf die Anordnung der Leistung einer Sicherheit in Höhe von 215.00,00 EUR beschränkt. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zahlreiche eidesstattliche Versicherungen von verschiedenen Mitarbeitern vorgelegt, in denen die Mitarbeiter auf einheitlichen vorgefertigten Schriftstücken erklären, dass sie über die vertraglich geregelte Arbeitszeit hinaus für die Antragstellerin nicht tätig gewesen seien. Der von der Antragstellerin zu zahlende Arbeitslohn sei entsprechend der vertraglichen Vereinbarung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit korrekt abgerechnet.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.09.2012 dahingehend abzuändern, dass die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erfolgt ohne die Auflage der Leistung einer Sicherheit in Höhe von 215.000,00 EUR.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie beantragt hilfsweise,
die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung nur unter der Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des
§ 27 Abs. 1 SGB IV zu gewähren, dabei eine Zinshöhe auf vier vom Hundert festzulegen und den Beginn der Verzinsung auf den Kalendermonat, der dem im Beitragsbescheid für die geltend gemachte Beitragsnachforderung bestimmten Zahltag -27.07.2012 - folgt sowie das Ende der Verzinsung auf den Kalendermonat, der der Zustellung der endgültigen Entscheidung bzw. des Eingangs einer eventuellen Rücknahmeerklärung vorangeht, zu bestimmen.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Akten beider Rechtszüge sowie auf die Akten der Beklagten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache erfolgreich. Die Auflage in Ziffer II. des Beschlusses des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012 mit der die Stellung einer Sicherheit in Höhe von 215.000,00 EUR angeordnet wird, ist rechtswidrig.
Die Antragstellerin hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012 in zulässiger Weise beschränkt auf die Anordnung einer Sicherheitsleistung. Auf das Verfahren der Beschwerde sind neben §§ 172 bis 177 SGG außerdem die allgemeinen Verfahrensvorschriften anwendbar. Auch die Vorschriften über die Berufung und über das Verfahren im ersten Rechtszug können herangezogen werden. So gilt auch im Beschwerdeverfahren § 123 SGG, somit eine Bindung an das Beschwerdebegehren und gleichzeitig das Verbot der reformatio in peius (vgl. LSG Niedersachen, Breithaupt 1998, 145). Dadurch ist alleiniger Prüfungsgegenstand die Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Auflage einer Sicherheitsleistung in Höhe von 215.000,00 EUR. Im Wege des Beschwerdeverfahrens kann die Entscheidung des vorangegangenen Rechtszuges nur insoweit geändert werden, als dies beantragt ist. Die Antragstellerin darf also nicht schlechter gestellt werden, als es durch den angefochtenen Beschluss erfolgt ist, es sei denn, dass auch die Antragsgegnerin ein Rechtsmittel eingelegt hätte. Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin hat keine Beschwerde eingelegt gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012. Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin beschränkt sich auf eine Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 SGB IV.
Zwar regelt 86 b Abs. 1 S. 4 SGG, dass das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Maßnahmen (hier: Auflage der Sicherheitsleistung) jederzeit ändern oder aufheben kann. Dabei handelt es sich um ein selbständiges Verfahren (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 86 b Rdziff. 20). Daneben hat die Antragstellerin aber auch das Recht der Beschwerde. Das befristete Beschwerderecht wird nicht verdrängt durch den jederzeit möglichen Antrag beim Gericht der Hauptsache, deshalb kann die Auflage einer Sicherheitsleistung selbständig mit der Beschwerde angefochten werden (Keller a.a.O. Rdziff. 21; vgl auch Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 17. Aufl., § 80 Rdziff. 190; § 146 Rdziff. 27 ff.).
