L 8 SB 2786/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 5679/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2786/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Der 1964 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis. Er beantragte am 08.09.2008 die Feststellung seiner Behinderung beim Beklagten. Dazu gab er an, an einer wahnhaften Störung zu leiden.

Der Beklagte holte einen Befundbericht der Ärztin für Psychiatrie Dr. A. vom 11.10.2008 ein. Sie teilte mit, dass sie den Kläger erstmals vom Mai bis Oktober 2003 behandelt habe, am 09.06.2008 sei er erneut in ihre Behandlung gekommen. Im Jahr 2003 sei es aufgrund eines Konfliktes am Arbeitsplatz zur Entwicklung einer Depression gekommen. Im Jahr 2008 sei das Arbeitsverhältnis gekündigt worden. In der Folge habe der Kläger berichtet, dass er nachts im Garten aufwache, seiner Frau etwas angetan habe, sie beinahe umgebracht habe, sodass Dr. A. ihn in die Klinik habe einweisen lassen. Im Jahr 2003 sei eine bessere Kommunikation mit ihm möglich gewesen, inzwischen sei eine Verständigung auf Deutsch mit ihm kaum noch möglich, es komme immer ein Freund als Übersetzer mit. Es sei nicht sicher zu beantworten, ob der Kläger sich durch seine Erkrankung dem Arbeitsprozess zu entziehen versuche. Das liege jedoch nahe, da er von 2003 bis 2008 keine psychiatrische Hilfe in Anspruch habe nehmen müssen. An Beschwerden schildere er im Wesentlichen eine Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Er komme aktuell etwa alle vier Wochen zur Behandlung, nehme Neuroleptika und ein stimmungsstabilisierendes Medikament.

Dr. A. legte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 22.07.2003 vor. Dort berichtete der Kläger über eine mündliche Kündigung seines Arbeitgebers, die zu Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Appetitstörung und Schlafstörungen geführt hätten. Der Kläger wirke sehr aufgeregt in der Schilderung seiner Problematik. Er habe Existenzängste, zeitweise auch aggressive Schwankungen und weinerliche Niedergeschlagenheit. Der MDK ging davon aus, dass der Kläger psychisch wieder stabilisiert sein werde, wenn die arbeitsrechtliche Problematik geklärt sei.

Ausweislich eines Arztbriefes des Dr. E. vom 28.08.2008 war der Kläger vom 07.07.2008 bis 29.08.2008 in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung im Klinikum N ... Als Diagnose wurde dort eine wahnhafte Störung mitgeteilt. Aus dem endgültigen Entlassungsbericht des Klinikums N., Dr. E., vom 24.10.2008 ergab sich, dass der Kläger gegen seine Frau körperlich aggressiv geworden war und fragliche dissoziative Zustände auftraten. Der Kläger berichtete dort, dass seine Frau sage, er schlage sie nachts. Er selbst könne sich daran nicht erinnern. Ähnliche Schwierigkeiten seien auch schon in seiner ersten Ehe aufgetreten, dass sei ein Grund gewesen für die Trennung. Im Verlauf der stationären Behandlung konnte eine deutliche depressive Symptomatik nicht festgestellt werden. Die Symptome wurden am ehesten im Zusammenhang mit einer wahnhaften Störung interpretiert. Mit entsprechenden Medikamenten sei ein regelhafter Nachtschlaf möglich gewesen.

Nach Anhörung des Ärztlichen Dienstes (Dr. L., 01.01.2009) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2009 einen GdB von 30 wegen einer seelischen Krankheit fest.

