L 1 KR 39/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 8 KR 62/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 39/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Bauchdeckenkorrektur nebst Fettabsaugung aus Mitteln der ge-setzlichen Krankenversicherung.

Der am 17. Juni XXXXX 1964 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist transsexuell und hat sich einer Geschlechtsumwandlung von Frau zu Mann unterzogen. Seinen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Bauchdeckenstraffung mit Fettabsau-gung begründete er unter Verweis auf verschiedene ärztliche Atteste damit, bei ihm liege immer noch eine typisch weibliche Fettverteilung vor, die ihm massive psychische Probleme bereite. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2007 unter Verweis auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ab: Der Kläger habe eine typisch männliche Statur bei Übergewicht. Eine Entstellung liege nicht vor und etwaigen psychischen Beeinträchtigungen sei mit den Mitteln von Psychotherapie und Psychiatrie zu begegnen.

Am 11. Januar 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten behandelnder Chirurgen, des behandelnden Allge-meinmediziners und des behandelnden Neurologen und Psychiaters. Zur weiteren Aufklä-rung des sozialmedizinischen Sachverhaltes hat es ein Gutachten des Facharztes für plastische und ästhetische Chirurgie Dr. Siemers S. eingeholt. Dort heißt es, die Körper-form entspreche der einer Frau; bei Männern komme eine solche Körperform nicht vor. Dementsprechend sei auch Fettverteilung typisch weiblich. Es bestehe eine Ansammlung von Fettgewebe in der Hüftregion entsprechend dem gynoiden Typ (sog. Birnenform). Die bisherigen operativen Maßnahmen im Rahmen der Geschlechtsumwandlung hätten nicht ausgereicht, um das äußere Erscheinungsbild des Klägers abschließend zu ändern. Die bestehenden Konturdeformitäten seien nur chirurgisch und nicht auch diätisch zu korrigie-ren. Eine Fettabsaugung sei insoweit das Mittel der Wahl.

Durch Urteil vom 14. Februar 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der beim Kläger anzutreffende Zustand sei weder unter dem Aspekt einer körperlichen Fehlfunktion noch unter dem einer Entstellung als Krankheit i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Bu-ches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu bewerten. Auch unter dem Aspekt einer psychischen Beeinträchtigung ergebe sich der geltend gemachte Anspruch nicht. Zwar habe das Bun-dessozialgericht bei einer besonders tief greifenden Form der Transsexualität einen An-spruch auf geschlechtsangleichende Operationen bejaht (BSG, Urteil vom 6.8.1987, 3 RK 15/86, NJW 1988, 1550; BSG, Urteil vom 28.9.2010, B 1 KR 5/10 R, NJW 2011, 1899), jedoch führe dies nicht dazu, dass Betroffene Anspruch auf jegliche Art geschlechtsan-gleichender Operationen im Sinne einer möglichst weitgehenden Annäherung an ein ver-meintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Kranken-versicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen hätten. Der Anspruch beschränke sich gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz, TSG) auf die Schaffung eines Zustandes, bei dem aus Sicht eines verständigen Beobachters eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintrete. Einen solchen Zustand habe der Kläger ausweislich der dem Sachverständigengutachten beigefügten Fotografien bereits erreicht. Sein eindeutig männliches Erscheinungsbild werde durch die vorhandenen Fettpolster nicht beeinträchtigt.

Am 22. März 2011 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er führt aus, das Sozialgericht habe seine Entscheidung allein auf den Eindruck aus den zum Gutachten gehörenden Fotogra-fien gestützt und die Ergebnisse des Gutachtens selbst außer Betracht gelassen. Zur Vervollständigung der Geschlechtsumwandlung gehöre auch eine deutlich Annäherung an das Erscheinungsbild des neuen Geschlechts. Hierfür sei die begehrte Krankenbehandlung erforderlich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juli 2007 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 11. Dezember 2007 zu verpflichten, ihm Krankenbehand-lung in Form von Bauchdeckenkorrektur und Fettabsaugung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus der Fotodokumentation ergebe sich ein äußeres Erscheinungsbild, wie es regelhaft auch bei übergewichtigen Männern anzu-treffen sei. Somit sei die begehrte Behandlung gerade nicht zur Vollendung der erfolgten Geschlechtsumwandlung erforderlich. Der letzte diesbezüglich erforderliche Schritt habe in der nunmehr erfolgten Penoidrekonstruktion gelegen. Für den Kläger könne daher nichts anderes gelten als für Versicherte, die Fettabsaugungen begehrten und sich nicht zuvor einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hätten.

Der Senat hat am 31. Januar 2013 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sit-zungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Durchführung einer Bauchdeckenstraffung nebst Fettabsaugung zulasten der gesetz-lichen Krankenversicherung verneint.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimme-rung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Als Krankheit im Sinne dieser Vorschrift kommt allein der – beim Kläger unstreitig vorliegende – Transsexualismus (zur Qualifizierung dieses Zustandes als Krankheit vgl. BSG, Urteile vom 11.9.2012, B 1 KR 9/12 R und B 1 KR 11/12 R, beide juris) in Betracht. Unter Außerachtlassung des Trans-sexualismus (d.h. gleichsam für sich betrachtet) lässt sich der Zustand von Bauchdecke und Hüften jedenfalls nicht als pathologischer Zustand charakterisieren, der die begehrte Form der Behandlung erforderlich machen würde; auch für eine Entstellung im Rechtssin-ne ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich (zu den Voraussetzungen für eine operative Entfernung von Fettansammlungen BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R, juris; zum Begriff der Entstellung BSG, Urteil vom 28.2.2008, B 1 KR 19/07 R, NZS 2009, 95).

