L 1 KR 242/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 2481/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 242/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Aus § 28r Abs. 1 SGB IV kann ein Vesicherungsträger keinen fiktiven Verzugszinsschadensanspruch gegen die Einzugsstelle geltend machen.
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Geldzahlung als Schadensersatz aufgrund entgangener Zinsen.

Die Bundesagentur für Arbeit führte in der Zeit vom 31. Juli 2006 bis zum 11. August 2006 beim Rechtsvorgänger der Beklagten Vereinigte IKK eine Prüfung gemäß § 28q Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV; Einzugsstellenprüfung) für den Zeitraum 1. Januar 2004 bis zum 31. Mai 2006 durch. Die Beklagte ist nunmehr (nach den Zwischenstationen Signal Iduna BKK, einer Namensänderung wieder in Vereinigte IKK) durch Fusion in der IKK Classic aufgegangen (nachfolgend nur noch: "die Beklagte"). Nach § 28q Abs. 1 Satz 1 SGB IV soll mit einer solchen Prüfung kontrolliert werden, ob die Einzugsstellen, die Aufgaben, für welche sie eine Vergütung nach § 28l Abs. 1 SGB IV erhalten, ordnungsgemäß erfüllen. Die Prüfung wurde gemeinsam mit der Klägerin und der Deutschen Rentenversicherung Westfalen durchgeführt. Als Ergebnis ("Prüfmitteilung") schrieb die Bundesagentur für Arbeit am 19. Dezember 2006 an die Beklagte, dass diese in zahlreichen Fällen den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach Insolvenz gemäß § 208 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung ( nachfolgend nur noch: "alte Fassung" = "a.F."; seit 1. April 2012 gleichlautend § 175 SGB III) nicht in der üblicherweise zumutbaren Frist von drei Monaten geltend gemacht zu haben. In Folge der dadurch verzögerten Weiterleitung der Beiträge sei den Fremdversicherungsträgern ein finanzieller Nachteil entstanden. Es habe sich bereits ein Zinsschaden in Höhe von ca. 28.000,00 EUR ergeben. Da eine vollständige Überprüfung sämtlicher Insolvenzgeldfälle aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, sei während der Prüfung Einigung darüber erzielt worden, dass die Beklagte als Ausgleich für die verspätete Weiterleitung der Beiträge den Beteiligten Fremdversicherungsträgern einen Betrag in Höhe von 40.000,00 EUR zahle. Damit seien alle bis 31. Mai 2006 verspätet angerechneten Fälle abgegolten. Von diesem Betrag entfielen auf die deutsche Rentenversicherung Westfalen 11.240,00 Euro, die Klägerin 18.728,00 Euro sowie die Bundesagentur für Arbeit 10.032,00 Euro. Der Prüfmitteilung war eine Auflistung von Betrieben in Insolvenz beigefügt, bei welchen die Zahlung von Insolvenzgeld-Gesamtsozialversicherungsbeiträgen verspätet erfolgt sein soll. Die Beklagte lehnte gegenüber der Klägerin außergerichtlich eine Zahlung ab.

Am 21. November 2008 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Die Beklagte sei zur Zinszahlung nach § 28r Abs. 1 Satz 2 SGB IV wegen der verspäteten Beantragung von Pflichtbeiträgen nach § 208 Abs. 1 SGB III a.F. verpflichtet. Geltend gemacht werde ihr Zinsanteil gemäß der Aufstellung in der Prüfmitteilung. Die Beklagte habe als Einzugsstelle den Antrag auf Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages nach einem Insolvenzfall zu spät gestellt. Dies sei nicht mit ihren Verpflichtungen nach § 28h Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB IV zu vereinbaren, auch wenn eine Pflicht zur Antragstellung nicht wörtlich aus dem Gesetzestext das § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV folge. Andernfalls stünde es der Einzugsstelle frei, den für Geltendmachung der Beitragsansprüche § 208 Abs. 1 SGB III a.F. nach § 323 Abs. 1 SGB III notwendigen Antrag beliebig zu verzögern. Die Einzugsstelle müsse die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages überwachen (§ 28h Abs. 1 Satz 2 SGB IV) und nicht rechtzeitig erfüllte Beitragsansprüche geltend machen (§ 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV). Aufgrund § 76 Abs. 1 SGB IV müsse dies rechtzeitig und vollständig erfolgen. Weiter habe der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren einige Regelungen getroffen, um die Bereitstellung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages zu beschleunigen. Einer angemessenen Bearbeitungszeit habe die Klägerin dadurch Rechnung getragen, dass Zinsen erst für die Zeit von drei Monaten nach dem jeweiligen Insolvenzereignis an geltend gemacht würden. Die Antragsfrist von zwei Monaten in der Vorgängervorschrift des § 141e Abs. 1 Satz 2 AFG sei nur zur Verwaltungsvereinfachung vom Gesetzgeber gestrichen worden. Da die Einzugstelle nach § 28k Abs. 1 Satz 1 SGB IV verpflichtet sei, Beiträge einschließlich Zinsen und Säumniszuschlägen an die Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit arbeitstäglich weiterzuleiten, sei im Umkehrschluss der Antrag nach § 208 SGB III a.F. innerhalb von drei Monaten zu stellen. Auch im Umkehrschluss zu § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei zu folgern, dass eine Antragstellung der Einzugsstelle innerhalb von drei Monaten zu erfolgen habe. Diese Frist sei auch vor dem Hintergrund als angemessen anzusehen, dass ein Arbeitnehmer für die Beantragung von Insolvenzgeld grundsätzlich nur eine Frist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis eingeräumt werde, § 324 Abs. 3 Satz 1 SGG III. Beim Anspruch nach § 208 SGB III a.F. handele es sich um einen von Leistungsansprüchen der Leistungsempfänger unabhängigen Beitragsanspruch. So verweise bereits § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. direkt auf § 28d SGB IV. Das BSG habe bereits im Urteil vom 14. August 1984 (10 RAr 18/83) klar gestellt, dass die Beitragsentrichtung nach § 141n AFG im Gegensatz zu Konkursausfallgeld nach § 141b AFG keine eigenständige Sozialleistung darstelle. Es liege auch eine Pflichtverletzung der Beklagten nach § 28r i.V.m. § 28h Abs. 1 SGB IV vor. Bei Vorliegen eines Insolvenzereignisses könnten die Einzugsstellen aufgrund der vorliegenden Beitragsnachweise die Höhe der rückständigen Pflichtbeiträge für den Insolvenzgeldzeitraum schätzen und diesen Schätzbetrag gegenüber den Agenturen für Arbeit nach § 208 Abs. 1 SGB III a.F. als Abschlag geltend machen. Die Bundesagentur für Arbeit zahle Abschlagszahlungen aufgrund Nr. 6 Abs. 7 der DA zu § 208 SGB III, sofern sie nicht sofort abschließend über den Antrag der Einzugsstelle entscheiden könne. Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt. Die für den Beitragseinzug zuständigen Mitarbeiter der Beklagten hätten im Rahmen der Beitragsüberwachung nach § 28h Abs. 1 Satz 2 SGB IV zwangsläufig positiv Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeber gehabt. Die Forderungshöhe sei schlüssig dargelegt worden. Die Zinsberechnung beziehe sich auf insolvente Arbeitgeber, bei denen die Voraussetzungen des § 208 Abs. 1 SGB III a.F. erfüllt gewesen seien und die Beantragung der Beiträge durch die Beklagte zu spät erfolgt sei. Da eine vollständige Überprüfung sämtlicher Insolvenzgeldfälle der geprüften Stelle der Beklagten während der Prüfung nach § 28q SGB IV nicht möglich gewesen sei, sei der für die beanstandeten Einzelfälle ermittelte Zinsbetrag nach § 28r Abs. 1 Satz 2 SGB IV auf einen Forderungsbetrag von 40.000,00 Euro hochgerechnet worden. Verjährung sei nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist habe frühestens zu dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu welchem das pflichtwidrige Unterlassen als Dauerzustand beendet gewesen sei und die Anträge jeweils gestellt worden seien. Gemäß § 25 Abs. 2 SGB IV trete Hemmung der Verjährung ein, soweit Verhandlungen stattgefunden hätten. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 13.124,91EUR zu verurteilen.