Dagegen erhob der Kläger am 23.01.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung er einen Reha-Entlassungsbericht der Klinik a. S. M. vom 16.01.2009 über eine Behandlung vom 16.12.2008 bis 13.01.2009 vorlegte. Dort gab der Kläger an, seit 10 Jahren unter einem Spektrum von Symptomen wie depressiver Verstimmung, innerer Unruhe, Ein- und Durchschlafproblemen, Alpträumen, Erschöpfungsgefühlen, Übelkeit, Schwindelgefühlen, chronischer Müdigkeit, Grübeln, grundlosem Weinen, Vergesslichkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsproblemen, Antriebslosigkeit, Überempfindlichkeit in sozialen Beziehungen, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit, sozialem Rückzug, Misstrauen Menschen gegenüber und weiteren Symptomen zu leiden. Er habe Angst vor einem Schlaganfall, Zukunftsängste und Angst vor schweren Krankheiten. Er wandere nachts im Schlaf und wache im Garten auf. Er bekomme manchmal auch das Gefühl, als ob er von der Polizei abgeholt werden könnte. Er habe verschiedene Schmerzen am Körper, insbesondere Schmerzen in der Lendenwirbelsäule wegen eines Bandscheibenvorfalls. Er verbringe seinen Alltag zuhause mit Fernsehen, Zeitschrift und Buch lesen, Gartenarbeit. Er dürfe wegen seiner Vergesslichkeit kein Auto fahren. Bei der Untersuchung war der Kläger bewusstseinsklar und allseits orientiert. Die Stimmung wirkte etwas depressiv, Antrieb und Motorik waren ungestört. Der formale Gedankengang war geordnet, aber verlangsamt, es bestand eine Ich-Störung im Sinne der Derealisation. Eine Aggravationstendenz sei nicht auszuschließen. Aufgrund einer angeblichen Hörminderung beim Aufnahmetermin sei es kaum möglich, ein intaktes Gespräch durchzuführen. Im Rahmen der stationären Behandlung sei es nicht gelungen, die Beschwerden, insbesondere die angegebene Vergesslichkeit, durch Beobachtungen zu objektiveren. Das Hörproblem habe sich im Laufe der Behandlung spontan eingestellt. Es sei neu ein Diabetes mellitus Typ 2 entdeckt worden, der einer Fachbehandlung bedürfe. Die Rückenschmerzen hätten sich im Laufe der Behandlung verbessert.

Nach Anhörung des Ärztlichen Dienstes (R. S., 21.04.2009) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2009 zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 20.08.2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) zu deren Begründung er ausführte, dass sein psychiatrisches Leiden nicht ausreichend berücksichtigt sei. Seine Erkrankung wirke sich derart aus, dass er zum Teil unbeweglich und ohne Elan zuhause verweile und weder zuhause seiner Ehefrau bei den alltäglichen Hausangelegenheiten helfe, noch eine normale Konversation zu seiner Familie pflegen könne. Durch die seelische Erkrankung vermöge er nicht einmal alleine Spaziergänge durchzuführen, ohne die Orientierung zu verlieren.

Das Sozialgericht befragte Dr. A. schriftlich als sachverständige Zeugin. Sie gab unter dem 07.04.2010 an, der Kläger sei zuletzt am 04.08.2009 in ihrer Praxis gewesen. Eine Rentenneurose sei durchgängig für sie nicht auszuschließen gewesen. Die Symptomatik sei teilweise sehr bizarr und nicht typisch für eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Es wirke auf sie wie aufgesetzt. Zudem sei ihr ein Sprachverfall aufgefallen, 2003 habe der Kläger sich noch recht gut auf Deutsch artikulieren können, bei den Besuchen ab 2008 sei das durchgängig nicht mehr möglich gewesen, sodass die Gespräche mit einem Übersetzer hätten durchgeführt werden müssen. Ob die verordnete Medikation eingenommen worden sei, sei fraglich. Seit Anfang August 2009 habe der Kläger sich in ihrer Praxis keine Medikamente mehr verschreiben lassen.

Das SG zog weiterhin ein ärztliches Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung der Fachärztin für Psychiatrie Dr. E. vom 22.10.2009 bei. Bei der dortigen Untersuchung gab der Kläger an, er fühle sich tagsüber sehr müde. Wenn er Medikamente einnehme, könne er gut schlafen. Er verliere die Orientierung, wenn er irgendwo hin gehe. Ihm sei immer schlecht, er habe Schwindel, Kopf- und Körperschmerzen. Auf genaueres Nachfragen zum Tagesablauf reagierte der Kläger ärgerlich. Das Hörvermögen sei in der Untersuchungssituation etwas vermindert gewesen. Schmerzen im Wirbelsäulenbereich seien nicht angegeben worden. Der Kläger wirke durch die Angabe von Schmerzen seit eineinhalb Jahren nicht beeinträchtigt. Konzentrations- oder Merkfähigkeitsdefizite ließen sich nicht objektiveren. Der Kläger sei konzentriert, jedoch dysphorisch verstimmt und werde bis zum Ende der Anamneseerhebung immer ärgerlicher und aggressiver. Die Angaben zum Tagesablauf hätten aggravatorischen Charakter. Der Kläger sei als Arbeiter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr einsatzfähig.

