Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AL 334/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 38/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes gegen die Höhe des für diesen bewilligten Arbeitslosengeldes.
Der 19xx geborene und 20x verstorbene Ehemann der Klägerin war bis zu seinem Unfall am 30.04.2009 als LKW-Fahrer tätig. Nach seinem Unfall erhielt er vom 30.04.2009 bis 02.05.2011 Verletztengeld.
Er meldete sich am 18.04.2011 zum 03.05.2011 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 23.05.2011 und Widerspruchsbescheid vom 09.06.2011 Arbeitslosengeld für 450 Tage in Höhe von 31,37 Euro täglich. Hierbei setzte sie das Bemessungsentgelt fiktiv fest und ordnete den Ehemann der Klägerin in Qualifikationsgruppe 3 ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Bemessung fiktiv zu erfolgen habe, weil in den letzten zwei Jahren kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt sondern ausschließlich Verletztengeld erzielt worden sei.
Hiergegen richtet sich die zunächst noch vom Ehemann der Klägerin erhobene Klage vom 29.06.2011. Nachdem der Ehemann im Juni 2012 verstorben ist, führe die Klägerin das Verfahren als Rechtsnachfolgerin fort. Sie macht für ihren Ehemann geltend, dass entweder das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt oder das monatliche Verletztengeld der Bemessung zugrunde zu legen sei. Die Ansicht der Beklagte gehe fehl, dass ihr Ehemann weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt habe, denn er habe aus dem Verletztengeld regelmäßig Leistungen zur Arbeitslosenversicherung erbracht. Daher habe er sozialversicherungspflichtige Gelder bezogen. Darüber hinaus liege keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vor, da er sich nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis bei der Firma J befinde. Die Regelung zur fiktiven Einstufung sei auch nicht verfassungskonform, denn grundsätzlich haben Arbeitnehmer, die aufgrund von Krankheit ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen können, Anspruch auf Schutz und Fürsorge des Staates. Die Regelung des § 132 Abs. 2 SGB III führe jedoch dazu, dass aufgrund einer krankheitsbedingten Unterbrechung der Erwerbstätigkeit es zu einer Minderung der Höhe des Arbeitslosengeldes komme und stelle daher Arbeitnehmer, die Verletztengeld erhalten, deutlich schlechter als andere, die im selben Zeitraum gearbeitet haben. Der Meinung des Gesetzgebers, dass bei länger zurückliegendem Arbeitsentgelt nicht mehr die Vermutung gelte, dass es typisierend das Arbeitsentgelt anzeige, was der Arbeitslose aktuell erzielen könne, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr müsse eine Vermutung dafür sprechen, dass ein Arbeitsloser das Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen könne. Darüber hinaus habe ihr Ehemann in den letzten Jahren deutlich mehr verdient als ihm durch die Qualifikationsgruppe zugebilligt werde und er sei daher letztlich aufgrund seiner Krankheit bestraft. Schließlich teile der Gesetzgeber nicht mit, wie die Pauschalen gebildet worden seien. Durch die Festlegung der Pauschalen erfolge eine erhebliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld. Die Pauschalwerte seien nicht plausibel. Für die Qualifikationsgruppe 3 sei ein viel zu niedriger Ansatz gewählt worden, denn in vielen Bereichen liege der Durchschnittsverdienst für Facharbeiter bzw. Fachangestellte oberhalb der im Gesetz normierten Bezugsgröße. Auch die zur fiktiven Einstufung vorliegende Rechtsprechung des BVerfG sei vorliegend nicht einschlägig, denn dort sei eine andere Fallkonstellation (Erziehungsgeld) entschieden worden. Der Unterschied bestehe darin, dass das Elterngeld freiwillig beantragt werden könne. Vorliegend sei die Situation jedoch durch einen unverschuldeten Unfall eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2011 zu verurteilen, Arbeitslosengeld auf der Grundlage der zuletzt bezogenen Lohnzahlungen, hilfsweise auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Verletztengeldes zu gewähren.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für Rechtmäßig. Das Bemessungsentgelt sei zu Recht fiktiv bemessen worden. Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes handele es sich um ein geschlossenes System von Vorschriften, die mangels Auslegungsmöglichkeiten zu dem vorliegenden Ergebnis führen müssen. In der Sozialversicherung gelte nicht das Äquivalenz- sondern das Solidarprinzip. Insoweit existiere umfangreiche Rechtsprechung sowohl des BSG als auch des BVerfG. Beispielhaft werde auf zwei Entscheidungen des BSG vom 06.05.2009 und 21.07.2009 zur Verfassungsmäßigkeit der fiktiven Bemessung Bezug genommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle ein Arbeitsentgelt, dass nicht zeitnah erzielt worden sei auch nicht Gegenstand der Bemessung des Arbeitslosengeldes sein.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die den Ehemann der Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin nach §§ 56 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m 59 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) befugt, das Verfahren weiterzuführen. Nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I stehen nach dem Tode des Berechtigten die fälligen Ansprüche auf laufende Geldleistungen zuallererst dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Beim Bezug von Arbeitslosengeld handelt es sich um eine laufende Geldleistung in diesem Sinne. Darüber hinaus hat die Klägerin auch bis zum Tode ihres Ehemannes mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Anspruch ist auch nicht erloschen, denn nach § 59 Satz 2 SGB I erlöschen solche Ansprüche nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Vorliegend war zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Klageverfahren anhängig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 23.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.06.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Höhe des von der Beklagten errechneten Arbeitslosengeldes ist nicht zu beanstanden, insbesondere hat sie zu Recht als Bemessungsentgelt ein fiktiv ermitteltes Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld.
