L 32 AS 405/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 101 AS 31449/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 405/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2013 aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II seit dem 06. Dezember 2012 zu bewilligen, wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit ist der Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege einstweiliger Anordnung.

Der 1973 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger und lebt seit September 2000 in Deutschland.

Mit Bescheid vom 28. August 2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit der Begründung ab, dass er lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 06. November 2012 wies der Antragsgegner den dagegen eingelegten Widerspruch zurück, wogegen sich der Antragsteller mit der am 06. Dezember 2012 erhobenen Klage wendet. Mit dem am selben Tage eingegangenen Antrag auf einstweilige Anordnung beansprucht der Antragsteller,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II seit dem 06. Dezember 2012 und ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Er verfüge seit 01. August 2012 über kein Einkommen oder Vermögen, habe die Zeit bisher durch Darlehen überbrückt, die ihm von seiner ehemaligen Ehefrau und Mutter des gemeinsamen 12jährigen schwerbehinderten Sohnes und Herrn Sebastian Bernreuther und Frau Franziska Urban gewährt worden seien. Per Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten müsse er sich dreimal wöchentlich bei der Berliner Polizei melden und sich für das laufende Strafverfahren zur Verfügung zu stellen. Er habe daher nicht die Option, sich nach Polen oder anderswo zu begeben. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II könne aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsauffassung wurde im Einzelnen begründet. Ein Anordnungsgrund ergebe sich hier aus der fortgesetzten Verletzung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum durch vollständigen Entzug der bedarfsdeckenden Leistungen. Eingereicht wurden handschriftliche Erklärungen, wonach die genannten Personen dem Antragsteller Geld geliehen haben. Mit Schriftsatz vom15.Dezember 2012 wurden eingereicht eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 07. Dezember 2012 und eine Ablichtung eines Schriftstückes mit der Überschrift "Muster eines Arbeitsvertrages, Arbeitsvertrag" zwischen dem Antragsteller und dem Autoservice in Berlin, wonach der Antragsteller ab dem 01. Dezember 2012 als Aushilfe für unbestimmte Dauer tätig ist mit einem vereinbarten Arbeitsentgelt von 165 Euro brutto. Auf die Aufforderung des SG vom10.Dezember 2012 trug der Antragsteller vor, Sebastian Bernreuther sei ein Freund von ihm und gleichzeitig derzeitiger Arbeitgeber. Frau Franziska Urban sei ebenfalls eine Freundin. Auf die Aufforderung des Sozialgerichts, Bankauszüge der letzten drei Monate einzureichen, wurde mit der Erklärung geantwortet, dass Kontoauszüge nachgereicht würden. Die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 07. Dezember 2012 hat den Inhalt:

Ich lebe seit 2000 ununterbrochen in Deutschland. Ich habe von 2001 bis 2005 auch gearbeitet. Wahrscheinlich kann ich auch bald wieder anfangen zu arbeiten – zunächst mit einem Mini-Job.

Derzeit bin ich aber auf Leistungen vom JobCenter angewiesen und habe diese auch ohne Probleme bekommen, als ich noch in Neukölln und Lichtenberg wohnte. In Treptow-Köpenick soll ich nun aber keine Leistungen mehr bekommen, so dass ich seit August 2012 ohne Geld dastehe. Glücklicherweise haben mich meine Ex-Frau, Frau Stine Brinklov, Herr Sebastian Bernreuther und Frau Franziska Urban mit dem Nötigsten darlehensweise unterstützt, so dass ich bis jetzt auskommen konnte. Ich kann aber auch nicht für immer von anderen "auf Pump" leben.

Ich habe derzeit kein Einkommen oder Vermögen, das ich einsetzen könnte. Auf meinem Konto hat sich seit August nichts mehr getan – es ist leicht im Minus.

Ich habe einen 12jährigen Sohn, der schwerbehindert ist. Ich kümmere mich um ihn, gemeinsam mit meiner Ex-Frau, bei der er lebt. Ich habe bis Juli 2012 meinen Sohn auch finanziell immer mit kleinen Zahlungen unterstützt, obwohl ich unterhaltsrechtlich wegen meiner Finanzlage nicht verpflichtet wäre. Seit August kann ich gar nicht mehr für meinen Sohn tun, was etwas kostet. Jetzt muss mir sogar seine Mutter mit Darlehen zum Überleben aushelfen.

Ohne Zahlungen vom JobCenter weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.

Berlin, den 07.12.2012 Unterschrift

Der Antragsgegner beantragte,

den Antrag abzulehnen.