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 3 kann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wie auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Auflagen versehen oder befristet werden. In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich auch die Bestimmung einer Sicherheitsleistung möglich. Allerdings ist dies aus rechtsstaatlichen Gründen nicht uneingeschränkt zulässig. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung kommt bei Geldforderungen in Betracht, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der Begünstigte bei ungünstigem Prozessausgang den geschuldeten Betrag nicht erstatten kann (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3.12.1998, 1 BvR 592/97). Sie darf allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angeordnet werden, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest sehr wahrscheinlich ist (Bundesverfassungsgericht a.a.O., Rdziff. 3). So kann die Anordnung einer Sicherheitsleistung unter Umständen auch unverhältnismäßig sein, wenn es dem Rechtssuchenden trotz zumutbarer Anstrengungen nicht möglich ist, die Sicherheit aufzubringen (Bundesverfassungsgericht, a.a.O).
Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 21.06.2012 ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig. Der Erfolg des Widerspruchs bzw. einer späteren Klage ist zumindest sehr wahrscheinlich.
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bescheid Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachgefordert, ohne diese den einzelnen Mitarbeitern der Antragstellerin zuzuordnen (Summenbescheid gem. § 28f Abs. 2 SGB IV idF d. G. vom 24.3.1997 - BGBl I, S. 594). Aus den Akten der Antragsgegnerin ist ersichtlich, dass umfangreiche Aufzeichnungen über die geleistete Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter vorliegen sowie zahlreiche Zeugenaussagen, aus denen sich ergibt, welche Nachforderungen den einzelnen Personen zuzuordnen sind. Selbst wenn nicht die gesamten Sozialversicherungsbeiträge vollständig allen Beschäftigten zugeordnet werden könnten, so ist dies von der Antragsgegnerin jedoch insoweit vorzunehmen, als es aufgrund der vorhandenen Aufzeichnungen möglich ist.
Bei Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um Abgaben im Sinne einer Steuer. Vielmehr steht den Sozialversicherungsbeiträgen ein konkreter Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber, bei Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen auch die gesetzlich garantierten Leistungen zu erhalten(vgl. Senat Beschluss vom 30.07.2012 - L 5 R 267/12 B ER, Rdziff. 29). So hängt beispielsweise der Anspruch und die Höhe von Arbeitslosengeld von dem vorangegangenen Versicherungspflichtverhältnis (§147 SGB III) und vom erzielten Entgelt ab (§ 149 SGB III) ab. Ebenso errechnet sich das Krankengeld aus dem erzielten Entgelt (§ 47 SGB V). Auch die Höhe einer späteren Rente aus Beitragszeiten hängt von den gezahlten Beiträgen ab (§ 55 SGB VI). Wenn aber die Beitragssummen den Arbeitnehmern nicht zugeordnet werden, hat zur Auswirkung, dass den Betroffenen keine oder zumindest geringere Leistungsansprüche erwachsen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.12.1985, 12 RK 30/83) muss daher bei der Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht sowie der Beitragshöhe auch dann grundsätzlich personenbezogen erfolgen, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht verletzt hat und die Aufklärung des Sachverhalts dadurch zwar erschwert, jedoch nicht unmöglich gemacht worden ist. Deshalb ist ein Summenbescheid über die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nur dann zulässig, wenn die Zuordnung der Beträge zu den einzelnen Personen nicht möglich ist (BSG Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 1/11 R).
Im vorliegenden Fall allerdings liegen zahlreiche Aufzeichnungen vor, die eine solche Zuordnung ermöglichen. Eine personenbezogene Feststellung der Versicherungspflicht, der Beitragspflicht und der Beitragshöhe ist, vor allem zur Sicherung von Rentenanwartschaften der betroffenen Arbeitnehmer, von solchem Gewicht, dass sie grundsätzlich auch dann erfolgen muss, wenn das mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und nur unter Inkaufnahme eines verwaltungsmäßigen Mehraufwandes erreichbar ist. Auch wenn es, was im vorliegenden Fall denkbar ist, wegen einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht oder sogar aufgrund von Manipulationen des Arbeitgebers unmöglich sein sollte, bei einigen, vielleicht sogar der Mehrzahl der Arbeitnehmer genaue Feststellungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht sowie zur Beitragshöhe zu treffen, ist es im Interesse derjenigen Arbeitnehmer, bei denen sich die erforderlichen Tatsachen noch ermitteln lassen, nicht gerechtfertigt, das Erfordernis der personenbezogenen Beitragserhebung insgesamt und damit auch für diese Arbeitnehmer preiszugeben (BSG, Urteil vom 17.12.1985, 12 RK 30/83, Rdziff. 20 f.).