Nach § 129 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch (SGB III) beträgt das Arbeitslosengeld 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird nach § 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erhält. Kann auch innerhalb des auf zwei Jahren erweiterten Bemessungsrahmens ein solcher Anspruch nicht festgestellt werden, ist das Bemessungsentgelt nach § 132 SGB III fiktiv zu bestimmen.
Der Ehemann der Klägerin hat innerhalb des zweijährigen Bemessungsrahmens – mithin in der Zeit von 03.05.2009 bis 02.05.2011 – kein Arbeitsentgelt sondern ausschließlich Verletztengeld bezogen.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt aus dem Jahr 2009 nicht der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden, denn dieses ist außerhalb des Bemessungszeitraums erzielt worden. Eine Berücksichtigung wäre nur dann möglich, wenn das Verletztengeld aus dem Bemessungsrahmen herausgenommen werden und so der Bemessungsrahmen auf die Zeit vor dem 03.05.2009 ausgedehnt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn das Gesetzt zählt in § 130 Abs. 2 SGB III abschließend auf, welche Zeiten bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben. Der Bezug von Verletztengeld wird dort ausdrücklich nicht aufgeführt.
Auch das Verletztengeld selbst kann, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden, denn hierbei handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung. Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist das Bemessungsentgelt, welches der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legen ist, das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Durch diese Regelung ist klargestellt, dass ausschließlich Arbeitsentgelt und nicht Entgeltersatzleistungen der Bemessung zu Grunde zu legen sind.
Da auch innerhalb des um zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens kein Arbeitsentgelt erzielt wurde, hat die Beklagte zu Recht nach § 132 Abs. 1 SGB III das Arbeitsentgelt fiktiv festgelegt.
Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Die Beklagte hat den Ehemann der Klägerin richtigerweise der Qualifikationsgruppe 3 (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III) zugeordnet. Diese Qualifikationsgruppe ist bei Beschäftigungen zugrunde zu legen, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern. Der Ehemann der Klägerin ist ausweislich der vorgelegten Arbeitsbescheinigung als LKW-Fahrer und damit in einem Ausbildungsberuf tätig gewesen. Außerdem hat er eine Ausbildung zum Metzgergesellen absolviert.
Als Bemessungsentgelt ist daher das Vierhundertfünfzigstel der jährlichen Bezugsgröße maßgeblich (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 a.E. SGB III). Im Jahr 2011 lag die Bezugsgröße bei 30.660 Euro, so dass sich hieraus ein tägliches Bemessungsentgelt von 68,13 Euro (30.660: 450) errechnet. Hieraus hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 133 SGB III nach Abzug der Sozialversicherungspauschale von 21 vom Hundert (in Höhe von 14,31 Euro) und der Lohnsteuer – bei Lohnsteuerklasse drei – (in Höhe von 1,54 Euro) ein Leistungsentgelt von 52,28 Euro und damit ein tägliches Arbeitslosengeld von 31,37 Euro (60 % von 52,28 Euro) errechnet.
Die von der Klägerin vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt das Gericht nicht. Sowohl die fiktive Bemessung an sich als auch deren Höhe sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere dem Einwand des Klägers, allenfalls bei freiwilliger Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen – wie im Rahmen von Kindererziehungszeiten – nicht jedoch bei unfreiwilliger Inanspruchnahme – wie beim Kranken- oder Verletztengeld – sei eine fiktive Bemessung gerechtfertigt, folgt das Gericht nicht. Es würde zu nicht vorhersehbaren Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, wenn der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit den Ausschlag für eine fiktive Bemessung geben würde. Auch unter dem Blickwinkel des Allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 GG kommt es nach Ansicht des Gerichts zu verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlungen. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum der Familienplanung ein anderer Stellenwert zukommen soll als einer Erkrankung, denn im ersten Fall soll eine fiktive Bemessung angemessen im zweiten hingegen unangemessen sein. Bezüglich der von der Klägerin allgemein geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nimmt das Gericht Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des 7. Senats des BSG in seinem Urteil vom 21.07.2009 (Az: B 7 AL 23/08 R; vgl. auch: BSG, Urteil vom 25.08.2011, Az: B 11 AL 19/10 R sowie LSG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.03.2007, Az: L 12 AL 113/06). Das BSG führte in dem genannten Urteil, in dem es ebenfalls wegen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen (unter anderem von Krankengeld) zu einer fiktiven Bemessung kam, unter Bezugnahme auf das Urteil des 11a. Senats des BSG vom 29.05.2008 (Az: B 11a AL 23/07 R) wie folgt aus:
"§ 132 SGB III n.F. begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der 11a-Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 29. 5. 2008 (SozR 4-4300 § 132 Nr. 1 Rdnr. 50f.) hierzu ausgeführt, dass die in der neuen Bemessungsmethode des § 132 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III liegende Abkehr von der individuellen Ermittlung des erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelts (§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) zu einer deutlichen Verwaltungsvereinfachung führe. Darin liege insbesondere kein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG. Denn der Gesetzgeber sei bei der Ordnung von Massenerscheinungen grundsätzlich berechtigt, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte durch typisierende Regelungen normativ zusammenzufassen, im Tatsächlichen bestehende Besonderheiten generalisierend zu vernachlässigen sowie Begünstigungen oder Belastungen in einer gewissen Bandbreite nach oben und unten pauschalierend zu bestimmen, jedenfalls wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wögen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar seien. Dabei dürfe der Gesetzgeber auch die Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele berücksichtigen, um den Erfordernissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen.
