Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
40
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 40 AS 6159/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 236/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 16.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2010 wird aufgehoben und das beklagte Jobcenter wird verpflichtet, den Überprüfungsantrag der Klägerin betreffend den Aufhebungs- und Er-stattungsbescheid vom 20.10.2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Das beklagte Jobcenter hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Jobcenter einen bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufheben muss. Der Klägerin und deren mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebenden 3 Töchtern waren für den Zeitraum Mai bis Oktober 2005 von der ARGE Zwickau (eine Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters) Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden. Hinsichtlich der Tochter J. der Klägerin war dabei als Einkommen lediglich Kindergeld berücksichtigt wor-den. Am 20.10.2005 stellte die Klägerin Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II (Bl. 70 d. Leistungsakte). Darin ist – als Änderung in den Verhältnissen der Klägerin bzw. der sonstigen Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft – eingetragen: "J. ab 9/05 BAB". Zudem lag der ARGE Zwickau in Kopie der Bescheid der Agentur für Arbeit Zwickau vom 06.10.2005 vor, mit welchem der Tochter J. der Klägerin für den Zeitraum 12.09.2005 bis 31.08.2006 Berufsausbildungsbeihilfe bewilligt worden war (Bl. 71 d. Leistungsakte) Mit Bescheid vom 20.10.2005 (Bl. 79 d. Leistungsakte) hob die ARGE Zwickau die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 01.09. bis 31.10.2005 in Höhe von insgesamt 384,00 EUR teilweise auf und verfügte zugleich, dass die Klägerin diesen Betrag zu erstatten habe. Die Klägerin widersprach dem Bescheid vom 20.10.2005 nicht. Mit Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 09.06.2010 (Bl. 349 der Leistungsakte) beantragte die Klägerin am 11.06.2010 bei der ARGE Zwickau, den Aufhe-bungs- und Erstattungsbescheid vom 20.10.2005 gemäß § 44 SGB X zu überprüfen. Zur Begründung machte sie u. a. geltend, der Individualisierungsgrundsatz sei nicht berücksichtigt. Mit Bescheid vom 16.06.2010 (Bl. 352 d. Leistungsakte) wies die ARGE Zwickau den Überprüfungsantrag der Klägerin zurück – mit der Begründung, eine Überprüfung des Bescheides vom 20.10.2005 könne, da bereits die Vier-Jahres-Frist überschritten sei, nicht mehr erfolgen. Mit Fax-Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 19.07.2010 (Bl. 353 d. Leistungsakte) legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 (Bl. 4 d. A.) wies die ARGE Zwickau den Widerspruch als unbegründet zurück. Daraufhin machte die Klägerin am 08.11.2010 die den vorliegenden Rechtsstreit einleitende Klage anhängig. Die Klägerin meint, der Bescheid vom 20.10.2005 sei nicht hinreichend individualisiert. Die Aufhebungsentscheidung habe nicht ihr gegenüber ergehen dürfen sondern gegenüber ihrer Tochter J. vorgenommen werden müssen. Die Klägerin beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Oktober 2005 in Form des Überprüfungsbescheides vom 16. Juni 2010 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2010 aufzuheben. Das beklagte Jobcenter beantragt, die Klage abzuweisen.