Das SG zog den Entlassungsbericht des Klinikums N., Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 02.06.2010 über eine stationäre Behandlung vom 12.12.2009 bis 02.02.2010 bei. Er wurde dort eingewiesen, nachdem er nach Alkoholmissbrauch gegenüber seiner Ehefrau aggressiv geworden war. Am 31.10.2008 sei der Kläger vor einer Gaststätte alkoholisiert auf dem Boden liegend aufgefunden worden und kurzfristig bewusstlos gewesen. Er sei dann ins Krankenhaus eingewiesen worden, bei der Aufnahme sei er aggressiv gewesen. Aktuell sei er aus dem Krankenhaus dort eingewiesen worden, nachdem er einen Glastisch zerschlagen und sich eine Selbstverletzung zugefügt habe. Bei Aufnahme sei ein Alkoholspiegel von 2,8 Promille gemessen worden. Die Verlegung habe aufgrund des Verdachts auf akute Suizidalität ausgesprochen werden müssen. Bei der Aufnahme gab der Kläger an, vor 11 Jahren wegen Alkohols am Steuer den Führerschein verloren zu haben. Das Blutbild sei unauffällig gewesen. Der Kläger habe es bei Konfrontation mit dem Alkoholmissbrauch vehement abgelehnt, einen solchen zu betreiben, und sei auch nicht bereit, eine suchtspezifische Behandlung durchzuführen. Bei Befragung der Ehefrau sei diese eher ausweichend gewesen und habe angegeben, der Kläger trinke einmal innerhalb von zwei Monaten. Aggressiv sei er auch, wenn er nicht betrunken sei, es sei insofern schon zu Sachschäden gekommen. Auf der Station habe man keine dissoziativen Zustände feststellen können, affektive Schwankungen in Richtung Niedergeschlagenheit und dysphorisch gereizter Stimmungslage mit Kopfschmerzen und Angabe von Doppelbildern seien aufgetreten. Im weiteren Verlauf habe eine deutliche Stabilisierung des Affekts erreicht werden können.

Das SG holte von Amts wegen ein psychiatrisches Gutachten von Dr. H. vom 07.03.2011 ein. Dort gab der Kläger an, dass er wechselnden Kontakt zu seinem Sohn aus erster Ehe habe. Er sei jetzt in zweiter Ehe verheiratet, mit dieser Frau gehe es ihm gut, sie habe ihm auch viel geholfen und ärgere ihn nicht. Sie wollten Kinder, aber es habe bisher nicht geklappt. Er habe nun die Freunde gestrichen, weil ihn niemand besucht habe, als er krank gewesen sei. Er habe auch eine Potenzstörung. Außerdem habe er immer beim Tragen, Sitzen und Laufen Schmerzen. Die Tabletten nehme er nicht mehr, weil sie ihm nicht geholfen hätten. Eigentlich sei er Alkohol nicht gewöhnt, ab und zu wolle er aber trinken, dann gehe er einfach in die Kneipe. Gestern sei er mit einem Kollegen im Garten gewesen und habe dort drei Bier getrunken. Wenn er Bier trinke, sei er ganz kaputt. Der Kläger schilderte dort einen wechselhaften Tagesablauf, manchmal stehe er um 8 oder um 9 Uhr auf, manchmal um 5 Uhr und gehe zu verschiedenen Zeiten ins Bett. Wenn er aufstehe, schalte er den Fernseher an, sitze da und rauche und ab und zu gehe er in die Kneipe zum Imbiss und trinke auch ab und zu Bier. Er liebe Fußball und gehe jede Woche ins Sportlokal. Er habe mit Kollegen ein türkisches Programm gekauft, dass er ab und zu im Garten gucke. Dafür zahle er 20 EUR. Dr. H. schilderte den Kläger als bei der Untersuchung deutlich unter Druck stehend und dysphorisch, die Orientierung sei örtlich, zeitlich, zur eigenen Person und zur Situation unauffällig gewesen. Die Merkfähigkeit sei etwas eingeschränkt. Im Ausdrucksverhalten sei er ärgerlich, eingeengt, zeitweise auch erregt, bei wenigen Themen könne er auch etwas lachen und zeige sich etwas lockerer. Die Sprache sei deutlich gewesen, der Kläger habe dem Gespräch gut folgen können. Auch im Verständnis und in der Aussprache hätten sich keine Probleme ergeben. Die vom Kläger geschilderten dissoziativen Störungen hätten unter stationären Bedingungen nicht objektiviert werden können. Sie selbst interpretiere dieses Verhaltensmuster eher als emotionale Affekthandlungen, die der Kläger später bei sich selbst aus Schamgefühl negiere. Der Kläger sei nervös gewesen, aber von der Stimmungslage nicht gedrückt, überwiegend wütend und ärgerlich. Es habe sich aus dem durchgeführten Bluttest keinen Hinweis auf einen regelmäßigen Alkoholkonsum ergeben. Dr. H. kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vorliege. Die dissoziativen Zustände hätten sich nicht objektivieren lassen. Aus den Akten ergebe sich, dass der Kläger wiederholt eine Promillezahl von 2,6 und mehr erreicht habe, das begründe ebenfalls Erinnerungslücken. Eine manifeste Alkoholkrankheit könne aber ausgeschlossen werden. Auch sie vermute hinter dem Auftreten des Klägers ein Rentenbegehren. Die Medikamenteneinnahme spreche nur für einen geringen Leidensdruck, der Kläger begebe sich auch nur zu kurzfristigen Behandlungen zu Ärzten, die aber nicht kontinuierlich in Anspruch genommen würden. Sein primäres Ziel sei es, durch eine Erhöhung des Schwerbehindertengrades ein entsprechendes Rentenbegehren erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Sie schätze deshalb den GdB mit 30 ein. Die Kriterien einer Depression seien nicht erfüllt.