Mit der erstrebten Freisetzung bisher durch die Leistungsbemessung gebundener personeller Ressourcen solle letztlich dem in §§ 4 und 5 SGB III verankerten Vorrang der Vermittlung und der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 4 SGB III) vor Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit mehr praktische Geltung verschafft werden. Die Verwaltungsvereinfachung sei ein vom Gesetzgeber für notwendig gehaltenes Element des Gesamtkonzepts, durch sozialpolitische Reformen für einen Abbau der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu sorgen. Diesem Endziel sei wegen seiner großen Bedeutung für das Gemeinwohl ein hohes Gewicht beizumessen. Der Gesetzgeber habe auch nicht davon ausgehen müssen, dass die Pauschalierung in zahlreichen Fällen zu besonders schwerwiegenden Härten führe. Denn die aus der Rentenversicherung bekannte Ermittlung fiktiver Entgelte anhand der Einstufung in Qualifikationsgruppen (§§ 256b SGB VI, 256c SGB VI - Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) i.V. mit Anlage 13 zu diesem Gesetz, hier i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. 2. 2002 – BGBl I 754) könne wegen der erfahrungsgemäß in der Regel bestehenden Abhängigkeit zwischen beruflicher Qualifikation und Verdienstmöglichkeiten als geeignete Methode angesehen werden, um jedenfalls in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu einem angemessenen Ergebnis zu kommen.
Die Höhe der in § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III den einzelnen Qualifikationsgruppen jeweils zugeordneten Arbeitsentgelte sei nicht als unangemessen zu beanstanden. Für einen Verstoß des Leistungsniveaus gegen die Art. 3, 6 oder 14 GG sei nichts ersichtlich. Als Basis für die pauschalierende Neuregelung sei zunächst die Gruppe der Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung (Qualifikationsgruppe 3) ausgewählt worden, weil sie nach dem ausgewerteten Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes zum einen mit einem Anteil von etwa 70 v.H. die mit Abstand größte Gruppe unter den Arbeitnehmern bilde und weil zum anderen das Arbeitsentgelt dieser Gruppe in etwa mit dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Arbeitnehmer übereinstimme. Dieser Gruppe sei ein Arbeitsentgelt zugeordnet worden, das dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg (ca.80 v.H. der Bezugsgröße) entspreche. Hierdurch solle die Aufnahme einer Arbeit für den Arbeitslosen grundsätzlich eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung bleiben. Zudem sei bei Arbeitslosen, die zuletzt kein oder kein typisches Arbeitsentgelt erzielt oder ein solches Entgelt nur für weniger als 150 Tage innerhalb der letzten zwei Jahre bezogen hätten, als Anknüpfungspunkt für das aktuell erzielbare Entgelt das durchschnittlich von allen Arbeitnehmern erzielte Arbeitsentgelt weniger gut geeignet als das der Bemessung zu Grunde gelegte durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg. Unter Orientierung an den durch die Gehalts- und Lohnstrukturerhebung ausgewiesenen Spannweiten der Entgeltabstände sei für die übrigen Qualifikationsgruppen das Arbeitsentgelt pauschalierend in Abstufungen von je 20 Prozentpunkten höher bzw. niedriger festgesetzt worden (Qualifikationsgruppe 2: 100 v.H. der Bezugsgröße (1/360); Qualifikationsgruppe 1: 120 v.H. der Bezugsgröße (1/300); Qualifikationsgruppe 4: 60 v.H. der Bezugsgröße (1/600)). Die Festsetzung der Höhe des Arbeitsentgelts sei vertretbar und angemessen. Das Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern, das über einen Ausgleich für das aktuell erzielbare Entgelt hinausgehe, rechtfertige sich ohne weiteres aus der Lohnersatzfunktion des Alg. Es sei auch nicht verfehlt, in diesem Zusammenhang die Gefahr zu sehen, dass anderenfalls der Bezug von Alg attraktiver sein könne als die Aufnahme einer Beschäftigung. Ferner sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, bei Personen, deren Berufsbiografie Lücken aufweise und die in den letzten zwei Jahren nur für weniger als 150 Tage Arbeitsentgelt erzielt hätten, typisierend davon auszugehen, dass der aktuelle Marktwert der