Das beklagte Jobcenter ist der Ansicht, fehlende Bestimmtheit oder fehlende Individualisierung eines Bescheides seien formelle Probleme. Bei unrichtiger Anwendung des formellen Rechts müsse für eine Rücknahme nach § 44 SGB X aber noch eine Benachteiligung des Betroffenen nach materiellem Recht hinzukommen. Eine solche habe die Klägerin indes nicht nachweisen können. Das Gericht hat die Leistungsakte der ARGE Zwickau beigezogen. Diese war daher ebenfalls Grundlage dieser Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Einen Anspruch auf eine (gebundene) Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X hat die Klägerin allerdings nicht, denn § 44 Abs. 1 SGB X ist Rechtsgrundlage nur für die Rücknahme solcher Verwaltungsakte, mit denen Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht (also abgelehnt) oder Beiträge zu Unrecht erhoben wurden. Verfügt ein Bescheid die (teilweise) Rücknahme/Aufhebung bzw. Erstattung zuvor bewilligter und erbrachter Sozialleistungen, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2006 – B 4 RA 43/05 R – Rdnr. 54 zitiert nach juris; VG München, Urteil vom 24.04.2008 – M 15 K 07.1099 – Rdnr. 29 zitiert nach juris). Vielmehr kommt lediglich § 44 Abs. 2 SGB X als Anspruchsgrundlage in Betracht, welcher einen strikten Anspruch auf Rücknahme nur dann begründet, wenn es um Regelungen für die Zukunft geht. Handelt es sich dagegen um eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Vergangenheit (hier: Rücknahme der teilweisen Aufhebung/Erstattung von für den Zeitraum September und Oktober 2005 gewährter Leistungen), ist die Rücknahmeentscheidung gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X in das Ermessen der Behörde gestellt.
2. Gleichwohl war der streitgegenständliche Bescheid vom 16.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2010 aufzuheben, denn er ist wegen unzureichender Ausübung des dem beklagten Jobcenter bzw. dessen Rechtsvorgängerin zustehenden Ermessens rechtswidrig.
a) Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass bei Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 20.10.2005 das Recht unrichtig angewandt wurde. Dabei kann zugunsten des beklagten Jobcenters sogar unterstellt werden, dass der Klägerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen tatsächlich in Höhe von insgesamt 384,00 EUR für den Zeitraum September bis Oktober 2005 Leistungen nach dem SGB II zu Unrecht gewährt worden waren. Die im Bescheid vom 20.10.2005 für die teilweise Aufhebung ursächlichen Umstände konnten sich nämlich nicht ausschließlich auf die der Klägerin individuell bewilligten/zustehenden Leistungen auswirken: Die Berufsausbildungsbeihilfe war der Tochter J. der Klägerin bewilligt worden. Gezahlte Berufsausbildung war damit Einkommen nicht der Klägerin sondern deren Tochter J. Soweit Berufsausbildungsbeihilfe der Tochter J. der Klägerin tatsächlich zugeflossen ist (was im September 2005 allerdings wohl noch nicht der Fall war, da die Bewilligungsentscheidung der Agentur für Arbeit Zwickau erst im Oktober 2005 getroffen wurde) war dies zunächst als den Bedarf der Tochter J. der Klägerin mindernd zu berücksichtigen. Dem hätte die ARGE Zwickau sowohl bei teilweiser Aufhebung der ursprünglich bewilligten/gewährten Leistungen als auch bei Geltendmachen eines Erstattungsverlangens durch Individualisierung Rechnung zu tragen gehabt. Nicht die Bedarfsgemeinschaft als solche, sondern nur die einzelnen Mitglieder sind nämlich Inhaber eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II. Für die Rückabwicklung von Leistungen bedeutet dies, dass auch die Aufhebungsentscheidung bzw. die Erstattungsforderung das jeweilige individuelle Leistungsverhältnis betreffen muss (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.09.2008 – L 3 AS 40/08 Rdnr. 65, zitiert nach juris). Jedenfalls insoweit, als dem Bescheid vom 20.10.2005 nicht entnommen werden kann, in welchem Umfang die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von der Aufhebungsentscheidung und entsprechend der Erstattungsforderung betroffen sein sollten, sondern lediglich ein Gesamtbetrag genannt und ausschließlich von der Klägerin erstattet verlangt wird, ist der Bescheid vom 20.10.2005 rechtswidrig.