Der Kläger legte nunmehr ein Gutachten von Dr. L. vom 22.02.2010 für die Bundesagentur für Arbeit vor, die zu dem Ergebnis kam, es bestehe eine seelische Minderbelastbarkeit, die einer wiederholten stationären Behandlung bedurft habe. Mitgeprägt werde das Krankheitsbild von einer Schmerzfehlverarbeitung und einer chronisch schmerzhaften Funktions- und Belastungseinschränkung der unteren Wirbelsäulenabschnitte. Klinisch zeige sich eine deutliche Unsicherheit bei raschem Lagewechsel, es würden immer wieder Schwindelerscheinungen angegeben.

Das SG holte nunmehr auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten der Psychiaterin Dr. K. vom 20.02.2012 ein. Sie teilte mit, dass aus ihrer Sicht eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie eine somatoforme Schmerzstörung mit dissoziativ histrionischen Zügen vorliege. Der Kläger sei im Kontakt ausreichend zugewandt, teils gleichgültig, im Gespräch mit der Tendenz zu drastisch ausfälliger Wortwahl. Es bestehe ein negatives Selbstkonzept bei unzureichender männlich-väterlicher Orientierung mit somatisierendem, dissoziierendem und histrionisch dramatisierendem Verhalten. Der Kläger sei gedanklich formal geordnet, logisch sowie klar, einfach, wenig abstrakt. Inhaltlich sei er auf seine negative Befindlichkeit konzentriert. Affektiv sei er wechselhaft bis impulsiv erregbar, sehr kränkbar mit kompensatorisch reaktiver Anspruchshaltung. Er meine, eine Entschädigung für ihn sei gerechtfertigt. Wenn er nicht bekomme, was ihm nach seiner Meinung zustehe, reagiere er unangemessen impulsiv und wenig kontrolliert, ohne jegliche Einsicht in die Grenzen eigener Ansprüche einerseits und Rechte der Umgebung andererseits. Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung schätze sie als mittelschwer ein. Die Extraversion und wenig selbstkritische Haltung, gepaart mit einer geringen Frustrationstoleranz und Impulsivität führe zu wiederkehrenden Alltagskonflikten und Beziehungsproblemen samt Unterhalts- und Kündigungsstreitigkeiten und unzureichender Integrierbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der punktuelle Alkoholmissbrauch sei Ausdruck der geringen Frustrationstoleranz. Die zusätzlich vorliegende chronisch-somatoforme Schmerzstörung mit dissoziativ histrionischen Zügen sei Ausdruck des negativen Selbstkonzeptes und auch, aber nicht hauptsächlich im Rahmen eines bewussten Rentenbegehrens zu sehen. Der GdB sei mit 50 anzusetzen. Ein ständiger Alkoholmissbrauch liege auch aus ihrer Sicht nicht vor. Es komme zu passagerem Alkoholmissbrauch.