Arbeitsleistung in der Regel durch die durchschnittlichen Entgelte aller in einer Beschäftigung stehenden Arbeitnehmer nicht mehr zutreffend repräsentiert werde. Der durch den individuellen Versicherungsfall aktuell eintretende Lohnausfall lasse sich ohnehin nicht exakt bestimmen, sondern nur schätzen. Willkürlich wäre lediglich eine Schätzungsmethode ohne geeignete Anknüpfungspunkte. ( ...) Der Gesetzgeber war auch nicht gehindert, einen Systemwechsel bei der Bemessung des Alg vorzunehmen. Das Alg soll als existenzsichernde Leistung dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leisten, den er dadurch erleidet, dass er gegenwärtig keinen bezahlten Arbeitsplatz findet. Da sich der durch die Arbeitslosigkeit individuell eintretende Lohnausfall nicht konkret ermitteln lässt (BSG, Beschluss vom 2. 2. 1995, Aktenzeichen: 11 RAr 21/94 – juris Rdnr. 23), ist es unter den genannten Voraussetzungen unvermeidlich, die Höhe des Alg nach typisierenden und pauschalierenden Merkmalen zu bestimmen. Dabei kann dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt – an dem es hier fehlt – grundsätzlich Indizwirkung in dem Sinne beigemessen werden, dass es typisierend das Arbeitsentgelt anzeigt, das der Arbeitslose, hätte er Arbeit, auch aktuell erzielen könnte (vgl. u.a. BSG aaO; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr. 3 S. 12). Das wird in der Regel der Konzeption gerecht, das Alg als Entgeltersatzleistung an einem möglichst zeitnahen Niveau auszurichten, das den auf Arbeitseinkommen gegründeten durchschnittlichen Lebensstandard des Arbeitslosen vor Entstehung des Anspruchs repräsentiert, so dass vor dem Bemessungszeitraum erzielte höhere Verdienste des Arbeitslosen, für die entsprechende Beiträge entrichtet wurden, regelmäßig keine Berücksichtigung mehr finden (vgl. BSGE 74, 96, 100 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 17 S. 75; BSGE 77, 244, 250 = BSG SozR 3-4100 § 112 Nr. 24 S. 112; BSGE 72, 117, 183 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 13 S. 55f. und Nr. 26 S. 120).
Obwohl es deswegen prinzipiell sachgerecht ist, wenn die Bemessung des Alg wegen genannter Indizwirkung an das Nettoentgelt anknüpft, das der Arbeitslose zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit im (ggf. erweiterten) Bemessungszeitraum bezogen hat (BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6 S. 11), versagt diese Bemessungsmethode naturgemäß in den Fällen, in denen es – wie hier – an einem vor der Arbeitslosigkeit erzielten Arbeitslohn mangelt, sodass der Lohnausfall infolge der Arbeitslosigkeit und der deswegen zu erbringende Lohnersatz mit einer anderen Methode bemessen werden müssen (BSG SozR 4-4300 § 132 Nr. 1 Rdnr. 41; zum AFG: BSG, Beschluss vom 2. 2. 1995 – Aktenzeichen 11 RAr 21/94).
Dies gilt vorliegend insbesondere, weil der Kl. zuletzt bis April 2003 beschäftigt war und in der Folgezeit Krankengeld und schließlich unmittelbar vor Entstehung des Alg-Anspruchs 16 Monate lang eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H. von 1334,83 EUR bezogen hat, die sein Einkommensniveau zuletzt repräsentierte. Die Rente bei voller Erwerbsminderung unterlag dabei der Versicherungspflicht, ohne dass der Kl. in seiner Person zur Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung herangezogen wurde; Beiträge wurden vielmehr pauschal nach § 345a SGB III erhoben und vom Rentenversicherungsträger gezahlt. Schon deshalb gehen die Ausführungen des Kl. zur Rechtsprechung des BVerfG zu Einmalzahlungen (BVerfGE 92, 53 ff. = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6; BVerfGE 102, 127 ff. = SozR 3-2400 § 23a Nr. 1) an der Sache vorbei. Sie ist auf vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil sie nur Arbeitsentgelte betrifft, nicht aber Entgeltersatzleistungen, zu denen die Rente wegen voller Erwerbsminderung und auch das zuvor bezogene Krankengeld gehören. ( ...)" Das Gericht schließt sich diese Ausführungen nach eigener Prüfung umfassend an. Weitergehende Ausführungen hierzu sind entbehrlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes gegen die Höhe des für diesen bewilligten Arbeitslosengeldes.