b) Entgegen der Auffassung des beklagten Jobcenters handelt es sich bei der fehlenden Individualisierung nicht um ein bloß formelles Problem. Die Frage, ob die Bedarfsgemein-schaft als solche oder jedes einzelne ihrer Mitglieder Inhaber eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II ist, gehört zum materiellen Recht. Wird dem Gebot der Individuali-sierung nicht entsprochen, sondern (wie im Bescheid der ARGE Zwickau vom 20.10.2005) ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auch mit Aufhebungsentscheidungen/Erstattungsforderungen belastet, die sich auf anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu viel/zu Unrecht gewährte Leistungen beziehen, ist dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (hier: die Klägerin) auch offensichtlich materiell benachteiligt/beschwert, denn dieses Mitglied kann von den Übrigen nicht Ausgleich verlangen.
c) Das beklagte Jobcenter kann die Überprüfung des Bescheides vom 20.10.2005 schließlich auch nicht unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X ablehnen. Ziel des Überprüfungsantrags der Klägerin ist es nicht, erstmals Sozialleistungen für einen über 4 Jahre zurücklie-genden Zeitraum zu erhalten. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es kaum einen Unter-schied macht, ob Leistungsberechtigten Geld deshalb fehlt, weil Leistungen von vornherein abgelehnt worden waren oder weil zunächst bewilligte Leistungen zwischenzeitlich wieder erstattet werden mussten. Jedenfalls insoweit, als die Klägerin Leistungen tatsächlich erstattet hat, die nicht ihr sondern den übrigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft bewilligt/gewährt worden waren, geht es aber gerade nicht darum Sozialleistungen (erstmals/wieder) zu erbringen, kann § 44 Abs. 4 SGB X folglich nicht einmal analog angewendet werden.
d) Nach alledem war der Bescheid vom 16.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2010 aufzuheben und das beklagte Jobcenter zu verpflichten, über den den Bescheid vom 20.10.2005 betreffenden Überprüfungsantrag der Klägerin neu zu entscheiden – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Letzteres bedeutet: ein Zurücknehmen des Bescheides vom 20.10.2005 ablehnen darf das beklagte Jobcenter weder mit der Begründung, die Klägerin habe erst nach mehr als 4 Jahren den Überprüfungsantrag gestellt, noch mit der Begründung, fehlende Individualisierung sei ein bloß formelles Problem.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Das beklagte Jobcenter hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Jobcenter einen bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufheben muss. Der Klägerin und deren mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebenden 3 Töchtern waren für den Zeitraum Mai bis Oktober 2005 von der ARGE Zwickau (eine Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters) Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden. Hinsichtlich der Tochter J. der Klägerin war dabei als Einkommen lediglich Kindergeld berücksichtigt wor-den. Am 20.10.2005 stellte die Klägerin Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II (Bl. 70 d. Leistungsakte). Darin ist – als Änderung in den Verhältnissen der Klägerin bzw. der sonstigen Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft – eingetragen: "J. ab 9/05 BAB". Zudem lag der ARGE Zwickau in Kopie der Bescheid der Agentur für Arbeit Zwickau vom 06.10.2005 vor, mit welchem der Tochter J. der Klägerin für den Zeitraum 12.09.2005 bis 31.08.2006 Berufsausbildungsbeihilfe bewilligt worden war (Bl. 71 d. Leistungsakte) Mit Bescheid vom 20.10.2005 (Bl. 79 d. Leistungsakte) hob die ARGE Zwickau die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 01.09. bis 31.10.2005 in Höhe von insgesamt 384,00 EUR teilweise auf und verfügte zugleich, dass die Klägerin diesen Betrag zu erstatten habe. Die Klägerin widersprach dem Bescheid vom 20.10.2005 nicht. Mit Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 09.06.2010 (Bl. 349 der Leistungsakte) beantragte die Klägerin am 11.06.2010 bei der ARGE Zwickau, den Aufhe-bungs- und Erstattungsbescheid vom 20.10.2005 gemäß § 44 SGB X zu überprüfen. Zur Begründung machte sie u. a. geltend, der Individualisierungsgrundsatz sei nicht berücksichtigt. Mit Bescheid vom 16.06.2010 (Bl. 352 d. Leistungsakte) wies die ARGE Zwickau den Überprüfungsantrag der Klägerin zurück – mit der Begründung, eine Überprüfung des Bescheides vom 20.10.2005 könne, da bereits die Vier-Jahres-Frist überschritten sei, nicht mehr erfolgen. Mit Fax-Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 19.07.2010 (Bl. 353 d. Leistungsakte) legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2010 (Bl. 4 d. A.) wies die ARGE Zwickau den Widerspruch als unbegründet zurück. Daraufhin machte die Klägerin am 08.11.2010 die den vorliegenden Rechtsstreit einleitende Klage anhängig. Die Klägerin meint, der Bescheid vom 20.10.2005 sei nicht hinreichend individualisiert. Die Aufhebungsentscheidung habe nicht ihr gegenüber ergehen dürfen sondern gegenüber ihrer Tochter J. vorgenommen werden müssen. Die Klägerin beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Oktober 2005 in Form des Überprüfungsbescheides vom 16. Juni 2010 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2010 aufzuheben. Das beklagte Jobcenter beantragt, die Klage abzuweisen.
