L 3/8 Kr 373/86

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 Kr 9/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3/8 Kr 373/86
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. Januar 1986 sowie der Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1985 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der beim Beigeladenen in den Jahren 1984 bis 1986 in Q-Stadt durchgeführten Distraktionsepiphyseolyse sowie die notwendigen Reisekosten in gesetzlichem Umfang zu erstatten.

II. Die Beklagte hat dem Kläger und dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im wesentlichen, ob die Beklagte die Kosten einer beim Sohn des Klägers (Beigeladener) mit Unterbrechungen in der Zeit vom 6. Dezember 1984 bis 1986 in der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Akademie Q-Stadt durchgeführten Distraktionsepiphyseolyse, durch die eine Verlängerung der Körpergröße von 164 cm auf 178 cm erreicht wurde, zu übernehmen hat.

Der Kläger war zur fraglichen Zeit Pflichtmitglied der Beklagten. Der 1961 geborene Beigeladene war Student der Zahnmedizin und ohne eigenes Einkommen. Wegen eines ihn sehr belastenden minderen Körperwuchses wurde er von seinen Eltern seit 1976/77 wiederholt Ärzten der Universitätskinderklinik W-Stadt vorgestellt, die jedoch meinten, daß keine Besonderheiten vorlägen und der Beigeladene noch wachsen und mindestens 175 bis 178 cm groß werden würde. Im Alter von 19 Jahren betrug die Körpergröße aber nur etwa 154 cm. Der Beigeladene wurde deshalb und wegen einer erheblichen Entwicklungsverzögerung im Gesamterscheinungsbild mit ausgesprochen kindlichem Aussehen Mitte 1980 zur Behandlung an die Universitätsklinik E-Stadt, Abteilung für Endokrinologie, überwiesen, wo eine Störung der Zwischenhirn-Hirnanhangsdrüsen-Achse mit Verzögerung der Knochenreifung und der sexuellen Entwicklung festgestellt wurde. Durch eine verspätete hormonelle Behandlung u.a. durch Dr. QQ. konnte bis zum Jahre 1984 noch eine Körpergröße von 164 cm erreicht werden. Der Beigeladene litt jedoch zunehmend unter seinem äußeren Erscheinungsbild und unterbrach nach Ablegung des Physikums im Wintersemester 1983/84 aus gesundheitlichen Gründen mit Bescheinigung des Dr. QQ. sein Studium. Nachdem er von der Möglichkeit der operativen Beinverlängerung erfahren hatte, beschäftigte er sich nur noch mit diesem Thema. Am 18. Mai 1984 stellte er sich auf Anraten des Arztes für Orthopädie und Sportmedizin Dr. WW., W-Stadt, erstmals wegen einer Beinverlängerung nach der sowjetischen Ilisarov-Methode bei Prof. Dr. EE. in der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Akademie Q-Stadt vor, der meinte, daß der Beigeladene eine ausreichende Körpergröße habe, sicher noch 167 cm groß werde und ihm ebenso wie u.a. Dr. QQ. vergeblich von der Operation abriet sowie seine Entscheidung von dessen Beurteilung und der des behandelnden Psychiaters abhängig machte (Schreiben Dr. QQ. an Prof. Dr. EE. vom 27. August 1984 und 21. September 1984, Schreiben Prof. Dr. EE. an Dr. QQ. vom 11, September 1984). In einem Schreiben vom 8. Oktober 1984 an Prof. Dr. EE. äußerte sich Dr. Dipl. Psych. RR. von der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätskliniken E-Stadt dann dahin, daß der Beigeladene bei der zweimaligen Vorstellung psychisch sehr auffällig und völlig auf seine Körpergröße fixiert gewesen sei, und sogar mit Selbstmord gedroht habe. Eine prinzipiell sinnvolle psychotherapeutische Behandlung sei derzeit undurchführbar. Der vorgesehenen Operation werde deshalb voll zugestimmt. In einer Bescheinigung für die Beklagte vom 21. September 1984 bestätigte Dr. QQ., daß beim Beigeladenen wegen der geringen Körpergröße eine extreme psychische Beeinträchtigung vorliege. Dr. TT. von der Psychiatrischen Klinik der Universitätskliniken W-Stadt, wo der Beigeladene am 3., 4. und 7. September 1984 vorstellig geworden war, erklärte, daß der Beigeladene unter ausgeprägten depressiven Verstimmungen leide, für die er ausschließlich seinen relativen Minderwuchs verantwortlich mache. Prof. Dr. ZZ. und Dr. UU. vom Zentrum der Psychiatrie der Universitätskliniken E-Stadt vertraten in einer ausführlichen Stellungnahme vom 11. Dezember 1984 die Auffassung, daß die vorgesehene Distraktionsepiphyseolyse nach Ilisarov unbedingt vorgenommen und von der Beklagten bezahlt werden müsse, da es dazu keine realisierbare erfolgversprechende Alternative gebe. Der Beigeladene sei derzeit stark suizidgefährdet und leide unter zahlreichen chronischen psychosomatischen Störungen, die eindeutig auf seine Krankheit zurückzuführen seien, unter der er seit frühester Kindheit leide. Die vielen kränkenden Situationen, die er deshalb habe erleiden müssen, habe er nicht adäquat verarbeiten können. Ohne die Operation werde er vermutlich weitere psychosomatische Krankheiten entwickeln und chronifizieren. Nach mehreren psychotherapeutischen Vorgesprächen sei es zweifelsfrei, daß eine psychotherapeutische Behandlung vor der Operation nicht durchführbar sei und keinerlei Erfolgsaussichten hätte. Die derzeit einzig erfolgversprechende Maßnahme sei die Operation, die sogar für dringend indiziert gehalten werde. Auch Dr. WW. befürwortete die Operation im Interesse des Beigeladenen. Demgegenüber verwies Frau Dr. OO. von der Sozialärztlichen Dienststelle der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen darauf, daß es sich nicht um einen Minderwuchs, sondern lediglich um eine Variante im Normbereich handele, daneben auch das jugendliche Aussehen des Beigeladenen eine Rolle spiele und eine sinnvolle Therapie des mit Selbstmordabsichten drohenden Beigeladenen nur in einer psychosomatischen Behandlung liegen könne. Auch dem Landesvertrauensarzt erschien die beabsichtigte Beinverlängerung als nicht geeignet, die vorliegenden krankhaften psychischen Störungen zu überwinden; ein operativer Eingriff zu Lasten der Beklagten sei deshalb nicht vertretbar. Gestützt darauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 5. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1985 die Übernahme der Kosten ab; zunächst sei entsprechend der Empfehlung der Sozialärztlichen Dienststelle eine psychotherapeutische Behandlung ins Auge zu fassen.