Der 19xx geborene und 20x verstorbene Ehemann der Klägerin war bis zu seinem Unfall am 30.04.2009 als LKW-Fahrer tätig. Nach seinem Unfall erhielt er vom 30.04.2009 bis 02.05.2011 Verletztengeld.
Er meldete sich am 18.04.2011 zum 03.05.2011 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 23.05.2011 und Widerspruchsbescheid vom 09.06.2011 Arbeitslosengeld für 450 Tage in Höhe von 31,37 Euro täglich. Hierbei setzte sie das Bemessungsentgelt fiktiv fest und ordnete den Ehemann der Klägerin in Qualifikationsgruppe 3 ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Bemessung fiktiv zu erfolgen habe, weil in den letzten zwei Jahren kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt sondern ausschließlich Verletztengeld erzielt worden sei.
Hiergegen richtet sich die zunächst noch vom Ehemann der Klägerin erhobene Klage vom 29.06.2011. Nachdem der Ehemann im Juni 2012 verstorben ist, führe die Klägerin das Verfahren als Rechtsnachfolgerin fort. Sie macht für ihren Ehemann geltend, dass entweder das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt oder das monatliche Verletztengeld der Bemessung zugrunde zu legen sei. Die Ansicht der Beklagte gehe fehl, dass ihr Ehemann weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt habe, denn er habe aus dem Verletztengeld regelmäßig Leistungen zur Arbeitslosenversicherung erbracht. Daher habe er sozialversicherungspflichtige Gelder bezogen. Darüber hinaus liege keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vor, da er sich nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis bei der Firma J befinde. Die Regelung zur fiktiven Einstufung sei auch nicht verfassungskonform, denn grundsätzlich haben Arbeitnehmer, die aufgrund von Krankheit ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen können, Anspruch auf Schutz und Fürsorge des Staates. Die Regelung des § 132 Abs. 2 SGB III führe jedoch dazu, dass aufgrund einer krankheitsbedingten Unterbrechung der Erwerbstätigkeit es zu einer Minderung der Höhe des Arbeitslosengeldes komme und stelle daher Arbeitnehmer, die Verletztengeld erhalten, deutlich schlechter als andere, die im selben Zeitraum gearbeitet haben. Der Meinung des Gesetzgebers, dass bei länger zurückliegendem Arbeitsentgelt nicht mehr die Vermutung gelte, dass es typisierend das Arbeitsentgelt anzeige, was der Arbeitslose aktuell erzielen könne, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr müsse eine Vermutung dafür sprechen, dass ein Arbeitsloser das Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen könne. Darüber hinaus habe ihr Ehemann in den letzten Jahren deutlich mehr verdient als ihm durch die Qualifikationsgruppe zugebilligt werde und er sei daher letztlich aufgrund seiner Krankheit bestraft. Schließlich teile der Gesetzgeber nicht mit, wie die Pauschalen gebildet worden seien. Durch die Festlegung der Pauschalen erfolge eine erhebliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld. Die Pauschalwerte seien nicht plausibel. Für die Qualifikationsgruppe 3 sei ein viel zu niedriger Ansatz gewählt worden, denn in vielen Bereichen liege der Durchschnittsverdienst für Facharbeiter bzw. Fachangestellte oberhalb der im Gesetz normierten Bezugsgröße. Auch die zur fiktiven Einstufung vorliegende Rechtsprechung des BVerfG sei vorliegend nicht einschlägig, denn dort sei eine andere Fallkonstellation (Erziehungsgeld) entschieden worden. Der Unterschied bestehe darin, dass das Elterngeld freiwillig beantragt werden könne. Vorliegend sei die Situation jedoch durch einen unverschuldeten Unfall eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2011 zu verurteilen, Arbeitslosengeld auf der Grundlage der zuletzt bezogenen Lohnzahlungen, hilfsweise auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Verletztengeldes zu gewähren.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für Rechtmäßig. Das Bemessungsentgelt sei zu Recht fiktiv bemessen worden. Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes handele es sich um ein geschlossenes System von Vorschriften, die mangels Auslegungsmöglichkeiten zu dem vorliegenden Ergebnis führen müssen. In der Sozialversicherung gelte nicht das Äquivalenz- sondern das Solidarprinzip. Insoweit existiere umfangreiche Rechtsprechung sowohl des BSG als auch des BVerfG. Beispielhaft werde auf zwei Entscheidungen des BSG vom 06.05.2009 und 21.07.2009 zur Verfassungsmäßigkeit der fiktiven Bemessung Bezug genommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle ein Arbeitsentgelt, dass nicht zeitnah erzielt worden sei auch nicht Gegenstand der Bemessung des Arbeitslosengeldes sein.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die den Ehemann der Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin nach §§ 56 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m 59 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) befugt, das Verfahren weiterzuführen. Nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I stehen nach dem Tode des Berechtigten die fälligen Ansprüche auf laufende Geldleistungen zuallererst dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Beim Bezug von Arbeitslosengeld handelt es sich um eine laufende Geldleistung in diesem Sinne. Darüber hinaus hat die Klägerin auch bis zum Tode ihres Ehemannes mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Anspruch ist auch nicht erloschen, denn nach § 59 Satz 2 SGB I erlöschen solche Ansprüche nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Vorliegend war zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Klageverfahren anhängig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 23.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.06.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Höhe des von der Beklagten errechneten Arbeitslosengeldes ist nicht zu beanstanden, insbesondere hat sie zu Recht als Bemessungsentgelt ein fiktiv ermitteltes Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld.
