S 14 R 450/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 14 R 450/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 25.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2010 wird aufgehoben. Die Beigeladene zu 1) wird verurteilt, der Klägerin aufgewandte Kosten in Höhe von 1.800,00 EUR zu erstatten. Die Beigeladene zu 1) trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des von der Klägerin geleisteten Eigenanteils für neue Hörgeräte als Teilhabeleistung der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die am 00.00.1966 geborene Klägerin ist Chefarztsekretärin. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 für "Hörminderung" anerkannt (Bescheid des Kreises X. vom 21.12.2009).

Die Klägerin beantragte am 12.01.2010 als Teilhabeleistung der Beklagten die Übernahme des von ihr gezahlten Eigenanteils für neue Hörgeräte des Typs Acro Vega. Vorgelegt wurde die Rechnung der Beigeladenen zu 2) vom 19.12.2009. Der von der Klägerin zu tragende Eigenanteil beläuft sich auf 1.800,00 EUR. Nach Mitteilung der Beigeladenen zu 2) ist die Rechnung am 19.12.2009 vollständig bezahlt worden, die Klägerin nennt als Datum der Zahlung den 07.01.2010. Weiter befindet sich bei den Akten der Beklagten der Anpassbericht vom 20.08.2009.

Die Beklagte lehnte Teilhabeleistungen ab durch den angefochtenen Bescheid vom 25.01.2010 mit der Begründung, die Leistung sei in Anspruch genommen worden, ohne vorher einen Antrag gestellt zu haben. Dem dagegen eingelegten Widerspruch ist eine Arbeitsplatzbeschreibung des Arbeitgebers beigefügt. Die Beklagten wies den Widerspruch zurück durch Widerspruchsbescheid vom 21.04.2010 mit ähnlicher Begründung wie zuvor.

Hiergegen richtet sich die am 25.05.2010 erhobene Klage. Die Krankenversicherung der Klägerin ist durch Beschluss vom 15.06.2010, der Hörgeräteakustiker durch Beschluss vom 30.12.2011 beigeladen worden.

Die Klägerin bringt zur Begründung unter anderem vor, sie sei weder durch den HNO-Arzt, noch durch den Akustiker, noch durch die Krankenversicherung auf die Möglichkeit eines Antrags auf Übernahme des Eigenanteils hingewiesen worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2010 zu verurteilen, den von ihr getragenen Eigenanteil für die Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.800,00 EUR zu erstatten, hilfsweise, die Beigeladene zu 1) entsprechend zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich erneut auf verspätete Antragstellung.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie teilt mit, dass sie sich mit einem Betrag in Höhe von 1.015,00 EUR an den Kosten der Hörgeräteversorgung beteiligt habe. Unterlagen über den Vorgang lägen jedoch nicht mehr vor, diese würden nach Bewilligung vernichtet. Grund hierfür sei der sogenannte verkürzte Versorgungsweg, dies bedeute, dass nach Eingang des Antrags auf Kostenübernahme geprüft werde, ob der geltend gemachte Rechnungsbetrag zu beanstanden sei. Sei dies nicht der Fall, werde der Betrag lediglich angewiesen, eine Mitteilung an den Versicherten selbst bzw. den Leistungserbringer erfolge nicht. Im direkten Anschluss an die Bewilligung würden die Unterlagen vernichtet. Der Sitzungsvertreter der Beigeladenen gibt im Termin an, es sei am 12.04.2010 abgerechnet worden. Sowohl der Sitzungsvertreter der Beklagten wie auch die Klägerin gehen davon aus, dass der Klägerin kein Bescheid der Beigeladenen erteilt worden ist, obwohl die Klägerin nach ihrem im Termin vorgelegten Schreiben ausdrücklich auch vollständige Kostenübernahme bei der Beigeladenen beantragt hatte.

Die Beigeladene zu 2), die im Termin auflagewidrig nicht vertreten worden ist,

stellt keinen Antrag.