Das beklagte Jobcenter ist der Ansicht, fehlende Bestimmtheit oder fehlende Individualisierung eines Bescheides seien formelle Probleme. Bei unrichtiger Anwendung des formellen Rechts müsse für eine Rücknahme nach § 44 SGB X aber noch eine Benachteiligung des Betroffenen nach materiellem Recht hinzukommen. Eine solche habe die Klägerin indes nicht nachweisen können. Das Gericht hat die Leistungsakte der ARGE Zwickau beigezogen. Diese war daher ebenfalls Grundlage dieser Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Einen Anspruch auf eine (gebundene) Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X hat die Klägerin allerdings nicht, denn § 44 Abs. 1 SGB X ist Rechtsgrundlage nur für die Rücknahme solcher Verwaltungsakte, mit denen Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht (also abgelehnt) oder Beiträge zu Unrecht erhoben wurden. Verfügt ein Bescheid die (teilweise) Rücknahme/Aufhebung bzw. Erstattung zuvor bewilligter und erbrachter Sozialleistungen, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2006 – B 4 RA 43/05 R – Rdnr. 54 zitiert nach juris; VG München, Urteil vom 24.04.2008 – M 15 K 07.1099 – Rdnr. 29 zitiert nach juris). Vielmehr kommt lediglich § 44 Abs. 2 SGB X als Anspruchsgrundlage in Betracht, welcher einen strikten Anspruch auf Rücknahme nur dann begründet, wenn es um Regelungen für die Zukunft geht. Handelt es sich dagegen um eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Vergangenheit (hier: Rücknahme der teilweisen Aufhebung/Erstattung von für den Zeitraum September und Oktober 2005 gewährter Leistungen), ist die Rücknahmeentscheidung gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X in das Ermessen der Behörde gestellt.
2. Gleichwohl war der streitgegenständliche Bescheid vom 16.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2010 aufzuheben, denn er ist wegen unzureichender Ausübung des dem beklagten Jobcenter bzw. dessen Rechtsvorgängerin zustehenden Ermessens rechtswidrig.
a) Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass bei Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 20.10.2005 das Recht unrichtig angewandt wurde. Dabei kann zugunsten des beklagten Jobcenters sogar unterstellt werden, dass der Klägerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen tatsächlich in Höhe von insgesamt 384,00 EUR für den Zeitraum September bis Oktober 2005 Leistungen nach dem SGB II zu Unrecht gewährt worden waren. Die im Bescheid vom 20.10.2005 für die teilweise Aufhebung ursächlichen Umstände konnten sich nämlich nicht ausschließlich auf die der Klägerin individuell bewilligten/zustehenden Leistungen auswirken: Die Berufsausbildungsbeihilfe war der Tochter J. der Klägerin bewilligt worden. Gezahlte Berufsausbildung war damit Einkommen nicht der Klägerin sondern deren Tochter J. Soweit Berufsausbildungsbeihilfe der Tochter J. der Klägerin tatsächlich zugeflossen ist (was im September 2005 allerdings wohl noch nicht der Fall war, da die Bewilligungsentscheidung der Agentur für Arbeit Zwickau erst im Oktober 2005 getroffen wurde) war dies zunächst als den Bedarf der Tochter J. der Klägerin mindernd zu berücksichtigen. Dem hätte die ARGE Zwickau sowohl bei teilweiser Aufhebung der ursprünglich bewilligten/gewährten Leistungen als auch bei Geltendmachen eines Erstattungsverlangens durch Individualisierung Rechnung zu tragen gehabt. Nicht die Bedarfsgemeinschaft als solche, sondern nur die einzelnen Mitglieder sind nämlich Inhaber eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II. Für die Rückabwicklung von Leistungen bedeutet dies, dass auch die Aufhebungsentscheidung bzw. die Erstattungsforderung das jeweilige individuelle Leistungsverhältnis betreffen muss (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.09.2008 – L 3 AS 40/08 Rdnr. 65, zitiert nach juris). Jedenfalls insoweit, als dem Bescheid vom 20.10.2005 nicht entnommen werden kann, in welchem Umfang die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von der Aufhebungsentscheidung und entsprechend der Erstattungsforderung betroffen sein sollten, sondern lediglich ein Gesamtbetrag genannt und ausschließlich von der Klägerin erstattet verlangt wird, ist der Bescheid vom 20.10.2005 rechtswidrig.
b) Entgegen der Auffassung des beklagten Jobcenters handelt es sich bei der fehlenden Individualisierung nicht um ein bloß formelles Problem. Die Frage, ob die Bedarfsgemein-schaft als solche oder jedes einzelne ihrer Mitglieder Inhaber eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II ist, gehört zum materiellen Recht. Wird dem Gebot der Individuali-sierung nicht entsprochen, sondern (wie im Bescheid der ARGE Zwickau vom 20.10.2005) ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auch mit Aufhebungsentscheidungen/Erstattungsforderungen belastet, die sich auf anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu viel/zu Unrecht gewährte Leistungen beziehen, ist dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (hier: die Klägerin) auch offensichtlich materiell benachteiligt/beschwert, denn dieses Mitglied kann von den Übrigen nicht Ausgleich verlangen.
c) Das beklagte Jobcenter kann die Überprüfung des Bescheides vom 20.10.2005 schließlich auch nicht unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X ablehnen. Ziel des Überprüfungsantrags der Klägerin ist es nicht, erstmals Sozialleistungen für einen über 4 Jahre zurücklie-genden Zeitraum zu erhalten. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es kaum einen Unter-schied macht, ob Leistungsberechtigten Geld deshalb fehlt, weil Leistungen von vornherein abgelehnt worden waren oder weil zunächst bewilligte Leistungen zwischenzeitlich wieder erstattet werden mussten. Jedenfalls insoweit, als die Klägerin Leistungen tatsächlich erstattet hat, die nicht ihr sondern den übrigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft bewilligt/gewährt worden waren, geht es aber gerade nicht darum Sozialleistungen (erstmals/wieder) zu erbringen, kann § 44 Abs. 4 SGB X folglich nicht einmal analog angewendet werden.
d) Nach alledem war der Bescheid vom 16.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2010 aufzuheben und das beklagte Jobcenter zu verpflichten, über den den Bescheid vom 20.10.2005 betreffenden Überprüfungsantrag der Klägerin neu zu entscheiden – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Letzteres bedeutet: ein Zurücknehmen des Bescheides vom 20.10.2005 ablehnen darf das beklagte Jobcenter weder mit der Begründung, die Klägerin habe erst nach mehr als 4 Jahren den Überprüfungsantrag gestellt, noch mit der Begründung, fehlende Individualisierung sei ein bloß formelles Problem.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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