Bislang hat die Antragsgegnerin noch keine eigenen Ermittlungen durchgeführt. Sie hat auch keine Betriebsprüfung im Betrieb der Antragstellerin durchgeführt. Sie hat allein die Ermittlungen des Hauptzollamtes zur Grundlage des streitgegenständlichen Bescheides gemacht. Diese sind offensichtlich beitragsrechtlich unvollständig. Sie dienen allerdings auch nicht dem Zweck der präzisen Ermittlungen von Sozialversicherungsbeiträgen i.S.d. § 28 p SGB IV, sondern der Verhinderung von Schwarzarbeit bzw. deren strafrechtliche Verfolgung. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung einer entsprechenden Betriebsprüfung in den Räumen der Antragstellerin bzw. bei deren Steuerberater weitere Dokumente gefunden und Informationen erlangt werden, um möglichst umfassend die nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge den Beschäftigten zuzuordnen.
Aus diesem Grund bereits ist der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig und ein Erfolg des Rechtsbehelfs der Antragstellerin sehr wahrscheinlich.
Unter diesen Umständen ist die Anordnung einer Sicherheitsleistung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vertretbar.
Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin auf die Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 SGB IV ist nicht erfolgreich. Nach § 86 b Abs. 1 S. 4 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag "die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben". Im Rahmen der Beschwerde ist nur zu prüfen, ob die Anordnung einer Sicherheitsleistung rechtmäßig erfolgt ist. Ein Austauschen einer Auflage gegen eine andere im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Hierfür ist ausschließlich das Gericht der Hauptsache zuständig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl. § 86 b Rdziff. 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts folgt derjenigen des Sozialgerichts (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).
Dieser Beschluss beendet das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz und ist nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf 143.778,72 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist eine Nachforderung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung in Höhe von 431.336,18 EUR inklusive Säumniszuschläge in Höhe von 107.903,00 EUR.
Die Antragstellerin betreibt ein Reinigungsgewerbe und ist in einer Vielzahl von Autobahnraststätten entlang der bayerischen Autobahnen im Bereich der Toilettenreinigung tätig. Aufgrund einer anonymen Anzeige begann im Jahr 2009 das Hauptzollamt A-Stadt gegen die Antragstellerin zu ermitteln. Im Zuge dieser Ermittlungen wurden zahlreiche Mitarbeiter der Antragstellerin vernommen sowie auch zahlreiche Arbeitsverträge sichergestellt. Nachgeforscht wurde auch, in welchem zeitlichen Umfang die einzelnen Mitarbeiter in jeweiligen Raststätten mit Reinigungsarbeiten beschäftigt waren. Die Beschäftigten erzielten überwiegend ein Entgelt in Höhe zwischen 400,01 EUR und 800,00 EUR monatlich. Nach den Ermittlungsunterlagen haben zahlreiche Arbeitnehmer mehr Arbeitsstunden geleistet als letztlich abgerechnet wurden. Dies führte zu einer Mindestlohnunterschreitung.