Sie bringt unter anderem vor, eine Versorgung mit aufzahlungsfreien Hörsystemen biete sie nach wie vor nur als Variante hinter dem Ohr an, da der kosmetische Aufwand und die Reparaturanfälligkeit bei Gehörgangsgeräten um ein vielfaches höher sei. Diese Hinter-dem-Ohr-Systeme seien für die Klägerin allerdings aufgrund der Größe und der Problematik beim Telefonieren im Berufsleben nicht in Betracht gekommen und seien von ihr abgelehnt worden. Eine Versorgung dieser Art hatte sie damals auch bei einem Mitbewerber durchgeführt und nach mehrwöchiger Probe abgebrochen. Dass ein Sprachverstehen mit einem Meter Abstand vom Lautsprecher auch mit Basisgeräten möglich werde, sei unbestritten, allerdings spiegele der berufliche Alltag mit vielen Telefonaten und Nebengeräuschen nicht die Messsituation im schalldichten Akustikraum wieder. Da bei der Klägerin der Fokus stark auf der Telefontätigkeit gelegen habe, seien Im-Ohr-Geräte mit integrierter Rückkopplungsunterdrückung in diesem Fall die optimale Versorgung.

Das Gericht hat mit Verfügung vom 28.07.2010 die Beteiligten auf § 14 SGB IX hingewiesen, diese haben dazu nicht vorgetragen.

Weiter ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des HNO-Arztes Dr. F. aus C. vom 26.01.2011. Auf das Gutachten, das entsprechend der Bewilligung des Gerichts unter Heranziehung eines Hörgeräteakustikermeisters als Hilfsperson erstattet worden ist, wird verwiesen.

Nachdem die Klägerin im Mai 2011 und Januar 2012 Ohroperationen hatte vornehmen lassen, hat das Gericht erneut Beweis erhoben. Auf das zweite Gutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 12.04.2012 wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, sie ist entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin begründet im Sinne der gemäß § 75 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässigen Verurteilung der Beigeladenen zu 1). Da die Bescheide der Beklagten bei fehlender Zuständigkeit rechtswidrig erteilt worden sind, sind diese aufzuheben.

Die Beigeladene zu 1) ist gemäß §§ 14 Abs. 1 u. 2 und 15 Abs. 1 S. 3 u. 4 des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) zuständig und war somit verpflichtet, den streitigen Bedarf der Klägerin zu befriedigen.

Gemäß § 5 SGB IX ist die Beigeladene möglicher Rehabilitationsträger im Rahmen des SGB IX. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 u. 2 SGB IX hat ein Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang eines Antrags bei ihm festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist, andernfalls leitet er den Antrag unverzüglich weiter. Wird dagegen nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Nach § 15 Abs. 1 S. 2 SGB IX können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen, nach Satz 3 derselben Vorschrift können sie nach Ablauf der Frist die Leistung selbst beschaffen, nach § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX besteht eine Erstattungspflicht des Rehabilitationsträgers auch dann, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht werden kann oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist. Nach Überzeugung des Gerichts ist in diesem Sinne die Leistung, nämlich das für den Bedarf der Klägerin geeignete Hörgerät, schon vor längerer Zeit unaufschiebbar geworden, denn die Klägerin konnte nicht mehrere Jahre auf eine Ausstattung warten, die damals ihren beruflichen Einsatz sicherstellen sollte. Spätestens die der Beigeladenen zu 1) mit Zustellung des Beiladungsbeschlusses vom 15.06.2010 bekanntgemachte Klageerhebung dürfte im Übrigen jeder anderweitigen Fristsetzung gleichzuachten sein.