Nach § 129 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch (SGB III) beträgt das Arbeitslosengeld 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird nach § 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erhält. Kann auch innerhalb des auf zwei Jahren erweiterten Bemessungsrahmens ein solcher Anspruch nicht festgestellt werden, ist das Bemessungsentgelt nach § 132 SGB III fiktiv zu bestimmen.
Der Ehemann der Klägerin hat innerhalb des zweijährigen Bemessungsrahmens – mithin in der Zeit von 03.05.2009 bis 02.05.2011 – kein Arbeitsentgelt sondern ausschließlich Verletztengeld bezogen.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt aus dem Jahr 2009 nicht der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden, denn dieses ist außerhalb des Bemessungszeitraums erzielt worden. Eine Berücksichtigung wäre nur dann möglich, wenn das Verletztengeld aus dem Bemessungsrahmen herausgenommen werden und so der Bemessungsrahmen auf die Zeit vor dem 03.05.2009 ausgedehnt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn das Gesetzt zählt in § 130 Abs. 2 SGB III abschließend auf, welche Zeiten bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben. Der Bezug von Verletztengeld wird dort ausdrücklich nicht aufgeführt.
Auch das Verletztengeld selbst kann, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden, denn hierbei handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung. Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist das Bemessungsentgelt, welches der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legen ist, das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Durch diese Regelung ist klargestellt, dass ausschließlich Arbeitsentgelt und nicht Entgeltersatzleistungen der Bemessung zu Grunde zu legen sind.
Da auch innerhalb des um zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens kein Arbeitsentgelt erzielt wurde, hat die Beklagte zu Recht nach § 132 Abs. 1 SGB III das Arbeitsentgelt fiktiv festgelegt.
Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Die Beklagte hat den Ehemann der Klägerin richtigerweise der Qualifikationsgruppe 3 (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III) zugeordnet. Diese Qualifikationsgruppe ist bei Beschäftigungen zugrunde zu legen, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern. Der Ehemann der Klägerin ist ausweislich der vorgelegten Arbeitsbescheinigung als LKW-Fahrer und damit in einem Ausbildungsberuf tätig gewesen. Außerdem hat er eine Ausbildung zum Metzgergesellen absolviert.
Als Bemessungsentgelt ist daher das Vierhundertfünfzigstel der jährlichen Bezugsgröße maßgeblich (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 a.E. SGB III). Im Jahr 2011 lag die Bezugsgröße bei 30.660 Euro, so dass sich hieraus ein tägliches Bemessungsentgelt von 68,13 Euro (30.660: 450) errechnet. Hieraus hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 133 SGB III nach Abzug der Sozialversicherungspauschale von 21 vom Hundert (in Höhe von 14,31 Euro) und der Lohnsteuer – bei Lohnsteuerklasse drei – (in Höhe von 1,54 Euro) ein Leistungsentgelt von 52,28 Euro und damit ein tägliches Arbeitslosengeld von 31,37 Euro (60 % von 52,28 Euro) errechnet.
Die von der Klägerin vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt das Gericht nicht. Sowohl die fiktive Bemessung an sich als auch deren Höhe sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere dem Einwand des Klägers, allenfalls bei freiwilliger Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen – wie im Rahmen von Kindererziehungszeiten – nicht jedoch bei unfreiwilliger Inanspruchnahme – wie beim Kranken- oder Verletztengeld – sei eine fiktive Bemessung gerechtfertigt, folgt das Gericht nicht. Es würde zu nicht vorhersehbaren Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, wenn der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit den Ausschlag für eine fiktive Bemessung geben würde. Auch unter dem Blickwinkel des Allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 GG kommt es nach Ansicht des Gerichts zu verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlungen. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum der Familienplanung ein anderer Stellenwert zukommen soll als einer Erkrankung, denn im ersten Fall soll eine fiktive Bemessung angemessen im zweiten hingegen unangemessen sein. Bezüglich der von der Klägerin allgemein geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nimmt das Gericht Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des 7. Senats des BSG in seinem Urteil vom 21.07.2009 (Az: B 7 AL 23/08 R; vgl. auch: BSG, Urteil vom 25.08.2011, Az: B 11 AL 19/10 R sowie LSG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.03.2007, Az: L 12 AL 113/06). Das BSG führte in dem genannten Urteil, in dem es ebenfalls wegen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen (unter anderem von Krankengeld) zu einer fiktiven Bemessung kam, unter Bezugnahme auf das Urteil des 11a. Senats des BSG vom 29.05.2008 (Az: B 11a AL 23/07 R) wie folgt aus:
"§ 132 SGB III n.F. begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der 11a-Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 29. 5. 2008 (SozR 4-4300 § 132 Nr. 1 Rdnr. 50f.) hierzu ausgeführt, dass die in der neuen Bemessungsmethode des § 132 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III liegende Abkehr von der individuellen Ermittlung des erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelts (§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) zu einer deutlichen Verwaltungsvereinfachung führe. Darin liege insbesondere kein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG. Denn der Gesetzgeber sei bei der Ordnung von Massenerscheinungen grundsätzlich berechtigt, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte durch typisierende Regelungen normativ zusammenzufassen, im Tatsächlichen bestehende Besonderheiten generalisierend zu vernachlässigen sowie Begünstigungen oder Belastungen in einer gewissen Bandbreite nach oben und unten pauschalierend zu bestimmen, jedenfalls wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wögen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar seien. Dabei dürfe der Gesetzgeber auch die Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele berücksichtigen, um den Erfordernissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen.