Dem Gutachten trat der Beklagte unter Vorlage einer Stellungnahme des Dr. W. vom 12.03.2012 entgegen.

Mit Urteil vom 30.05.2012 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass der GdB für die psychischen Beschwerden des Klägers mit 30 ausreichend bewertet sei. Dazu stützte es sich auf das Gutachten von Dr. H ... Es sei insofern zu berücksichtigen, dass der Kläger eine intakte Ehe führe, Interessen habe wie z. B. Fußball und auch Kontakt zu Kollegen bzw. Freunden pflege. Insofern liege nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. H. beim Kläger eine stärker behindernde Störung vor, die aber im Hinblick auf die intakte Ehe, den wechselhaften Kontakt zu seinem Sohn und auch den Kontakt zu Freunden und Kollegen nicht ein Ausmaß erreiche, das einer schweren Zwangskrankheit entspreche. Das Krankheitsbild werde bestätigt durch das Gutachten von Dr. E. für die Deutsche Rentenversicherung und entspreche den Auskünften seiner behandelnden Ärztin Dr. A ... Nach allen beteiligten Ärzten habe der Kläger einen sekundären Krankheitsgewinn im Sinne eines Rentenbegehrens. Der Einschätzung von Dr. K. könnte nicht gefolgt werden, weil sie nicht darlege, inwiefern beim Kläger eine konkrete Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingetreten sei.

Gegen das ihm am 01.06.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.06.2012 eingelegte Berufung des Klägers, zu deren Begründung er sich auf das Gutachten von Dr. K. bezieht. Außerdem habe das SG nicht berücksichtigt, dass er sich im Dezember 2010 und Februar 2011 wegen einer Lumbalgie bei Bandscheibenprotrusion L5/S1, Osteochondrose L4 bis S1 sowie Spondylarthrose in diesen Etagen in orthopädischer Behandlung befunden habe. Der psychiatrische Leidenszustand sei mit einem GdB von 30 nicht zutreffend bewertet.

Zur weiteren Begründung hat der Kläger einen Arztbrief der Fachärztin für Anästhesie Dr. C. vom 24.05.2012 vorgelegt, die eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren im Stadium II am Übergang zum Stadium III nach Gerbershagen diagnostiziert hat. Es bestehe ein degeneratives LWS-Syndrom mit Osteochondrose und altem Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1, eine Depression, eine Schmerzverarbeitungsstörung und anamnestisch eine Alkoholabhängigkeit. Es bestünden chronische Schmerzen des unteren Rückens mit wiederkehrender Schmerzausstrahlung in die Beine. Bei Fehl- und Schonhaltung bestehe zusätzlich ein myofaszialer Schmerzanteil. Unter medikamentösen und nicht medikamentösen schmerztherapeutischen Maßnahmen habe eine geringe Besserung, aber keine anhaltende Linderung erreicht werden können. Schmerzverstärkend und chronifizierend sei die psychische Komorbidität, die mit einer Schmerzverarbeitungsstörung einhergehe und die Compliancefähigkeit des Klägers einschränke. Im Rahmen von kleinen Alltagsärgernissen komme es regelmäßig zu psychischen Dekompensationen und Schmerzverstärkungen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.05.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 09.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2009 zu verpflichten, einen GdB von 50 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird verwiesen auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten, einen Band Akten des Sozialgerichts Stuttgart sowie die beim Senat angefallenen Akten.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 13.09.2012, 17.01.2013 und 14.02.2013 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren Stellung zu nehmen.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 09.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2009 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil Bezug und schließt sich ihnen nach erneuter Überprüfung an, § 153 Abs. 2 SGG.

Im Hinblick auf den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren ist ergänzend Folgendes auszuführen: Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, aaO, RdNr 30).