Nach Überzeugung der erkennenden Kammer ist die Beigeladene zu 1) derjenige Leistungsträger, der gem. § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX als Erster mit dem Leistungsbedarf der Klägerin befasst war. Bereits im Jahr 2009 war der HNO-Arzt Dr. T. als Kassenarzt mit dem Bedarf der Klägerin befasst, entsprechend wird er in der Erklärung vom 26.11.2009 (Bl. 23 VA) als verordnender HNO-Arzt genannt. Schon im August 2009 hatte der Hörgeräteakustiker die Anpassung der Hörgeräte vorgenommen und spätestens im Dezember 2009 abgeschlossen, wie aus dem Anpassbericht vom 20.08.2009 und der Rechnung vom 19.12.2009 erkennbar ist. Im Rahmen des Vertrags zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker - KdöR - und den Spitzenverbänden (bzw. seit 01.07.2008 dem Spitzenverband Bund) der Krankenkassen ist der Hörgeräteakustiker stets in die Leistungserbringung der Beigeladenen zu 1) eingeschaltet, im vorliegenden Fall spätestens seit August 2009 – oder noch früher, wenn man berücksichtigen will. dass die Klägerin zuvor schon einen anderen Hörgeräteakustiker aufgesucht hatte -. Erst im darauf folgenden Januar ging der aktenkundige Antrag auf Teilhabeleistungen am 12.01.2010 bei der Beklagten ein.

Damit hatten zwar möglicherweise bis zum Eingang der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers bei der Beigeladenen zu 1) – zu einem von ihr nicht dokumentierten Zeitpunkt vor dem 12.04.2010 - deren eigene Bedienstete nicht von dem Bedarf der Klägerin erfahren können, dennoch hatten aber bereits Stellen, die für die Beigeladene zu 1) in das System der Leistungserbringung eingeschaltet waren, Kenntnis davon. Dies ist ausreichend, denn im Rahmen des Sachleistungssystems ist eine Entscheidung der Krankenkassen über einen Leistungsantrag (§ 19 S. 1 SGB IV) grundsätzlich nicht erforderlich (Auktor in LPK-SGB V § 15 Rn 10 unter Hinw. auf BSGE 59, 172). Für den Vertragsarzt oder das zugelassene Krankenhaus ist anerkannt, dass sie gesetzlich ermächtigt sind, mit Wirkung für die Krankenkasse erforderliche Behandlungsmaßnahmen zu treffen, damit bereits konkludent über den konkreten Leistungsanspruch zu entscheiden und diesen in der Regel auch sogleich zu erfüllen (Hampel in juris PK-SGB IV § 19 Rn 30); dies muss auf der Basis des erwähnten Vertrages zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker - KdöR - und den Spitzenverbänden (bzw. ab 01.07.2008 dem Spitzenverband Bund) der Krankenkassen für die Hörgeräteakustiker genauso gelten, wenn ein Versicherter unter Vorlage seines Krankenversicherungsausweises (Chipkarte) zumindest konkludent geltend macht, Leistungen zu Lasten einer Krankenkasse in Anspruch nehmen zu wollen. In einem von der Beigeladenen zu 1) - über ihre Spitzenverbände - im Rahmen der §§ 125, 126 und 127 SGB V mit geschaffenen und verantworteten System, zu dessen Besonderheiten es gehört, dass die Beigeladene zu 1) von einem Leistungsbedarf oft spät, möglicherweise erst nach Erbringung der Leistung oder eines Teils der Leistung (z.B. wie hier bei zuzahlungspflichtigen Hörgeräten) erfährt, kann sich die Beigeladene zu 1) nicht so stellen lassen, als hätte sie von dem geäußerten Bedarf, der der Leistungserbringung vorangegangen ist, keine Kenntnis gehabt; vielmehr muss sie sich im Rahmen des § 14 SGB IX die Kenntnis der von ihr eingeschalteten anderen Stellen, insbesondere der mit ihr vertraglich verbundenen Leistungserbringer, zuordnen lassen. Dabei kann offen bleiben, ob der Hörgeräteakustiker deshalb als Empfangsbevollmächtigter der Krankenkasse angesehen werden kann, weil regelmäßig nur über ihn ein Versicherter seinen Versorgungsbedarf offenbart. Das Gleiche gilt im vorliegenden Fall für den bereits im Jahr 2009 mit dem Bedarf befassten Kassenarzt, den HNO-Arzt Dr. T ...