Die Einreichung des Arbeitsvertrages in Verbindung mit der Formulierung in der eidesstattlichen Versicherung vom 07. Dezember 2012, dass er wahrscheinlich auch bald wieder anfangen könne zu arbeiten, sei widersprüchlich. Am 13. Januar 2013 wurde seitens des Antragstellers vorgetragen, die eidesstattliche Versicherung hätte in der Tat hinsichtlich des zu erwartenden Arbeitsvertrages korrigiert werden müssen, da der Arbeitsvertrag am Tag davor, dem 06. Dezember 2012 unterzeichnet worden sei. Als der Antragsteller den Text der eidesstattlichen Versicherung verfasste, habe der Vertragsschluss noch nicht festgestanden.

Mit Beschluss vom 31. Januar 2013 hat das SG den Antragsgegner

im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 06. Dezember 2012 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens - längstens jedoch bis zum 31. Mai 2013-folgende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren:

1) Für den Zeitraum vom 06. Dezember 2012 bis 31. Dezember 2012 jeweils einen Regelbedarf in Höhe von 324,00 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 350,00 Euro.

2) Für den Zeitraum vom 01. Januar 2013 bis 31. Mai 2013 einen Regelbedarf in Höhe von monatlich 374,00 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 350,00 Euro monatlich.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt, da die für die Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse notwendigen Unterlagen nicht vorlagen. Der Antragsteller sei nach summarischer Prüfung nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Dahinstehen könne, ob der vorgelegte Arbeitsvertrag lediglich ein Scheinvertrag sei. Ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht. Er ergebe sich vorliegend aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen nach dem SGB II mit dem Umstand, dass der Antragsteller weder über Einkommen noch Vermögen verfüge.

Gegen den dem Antragsgegner am 07. Februar 2013 zugestellten Beschluss richtet sich die am 14. Februar 2013 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde. Der Antragsgegner meint weiterhin, der Antragsteller sei vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da er sich allein zum Zweck der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Er habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Hinsichtlich des Arbeitsvertrages sei von einem Scheinvertrag auszugehen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss vom 31. Januar 2013 aufzuheben, den Antrag zurückzuweisen und den Vollzug der angefochtenen Entscheidung gemäß § 199 Abs. 2 SGG auszusetzen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Hier liege kein Widerspruch zwischen der vorgelegen eidesstattlichen Versicherung und dem Beginn der Erwerbstätigkeit vor. In der eidesstattlichen Versicherung werde ausdrücklich durch den Antragsteller erklärt, dass er bald wieder anfangen werde zu arbeiten, der Vorwurf des Scheinvertrages entbehre jeder Grundlage. Im Übrigen werden Rechtsausführungen zum Anordnungsanspruch gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Gericht kann nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens des Anordnungsgrundes (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs).

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind, dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage § 86 b Rdnr. 16 b).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung zu beanstanden.

Ein Anordnungsgrund ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung ist zur Glaubhaftmachung nicht geeignet. Sie entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen bei ihrer Unterzeichnung. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 13. Januar 2013 insoweit auch erklärt, sie hätte am 07. Dezember 2012 "bezüglich des zu erwartenden Arbeitsvertrages" korrigiert werden müssen, da er am Tag davor unterzeichnet worden sei.

Da der Vertragsschluss am 06. Dezember 2012 erfolgt war, entspricht der Inhalt nicht den tatsächlichen Verhältnissen, entgegen dem Inhalt dieser Erklärung hat der Antragsteller nach seinem Vortrag und dem vorgelegten Vertrag durchaus ein Einkommen. Eine den tatsächlichen Umständen entsprechende eidesstattliche Versicherung des Antragstellers wurde zur Glaubhaftmachung nicht eingereicht. Weitere Umstände zur Glaubhaftmachung sind nicht aktenkundig. Der Auflage des SG aus dem Monat Dezember 2012, Kontoauszüge der letzten drei Monate bis laufend einzureichen, ist der Antragsteller nicht nachgekommen entgegen seiner Ankündigung im Schriftsatz vom 20. Dezember 2012, in der die Zusage erteilt wurde, die Auszüge umgehend nachzureichen. Die Ablichtung eines Auszugs am 06. Dezember 2012, die lediglich einen Kontostand 18,80 Euro Minus anzeigt, sind auch im Zusammenhang mit den vorgelegten Erklärungen zu geliehenem Geld zur Glaubhaftmachung unzureichend.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Aussetzung des Vollzuges der angefochtenen Entscheidung gemäß § 199 Abs. 2 SGG besteht aufgrund der umgehend erfolgten Senatsentscheidung nicht.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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