Aufgrund der Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes erließ die Antragsgegnerin am 21.06.2012 einen Bescheid nach §§ 28 p Abs. 1, 107 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Sie forderte damit Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach für den Zeit vom 01.04.2008 bis 28.02.2010 in Form eines Summenbeitragsbescheides. Eine Prüfung innerhalb des Betriebes der Antragstellerin bzw. deren Steuerberater wurde von der Antragsgegnerin nicht durchgeführt. Die Beitragsnachforderung beruht auf der Annahme, dass Beschäftigte, die als Reinigungskräfte für die Antragstellerin tätig waren, nicht das ihnen zustehende Entgelt erhalten hatten und dass dadurch Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht in richtiger Höhe abgeführt wurden. Eine Zuordnung der Sozialversicherungsbeiträge zu den jeweiligen Beschäftigten nahm die Antragsgegnerin nicht vor.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch erhoben und hat am 23.07.2012 zudem einen Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beim Sozialgericht Nürnberg gestellt. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass eine sofortige Vollziehung des festgesetzten Betrages dazu führe, dass sie die laufenden Kosten nicht mehr decken könne. Sie müsste dann Insolvenzantrag stellen und die Arbeitnehmer entlassen. Sie hat weiter vorgetragen, dass die Arbeitnehmer während ihrer Anwesenheitszeiten an den Rasthöfen nicht durchgehend gearbeitet hätten. Sie seien vielfach auch privaten Dingen nachgegangen. Die Antragstellerin hat außerdem geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin einen Summenbeitragsbescheid erlassen habe, ohne die Beiträge namentlich den einzelnen Personen zuzuordnen. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin auf die Möglichkeit verwiesen, bei der Einzugsstelle einen Antrag auf Stundung zu stellen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 19.09.2012 in der Ziffer I. die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 11.07.2012 angeordnet. Gleichzeitig hat das Sozialgericht in der Ziffer II. die Auflage erteilt, eine Sicherheitsleistung in Höhen von 215.000,00 EUR zu erbringen.
Das Sozialgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass bislang nur unzureichende Unterlagen vorlägen, die die Antragsgegnerin zur Grundlage ihres Bescheides gemacht habe. Darüber hinaus sei offen, ob die Antragsgegnerin einen Summenbeitragsbescheid habe erlassen dürfen.
Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt am 19.10.2012. Sie hat die Beschwerde auf die Anordnung der Leistung einer Sicherheit in Höhe von 215.00,00 EUR beschränkt. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zahlreiche eidesstattliche Versicherungen von verschiedenen Mitarbeitern vorgelegt, in denen die Mitarbeiter auf einheitlichen vorgefertigten Schriftstücken erklären, dass sie über die vertraglich geregelte Arbeitszeit hinaus für die Antragstellerin nicht tätig gewesen seien. Der von der Antragstellerin zu zahlende Arbeitslohn sei entsprechend der vertraglichen Vereinbarung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit korrekt abgerechnet.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.09.2012 dahingehend abzuändern, dass die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erfolgt ohne die Auflage der Leistung einer Sicherheit in Höhe von 215.000,00 EUR.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie beantragt hilfsweise,
die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung nur unter der Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des
§ 27 Abs. 1 SGB IV zu gewähren, dabei eine Zinshöhe auf vier vom Hundert festzulegen und den Beginn der Verzinsung auf den Kalendermonat, der dem im Beitragsbescheid für die geltend gemachte Beitragsnachforderung bestimmten Zahltag -27.07.2012 - folgt sowie das Ende der Verzinsung auf den Kalendermonat, der der Zustellung der endgültigen Entscheidung bzw. des Eingangs einer eventuellen Rücknahmeerklärung vorangeht, zu bestimmen.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Akten beider Rechtszüge sowie auf die Akten der Beklagten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache erfolgreich. Die Auflage in Ziffer II. des Beschlusses des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012 mit der die Stellung einer Sicherheit in Höhe von 215.000,00 EUR angeordnet wird, ist rechtswidrig.