Letztlich zielt § 14 SGB IX auf die Vermeidung eines negativen Kompetenzkonfliktes (Stevens-Bartol in Feldes/Kothe/Stevens-Bartol SGB IX § 14 Rn 1), also darauf, dass verschiedene Leistungsträger nicht jeweils eine Leistung ablehnen können mit der Begründung, ein anderer Träger sei - möglicherweise - im Rahmen seines Leistungsrechts zuständig. Im Rahmen des § 14 SGB IX hätte die Beigeladene zu 1) deshalb dafür Sorge tragen müssen, dass die entsprechenden Informationen so zusammengeführt wurden, dass sie den Anforderungen des § 14 SGB IX hätte Rechnung tragen können, der gerade verhindern soll, dass Leistungsberechtigte sich an verschiedene Träger wenden müssen, um jeweils dort die Antwort zu erhalten, ein anderer Träger sei möglicherweise zuständig. Die Beigeladene zu 1) hat dann nur die Möglichkeit, für schnelle Kenntnisnahme durch ihre Bediensteten innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX Sorge zu tragen und den Antrag fristgerecht weiterzuleiten oder nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX den Leistungsbedarf festzustellen und die Leistung zu erbringen (vgl. Urteil des BSG vom 21.08.2008 - B 13 R 33/07 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 7). Die erkennende Kammer hält damit an ihren früher bereits in den Urteilen vom 09.11.2010, Az S 14 129/10, S 14 (4) R 28/08 und S 14 (4) R 44/08 (Berufungs-Az L 18 R 29/11, L 8 R 1052/10 und L 3 R 1054/10), vom 01.02.2011, Az S 14 (4) R 50/08 (Berufungs-Az L 14R 265/11), und vom 14.08.2012, Az S 14 R 534/10 (rechtskr.), ausgeführten Überlegungen fest und folgt nicht der Auffassung, dass es im Rahmen des § 14 SGB IX – erst - auf den Eingang der Versorgungsanzeige bei der Beigeladenen ankomme (LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 25.11.2010, Az L 31 R 37/10, und Sächsisches LSG, Urteil vom 19.04.2011, Az L 5 R 48/08). Im Bereich der Hörgeräteversorgung ist vielmehr bereits die erste Einschaltung eines Hörgeräteakustikers oder eines HNO-Arztes durch den Versicherten unter Berufung auf die und ggf. unter Nachweis (Krankenversicherungskarte) der Versicherteneigenschaft als erste Antragstellung zu werten. Dem liegt wie bisher die Auffassung des erkennenden Gerichts zugrunde, dass sich die Krankenkasse nicht durch das praktizierte Verfahren der Hilfsmittelversorgung bei Hörgeräten, bei denen sie zu einem relativ späten Zeitpunkt direkt mit der Angelegenheit befasst wird, ihrer Pflicht zur Kenntnisnahme von Hilfsmittelbedarf und Versorgungswunsch entziehen kann. Die erst durch Eingang der Versorgungsanzeige relativ spät ermöglichte positive Kenntnisnahme der Beigeladenen zu 1) kann nicht maßgeblich sein, wenn die Beigeladene zu 1) in einem durch sie bzw. durch ihre Spitzenverbände wesentlich mit geschaffenen und mit verantworteten System frühzeitig dafür Sorge tragen kann, bei Erstbefassung eines Leistungserbringers (hier HNO-Arzt und Hörgeräteakustiker) von einem Bedarf informiert zu werden. Die Bewertung der derzeitigen Versorgungspraxis als "abenteuerlich", so im Terminsbericht Nr. 1/13 des BSG, Ziff. 3), betr. das Urteil vom 24.01.2013 in der Sache B 3 KR 5/12 R (Revisionsentscheidung zum zit. Urt. des LSG Berlin-Brandenburg) bedarf ihrerseits keiner Bewertung durch das SG. Da das Urteil im Volltext noch nicht vorliegt, sind weitere Ausführungen dazu nicht geboten.