Die begehrte Krankenbehandlung ist auch im Zusammenhang mit dem bestehenden Transsexualismus nicht notwendig im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Zwar besteht bei einer besonders tiefgreifenden Form der Transsexualität ein Anspruch auf ge-schlechtsangleichende Maßnahmen (BSG, Urteil vom 6.8.1987, 3 RK 15/86, NJW 1988, 1550; BSG, Urteil vom 28.9.2010, B 1 KR 5/10 R, NJW 2011, 1899). Somit kann bei Transsexualismus eine Abweichung von dem allgemeinen Grundsatz geboten sein, wo-nach psychische Krankheiten nicht mittels angestrebter körperlicher Eingriffe zu behan-deln sind, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung veranlasst werden (BSG, Urteil vom 28.9.2010, a.a.O.). Diese Abweichung geht indes nicht so weit, dass Betroffene Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsan-gleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Kran-kenversicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen hätten. Die Ansprüche der Be-troffenen auf Krankenbehandlung sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist (aus neuster Zeit BSG, Urteile vom 11.9.2012, a.a.O., Hervorhe-bung hinzugefügt). Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein Anspruch Transsexueller auf Krankenbehandlung in Gestalt von Operationen, die allein auf eine Veränderung des äu-ßeren Erscheinungsbildes abzielen, zwar nicht – wie dies bei nicht-transsexuellen Versi-cherten der Fall ist – nur unter den engen Voraussetzungen einer Entstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht. Ein solcher Anspruch beschränkt sich indes auf die Herstellung eines Zustandes, der nach allgemeiner Anschauung dem Erscheinungsbild des neuen Geschlechts zumindest sehr ähnlich wirkt. Lässt sich ein Zustand feststellen, der innerhalb der Varianz verschiedener Erscheinungsbilder des neuen Geschlechts liegt, so ist eine operative Krankenbehandlung nicht notwendig i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V und es kommt lediglich eine – im vorliegenden Fall nicht streitge-genständliche – psychotherapeutische oder psychiatrische Krankenbehandlung in Be-tracht.

Beim Kläger besteht – nach dem Eindruck, den der Senat von ihm in der mündlichen Ver-handlung sowie anhand der dem Sachverständigengutachten beiliegenden Fotografien gewonnen hat – bereits ohne die begehrte Krankenbehandlung ein äußeres Erschei-nungsbild, das dem des männlichen Geschlechts entspricht. Der optische Eindruck wird dominiert durch die kräftig entwickelte Muskulatur in Brust-, Schulter- und Rückenbereich, wobei insbesondere die beidseits deutlich ausgebildeten Latissimusmuskeln den maskuli-nen Habitus verstärken. Hinzu kommt die deutlich in Erscheinung tretende Behaarung gerade von Brust und Bauch. Auch der Vollbart, den der Kläger zumindest zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung getragen hat, verstärkt den maskulinen Eindruck ganz er-heblich. Dass neben diesen Eindruck die vom Sachverständigen festgestellte gynoide Fettverteilung tritt, wirkt sich nicht so stark aus, dass es – im Rahmen der gebotenen Ge-samtwürdigung des äußerlichen Eindrucks – die maskuline Gesamterscheinung in Abrede stellte. Die sog. gynoide Form der Adipositas, bei der sich Fettansammlungen vor allem im Bereich von Hüften und Gesäß finden (gluteal-femoral, peripher, hüftbetont, sog. Bir-nentyp) beschränkt sich nicht auf das weibliche Geschlecht. Etwa zwanzig Prozent der von Adipositas betroffenen Männer leiden an gynoider Adipositas (vgl. Ad-ler/Begliner/Manns/Müller-Lissner/Schmiegel, Klinische Gastroenterologie und Stoffwech-sel, 2000, S. 884). Bereits dieser statistische Befund lässt erkennen, dass auch eine deut-lich ausgeprägte gynoide Fettverteilung nicht zu den eindeutigen äußeren Merkmalen des weiblichen Erscheinungsbildes zählt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Erscheinungsbild des Betroffenen neben einer gynoide Fettverteilung auch von anderen Faktoren wesentlich geprägt ist, die – wie hier – deutlich dem männlichen Erscheinungsbild zuzuordnen sind.

Angesichts dessen ist auch nicht zu beanstanden, dass sich das Sozialgericht bei seiner Urteilsfindung von dem Eindruck hat leiten lassen, den es aus der (dem Sachverständi-gengutachten beigefügten) Fotodokumentation entnommen hat, und der Einschätzung des Sachverständigen nicht gefolgt ist. Das Sachverständigengutachten hat sich zu stark auf eine Würdigung nur der Fettansammlungen beschränkt und die gebotene Gesamtbe-trachtung außer Acht gelassen, die in der Tat am besten aus den Fotografien sowie auch sonst aus dem äußeren Eindruck des Klägers gewonnen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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