Die Antragstellerin hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012 in zulässiger Weise beschränkt auf die Anordnung einer Sicherheitsleistung. Auf das Verfahren der Beschwerde sind neben §§ 172 bis 177 SGG außerdem die allgemeinen Verfahrensvorschriften anwendbar. Auch die Vorschriften über die Berufung und über das Verfahren im ersten Rechtszug können herangezogen werden. So gilt auch im Beschwerdeverfahren § 123 SGG, somit eine Bindung an das Beschwerdebegehren und gleichzeitig das Verbot der reformatio in peius (vgl. LSG Niedersachen, Breithaupt 1998, 145). Dadurch ist alleiniger Prüfungsgegenstand die Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Auflage einer Sicherheitsleistung in Höhe von 215.000,00 EUR. Im Wege des Beschwerdeverfahrens kann die Entscheidung des vorangegangenen Rechtszuges nur insoweit geändert werden, als dies beantragt ist. Die Antragstellerin darf also nicht schlechter gestellt werden, als es durch den angefochtenen Beschluss erfolgt ist, es sei denn, dass auch die Antragsgegnerin ein Rechtsmittel eingelegt hätte. Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin hat keine Beschwerde eingelegt gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2012. Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin beschränkt sich auf eine Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 SGB IV.
Zwar regelt 86 b Abs. 1 S. 4 SGG, dass das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Maßnahmen (hier: Auflage der Sicherheitsleistung) jederzeit ändern oder aufheben kann. Dabei handelt es sich um ein selbständiges Verfahren (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 86 b Rdziff. 20). Daneben hat die Antragstellerin aber auch das Recht der Beschwerde. Das befristete Beschwerderecht wird nicht verdrängt durch den jederzeit möglichen Antrag beim Gericht der Hauptsache, deshalb kann die Auflage einer Sicherheitsleistung selbständig mit der Beschwerde angefochten werden (Keller a.a.O. Rdziff. 21; vgl auch Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 17. Aufl., § 80 Rdziff. 190; § 146 Rdziff. 27 ff.).
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 3 kann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wie auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Auflagen versehen oder befristet werden. In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich auch die Bestimmung einer Sicherheitsleistung möglich. Allerdings ist dies aus rechtsstaatlichen Gründen nicht uneingeschränkt zulässig. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung kommt bei Geldforderungen in Betracht, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der Begünstigte bei ungünstigem Prozessausgang den geschuldeten Betrag nicht erstatten kann (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3.12.1998, 1 BvR 592/97). Sie darf allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angeordnet werden, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest sehr wahrscheinlich ist (Bundesverfassungsgericht a.a.O., Rdziff. 3). So kann die Anordnung einer Sicherheitsleistung unter Umständen auch unverhältnismäßig sein, wenn es dem Rechtssuchenden trotz zumutbarer Anstrengungen nicht möglich ist, die Sicherheit aufzubringen (Bundesverfassungsgericht, a.a.O).
Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 21.06.2012 ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig. Der Erfolg des Widerspruchs bzw. einer späteren Klage ist zumindest sehr wahrscheinlich.
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bescheid Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachgefordert, ohne diese den einzelnen Mitarbeitern der Antragstellerin zuzuordnen (Summenbescheid gem. § 28f Abs. 2 SGB IV idF d. G. vom 24.3.1997 - BGBl I, S. 594). Aus den Akten der Antragsgegnerin ist ersichtlich, dass umfangreiche Aufzeichnungen über die geleistete Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter vorliegen sowie zahlreiche Zeugenaussagen, aus denen sich ergibt, welche Nachforderungen den einzelnen Personen zuzuordnen sind. Selbst wenn nicht die gesamten Sozialversicherungsbeiträge vollständig allen Beschäftigten zugeordnet werden könnten, so ist dies von der Antragsgegnerin jedoch insoweit vorzunehmen, als es aufgrund der vorhandenen Aufzeichnungen möglich ist.
Bei Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um Abgaben im Sinne einer Steuer. Vielmehr steht den Sozialversicherungsbeiträgen ein konkreter Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber, bei Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen auch die gesetzlich garantierten Leistungen zu erhalten(vgl. Senat Beschluss vom 30.07.2012 - L 5 R 267/12 B ER, Rdziff. 29). So hängt beispielsweise der Anspruch und die Höhe von Arbeitslosengeld von dem vorangegangenen Versicherungspflichtverhältnis (§147 SGB III) und vom erzielten Entgelt ab (§ 149 SGB III) ab. Ebenso errechnet sich das Krankengeld aus dem erzielten Entgelt (§ 47 SGB V). Auch die Höhe einer späteren Rente aus Beitragszeiten hängt von den gezahlten Beiträgen ab (§ 55 SGB VI). Wenn aber die Beitragssummen den Arbeitnehmern nicht zugeordnet werden, hat zur Auswirkung, dass den Betroffenen keine oder zumindest geringere Leistungsansprüche erwachsen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.12.1985, 12 RK 30/83) muss daher bei der Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht sowie der Beitragshöhe auch dann grundsätzlich personenbezogen erfolgen, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht verletzt hat und die Aufklärung des Sachverhalts dadurch zwar erschwert, jedoch nicht unmöglich gemacht worden ist. Deshalb ist ein Summenbescheid über die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nur dann zulässig, wenn die Zuordnung der Beträge zu den einzelnen Personen nicht möglich ist (BSG Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 1/11 R).
Im vorliegenden Fall allerdings liegen zahlreiche Aufzeichnungen vor, die eine solche Zuordnung ermöglichen. Eine personenbezogene Feststellung der Versicherungspflicht, der Beitragspflicht und der Beitragshöhe ist, vor allem zur Sicherung von Rentenanwartschaften der betroffenen Arbeitnehmer, von solchem Gewicht, dass sie grundsätzlich auch dann erfolgen muss, wenn das mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und nur unter Inkaufnahme eines verwaltungsmäßigen Mehraufwandes erreichbar ist. Auch wenn es, was im vorliegenden Fall denkbar ist, wegen einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht oder sogar aufgrund von Manipulationen des Arbeitgebers unmöglich sein sollte, bei einigen, vielleicht sogar der Mehrzahl der Arbeitnehmer genaue Feststellungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht sowie zur Beitragshöhe zu treffen, ist es im Interesse derjenigen Arbeitnehmer, bei denen sich die erforderlichen Tatsachen noch ermitteln lassen, nicht gerechtfertigt, das Erfordernis der personenbezogenen Beitragserhebung insgesamt und damit auch für diese Arbeitnehmer preiszugeben (BSG, Urteil vom 17.12.1985, 12 RK 30/83, Rdziff. 20 f.).
Bislang hat die Antragsgegnerin noch keine eigenen Ermittlungen durchgeführt. Sie hat auch keine Betriebsprüfung im Betrieb der Antragstellerin durchgeführt. Sie hat allein die Ermittlungen des Hauptzollamtes zur Grundlage des streitgegenständlichen Bescheides gemacht. Diese sind offensichtlich beitragsrechtlich unvollständig. Sie dienen allerdings auch nicht dem Zweck der präzisen Ermittlungen von Sozialversicherungsbeiträgen i.S.d. § 28 p SGB IV, sondern der Verhinderung von Schwarzarbeit bzw. deren strafrechtliche Verfolgung. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung einer entsprechenden Betriebsprüfung in den Räumen der Antragstellerin bzw. bei deren Steuerberater weitere Dokumente gefunden und Informationen erlangt werden, um möglichst umfassend die nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge den Beschäftigten zuzuordnen.
Aus diesem Grund bereits ist der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig und ein Erfolg des Rechtsbehelfs der Antragstellerin sehr wahrscheinlich.
Unter diesen Umständen ist die Anordnung einer Sicherheitsleistung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vertretbar.
Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin auf die Auflage der Verzinsung der Hauptforderung in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 SGB IV ist nicht erfolgreich. Nach § 86 b Abs. 1 S. 4 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag "die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben". Im Rahmen der Beschwerde ist nur zu prüfen, ob die Anordnung einer Sicherheitsleistung rechtmäßig erfolgt ist. Ein Austauschen einer Auflage gegen eine andere im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Hierfür ist ausschließlich das Gericht der Hauptsache zuständig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl. § 86 b Rdziff. 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts folgt derjenigen des Sozialgerichts (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).
Dieser Beschluss beendet das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz und ist nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
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