Die am 15. März 1985 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen (SG) unter Zulassung der Berufung durch Urteil vom 31. Januar 1986 aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen. Im übrigen bestehe ein Anspruch auf eine Behandlung in einem Krankenhaus der - ehemaligen - DDR auch nur dann, wenn sich dies aus einem Sozialversicherungsabkommen ergebe oder ein akuter Notfall vorliege. Beides sei nicht der Fall.

Am 6. Februar 1986 hat der Kläger dagegen Berufung eingelegt.

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung die Krankenblattunterlagen des Zentrums der Inneren Medizin, Abteilung für Endokrinologie, der Universitätskliniken E-Stadt sowie Auskünfte der Orthopädischen Universitätskliniken R-Stadt, T-Stadt E-Stadt, W-Stadt, Z-Stadt und U-Stadt eingeholt. Beigezogen wurden ferner Berichte der behandelnden Ärzte der Universitätskliniken E-Stadt und W-Stadt Prof. Dr. ZZ./Dr. RR., Dr. QQ. und Dr. TT., der Fachärzte für Orthopädie Dres. WW. und PP. mit Arztbrief vom 24, Mai 1984 des Dr. ÜÜ., Orthopädische Universitätsklinik W-Stadt, des Prof. Dr. EE. und des Hausarztes Dr. ÄÄ. mit Krankenunterlagen. Von Amts wegen ist schließlich das nervenärztliche Gutachten vom 9. Februar 1991 des stellvertretenden Direktors des Psychiatrischen Krankenhauses Ö. Dr. ÖÖ. mit psychologischem Zusatzgutachten vom 12. Februar 1991 des Dipl.-Psych. LL. eingeholt worden. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, daß beim Beigeladenen vor Beginn der Distraktionsepiphyseolyse eine ausgeprägte reaktive Depression mit erheblicher Suizidalität bestanden habe, die allein durch die zu dieser Zeit bestehende Körpergröße von 164 cm bedingt sowie behandlungsbedürftig und behandlungsfähig gewesen sei. Eine psychiatrische und psychosomatische Behandlung wäre zwar das geeignete Mittel gewesen, jedoch von vornherein wegen fehlender Bereitschaft des Beigeladenen unmöglich gewesen, wobei die fehlende Bereitschaft als Ausdruck und Teil der psychischen Erkrankung anzusehen sei. Die Distraktionsepiphyseolyse sei in der damaligen Situation die einzige und sogar dringend indizierte Maßnahme gewesen, um die psychische Erkrankung zu bessern oder zu lindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Retrospektiv sei auf jeden Fall auch von einer positiven Beeinflußung des psychischen Leidens durch die physische Operation auszugehen.

Der Kläger sieht sich durch die weitere Beweiserhebung in seiner Auffassung bestätigt.

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. Januar 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der beim Beigeladenen bzw. ihm von Dezember 1984 bis 1986 in Q-Stadt durchgeführten Distraktionsepiphyseolyse sowie die notwendigen Reisekosten in gesetzlichem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
werden die Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 11. November 1991 wiederholt,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Sie ist nach wie vor der Auffassung, daß eine operativ behandlungsbedürftige Erkrankung nicht vorgelegen habe und bezieht sich insoweit u.a. insbesondere auf eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme der Frau Dr. OO. vom 26. September 1991. Auch im Hinblick auf die große Zahl von Kostenübernahmeanträgen für alternative Behandlungsmethoden stelle sich hier die grundsätzliche Frage, ob der einzelne durch die Ablehnung schulmedizinisch richtiger Behandlungsmöglichkeiten und sogar wider bessere medizinische Erkenntnisse eine bestimmte Behandlungsart erzwingen könne oder ob die Versichertengemeinschaft ein Recht habe, gegenüber überschießenden Wünschen einzelner versicherter geschützt zu werden. Im Falle des Beigeladenen sei zwar festzuhalten, daß zum damaligen Zeitpunkt die Distraktionsepiphyseolyse nach Ilisarov in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchgeführt worden sei, sondern - etwa seit den 60er Jahren - die vergleichbare Distraktionsmethode nach Wagner. Diese Operation sei für den Beigeladenen offensichtlich aber nicht erreichbar gewesen, weil bei einer Körpergröße von 164 cm kein vernünftiger Grund für eine Beinverlängerung vorliege und diese in keinem Verhältnis zur Invasivität der Maßnahme stehe. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auch auf weitere Auskünfte der Orthopädischen Universitätsklinik R-Stadt vom 4. November 1988 und 12. September 1991 sowie den Arztbrief vom 24. Mai 1984 des Dr. ÜÜ., Orthopädische Universitätsklinik W-Stadt. An allen orthopädischen Zentren Europas bestehe Einigkeit darüber, daß bei einer derartigen Körpergröße keine Indikation für eine doppelseitige Beinverlängerung bestehe. Auch Prof. Dr. KK. habe gegenüber Dr. QQ. am 9. August 1984 von einer Beinverlängerung abgeraten. Auf einem Ärztekongreß sei laut Auskunft des Prof. Dr. JJ., Orthopädische Universitätsklinik U-Stadt, der Eingriff beim Beigeladenen mit Prof. Dr. EE. ebenfalls kontrovers diskutiert worden. Prof. Dr. HH., O-Stadt, der zur damaligen Zeit Ordinarius für Orthopädie in P-Stadt gewesen sei und die Methode Ilisarov in der ehemaligen DDR eingeführt und propagiert habe, habe am 26. September 1991 telefonisch erklärt, daß seiner Ansicht nach bei einer Körpergröße von 164 cm keine zu vertretende Indiaktion vorliege. Es sei deshalb durch orthopädisches Sachverständigengutachten weiter zu klären, mit welchen Risiken und Spätfolgen bei Anwendung der Operationsmethode Ilisarov zu rechnen sei und welche Indikationen in diesem Zusammenhang vertretbar seien. Auch sei Prof. Dr. EE. zu befragen, wieviel Operationen er vor der Operation des Beigeladenen bereits durchgeführt habe und bei welchen Indikationen. Bei der Beurteilung des tatsächlichen Erfolges der Operation könne auch nicht allein auf die psychische Situation abgestellt werden, sondern zu berücksichtigen seien auch die operationsbedingt entstandenen und noch zu befürchtenden Schäden. So resultiere aus einer Verlängerungsosteotomie im Unterschenkel laut Arztbrief des Dr. ÜÜ. vom 24. Mai 1984 z.B. eine Disproportion, was zu einem schlechten kosmetischen Ergebnis führe. Durch die operative Beinverlängerung komme es regelmäßig auch zu kosmetisch störenden, zahlreichen Narben, die durch Operationen mit entsprechenden Folgekosten zu beseitigen seien. Im übrigen seien beim Beigeladenen laut Arztbrief vom 25. September 1986 des Neurologen und Psychiaters Dr. GG. und elektromyographischen Untersuchungsbefunden vom 22. September 1986, 12. Juni 1987 und 29. März 1988 postoperativ ein Kompartment-Syndrom rechts mit Untergang des Tibialis anterior und eine Peronäusparese rechts aufgetreten, wobei eine Besserung der myogenen Ausfälle durch operative Maßnahmen nicht möglich sei. Infolgedessen sei auch die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit als Behandlungsfolge zu diskutieren. Zu klären sei ferner, wie die postoperativen körperlichen Schäden vom Beigeladenen psychisch verkraftet worden seien bzw. ob er dadurch nicht auch oder möglicherweise sogar noch mehr als vor der Operation psychisch belastet werde. Hierzu seien Dr. GG. und eventuell noch weitere behandelnde Ärzte des Beigeladenen zu hören, da der Sachverständige Dr. ÖÖ. sich mit dieser Frage nicht befaßt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und im übrigen kraft Zulassung (§ 150 Nr. 1 SGG) statthaft und auch begründet. Der Kläger hat im Rahmen der Familienhilfe (§ 205 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-) Anspruch auf Erstattung der Kosten der bei seinem Sohn in der Zeit vom 6. Dezember 1984 bis 1986 in mehreren Phasen in der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Akademie Q-Stadt von Prof. Dr. EE. durchgeführten Distraktionsepiphyseolyse.

Nach § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO sind Familienhilfeleistungen unter den gleichen Voraussetzungen wie die entsprechenden Leistungen für den Versicherten zu gewähren. Das Leistungsrecht der Krankenversicherung gibt dem Familienangehörigen ebenso wie dem Versicherten einen umfassenden Anspruch auf eine ausreichende und zweckmäßige Kranken(haus)pflege. Dieser auf die Gewährung von Sachleistungen gerichtete Anspruch ist nur insoweit begrenzt, als die Kranken(haus)pflege das Maß des Notwendigen und Wirtschaftlichen nicht überschreiten darf (§§ 184 Abs. 1 und 2, 182 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 368 e RVO; vgl. auch §§ 12 Abs. 1, 27 Abs. 1, 39 des ab 1. Januar 1989 geltenden Sozialgesetzbuch -SGB 5-).

Eine Kostenerstattung für die von Prof. Dr. EE. in Q-Stadt durchgeführte Beinverlängerung ist nicht schon von vornherein deshalb zu verneinen, weil sie in der ehemaligen DDR stattfand. Als Leistungsort (Erfüllungsort) für die Kranken(haus)pflege kommt zwar grundsätzlich nur das Inland in Betracht, soweit nicht z.B. durch über- oder zwischenstaatliches Recht etwas anderes geregelt ist (Bundessozialgericht -BSG- SozR 2200 § 222 Nr. 1; SozR 2200 § 194 Nr. 3; SozR 2200 § 1244 a Nr. 11), was im Verhältnis zur ehemaligen DDR nicht der Fall war. Es ist jedoch allgemein anerkannt, daß das Sachleistungsprinzip nur ein Instrument zur optimalen Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs ist, nicht jedoch den Umfang dessen begrenzt, was sich aus medizinischer Sicht als notwendig erweist. Es schließt deshalb auch eine Erstattung für eine im Ausland durchgeführte Kranken(haus)pflege nicht aus, wenn die Behandlung gerade dort notwendig war, d.h. eine ausreichende, die Chance eines Heilerfolges bietende Behandlungsmöglichkeit in einer inländischen Klinik nicht bestand (BSG SozR 2200 § 257 a Nr. 10). Nach den eingeholten Auskünften verschiedener orthopädischer Universitätskliniken und sonstigen ärztlichen Äußerungen u.a. von seiten des Prof. Dr. EE. ist insoweit unter den Beteiligten inzwischen unstreitig, daß eine Beinverlängerung nach der Methode Ilisarov, wie sie von Prof. Dr. EE. angewandt und dem Beigeladenen vom Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin Dr. WW. nach näheren Nachforschungen empfohlen wurde, seinerzeit im Bundesgebiet (noch) nicht durchgeführt wurde. Ob die seit den 60er Jahren praktizierte Distraktionsepiphyseolyse nach der Methode Wagner unter Berücksichtigung auch der Ausführungen des Dr. WW. im Bericht vom 13. November 1989 bei einer beidseitigen Beinverlängerung als Alternative grundsätzlich in Betracht zu ziehen war, obgleich der Eingriff nach dieser Methode nicht beidseitig durchgeführt werden kann und die Gesamtproblematik der Operation sich deshalb von der Zeit her verdoppelt hätte, kann dahinstehen. Denn auch die Beklagte geht nunmehr in Übereinstimmung mit dem Kläger aufgrund der vorliegenden Stellungnahmen u.a. insbesondere der Orthopädischen Universitätsklinik R Stadt vom 12. September 1991, dem Arztbrief des Dr. ÜÜ. vom 24. Mai 1984, der abschlägigen Antwort des Prof. Dr. KK. selbst gegenüber Dr. QQ. vom 9. August 1984 sowie der ergänzenden Ermittlungen der Vertrauensärztin Dr. OO. laut Stellungnahme vom 26. September 1991 davon aus, daß eine derartige Behandlung für den Beigeladenen bei einer seinerzeit bestehenden Körperlänge von etwa 164 cm und Seitengleichheit der Operation jedenfalls nicht erreichbar war.

Entscheidend bleibt demnach, ob der Kläger von der Beklagten die bei seinem Sohn in der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Akademie Q-Stadt von Prof. Dr. EE. stationär und möglicherweise zum Teil auch ambulant durchgeführte Distraktionsepiphyseolyse nach der Methode Ilisarov als Leistung der Krankenversicherung beanspruchen konnte. Sowohl Krankenhauspflege als auch Krankenpflege u.a in Form ärztlicher Behandlung setzen stets eine Krankheit, d.h. einen pathologischen, regelwidrigen, von der Norm bzw. vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand voraus, der ärztlicher Behandlung zugänglich und bedürftig ist, wobei die Behandlung auf Heilung, Besserung, Linderung oder mindestens auf die Verhütung einer Verschlimmerung gerichtet sein muß (BSGE 35, 10; BSG SozR 2200 § 182 Nrn. 9, 101, 106). Eine ärztliche Tätigkeit, die nicht diesem Zweck dient, sondern in natürliche menschliche Vorgänge und Zustände eingreift oder durch sie veranlaßt wird, wird vom Begriff der Kranken (haus) pflege nicht mehr umfaßt (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 9). Andererseits ist es nicht erforderlich, daß die ärztliche Tätigkeit unmittelbar an der eigentlichen Krankheit selbst ausetzt (vgl. auch BSG SozR 3 - 2200 § 182 Nr. 1). Von der Krankenkasse kann insoweit u.a. auch ein physischer chirurgischer - Eingriff in einen nicht krankhaften Körperzustand im Hinblick auf eine bereits eingetretene oder drohende geistigseelische Erkrankung als Krankenhilfe zu gewähren sein (vgl. BSG SozR 2200 § 182 Nrn. 9, 106 Schwangerschaftsabbruch/geschlechtsangleichende Operation).

Im vorliegenden Fall ist eindeutig und unstreitig, daß ein regelwidriger Körperzustand die Distraktionsepiphyseolyse nicht rechtfertigte. Zwar litt der Beigeladene ursprünglich unter einem krankhaften Minderwuchs. Nach mehrjähriger hormoneller Behandlung ab Mitte 1980 hatte er mit rund 164 cm jedoch eine Körpergröße erreicht, die die objektiven Kriterien eines Minderwuchses nicht (mehr) erfüllte, sondern als mittelgroß zu qualifizieren ist. Fest steht auch, daß das beim Beigeladenen infolge eines Hormonmangels außerdem noch bestehende ausgeprägte kindliche Aussehen und die sexuelle Entwicklungsverzögerung durch die Distraktionsepiphyseolyse nicht beeinflußbar waren. Eine Indikation für die beiderseitige Beinverlängerung war somit aus physischen Gründen nicht gegeben, gleichgültig nach welcher Methode sie nun durchgeführt wurde. Auch Prof. Dr. EE. hat in seinem Arztbrief an Dr. QQ. vom 11. September 1984 sowie im Bericht vom 21. Januar 1989 klar zum Ausdruck gebracht, daß er die vom Beigeladenen erreichte Körpergröße von 164/165 cm für ausreichend erachtete, nach den eigenen Röntgenaufnahmen und der Knochenalterbestimmung des Dr. QQ. noch ein weiteres Wachstum bis zu 167 cm für möglich hielt und im Hinblick auf diese physischen Verhältnisse auch für die Distraktionsepiphyseolyse nach Ilisarov eine Indikationslage nicht bejahte. Beim Beigeladenen bestand jedoch eine psychische Erkrankung, die auch unter Berücksichtigung des Begriffs der Zweckmäßigkeit im Sinne der streitigen - physischen - Beinverlängerung behandlungsbedürftig war.

Wie sich aus den zahlreichen Bescheinigungen und Berichten der den Beigeladenen seinerzeit behandelnden Ärzte u.a. insbesondere von den Psychiatrischen Universitätskliniken E-Stadt und W-Stadt ergibt und vom Sachverständigen Dr. ÖÖ. im Gutachten vom 23. Februar 1991 in Verbindung mit dem testpsychologischen Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. LL. sowie unter Auswertung der Krankenvorgeschichte bestätigt worden ist, litt der Beigeladene damals unter einer schweren, behandlungsbedürftigen reaktiven Depression mit suizidalen Vorstellungen, die allein oder jedenfalls wesentlich durch den ursprünglichen Minderwuchs, die seit Kindheit dadurch erfahrenen zahlreichen Kränkungen und die subjektiv weiterhin als zu gering empfundene Körpergröße verursacht worden war und unterhalten wurde. Nach Ablegung des Physikums im Sommer 1983 machte der Beigeladene auch unter Berücksichtigung der chronologischen Darstellung des ihn langjährig behandelnden Arztes Dr. QQ. im Bericht vom 29. Mai 1989 eine krisenhafte Entwicklung mit Abbruch des Studiums durch und geriet zunehmend in eine für ihn verzweifelte Lage. All sein Denken machte sich nur noch an der für ihn zu geringen Körpergröße fest. Ohne Hilfe in dieser Hinsicht sah er für sich keine Hoffnung, keine Entwicklung und keinen Sinn mehr im Leben. Nachdem er von der Möglichkeit einer Verlängerungsosteotomie erfahren hatte, befaßte er sich nur noch mit diesem Gedanken und der Vorstellung, 175 cm groß zu werden. Eine von Dr. QQ. vorgeschlagene Testosterongabe, von der sich dieser vor Schluß der Wachstumsfugen nochmals einen gewissen Wachstumsschub versprach, lehnte er ab, ebenso eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, weil er sich hiervon keine Besserung seiner Verhältnisse versprach. Gegenüber den Argumenten der Ärzte zeigte er sich völlig unzugänglich. Trotz der mit einer Verlängerungsosteotomie verbundenen Risiken und Schmerzen, aufgrund derer nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. ÖÖ. nur von einer "Tortour" gesprochen werden kann, blieb er auf die Operation fixiert, was zusätzlich für seine verzweifelte Situation spricht.

Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, daß bei einer derartigen schweren psychischen bzw. psycho-reaktiven Erkrankung die psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung grundsätzlich das geeignete und vorrangige Mittel bzw. - wie auch Dr. ÖÖ. klargestellt hat - das "Mittel der Wahl" ist. Entsprechend den Ausführungen der Vertrauensärztin Dr. OO. in ihrer Stellungnahme vom 26. September 1991 ist ferner davon auszugehen, daß die Behandlung psychischer Leiden durch physische/operative Maßnahmen wie die Distraktionsepiphyseolyse umstritten und ihre Zweckmäßigkeit bzw. Eignung und Wirksamkeit nicht allgemein anerkannt ist. Auch der Sachverständige Dr. ÖÖ. hat keine wissenschaftliche Literatur über die psychischen Auswirkungen einer Distraktionsepiphyseolyse benennen und lediglich in Erfahrung bringen können, daß an einer Klinik eine Arbeit über positive Auswirkungen bei Kleinwüchsigen in Vorbereitung ist. Das BSG hat jedoch wiederholt entschieden, daß die Zweckmäßigkeit einer Behandlungsmaßnahme, deren Wirksamkeit (noch) nicht allgemein anerkannt ist, auch dann gegeben sein kann, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder im Einzelfall aus irgendwelchen Gründen (z.B. wegen einer Gegenindikation oder Wirkungslosigkeit) ungeeignet sind und durch die ins Auge gefaßte Maßnahme nach ärztlichem, an dem jeweiligen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientiertem Ermessen bei Abwägung der Vor- und Nachteile und aller in Frage kommenden Risiken ein Therapieerfolg mit einer nicht nur ganz geringen Erfolgsaussicht möglich erscheint und/oder rückblickend, d.h. im nachhinein jedenfalls nachgewiesen ist (BSG SozR 2200 § 368 e Nr. 11; SozR 2200 § 182 Nrn. 72, 76, 114). Dementsprechend hat das BSG im Urteil vom 6. August 1987 - 3 RK 15/86 (= SozR 2200 § 182 Nr. 106) z.B. die geschlechtsangleichende Operation bei Transsexualität, obgleich sie medizinisch umstritten und nicht allgemein anerkannt ist, in einem Fall als Leistung der Krankenversicherung gewertet, in dem die psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung eines bestehenden krankhaften Leidensdrucks mit Selbstmordgefahr erfolglos und eine Linderung dieses Leidens durch die - physische - Operation möglich war und retrospektiv gesehen tatsächlich erfolgte. Ausgehend davon schließen auch im vorliegenden Fall tatsächliche oder rechtliche Gründe eine Einbeziehung der Distraktionsepiphyseolyse in die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen nicht aus.

Allerdings steht fest, daß der Beigeladene vor Beginn der Distraktionsepiphyseolyse nicht psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandelt wurde. Dies unterblieb jedoch nicht deshalb, weil die behandelnden Ärzte eine solche Behandlung nicht bedacht und ihre Möglichkeiten nicht gewissenhaft geprüft hatten. Nicht nur die Vertrauensärztin Dr. OO., sondern alle anderen mit der Sache des Beigeladenen befaßten Ärzte haben vielmehr zunächst eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung als das geeignete und grundsätzlich vorrangige Mittel zur Behandlung der psychischen Erkrankung in Betracht gezogen. Das gilt u.a. insbesondere auch für den operierenden Arzt Prof. Dr. EE. Aus seinem Bericht vom 21. November 1989 und seinem Schreiben an Dr. QQ. vom 11. September 1984 sowie aus dessen Briefen vom 27. August 1984 und 21. September 1984 und dem Schreiben des Dr. Dipl. Psych. RR. vom 8. Oktober 1984 an Prof. Dr. EE. geht eindeutig hervor, daß gerade auch Prof. Dr. EE., der vom Beigeladenen wegen der Distraktionsepiphyseolyse "bestürmt" wurde, diesen zunächst auf die psychiatrische Behandlung durch die Ärzte der Universitätsklinik E-Stadt verwies, ihm zur Förderung der Bereitschaft für eine derartige Behandlung die Risiken der gewünschten Operation sogar "in den schwärzesten Farben" ausmalte, mit diesen Bemühungen aber scheiterte. Ferner ergibt sich, daß Prof. Dr. EE. um eine Abstimmung mit den behandelnden Ärzten der Universitätskliniken E-Stadt intensiv bemüht war und seine Entscheidung für einen operativen Eingriff von deren Beurteilung, speziell derjenigen der psychologisch und psychotherapeutisch geschulten Ärzte abhängig machte. Diese kamen laut Schreiben vom 8. Oktober 1984 an Prof. Dr. EE. sowie nach ihren Berichten vom 11. Dezember 1984 und 21. März 1989 nach zwei therapeutischen Vorgesprächen mit dem Beigeladenen ebenso wie die Ärzte der Psychiatrischen Universitätsklinik W-Stadt, die den Beigeladenen am 3., 4. und 7. September 1984 untersuchten (vgl. Bericht vom 2. November 1989), jedoch zu dem Ergebnis, daß eine prinzipiell sinnvolle psychotherapeutische Behandlung des Beigeladenen von vornherein unmöglich und zweifelsfrei nicht erfolgversprechend sei, weil dieser auf eine operative Beinverlängerung völlig fixiert und thematisch eingeengt und wegen fehlender - psychischer - Krankheitseinsicht ein Behandlungsbündnis mit ihm nicht zu erreichen war. Der Distraktionsepiphyseolyse wurde deshalb aus psychiatrischer Sicht voll zugestimmt und der operative Eingriff als die derzeit einzig erfolgversprechende und sogar dringend indizierte Maßnahme zur Behandlung des psychischen Leidens des Beigeladenen angesehen, um eine weitere Entwicklung und Chronifizierung des Krankheitsbildes zu verhindern und eine größere Offenheit für eine eventuelle anschließende psychotherapeutische Behandlung zu erreichen. Erst aufgrund des eindeutigen Urteils von psychiatrischer Seite sowie nach Mitteilung des Dr. QQ., daß auch eine Testosteronbehandlung nicht möglich sei, entschloß sich Prof. Dr. EE. wegen des psychischen Leidensdrucks des Beigeladenen zur Durchführung der beiderseitigen Beinverlängerung.

Daß diese Verfahrensweise unter den gegebenen Verhältnissen sachgerechtem medizinischem Ermessen entsprach, weil der Beigeladene damals psychiatrisch oder psychotherapeutisch nicht zu behandeln war und die operative Beinverlängerung die einzig taugliche und sogar dringend indizierte Maßnahme zur Behandlung der schweren psychischen Erkrankung des Beigeladenen darstellte, ist auch von Dr. ÖÖ. bestätigt worden. Der Sachverständige hat dabei u.a. darauf hingewiesen, daß einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung zur damaligen Zeit auch die erhebliche Suizidalität des Beigeladenen entgegenstand, die von den Ärzten der Universitätsklinik E-Stadt seinerzeit sehr ernst genommen wurde und nach Beurteilung des Dr. ÖÖ., dem gegenüber der Beigeladene noch glaubhaft von einem mißglückten Suizidversuch mit Tabletten im Spätsommer 1983 berichtete, auch sehr ernst zu nehmen war. Seiner Einschätzung nach war es nicht nur nicht auszuschließen, sondern mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß es ohne die Operation zu weiteren Suizidversuchen mit möglicherweise tödlichem Ausgang gekommen wäre. Wie Dr. ÖÖ. weiterhin klargestellt hat, beruhte die thematische Einengung des Beigeladenen auf die Verlängerungsosteotomie dabei auch nicht etwa auf nicht krankhaften Wunschvorstellungen oder einer psychischen Fixiertheit und Starrheit, die ihren Grund nicht in der geringen Körpergröße hatte, sondern war Teil und Ausdruck des durch den relativen - Minderwuchs allein oder zumindest wesentlich verursachten psychischen Leidens. Das verkennt die Beklagte, wenn sie meint, daß im vorliegenden Fall die Frage von zentraler Bedeutung sei, ob der einzelne durch die Ablehnung schulmedizinisch richtiger Behandlungsmethoden eine bestimmte Art der Behandlung erzwingen könne oder ob die Versichertengemeinschaft das Recht habe,.sich vor überschießenden Wünschen zu schützen. Denn hier geht es gerade nicht nur um die Realisierung bloßer Wunschvorstellungen des Beigeladenen. Das wird auch von der Vertrauensärztin Dr. OO. letztlich nicht in Abrede gestellt, wenn sie in ihrer Stellungnahme vom 26. September 1991 ausführt, daß die Operation zur Erhaltung des Gleichgewichts des an einer schweren neurotischen Fehlentwicklung bzw. narzistischen Neurose leidenden Beigeladenen benötigt worden sei, er auf diese Operation psychisch fixiert gewesen sei und diese für ihn - ebenso wie für seine Familie - einen "existentiellen" Stellenwert bekommen habe. Sie meint offenbar nur, daß diese krankheitsbedingte psychische thematische Einengung und Fixierung hier dem Bereich der "Eigenverantwortlichkeit" zuzurechnen sei, weil der Beigeladene eine ihm "über Jahre hinweg" angebotene zweigleisige (endokrinologische und psychiatrische) Behandlung nicht oder nur unvollständig wahrgenommen habe und auch seine Eltern durch eine bereits frühzeitig (1978) entstandene Unfähigkeit, adäquate Behandlungsmaßnahmen durchzusetzen, sowie die behandelnden Ärzte durch das "Angebot" einer operativen Lösung der Probleme zu der auffälligen psychopathologischen Einengung und Fixierung sowie zur Unfähigkeit des Beigeladenen beigetragen hätten, auf Beratungsangebote einzugehen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn abgesehen davon, daß hier zum Teil ein offensichtlich unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt wird und die Beweisführung auch im übrigen fragwürdig erscheint, ist es rechtlich unerheblich, auf welchen Ursachen die psychische Krankheit des Beigeladenen und seine psychische Fixiertheit vor Beginn der Beinverlängerung im Jahre 1984 beruhte, weil die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten und seinen Familienangehörigen Leistungen unabhängig von der Krankheitsursache zu gewähren hat und leistungspflichtig selbst dann ist, wenn die Krankheit auf ein schuldhaftes Verhalten des Versicherten zurückzuführen ist (SozR 2200 § 182 Nr. 101). Entscheidend bleibt das Ergebnis, daß der Beigeladene vor Beginn der Distraktionsepiphyseolyse an einer schweren psycho-reaktiven Krankheit mit suizidalen Vorstellungen litt, krankheitsbedingt auf eine Verlängerung seiner Körpergröße auf 175 cm und eine dementsprechende Operation fixiert war und eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung deshalb von vornherein nicht möglich und nicht erfolgversprechend und damit ungeeignet war. Infolgedessen ist auch die unveränderte Forderung der Beklagten, daß zumindest präoperativ eine psychotherapeutische Behandlung hätte durchgeführt bzw. versucht werden müssen, unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses nicht nur in tatsächlicher Hinsicht unverständlich, sondern sie widerspricht auch dem rechtlichen Gebot, daß die Kranken (haus) pflege ausreichend und zweckmäßig sein muß und nicht unwirtschaftlich sein darf.

Demgegenüber konnte ein Behandlungserfolg durch die - physische - Beinverlängerung berechtigterweise für möglich und wahrscheinlich gehalten werden und ist jedenfalls retrospektiv betrachtet tatsächlich auch eingetreten. Bei Würdigung der vorliegenden ärztlichen Äußerungen besteht kein Zweifel daran, daß die Distraktionsepiphyseolyse das psychische Leiden tatsächlich positiv beeinflußt hat. Sowohl Prof. Dr. EE. als auch Dr. QQ., Dr. WW. und Dr. ÄÄ., bei denen der Beigeladene seit der Distraktionsepiphyseolyse weiterhin kontinuierlich oder jedenfalls des öfteren in Behandlung stand, haben in ihren Berichten vom 21, November 1989, 29. Mai 1989, 5. Januar 1990 und 13. November 1989 bestätigt, daß sich die psychische Situation des Beigeladenen nach der Operation zunehmend und deutlich besserte. Infolgedessen wurde von ihm nunmehr auch die zunächst abgelehnte Behandlung der gestörten Sexualität akzeptiert, welche u.a. zu einem männlichen Aussehen führte. Der gegenteilige Eindruck allein der Ärzte des Zentrums der Psychiatrie der Universitätskliniken E-Stadt, der sich laut Bericht vom 21. März 1989 zudem erklärtermaßen nur auf eine einzige, sehr kurze Vorstellung des Beigeladenen gründet, kann schon deshalb nicht überzeugen. Im übrigen hat auch der Sachverständige Dr. ÖÖ. in seinem Gutachten vom 9. Februar 1991, das sich auf eine dreitägige stationäre Untersuchung stützt, in Verbindung mit dem persönlichkeitsdiagnostischen Zusatzgutachten retrospektiv eine positive Beeinflußung des psychischen Leidens durch die physische Operation überzeugend bejaht. Der Beigeladene hat danach im Wintersemester 1986/87 sein Studium wieder aufgenommen und dieses inzwischen erfolgreich beendet. Er ist in der Zahnmedizin der Universitätskliniken W-Stadt beschäftigt, arbeitet an seiner Promotion und betreut während der Semesterferien Studenten. Hinweise für eine Depression oder gar für Suizidalität oder sonstige psychische Krankheiten fanden sich bei der Untersuchung im Psychiatrischen Krankenhaus Ö. nicht mehr. Der Beigeladene bot nunmehr insgesamt das Bild einer gefestigten, weitgehend normal integrierten Persönlichkeit.

Soweit Frau Dr. OO. gegenüber dieser sich auf eine ausführliche Exploration des Beigeladenen stützenden fachärztlichen Beurteilung einwendet, daß die positive Beeinflußung des psychischen Leidens u.a. angesichts der offensichtlichen Intelligenz des Beigeladenen auch nur vorgetäuscht sein könne, entbehrt dies jeder nachvollziehbaren Grundlage. Die Beklagte kann den Erfolg der Behandlung auch nicht unter Hinweis darauf in Abrede stellen oder bezweifeln, daß vom Neurologen und Psychiater Dr. GG. laut Bericht vom 25. September 1986 und elektromyographischen Untersuchungsbefunden vom 22. September 1986, 12. Juni 1987 und 29. März 1988 ein postoperatives Kompartment-Syndrom mit Untergang des Tibialis anterior sowie einer Peronäusparese rechts aufgetreten seien und der körperliche Befund vom Sachverständigen Dr. ÖÖ. u.a. hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Psyche des Beigeladenen nicht berücksichtigt worden sei. Eine körperliche Untersuchung des Beigeladenen durch Dr. ÖÖ. fand ausweislich seines Gutachtens durchaus statt. Sie ergab eine Verminderung der Muskulatur des rechten Unterschenkels gegenüber links, postoperative Narben und eine Abschwächung des Achillessehnenreflexes rechts gegenüber links durch eine leichte Supinationsstellung des rechten Fußes ohne objektivierbare Paresen. Insgesamt wurde der Befund als neurologisch unauffällig gewertet; besondere Beschwerden wurden vom Beigeladenen nicht vorgetragen. Dafür, daß der Beigeladene diesen postoperativen Befund einschließlich der Narbenbildungen und/oder eine von der Beklagten unter Hinweis auf den Arztbrief des Dr. ÜÜ. vom 24. Mai 1984 geltend gemachte kosmetisch störende Disproportion nach Beinverlängerung psychisch nicht verkraftet hat und hierdurch möglicherweise psychisch noch stärker betroffen ist als vor der Operation, gibt es nicht den geringsten Anhalt. Das hätte zweifellos bei der sich ungeteilt mit der Person des Beigeladenen und seiner psychischen Situation befassenden Untersuchung durch Dr. ÖÖ. und Dipl.-Psych. LL. auffallen müssen. Auch von Dr. GG. wurde bei seinerzeit noch verstärkten Symptomen bezüglich des rechten Fußes festgestellt, daß der psychische Querschnitt formal regelrecht sei; der Beigeladene sei mit dem Ergebnis der Verlängerungsosteotomie sehr zufrieden. Ein weiterer Klärungsbedarf in dieser Hinsicht durch Einholung von weiteren Berichten des Dr. GG. oder noch anderer behandelnder Ärzte besteht entgegen der Ansicht der Beklagten nach den aktuellen physischen und psychischen Befunden des Gutachtens des Dr. ÖÖ. vom 9. Februar 1991 nicht. Im übrigen ist es nicht gerechtfertigt, durch jede Art von möglichen oder tatsächlich eingetretenen Operationsfolgen, wie sie zudem regelmäßig oder jedenfalls häufig auch bei weitaus weniger invasiven Maßnahmen als der Distraktionsepiphyseolyse aufzutreten pflegen, den Erfolg der Behandlung in Frage zu stellen, obgleich sich die schwere psychische Erkankung mit Suizidgefährdung, der die - physische - Behandlung diente, trotz vorhandender Operationsfolgen eindeutig gebessert hat und praktisch nicht mehr festzustellen ist. Diese Betrachtung läßt eine sachgerechte Abwägung von Vor- und Nachteilen nicht mehr erkennen und müßte bei konsequenter Übertragung auch auf andere Behandlungsfälle allgemein dazu führen, die Beklagte weitestgehend von ihren Leistungspflichten zu befreien. Für den Fall, daß die streitige Distraktionsepiphyseolyse aus physischen Gründen bzw. auf Grund eines regelwidrigen Körperzustandes (Minderwuchs) indiziert gewesen oder zumindest präoperativ - erfolglos - eine Psychotherapie vorgeschaltet worden wäre, hätte die Beklagte ihrem Vorbringen zufolge ihre Leistungspflicht offensichtlich auch nicht wegen der unbestritten mit einer Distraktionsepiphyseolyse stets verbundenen Risiken und/oder unter Hinweis auf tatsächlich eingetretene Operationsfolgen - noch dazu relativ geringfügiger Art - verneint. Daß gegenüber der laut Ermittlungen der Frau Dr. OO. von Prof. Dr. HH., O-Stadt, in der ehemaligen DDR eingeführten und propagierten Methode Ilisarov im Vergleich zu der Methode Wagner medizinisch-wissenschaftlich grundsätzlich und vornehmlich in Fällen beiderseitiger Beinverlängerungen besondere Bedenken und Vorbehalte anzubringen sind, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Der Umstand, daß nach Ansicht des Prof. Dr. HH. für eine Beinverlängerung nach der Methode Ilisarov bei einer Körpergröße von 164 cm allerdings keine vertretbare Indikation mehr gegeben ist und auch Ärzte anderer Orthopädischer Universitätskliniken bei einer derartigen Körperlänge diese Auffassung offensichtlich für jede Distraktionsepiphyseolyse u.a. nach Wagner teilen, ist entgegen der Ansicht der Beklagten für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung. Einer weiteren Beweiserhebung durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens und einer Auskunft des Prof. Dr. EE. zu der Frage, ob speziell bei einer Körperlänge von 164 cm (noch) eine Indikation für eine beiderseitige Beinverlängerung nach der Methode Ilisarov vorliegt, bedurfte es deshalb nicht. Denn es ist - wie schon eingangs ausgeführt wurde - eindeutig, daß bei einer derartigen Körperlänge grundsätzlich weder eine Distraktionsepiphyseolyse nach Wagner noch nach Ilisarov aus orthopädischer Sicht zu rechtfertigen ist und auch Prof. Dr. EE. die Behandlungsbedürftigkeit des Beigeladenen nicht im Hinblick auf die vorhandene Körpergröße von 164 cm und für sein Fachgebiet bejaht hat. Die Beklagte übersieht auch in diesem Zusammenhang, daß es hier nicht um die Gewährung einer Distraktionsepiphyseolyse als Leistung der Krankenversicherung wegen der physischen Verhältnisse des Beigeladenen, sondern wegen eines psychischen Leidens geht und die Indikation für die physische Behandlungsmaßnahme deshalb primär psychiatrisch zu begründen ist. Daß auch insoweit von einer generellen Indikation nicht ausgegangen werden kann, weil die Zweckmäßigkeit und Eignung der Distraktionsepiphyseolyse zur Behandlung eines psychischen Leidens nicht allgemein anerkannt ist, bedarf ebenfalls keiner weiteren Klärung, weil dies aufgrund der Ausführungen des Dr. ÖÖ. und der Frau Dr. OO. feststeht und vom Senat auch zugrunde gelegt wird. Infolgedessen war die Behandlungsbedürftigkeit des schweren psychischen Leidens des Beigeladenen mit Suizidgefahr im Sinne der - physischen - Beinverlängerung auch für den konkreten Einzelfall zu prüfen und aus den dargelegten Gründen, u.a. wegen der Unmöglichkeit einer erfolgversprechenden psychotherapeutischen Behandlung und des nachgewiesenen Erfolgs der statt dessen gewählten und von den Ärzten für Psychiatrie seinerzeit dringend angeratenen Behandlungsmaßnahme zu bejahen.

Da die von der Beklagten zur Behandlung der psychischen Krankheit des Beigeladenen als Hauptleistung zu gewährende Distraktionsepiphyseolyse durch Ärzte im Inland nicht durchgeführt werden konnte oder bei einer Körperlänge von 164 cm und Seitengleichheit der Operation jedenfalls nicht durchgeführt worden wäre und der Beigeladene deshalb einen zwingenden Grund für eine Inanspruchnahme des Prof. Dr. EE. in Q-Stadt hatte (vgl. § 368 d Abs. 2 RVO), hat die Beklagte auch die in diesem Zusammenhang allein wegen der psychischen Erkrankung und ihrer psychischen Behandlung und nicht aus anderen Gründen entstandenen erforderlichen Reisekosten als akzessorische Nebenleistung zu erstatten (§ 194 Abs. 1 RVO; vgl. auch BSG SozR 2200 § 194 Nrn. 3, 4, 10; BSG SozR 2200 § 368 f Nr. 14).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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