Aus Rechtsgründen kann offenbleiben, ob vor den Operationen vom Mai 2011 und Januar 2012 ein entsprechender Bedarf der Klägerin bestand. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 26.01.2011, das dieser unter Hinzuziehung eines Hörgeräteakustikermeisters als Hilfsperson erstattet hat, lässt auch den Schluss zu, dass die Klägerin schon mit sog. Festbetragshörgeräten (Basisgeräten) sogar für ein Tätigwerden in ihrem Beruf als Chefarztsekretärin, in dem Schreiben nach Diktiergerät und Telefonieren bei gleichzeitigen Absprachen mit im Raum befindlichen Personen auch unter Störgeräuschbedingungen erforderlich ist, ausreichend zu versorgen gewesen wäre. Das zweite Gutachten vom 12.04.2012 lässt erkennen, dass inzwischen kein Versorgungsbedarf mehr besteht.

Anspruchsgrundlage des eigenen Rechtsgebietes der Beigeladenen zu 1) ist § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Die erkennende Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsprechung dazu (siehe oben) weiter fest. Sie folgt grundsätzlich wie bisher der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dieses hat in seinem Urteil vom 17.12.2009. Az B 3 KR 20/08 R, dort Rn 19f in juris, ausdrücklich ausgesprochen, Ziel der Versorgung sei auch im Rahmen des § 33 SGB V die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen; solange dieser Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen nicht vollständig erreicht sei, könne die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hörgerät nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die GKV nur für die Aufrechterhaltung eines - wie auch immer zu bestimmenden - Basishörvermögens aufzukommen habe (mit Hinweis auf BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8). Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleiches ist es nach Meinung des BSG sogar, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Dieser Anspruch ist auch nicht durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V limitiert, wenn Festbetragshörgeräte keinen ausreichenden Ausgleich der Hörbeeinträchtigung z. B. unter den Bedingungen einer Mehrpersonenkommunikation erbringen können. Im vorliegenden Fall lässt sich allerdings nicht feststellen, dass Basisgeräte nicht ausreichend gewesen wären.

Soweit die Beigeladene zu 1) deshalb geltend machen wollte, die Beigeladene zu 2) hätte zuzahlungsfreie Angebote unterbreiten müssen, mag dies grundsätzlich richtig sein. Sie sei aber darauf hingewiesen, dass dies unter rechtlichen Gesichtspunkten ihre Zahlungspflicht nicht auszuschließen vermöchte, selbst dann nicht, wenn nicht festgestellt werden kann, dass ein Bedarf der Klägerin im Umfang der erfolgten Versorgung bis zu den zwischenzeitlich vorgenommenen Ohroperationen wirklich objektiv bestanden hat. Nach der Feststellung des Bundessozialgerichts (Urteil v. 17.12.2009, Rn 36) enthebt die Festbetragsregelung die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht der Pflicht, im Rahmen ihrer Sachleistungsverantwortung für eine ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage und über geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig - oder nach Auffassung der Kammer gar nicht - zu erlangen ist. Dass im Übrigen der Markt für die Hörgeräteversorgung durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist (so BSG aaO Rn 41), bedeutet nicht, dass Krankenkassen auf der Grundlage des geltenden Rechts zu Leistungseinschränkungen befugt sind oder hierzu durch die Festbetragsregelung ermächtigt werden. Die Beigeladene zu 1) hätte dann für frühe eigene Kenntnisnahme und für eine adäquate Beratung der Klägerin über eine kostengünstigere ausreichende Ausstattung mit Hörhilfen sorgen müssen im Rahmen ihrer Verpflichtung, Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot einen konkreten Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 8 Rn 14f.). Unterbleibt die adäquate Beratung, muss dies als Systemversagen betrachtet werden, die Folgen daraus regeln sich gem. § 13 Abs. 3 S. 2 SGB V nicht nach dem primären Recht der GKV, sondern nach dem oben angeführten § 15 SGB IX.

Das Urteil bindet gem. §§ 141 Abs. 1 Ziff. 1, 69 Ziff. 3 SGG auch die Beigeladene zu 2).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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