Mit der erstrebten Freisetzung bisher durch die Leistungsbemessung gebundener personeller Ressourcen solle letztlich dem in §§ 4 und 5 SGB III verankerten Vorrang der Vermittlung und der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 4 SGB III) vor Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit mehr praktische Geltung verschafft werden. Die Verwaltungsvereinfachung sei ein vom Gesetzgeber für notwendig gehaltenes Element des Gesamtkonzepts, durch sozialpolitische Reformen für einen Abbau der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu sorgen. Diesem Endziel sei wegen seiner großen Bedeutung für das Gemeinwohl ein hohes Gewicht beizumessen. Der Gesetzgeber habe auch nicht davon ausgehen müssen, dass die Pauschalierung in zahlreichen Fällen zu besonders schwerwiegenden Härten führe. Denn die aus der Rentenversicherung bekannte Ermittlung fiktiver Entgelte anhand der Einstufung in Qualifikationsgruppen (§§ 256b SGB VI, 256c SGB VI - Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) i.V. mit Anlage 13 zu diesem Gesetz, hier i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. 2. 2002 – BGBl I 754) könne wegen der erfahrungsgemäß in der Regel bestehenden Abhängigkeit zwischen beruflicher Qualifikation und Verdienstmöglichkeiten als geeignete Methode angesehen werden, um jedenfalls in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu einem angemessenen Ergebnis zu kommen.
Die Höhe der in § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III den einzelnen Qualifikationsgruppen jeweils zugeordneten Arbeitsentgelte sei nicht als unangemessen zu beanstanden. Für einen Verstoß des Leistungsniveaus gegen die Art. 3, 6 oder 14 GG sei nichts ersichtlich. Als Basis für die pauschalierende Neuregelung sei zunächst die Gruppe der Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung (Qualifikationsgruppe 3) ausgewählt worden, weil sie nach dem ausgewerteten Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes zum einen mit einem Anteil von etwa 70 v.H. die mit Abstand größte Gruppe unter den Arbeitnehmern bilde und weil zum anderen das Arbeitsentgelt dieser Gruppe in etwa mit dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Arbeitnehmer übereinstimme. Dieser Gruppe sei ein Arbeitsentgelt zugeordnet worden, das dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg (ca.80 v.H. der Bezugsgröße) entspreche. Hierdurch solle die Aufnahme einer Arbeit für den Arbeitslosen grundsätzlich eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung bleiben. Zudem sei bei Arbeitslosen, die zuletzt kein oder kein typisches Arbeitsentgelt erzielt oder ein solches Entgelt nur für weniger als 150 Tage innerhalb der letzten zwei Jahre bezogen hätten, als Anknüpfungspunkt für das aktuell erzielbare Entgelt das durchschnittlich von allen Arbeitnehmern erzielte Arbeitsentgelt weniger gut geeignet als das der Bemessung zu Grunde gelegte durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg. Unter Orientierung an den durch die Gehalts- und Lohnstrukturerhebung ausgewiesenen Spannweiten der Entgeltabstände sei für die übrigen Qualifikationsgruppen das Arbeitsentgelt pauschalierend in Abstufungen von je 20 Prozentpunkten höher bzw. niedriger festgesetzt worden (Qualifikationsgruppe 2: 100 v.H. der Bezugsgröße (1/360); Qualifikationsgruppe 1: 120 v.H. der Bezugsgröße (1/300); Qualifikationsgruppe 4: 60 v.H. der Bezugsgröße (1/600)). Die Festsetzung der Höhe des Arbeitsentgelts sei vertretbar und angemessen. Das Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern, das über einen Ausgleich für das aktuell erzielbare Entgelt hinausgehe, rechtfertige sich ohne weiteres aus der Lohnersatzfunktion des Alg. Es sei auch nicht verfehlt, in diesem Zusammenhang die Gefahr zu sehen, dass anderenfalls der Bezug von Alg attraktiver sein könne als die Aufnahme einer Beschäftigung. Ferner sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, bei Personen, deren Berufsbiografie Lücken aufweise und die in den letzten zwei Jahren nur für weniger als 150 Tage Arbeitsentgelt erzielt hätten, typisierend davon auszugehen, dass der aktuelle Marktwert der Arbeitsleistung in der Regel