Nach diesen Kriterien sind die psychischen Beschwerden des Klägers einschließlich des Schmerzsyndroms bzw. der somatoformen Schmerzstörung mit einem GdB von 30 ausreichend berücksichtigt. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist für diese Beeinträchtigung ein höherer GdB als 30 nicht gerechtfertigt, denn der Kläger bedurfte zwar in der Vergangenheit zweimal einer stationären psychiatrischen Behandlung. Allerdings kann er sein tägliches Leben einigermaßen gestalten, seine Ehe ist intakt, er hat Kontakt mit seinem Sohn und mit Freunden. Er übt Hobbys aus. Ein Teil seiner demonstrierten psychischen Beeinträchtigungen ist auf ein Rentenbegehren zurückzuführen, das nicht zur Feststellung eines höheren GdB führen kann. Insofern ist es dem Kläger möglich, einen Teil seiner psychischen Beschwerden durch entsprechende Willensanstrengung zu überwinden. Die vom Kläger auch bei Dr. K. geschilderten Beschwerden begründen keine besondere Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

Neue Erkenntnisse ergeben sich auch nicht aus dem zwischenzeitlich vorliegenden Arztbrief von Dr. C. vom 24.05.2012. Auch sie beschreibt psychische Beeinträchtigungen im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeit des Klägers und eine somatoforme Schmerzstörung, die sie zwischenzeitlich schmerztherapeutisch medikamentös und nicht medikamentös behandelt hat. Diese Schmerzstörung führt gelegentlich zur Behandlungsbedürftigkeit des Klägers, längerfristige Behandlungen finden insofern nicht statt und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Der Leidensdruck des Klägers ist nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. H. nicht besonders hoch, er begibt sich jeweils nur kurzzeitig in Behandlung und nimmt auch die ihm verordneten Medikamente nicht regelmäßig ein, wie auch Dr. C. nochmals bestätigt hat. Nach den Angaben in sämtlichen Entlassungsberichten bedarf er auch keiner permanenten Schmerzmedikation, das ergibt sich auch aus dem Arztbrief von Dr. C. nicht. Die Schmerzen in der unteren Wirbelsäule bestehen seit Jahren und führen immer wieder zu Behandlungsbedürftigkeit ohne dass eine dauerhafte Behandlung notwendig wäre oder eine wesentliche Einschränkung der Funktion der Wirbelsäule damit verbunden wäre.

Auch der Zustand nach Bandscheibenvorfall L5/S1 führt nicht zur Berücksichtigung eines eigenen GdB. In allen Gutachten und ärztlichen Entlassungsberichten über stationäre Behandlungen findet sich kein Hinweis auf eine Bewegungsstörung der Wirbelsäule, der Kläger war zuletzt nach seinen Angaben in seiner Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vor 2008, danach an zwei Daten (Angaben des Klägers in der Berufungsbegründung) in orthopädischer Behandlung. In den verschiedenen Begutachtungssituationen haben sich keine Hinweise auf nachhaltige Bewegungseinschränkungen in der Wirbelsäule ergeben. Solche berichtet auch Dr. C. nicht. Die vom Kläger in der unteren Wirbelsäule beklagten Schmerzen sind insofern schon im GdB von 30 für die psychische Beeinträchtigung einschließlich der somatoformen Schmerzstörung berücksichtigt und führen nicht zu einem gesonderten Einzel-GdB.

Auch der zwischenzeitlich aufgekommene Verdacht auf das Vorliegen eines Diabetes mellitus hat sich nicht bestätigt. Die nach dem Reha-Aufenthalt in B. S. durchgeführten Kontrollen des Blutbildes ergaben jeweils keine Auffälligkeiten. Der Kläger wird wegen dieser Erkrankung nicht therapiert, wie sich unter anderem aus der Aufstellung der Medikation in den verschiedenen ärztlichen Entlassungsberichten aus den stationären Behandlungen ergibt. Er hat eine entsprechende Medikation auch bei keiner der Begutachtungen angegeben und auch im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen. Ein GdB von wenigstens 10 für diesen aufgekommenen Verdacht ergibt sich deshalb nicht. Der Senat sah sich insofern auch nicht veranlasst weitere Ermittlungen anzustellen, denn es ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Verdacht auf das Vorliegen eines Diabetes mellitus bestätigt haben könnte.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved