Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 3164/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 523/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird die Feststellung des Sozialgerichts, dass ein Rechtsstreit wegen § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gilt, durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben, ist das ursprüngliche Verfahren beim Sozialgericht ohne Weiteres fortzusetzen und in der Sache zu entscheiden. Einer gesonderten Zurückverweisung im Sinne des §159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bedarf es nicht.
2. Da der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel, sondern ein Zwischenstreit ist, bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten.
2. Da der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel, sondern ein Zwischenstreit ist, bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21. Juli 2009 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das beim Sozialgericht Dresden ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 677/08 geführte Verfahren fortzusetzen ist.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Beendigung des ursprünglichen Klageverfahrens S 32 AS 677/08 durch fiktive Klagerücknahme. Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens waren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.04.2006 bis 30.09.2006.
Der 1966 geborene Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) beantragte erstmals am 17.12.2004 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, nachdem er zuvor Arbeitslosenhilfe bezogen hatte. Er gab an, im eigenen Haus mit einem Wohnflächenanteil von 40 qm und zwei Zimmern (bezugsfertig seit 1997) zu wohnen. In diesem Zusammenhang fand ein Hausbesuch statt, der die Angaben des Klägers bestätigte: der Rest des Hauses (insgesamt 100 qm) sei Baustelle. Jeweils auf Anforderung durch den Beklagten reichte der Kläger einige Nachweise zu den anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung ein, so im November 2005 einen Grundsteuerbescheid für 2004 und eine Schornsteinfegerrechnung vom 29.12.2004.
Auf den per Telefax gestellten Folgeantrag vom 24.04.2006, mit dem er angab, dass sich keine Änderungen in den Verhältnissen ergeben hätten, wurden dem Kläger mit Bescheid vom 26.04.2006 für den Zeitraum 01.04.2006 bis 30.09.2006 monatliche Leistungen bewilligt, zuletzt wegen Änderung der Regelleistung ab Juli 2006 mit Änderungsbescheid vom 21.06.2006 für die Zeit bis September 2006 monatliche Leistungen i.H.v. 504,58 EUR. Dabei wurden ab Mai 2006 eine monatliche Pauschale für Heizkosten geleistet und insgesamt Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. monatlich 159,58 EUR anerkannt. Aufgrund eines Bewerbungsvorschlags der Arbeitsvermittlung wurde der Kläger am 22.05.2006 in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) abgemeldet. Er teilte am 02.06.2006 mit, dass er ab 10.05.2006 eine Anstellung habe. Am 08.07.2006 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 21.06.2006 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen.
Am 07.02.2007 ermittelte der Beklagte telefonisch, dass das vom Kläger in der ABM vom 10.05.2006 bis 31.08.2006 erzielte Arbeitseinkommen im Mai 2006 brutto 563,48 EUR und netto 458,39 EUR betrug. Von Juni bis August 2006 hatte der Kläger ein Bruttoarbeitseinkommen von 810,00 EUR erzielt, davon im Juni 658,53 EUR netto und im Juli und August 657,31 EUR netto. Die Zahlungen seien jeweils am Dritten des Folgemonats erfolgt.
Nach vorheriger Anhörung erließ der Beklagte am 15.03.2007 einen Änderungsbescheid, mit dem für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.09.2006 jeweils monatliche Leistungen in unterschiedlicher Höhe bewilligt wurden, weil das vom Kläger in einer ABM erzielte Einkommen nach § 11 SGB II auf die Leistungen anzurechnen sei. Zugleich wurde mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid die Bewilligungsentscheidung vom 26.04.2006 für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.09.2006 teilweise aufgehoben und Leistungen i.H.v. 1.516,24 EUR zurückgefordert. Dagegen legte der Kläger am 24.03.2007 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen, der mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 zurückgewiesen wurde.
Dagegen hat der Kläger am 24.01.2008 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben (S 32 AS 677/08) und vorgetragen, das geltend gemachte Rückzahlungsbegehren sei unbegründet, weil die Mittel verbraucht und ihm auch keine Mittel verfügbar seien. Ein Verschulden liege nicht vor, da der ARGE die Einkommensverhältnisse aus eigenem Anlass sowie durch ihn selbst bekannt gewesen seien. Außerdem sei die Berechnung im Bescheid, insbesondere das dargestellte Einkommen, nicht nachvollziehbar. Eine entsprechende Beratung oder Aufklärung von Sachverhalten durch das Sozialgericht Dresden oder des Beklagten hätten auch auf Antrag bislang in keinem Fall stattgefunden. Der Widerspruchsbescheid sei ihm am 27.12.2007 zugestellt worden. Dem ist der Beklagte entgegen getreten.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 02.05.2008 ist der Kläger aufgefordert worden, anzugeben, warum er das ab 10.05.2006 erzielte Einkommen nicht regelmäßig der ARGE mitgeteilt habe, obwohl er mit Schreiben vom 22.04.2006 aufgefordert worden sei, Einkommenserklärungen vorzulegen. Ferner ist er zur Stellungnahme zum den Brutto- und Nettolöhnen im streitigen Zeitraum aufgefordert worden. An die Erledigung dieses Schreibens ist der Kläger mit gerichtlichen Schreiben vom 17.07.2008, vom 01.07.2008 und vom 18.08.2008 erinnert worden. Am 01.10.2008 ist eine auf § 102 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützte Betreibensaufforderung ergangen, die von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts unterschrieben und dem Kläger per Einschreiben/Rückschein zugestellt wurde. Das ungeöffnete Schreiben gelangte nach Ablauf der Frist am 15.10.2008 zur Gerichtsakte zurück.
Am 27.10.2008 ist abermals eine von der Geschäftsstelle "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnete Betreibensaufforderung versandt und dem Kläger am 28.10.2008 zugestellt worden. Am 03.11.2008 hat der Kläger per Fax mitgeteilt, dass er das Verfahren weiter betreiben möchte, und weitere Informationen in der Rechtssache bis zum 02.12.2008 in Aussicht gestellt. Mit Schreiben vom 13.01.2009, das dem Kläger am 14.01.2009 zugestellt wurde, ist daran erinnert worden, dass der Betreibensaufforderung vom 28.10.2008 noch nicht genügt sei und immer noch die angeforderten Unterlagen fehlten. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn der Betreibensaufforderung nicht bis zum 28.01.2009 Genüge getan sei.
Mit Schreiben vom 31.01.2009, beim Sozialgericht eingegangen am 02.02.2009, hat der Kläger mitgeteilt, dass die Wahrnehmung des Umgangs mit seinem Kind Kosten verursache, die im Bewilligungsbescheid nicht berücksichtigt worden seien. Es ergehe daher der Antrag, den Bescheid entsprechend abzuändern. Die Brutto- und Nettoangaben vom 10.03.2006 bis 31.08.2006 entsprächen den Tatsachen. Der Beklagte sei von Amts wegen und zusätzlich durch ihn selbst von der Aufnahme der Tätigkeit in Kenntnis gesetzt worden. Dem Beklagten sei "vorzuwerfen, in seiner Eigenschaft als Förderer des Maßnahmeträgers im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften hier zu verpflichten, gesicherte Informationen zu den Einkommen der durch die Maßnahme geförderten Beschäftigung erlangt [zu] haben". Abzusetzende Beträge von dem Einkommen, z. B. gemäß § 3 Alg II-Verordnung, seien nicht berücksichtigt worden. Auch insoweit sei der Bescheid abzuändern. Dessen ungeachtet seien etwaige Rückforderungen ausgeschlossen, weil die Mittel verbraucht seien. Verschulden liege nicht vor, da die Einkommensverhältnisse aus eigenem Anlass sowie durch den Kläger bekannt gewesen seien.
Am 04.02.2009 hat der damals zuständige Richter die "Schlussbehandlung Klagerücknahme" und ein Begleitschreiben an die Beteiligten verfügt, dass die Klage als zurückgenommen gelte, weil die weiteren Erklärungen des Klägers erst nach Fristablauf eingegangen seien. Die gegen den Richter gerichteten Befangenheitsanträge des Klägers u.a. im Verfahren S 32 AS 677/08 hat das Sächsische Landessozialgericht mit Beschluss vom 01.04.2009 (L 4 SF 12/09 AB) verworfen.
Auf die gerichtliche Anfrage vom 08.04.2009, ob das Verfahren fortgesetzt werden solle, hat der Kläger nicht reagiert. Das Verfahren ist sodann unter dem Az. S 32 AS 3164/09 WA fortgeführt worden, was den Beteiligten mit Schreiben vom 03.07.2009 mitgeteilt worden ist. Zugleich ist zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid angehört worden. Damit hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 17.07.2009 einverstanden erklärt.
Mit Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 hat das Sozialgericht Dresden entschieden, das die Klage als zurückgenommen gelte und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. In den Gründen wird im Wesentlichen ausgeführt, nachdem das Gericht die Klage als zurückgenommen behandelt und der Kläger sich gegen diese Sachbehandlung gewehrt hätte, habe das Gericht nur darüber zu entscheiden, ob die Klage als zurückgenommen gelte. Die Klage gelte als zurückgenommen. Dies sei durch Urteil festzustellen. Der Tatbestand des § 102 Abs. 2 SGG sei erfüllt. Das Gericht habe den Kläger mit Betreibensaufforderung vom 27.10.2008, zugestellt am 28.10.2008, aufgefordert, die bereits mit gerichtlichem Schreiben angeforderten Erklärungen über seinen Lohnzufluss, die der Kammer für eine Sachentscheidung notwendig erschienen, abzugeben. Der Kläger sei in der Betreibensaufforderung auf die Rechtsfolge des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG hingewiesen worden. Das Gericht habe auch zu dem Mittel der Betreibensaufforderung greifen dürfen, weil aus dem bisherigen Verfahrensverlauf, insbesondere dem Nichtreagieren auf die gerichtlichen Anfragen, hinreichende Anhaltspunkte für einen Wegfall des klägerischen Rechtsschutzinteresses erwachsen seien. Auf diese Aufforderung habe der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG reagiert. Insbesondere stelle sein Schreiben vom 01.11.2008 kein hinreichendes Betreiben dar. Er sei nochmals darauf hingewiesen worden, dass die Frist am 28.01.2009 ablaufe. Der Eingang des weiteren klägerischen Schriftsatzes am 31.01.2009 sei daher verfristet gewesen.
Gegen den ihm am 22.07.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24.08.2009 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, weder der Beklagte, noch das Sozialgericht seien substantiell amtlichen eigenen Ermittlungen nachgekommen und er verweise auf seine Schriftsätze sowie auf die Akte zum streitigen Verfahren.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21. 07.2009 aufzuheben und festzustellen, dass das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht Dresden geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die Leistungsakten des Beklagten (zwei Bände, Blatt 1-491) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Daher ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21.07.2009 aufzuheben und festzustellen, dass das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21.07.2009 ist statthaft und zulässig, §§ 143, 144, 151 SGG. Offen bleiben kann hier, ob die Beschränkungen der Berufung in § 144 SGG Anwendung finden oder nicht (bejahend: Beschluss des Senats vom 01.12.2010 – L 7 AS 524/09, RdNr. 22; verneinend: LSG Sachsen-Anhalt; Urteil vom 30.08.2012 – L 2 AS 132/12, RdNr. 14; LSG Rhld.-Pf., Urteil vom 21.08.2012 – L 2 AS 133/12, RdNr. 30; alle zitiert nach Juris). Denn vorliegend ist Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens S 32 AS 677/08 u.a. ein Rückforderungs- und Erstattungsbescheid, mit dem Leistungen in Höhe von 1.516,24 EUR zurückverlangt werden, so dass die Berufungssumme von 750,00 EUR gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Weiteres erreicht wird.
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die Feststellung des Sozialgerichts in seinem Gerichtsbescheid vom 21.07.2009, das Verfahren sei durch fiktive Klagerücknahme beendet, ist unzutreffend. Daher ist das ursprüngliche Verfahren S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht fortzusetzen.
Streitig ist vorliegend allein, ob die vom Sozialgericht angenommene fiktive Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG das Verfahren S 32 AS 677/08 beendet hat.
Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG, der mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) zum 01.04.2008 auch in die in der Sozialgerichtsbarkeit anzuwendende Prozessordnung eingeführt wurde, gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. § 102 Abs. 1 SGG gilt entsprechend (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGG) und der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergebenden Rechtsfolgen für eine etwaige Kostenentscheidung hinzuweisen (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGG). Als sog. ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt der Entschluss des Richters, an einen rechtschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten eine Betreibensaufforderung zu richten, voraus, dass im Einzelfall das Verhalten des Beteiligten hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (so zu den Vorgängervorschriften in § 92 Abs. 2 VwGO und § 81 Asylverfahrensgesetz: BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95, RdNr. 17; zu § 102 Abs. 2 SGG ausführlich: BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 102 RdNr. 8a; Bienert, Die Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG, NZS 2009, 554, 555f.). Hierfür müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen.
Wegen des strengen Ausnahmecharakters der Regelung (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.04.2011 – L 9 SO 48/09; BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 AS 74/09 R, RdNrn. 44, 45, m.w.N.) und wegen der gravierenden Rechtsfolgen für den Rechtschutzsuchenden sind beim Ergehen einer Betreibensaufforderung in formeller Hinsicht strikte Anforderungen einzuhalten, die dem Beteiligten, der zum Betreiben des gerichtlichen Verfahrens angehalten werden soll, die Ernsthaftigkeit der Aufforderung deutlich vor Augen führt. Daher setzt eine Rücknahmefiktion den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus. Eine formell ordnungsgemäße Betreibensaufforderung muss nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der richterlichen Aufforderung muss durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters erkennen lassen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 01.12.2010, a.a.O., RdNr. 26, m.w.N.; so auch LSG Bad.-Württ., Urteil vom 12.07.2011 – L 11 KR 1429/11, RdNr. 27; BayLSG, Urteil vom 12.07.2011 – L 11 AS 582/10, RdNr. 17). Damit wird dem betreffenden Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht, dass die Aufforderung vom zuständigen Richter, der sich mit der Streitsache befasst hat, ausgeht und dass dem unbedingt Folge zu leisten ist, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. Dadurch unterscheidet sich die richterliche Betreibensaufforderung schon in ihrer äußeren Form von anderen, sonstigen Mitteilungen des Gerichts in laufenden Verfahren, bei denen eine fehlende Reaktion eines Verfahrensbeteiligten folgenlos bleibt. Die Betreibensaufforderung ist zudem zuzustellen, wodurch die dreimonatige Frist erst in Lauf gesetzt wird. Nur die Einhaltung dieser Förmlichkeiten rechtfertigt den Eintritt der in § 102 Abs. 2 SGG gesetzlich vorgesehenen Rechtswirkungen, die eine Verfahrensbeendigung ohne ausdrückliche Willenserklärung der Prozesspartei zur Folge hat.
Eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung ist hier nicht erfolgt. Das Schreiben vom 27.10.2008 ist von der Justizangestellten der Geschäftsstelle "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnet worden. Eine Unterschrift des Richters trug die an den Kläger gerichtete Betreibensaufforderung vom 27.10.2008 nicht. Ein lediglich mit dem Zusatz "Auf richterliche Anordnung" durch eine Justizangestellte unterzeichnetes gerichtliches Schreiben kann eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf setzen (vgl. auch Urteilsbeschluss des Senats vom 01.12.2010 – L 7 AS 524/09, RdNr. 26, m.w.N.). Schon dieser Mangel führt vorliegend dazu, dass der damalige Kammervorsitzende des Sozialgerichts am 04.02.2009 zu Unrecht die Schlussbehandlung des Verfahrens wegen des Eintrittes der Klagerücknahmefiktion verfügt hat, womit sich die Feststellung des Sozialgerichts in dem mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid, dass die Klage als zurückgenommen gelte, als unzutreffend erweist. Der Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 ist somit aufzuheben.
Bei dieser Sachlage kann vorliegend offen bleiben, ob das Verhalten des Klägers im Klageverfahren beim Sozialgericht ausreichende Anhaltspunkte für begründete Zweifel am fortbestehenden Rechtschutzinteresse lieferte, die es rechtfertigten, eine die Fiktion der Klagerücknahme auslösende Betreibensaufforderung zu erlassen. Ernsthafte Bedenken hat der Senat insoweit nicht. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob der Kläger mit seiner innerhalb der Drei-Monatsfrist seit Zustellung des Schreibens vom 27.10.2008 eingegangnen Stellungnahme vom 11.11.2008, dass er das Verfahren weiter betreiben möchte, und mit der er weitere Informationen in Aussicht gestellt hat, das Verfahren tatsächlich betrieben haben könnte.
Infolge der Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts in der Sache S 32 AS 3164/09 WA ist das ursprüngliche Verfahren beim Sozialgericht ohne Weiteres fortzusetzen und in der Sache zu entscheiden.
Einer gesonderten Zurückverweisung im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bedarf es nicht (so aber ohne Begründung: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.07.2012 – L 7 AS 776/11, RdNr. 28; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2011 – L 3 AS 74/10; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 12.07.2011, a.a.O., RdNr. 28; LSG Berlin-Brandenburg; Urteil vom 19.05.,2011 – L 13 SB 32/11, RdNr. 26; LSG NRW, Urteil vom 20.04.2011, a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.06.2010 - L 5 AS 217/10; BayLSG, Urteil vom 08.12.2009 – L 5 R 884/09; zum Revisionsverfahren BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R; zu § 92 Abs 2 VwGO: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2010 - OVG 10 B 2.10; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.10.2005 - 1 L 40/05). Vielmehr ist lediglich festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit – nämlich hier das Verfahren S 32 AS 677/08 – (von Amts wegen) vor dem Sozialgericht fortzuführen ist (wie hier: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2012 – L 2 AS 132/12; LSG Rhld.-Pf., Urteil vom 21.08.2012, a.a.O.; BayLSG, Urteile vom 02.02 ...2012 – L 11 AS 339/11 und vom 12.07.2011, a.a.O., LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2011 – L 9 AS 61/10, RdNr. 36), weil der Rechtsstreit in der Hauptsache sich eben nicht durch fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt hat. Einen zurückzuverweisenden Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht gibt es insoweit nicht. Denn nicht das Verfahren S 32 AS 677/08 ist mit dem Berufungsverfahren beim Sächsische Landessozialgericht rechtshängig geworden, sondern vorerst nur der im Verfahren S 32 AS 3164/09 WA geführte Rechtsstreit um die zu Recht oder zu Unrecht erfolgte Beendigung des ursprünglichen Klageverfahrens. Der Zwischenstreit über die Erledigung oder Fortsetzung des Verfahrens stellt insofern kein Rechtsmittel dar, sondern – vergleichbar mit einem Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG – einen außerordentlichen Rechtsbehelf und damit ein vom Ausgangverfahren zu differenzierendes, selbständiges Verfahren (vgl. BayLSG, Beschluss vom 12.07.2011, a.a.O., RdNr. 21).
Hieraus folgt, dass nur die gerichtliche Entscheidung in dem Verfahren S 13 AS 189/10 WA beim Landessozialgericht rechtshängig wurde, und nicht das Ausgangsverfahren S 32 AS 677/08, in dem eine gerichtliche Entscheidung gar nicht ergangen ist. Mit Rechtskraft der Entscheidung des Senates, den Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 aufzuheben und der Feststellung, dass das Ausgangsverfahren S 32 AS 677/08 - mangels Eintrittes der Klagerücknahmefiktion - vor dem Sozialgericht fortzuführen ist, entfällt die Rechtshängigkeit des im Berufungsverfahren allein rechtshängig gewesenen Fortsetzungsstreits. Die Rechtshängigkeit des Ausgangsverfahrens S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht war hingegen zu keinem Zeitpunkt entfallen, weil eine Erledigung i.S.d. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht eingetreten war. Daher hat das Sozialgericht von Amtswegen über das dort noch offene Verfahren zu entscheiden und der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert.
Die Kostenentscheidung bleibt indes der Endentscheidung im eigentlichen Streitverfahren der Beteiligten vorbehalten, weil der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel, sondern ein Zwischenstreit ist (vgl. SächsLSG, Urteilsbeschluss vom 01.12.2010, a.a.O.). Insofern folgt die Entscheidung über die Kosten der vom Sozialgericht zu Unrecht angenommenen Verfahrensbeendigung durch fiktive Klagerücknahme der Entscheidung in der Sache, was im Übrigen auch der Billigkeit entspricht.
Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Dr. Anders Brügmann Wagner
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Beendigung des ursprünglichen Klageverfahrens S 32 AS 677/08 durch fiktive Klagerücknahme. Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens waren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.04.2006 bis 30.09.2006.
Der 1966 geborene Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) beantragte erstmals am 17.12.2004 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, nachdem er zuvor Arbeitslosenhilfe bezogen hatte. Er gab an, im eigenen Haus mit einem Wohnflächenanteil von 40 qm und zwei Zimmern (bezugsfertig seit 1997) zu wohnen. In diesem Zusammenhang fand ein Hausbesuch statt, der die Angaben des Klägers bestätigte: der Rest des Hauses (insgesamt 100 qm) sei Baustelle. Jeweils auf Anforderung durch den Beklagten reichte der Kläger einige Nachweise zu den anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung ein, so im November 2005 einen Grundsteuerbescheid für 2004 und eine Schornsteinfegerrechnung vom 29.12.2004.
Auf den per Telefax gestellten Folgeantrag vom 24.04.2006, mit dem er angab, dass sich keine Änderungen in den Verhältnissen ergeben hätten, wurden dem Kläger mit Bescheid vom 26.04.2006 für den Zeitraum 01.04.2006 bis 30.09.2006 monatliche Leistungen bewilligt, zuletzt wegen Änderung der Regelleistung ab Juli 2006 mit Änderungsbescheid vom 21.06.2006 für die Zeit bis September 2006 monatliche Leistungen i.H.v. 504,58 EUR. Dabei wurden ab Mai 2006 eine monatliche Pauschale für Heizkosten geleistet und insgesamt Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. monatlich 159,58 EUR anerkannt. Aufgrund eines Bewerbungsvorschlags der Arbeitsvermittlung wurde der Kläger am 22.05.2006 in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) abgemeldet. Er teilte am 02.06.2006 mit, dass er ab 10.05.2006 eine Anstellung habe. Am 08.07.2006 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 21.06.2006 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen.
Am 07.02.2007 ermittelte der Beklagte telefonisch, dass das vom Kläger in der ABM vom 10.05.2006 bis 31.08.2006 erzielte Arbeitseinkommen im Mai 2006 brutto 563,48 EUR und netto 458,39 EUR betrug. Von Juni bis August 2006 hatte der Kläger ein Bruttoarbeitseinkommen von 810,00 EUR erzielt, davon im Juni 658,53 EUR netto und im Juli und August 657,31 EUR netto. Die Zahlungen seien jeweils am Dritten des Folgemonats erfolgt.
Nach vorheriger Anhörung erließ der Beklagte am 15.03.2007 einen Änderungsbescheid, mit dem für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.09.2006 jeweils monatliche Leistungen in unterschiedlicher Höhe bewilligt wurden, weil das vom Kläger in einer ABM erzielte Einkommen nach § 11 SGB II auf die Leistungen anzurechnen sei. Zugleich wurde mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid die Bewilligungsentscheidung vom 26.04.2006 für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.09.2006 teilweise aufgehoben und Leistungen i.H.v. 1.516,24 EUR zurückgefordert. Dagegen legte der Kläger am 24.03.2007 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen, der mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 zurückgewiesen wurde.
Dagegen hat der Kläger am 24.01.2008 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben (S 32 AS 677/08) und vorgetragen, das geltend gemachte Rückzahlungsbegehren sei unbegründet, weil die Mittel verbraucht und ihm auch keine Mittel verfügbar seien. Ein Verschulden liege nicht vor, da der ARGE die Einkommensverhältnisse aus eigenem Anlass sowie durch ihn selbst bekannt gewesen seien. Außerdem sei die Berechnung im Bescheid, insbesondere das dargestellte Einkommen, nicht nachvollziehbar. Eine entsprechende Beratung oder Aufklärung von Sachverhalten durch das Sozialgericht Dresden oder des Beklagten hätten auch auf Antrag bislang in keinem Fall stattgefunden. Der Widerspruchsbescheid sei ihm am 27.12.2007 zugestellt worden. Dem ist der Beklagte entgegen getreten.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 02.05.2008 ist der Kläger aufgefordert worden, anzugeben, warum er das ab 10.05.2006 erzielte Einkommen nicht regelmäßig der ARGE mitgeteilt habe, obwohl er mit Schreiben vom 22.04.2006 aufgefordert worden sei, Einkommenserklärungen vorzulegen. Ferner ist er zur Stellungnahme zum den Brutto- und Nettolöhnen im streitigen Zeitraum aufgefordert worden. An die Erledigung dieses Schreibens ist der Kläger mit gerichtlichen Schreiben vom 17.07.2008, vom 01.07.2008 und vom 18.08.2008 erinnert worden. Am 01.10.2008 ist eine auf § 102 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützte Betreibensaufforderung ergangen, die von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts unterschrieben und dem Kläger per Einschreiben/Rückschein zugestellt wurde. Das ungeöffnete Schreiben gelangte nach Ablauf der Frist am 15.10.2008 zur Gerichtsakte zurück.
Am 27.10.2008 ist abermals eine von der Geschäftsstelle "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnete Betreibensaufforderung versandt und dem Kläger am 28.10.2008 zugestellt worden. Am 03.11.2008 hat der Kläger per Fax mitgeteilt, dass er das Verfahren weiter betreiben möchte, und weitere Informationen in der Rechtssache bis zum 02.12.2008 in Aussicht gestellt. Mit Schreiben vom 13.01.2009, das dem Kläger am 14.01.2009 zugestellt wurde, ist daran erinnert worden, dass der Betreibensaufforderung vom 28.10.2008 noch nicht genügt sei und immer noch die angeforderten Unterlagen fehlten. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn der Betreibensaufforderung nicht bis zum 28.01.2009 Genüge getan sei.
Mit Schreiben vom 31.01.2009, beim Sozialgericht eingegangen am 02.02.2009, hat der Kläger mitgeteilt, dass die Wahrnehmung des Umgangs mit seinem Kind Kosten verursache, die im Bewilligungsbescheid nicht berücksichtigt worden seien. Es ergehe daher der Antrag, den Bescheid entsprechend abzuändern. Die Brutto- und Nettoangaben vom 10.03.2006 bis 31.08.2006 entsprächen den Tatsachen. Der Beklagte sei von Amts wegen und zusätzlich durch ihn selbst von der Aufnahme der Tätigkeit in Kenntnis gesetzt worden. Dem Beklagten sei "vorzuwerfen, in seiner Eigenschaft als Förderer des Maßnahmeträgers im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften hier zu verpflichten, gesicherte Informationen zu den Einkommen der durch die Maßnahme geförderten Beschäftigung erlangt [zu] haben". Abzusetzende Beträge von dem Einkommen, z. B. gemäß § 3 Alg II-Verordnung, seien nicht berücksichtigt worden. Auch insoweit sei der Bescheid abzuändern. Dessen ungeachtet seien etwaige Rückforderungen ausgeschlossen, weil die Mittel verbraucht seien. Verschulden liege nicht vor, da die Einkommensverhältnisse aus eigenem Anlass sowie durch den Kläger bekannt gewesen seien.
Am 04.02.2009 hat der damals zuständige Richter die "Schlussbehandlung Klagerücknahme" und ein Begleitschreiben an die Beteiligten verfügt, dass die Klage als zurückgenommen gelte, weil die weiteren Erklärungen des Klägers erst nach Fristablauf eingegangen seien. Die gegen den Richter gerichteten Befangenheitsanträge des Klägers u.a. im Verfahren S 32 AS 677/08 hat das Sächsische Landessozialgericht mit Beschluss vom 01.04.2009 (L 4 SF 12/09 AB) verworfen.
Auf die gerichtliche Anfrage vom 08.04.2009, ob das Verfahren fortgesetzt werden solle, hat der Kläger nicht reagiert. Das Verfahren ist sodann unter dem Az. S 32 AS 3164/09 WA fortgeführt worden, was den Beteiligten mit Schreiben vom 03.07.2009 mitgeteilt worden ist. Zugleich ist zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid angehört worden. Damit hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 17.07.2009 einverstanden erklärt.
Mit Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 hat das Sozialgericht Dresden entschieden, das die Klage als zurückgenommen gelte und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. In den Gründen wird im Wesentlichen ausgeführt, nachdem das Gericht die Klage als zurückgenommen behandelt und der Kläger sich gegen diese Sachbehandlung gewehrt hätte, habe das Gericht nur darüber zu entscheiden, ob die Klage als zurückgenommen gelte. Die Klage gelte als zurückgenommen. Dies sei durch Urteil festzustellen. Der Tatbestand des § 102 Abs. 2 SGG sei erfüllt. Das Gericht habe den Kläger mit Betreibensaufforderung vom 27.10.2008, zugestellt am 28.10.2008, aufgefordert, die bereits mit gerichtlichem Schreiben angeforderten Erklärungen über seinen Lohnzufluss, die der Kammer für eine Sachentscheidung notwendig erschienen, abzugeben. Der Kläger sei in der Betreibensaufforderung auf die Rechtsfolge des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG hingewiesen worden. Das Gericht habe auch zu dem Mittel der Betreibensaufforderung greifen dürfen, weil aus dem bisherigen Verfahrensverlauf, insbesondere dem Nichtreagieren auf die gerichtlichen Anfragen, hinreichende Anhaltspunkte für einen Wegfall des klägerischen Rechtsschutzinteresses erwachsen seien. Auf diese Aufforderung habe der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG reagiert. Insbesondere stelle sein Schreiben vom 01.11.2008 kein hinreichendes Betreiben dar. Er sei nochmals darauf hingewiesen worden, dass die Frist am 28.01.2009 ablaufe. Der Eingang des weiteren klägerischen Schriftsatzes am 31.01.2009 sei daher verfristet gewesen.
Gegen den ihm am 22.07.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24.08.2009 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, weder der Beklagte, noch das Sozialgericht seien substantiell amtlichen eigenen Ermittlungen nachgekommen und er verweise auf seine Schriftsätze sowie auf die Akte zum streitigen Verfahren.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21. 07.2009 aufzuheben und festzustellen, dass das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht Dresden geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die Leistungsakten des Beklagten (zwei Bände, Blatt 1-491) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Daher ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21.07.2009 aufzuheben und festzustellen, dass das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 21.07.2009 ist statthaft und zulässig, §§ 143, 144, 151 SGG. Offen bleiben kann hier, ob die Beschränkungen der Berufung in § 144 SGG Anwendung finden oder nicht (bejahend: Beschluss des Senats vom 01.12.2010 – L 7 AS 524/09, RdNr. 22; verneinend: LSG Sachsen-Anhalt; Urteil vom 30.08.2012 – L 2 AS 132/12, RdNr. 14; LSG Rhld.-Pf., Urteil vom 21.08.2012 – L 2 AS 133/12, RdNr. 30; alle zitiert nach Juris). Denn vorliegend ist Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens S 32 AS 677/08 u.a. ein Rückforderungs- und Erstattungsbescheid, mit dem Leistungen in Höhe von 1.516,24 EUR zurückverlangt werden, so dass die Berufungssumme von 750,00 EUR gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Weiteres erreicht wird.
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die Feststellung des Sozialgerichts in seinem Gerichtsbescheid vom 21.07.2009, das Verfahren sei durch fiktive Klagerücknahme beendet, ist unzutreffend. Daher ist das ursprüngliche Verfahren S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht fortzusetzen.
Streitig ist vorliegend allein, ob die vom Sozialgericht angenommene fiktive Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG das Verfahren S 32 AS 677/08 beendet hat.
Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG, der mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) zum 01.04.2008 auch in die in der Sozialgerichtsbarkeit anzuwendende Prozessordnung eingeführt wurde, gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. § 102 Abs. 1 SGG gilt entsprechend (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGG) und der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergebenden Rechtsfolgen für eine etwaige Kostenentscheidung hinzuweisen (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGG). Als sog. ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt der Entschluss des Richters, an einen rechtschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten eine Betreibensaufforderung zu richten, voraus, dass im Einzelfall das Verhalten des Beteiligten hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (so zu den Vorgängervorschriften in § 92 Abs. 2 VwGO und § 81 Asylverfahrensgesetz: BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95, RdNr. 17; zu § 102 Abs. 2 SGG ausführlich: BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 102 RdNr. 8a; Bienert, Die Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG, NZS 2009, 554, 555f.). Hierfür müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen.
Wegen des strengen Ausnahmecharakters der Regelung (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.04.2011 – L 9 SO 48/09; BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 AS 74/09 R, RdNrn. 44, 45, m.w.N.) und wegen der gravierenden Rechtsfolgen für den Rechtschutzsuchenden sind beim Ergehen einer Betreibensaufforderung in formeller Hinsicht strikte Anforderungen einzuhalten, die dem Beteiligten, der zum Betreiben des gerichtlichen Verfahrens angehalten werden soll, die Ernsthaftigkeit der Aufforderung deutlich vor Augen führt. Daher setzt eine Rücknahmefiktion den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus. Eine formell ordnungsgemäße Betreibensaufforderung muss nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der richterlichen Aufforderung muss durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters erkennen lassen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 01.12.2010, a.a.O., RdNr. 26, m.w.N.; so auch LSG Bad.-Württ., Urteil vom 12.07.2011 – L 11 KR 1429/11, RdNr. 27; BayLSG, Urteil vom 12.07.2011 – L 11 AS 582/10, RdNr. 17). Damit wird dem betreffenden Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht, dass die Aufforderung vom zuständigen Richter, der sich mit der Streitsache befasst hat, ausgeht und dass dem unbedingt Folge zu leisten ist, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. Dadurch unterscheidet sich die richterliche Betreibensaufforderung schon in ihrer äußeren Form von anderen, sonstigen Mitteilungen des Gerichts in laufenden Verfahren, bei denen eine fehlende Reaktion eines Verfahrensbeteiligten folgenlos bleibt. Die Betreibensaufforderung ist zudem zuzustellen, wodurch die dreimonatige Frist erst in Lauf gesetzt wird. Nur die Einhaltung dieser Förmlichkeiten rechtfertigt den Eintritt der in § 102 Abs. 2 SGG gesetzlich vorgesehenen Rechtswirkungen, die eine Verfahrensbeendigung ohne ausdrückliche Willenserklärung der Prozesspartei zur Folge hat.
Eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung ist hier nicht erfolgt. Das Schreiben vom 27.10.2008 ist von der Justizangestellten der Geschäftsstelle "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnet worden. Eine Unterschrift des Richters trug die an den Kläger gerichtete Betreibensaufforderung vom 27.10.2008 nicht. Ein lediglich mit dem Zusatz "Auf richterliche Anordnung" durch eine Justizangestellte unterzeichnetes gerichtliches Schreiben kann eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf setzen (vgl. auch Urteilsbeschluss des Senats vom 01.12.2010 – L 7 AS 524/09, RdNr. 26, m.w.N.). Schon dieser Mangel führt vorliegend dazu, dass der damalige Kammervorsitzende des Sozialgerichts am 04.02.2009 zu Unrecht die Schlussbehandlung des Verfahrens wegen des Eintrittes der Klagerücknahmefiktion verfügt hat, womit sich die Feststellung des Sozialgerichts in dem mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid, dass die Klage als zurückgenommen gelte, als unzutreffend erweist. Der Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 ist somit aufzuheben.
Bei dieser Sachlage kann vorliegend offen bleiben, ob das Verhalten des Klägers im Klageverfahren beim Sozialgericht ausreichende Anhaltspunkte für begründete Zweifel am fortbestehenden Rechtschutzinteresse lieferte, die es rechtfertigten, eine die Fiktion der Klagerücknahme auslösende Betreibensaufforderung zu erlassen. Ernsthafte Bedenken hat der Senat insoweit nicht. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob der Kläger mit seiner innerhalb der Drei-Monatsfrist seit Zustellung des Schreibens vom 27.10.2008 eingegangnen Stellungnahme vom 11.11.2008, dass er das Verfahren weiter betreiben möchte, und mit der er weitere Informationen in Aussicht gestellt hat, das Verfahren tatsächlich betrieben haben könnte.
Infolge der Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts in der Sache S 32 AS 3164/09 WA ist das ursprüngliche Verfahren beim Sozialgericht ohne Weiteres fortzusetzen und in der Sache zu entscheiden.
Einer gesonderten Zurückverweisung im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bedarf es nicht (so aber ohne Begründung: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.07.2012 – L 7 AS 776/11, RdNr. 28; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2011 – L 3 AS 74/10; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 12.07.2011, a.a.O., RdNr. 28; LSG Berlin-Brandenburg; Urteil vom 19.05.,2011 – L 13 SB 32/11, RdNr. 26; LSG NRW, Urteil vom 20.04.2011, a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.06.2010 - L 5 AS 217/10; BayLSG, Urteil vom 08.12.2009 – L 5 R 884/09; zum Revisionsverfahren BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R; zu § 92 Abs 2 VwGO: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2010 - OVG 10 B 2.10; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.10.2005 - 1 L 40/05). Vielmehr ist lediglich festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit – nämlich hier das Verfahren S 32 AS 677/08 – (von Amts wegen) vor dem Sozialgericht fortzuführen ist (wie hier: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2012 – L 2 AS 132/12; LSG Rhld.-Pf., Urteil vom 21.08.2012, a.a.O.; BayLSG, Urteile vom 02.02 ...2012 – L 11 AS 339/11 und vom 12.07.2011, a.a.O., LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2011 – L 9 AS 61/10, RdNr. 36), weil der Rechtsstreit in der Hauptsache sich eben nicht durch fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt hat. Einen zurückzuverweisenden Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht gibt es insoweit nicht. Denn nicht das Verfahren S 32 AS 677/08 ist mit dem Berufungsverfahren beim Sächsische Landessozialgericht rechtshängig geworden, sondern vorerst nur der im Verfahren S 32 AS 3164/09 WA geführte Rechtsstreit um die zu Recht oder zu Unrecht erfolgte Beendigung des ursprünglichen Klageverfahrens. Der Zwischenstreit über die Erledigung oder Fortsetzung des Verfahrens stellt insofern kein Rechtsmittel dar, sondern – vergleichbar mit einem Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG – einen außerordentlichen Rechtsbehelf und damit ein vom Ausgangverfahren zu differenzierendes, selbständiges Verfahren (vgl. BayLSG, Beschluss vom 12.07.2011, a.a.O., RdNr. 21).
Hieraus folgt, dass nur die gerichtliche Entscheidung in dem Verfahren S 13 AS 189/10 WA beim Landessozialgericht rechtshängig wurde, und nicht das Ausgangsverfahren S 32 AS 677/08, in dem eine gerichtliche Entscheidung gar nicht ergangen ist. Mit Rechtskraft der Entscheidung des Senates, den Gerichtsbescheid vom 21.07.2009 aufzuheben und der Feststellung, dass das Ausgangsverfahren S 32 AS 677/08 - mangels Eintrittes der Klagerücknahmefiktion - vor dem Sozialgericht fortzuführen ist, entfällt die Rechtshängigkeit des im Berufungsverfahren allein rechtshängig gewesenen Fortsetzungsstreits. Die Rechtshängigkeit des Ausgangsverfahrens S 32 AS 677/08 beim Sozialgericht war hingegen zu keinem Zeitpunkt entfallen, weil eine Erledigung i.S.d. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht eingetreten war. Daher hat das Sozialgericht von Amtswegen über das dort noch offene Verfahren zu entscheiden und der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert.
Die Kostenentscheidung bleibt indes der Endentscheidung im eigentlichen Streitverfahren der Beteiligten vorbehalten, weil der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel, sondern ein Zwischenstreit ist (vgl. SächsLSG, Urteilsbeschluss vom 01.12.2010, a.a.O.). Insofern folgt die Entscheidung über die Kosten der vom Sozialgericht zu Unrecht angenommenen Verfahrensbeendigung durch fiktive Klagerücknahme der Entscheidung in der Sache, was im Übrigen auch der Billigkeit entspricht.
Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Dr. Anders Brügmann Wagner
Rechtskraft
Aus
Login
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