durch die durchschnittlichen Entgelte aller in einer Beschäftigung stehenden Arbeitnehmer nicht mehr zutreffend repräsentiert werde. Der durch den individuellen Versicherungsfall aktuell eintretende Lohnausfall lasse sich ohnehin nicht exakt bestimmen, sondern nur schätzen. Willkürlich wäre lediglich eine Schätzungsmethode ohne geeignete Anknüpfungspunkte. ( ...) Der Gesetzgeber war auch nicht gehindert, einen Systemwechsel bei der Bemessung des Alg vorzunehmen. Das Alg soll als existenzsichernde Leistung dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leisten, den er dadurch erleidet, dass er gegenwärtig keinen bezahlten Arbeitsplatz findet. Da sich der durch die Arbeitslosigkeit individuell eintretende Lohnausfall nicht konkret ermitteln lässt (BSG, Beschluss vom 2. 2. 1995, Aktenzeichen: 11 RAr 21/94 – juris Rdnr. 23), ist es unter den genannten Voraussetzungen unvermeidlich, die Höhe des Alg nach typisierenden und pauschalierenden Merkmalen zu bestimmen. Dabei kann dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt – an dem es hier fehlt – grundsätzlich Indizwirkung in dem Sinne beigemessen werden, dass es typisierend das Arbeitsentgelt anzeigt, das der Arbeitslose, hätte er Arbeit, auch aktuell erzielen könnte (vgl. u.a. BSG aaO; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr. 3 S. 12). Das wird in der Regel der Konzeption gerecht, das Alg als Entgeltersatzleistung an einem möglichst zeitnahen Niveau auszurichten, das den auf Arbeitseinkommen gegründeten durchschnittlichen Lebensstandard des Arbeitslosen vor Entstehung des Anspruchs repräsentiert, so dass vor dem Bemessungszeitraum erzielte höhere Verdienste des Arbeitslosen, für die entsprechende Beiträge entrichtet wurden, regelmäßig keine Berücksichtigung mehr finden (vgl. BSGE 74, 96, 100 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 17 S. 75; BSGE 77, 244, 250 = BSG SozR 3-4100 § 112 Nr. 24 S. 112; BSGE 72, 117, 183 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 13 S. 55f. und Nr. 26 S. 120).
Obwohl es deswegen prinzipiell sachgerecht ist, wenn die Bemessung des Alg wegen genannter Indizwirkung an das Nettoentgelt anknüpft, das der Arbeitslose zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit im (ggf. erweiterten) Bemessungszeitraum bezogen hat (BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6 S. 11), versagt diese Bemessungsmethode naturgemäß in den Fällen, in denen es – wie hier – an einem vor der Arbeitslosigkeit erzielten Arbeitslohn mangelt, sodass der Lohnausfall infolge der Arbeitslosigkeit und der deswegen zu erbringende Lohnersatz mit einer anderen Methode bemessen werden müssen (BSG SozR 4-4300 § 132 Nr. 1 Rdnr. 41; zum AFG: BSG, Beschluss vom 2. 2. 1995 – Aktenzeichen 11 RAr 21/94).
Dies gilt vorliegend insbesondere, weil der Kl. zuletzt bis April 2003 beschäftigt war und in der Folgezeit Krankengeld und schließlich unmittelbar vor Entstehung des Alg-Anspruchs 16 Monate lang eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H. von 1334,83 EUR bezogen hat, die sein Einkommensniveau zuletzt repräsentierte. Die Rente bei voller Erwerbsminderung unterlag dabei der Versicherungspflicht, ohne dass der Kl. in seiner Person zur Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung herangezogen wurde; Beiträge wurden vielmehr pauschal nach § 345a SGB III erhoben und vom Rentenversicherungsträger gezahlt. Schon deshalb gehen die Ausführungen des Kl. zur Rechtsprechung des BVerfG zu Einmalzahlungen (BVerfGE 92, 53 ff. = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6; BVerfGE 102, 127 ff. = SozR 3-2400 § 23a Nr. 1) an der Sache vorbei. Sie ist auf vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil sie nur Arbeitsentgelte betrifft, nicht aber Entgeltersatzleistungen, zu denen die Rente wegen voller Erwerbsminderung und auch das zuvor bezogene Krankengeld gehören. ( ...)" Das Gericht schließt sich diese Ausführungen nach eigener Prüfung umfassend an. Weitergehende Ausführungen hierzu sind entbehrlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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NRW
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