Die Beklagte hat Verjährungseinrede erhoben. Sie habe nichts anerkannt. Sie habe nicht gegen Pflichten nach § 28r SGB IV verstoßen. Die Ansprüche nach § 208 SGB III a.F. seien wie das Insolvenzgeld selbst keine Beiträge im Sinne der §§ 28d bis 28r SGB IV sondern Sozialleistungen im Sinne des § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und nach § 3 SGB III. § 208 SGB III a.F. könne auch keine Frist für die Einzugsstellen entnommen werden. Eine solche Frist ergebe sich auch nicht aus dem Handlungsgebot des § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV bzw. aus Sinn und Zweck des § 208 SGB III a.F ... Das Gesetz kenne ferner keine Pflicht der Einzugsstelle zur Geltendmachung von Abschlagszahlungen. § 208 SGB III a.F. verweise nur auf § 184 SGB III a.F. und nicht auch auf § 186 SGB III a.F, der die Gewährung eines Vorschusses auf das Insolvenzgeld an den Arbeitnehmer in das Ermessen der Agentur für Arbeit stelle. Sie habe auch nicht schuldhaft gehandelt. Sie habe keine Frist übersehen und keine Bearbeitungsfehler begangen. Ein pauschalierter Schadensersatzanspruch in Gestalt entgangener Zinsen bestehe nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann, wenn die Einzugsstelle das eingezogene Kapital zur Verfügung gehabt habe und selbst habe Zinseinkünfte beziehen können. Der Schaden werde bestritten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010 abgewiesen. Die Beklagte habe keine Pflicht nach § 28r Abs. 1 SGB IV verletzt. Sie habe nicht gegen eine ihr nach diesem, also dem dritten, Abschnitt des SGB IV auferlegten Pflicht verstoßen. Sie habe insbesondere nicht gegen die ihr nach § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV auferlegte Pflicht, "Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, ( ) geltend zu machen", verstoßen. Diese Vorschrift verpflichte die Einzugsstellen lediglich zur Geltendmachung "nicht rechtzeitig erfüllter", also entstandener und fälliger Beitragsansprüche (Bezugnahme auf Sehnert in: Hauck/Noftz, K § 28h SGB IV Randnr. 6; Seewald in Kassler Kommentar, § 28h SGB IV Randnr. 6). Der Anspruch im Sinne des § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. entstehe gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3, 323 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV erst "auf Antrag" der Einzugstelle. Aus § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV lasse sich auch nicht im Wege der Auslegung herleiten, dass die Einzugsstelle verpflichtet sei, innerhalb einer bestimmten Frist den Antrag nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. zu stellen. Dem Wortlaut des § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV lasse sich dies nicht entnehmen. § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. verpflichte die Einzugsstelle auch nicht, einen Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit zu stellen. Auch bestimme § 208 Abs. 1 SGB III a.F. keine Frist sondern verweise nur auf § 323 Abs. 1 Satz 1 SGB III, hingegen nicht auf § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Der fehlende Verweis beruhe auch nicht auf einem Versehen. Der Gesetzeber habe die Zweimonats-Frist, welche im §§ 141n Abs. 1 Satz 3 AFG, 141e Abs. 1 Satz 2 enthalten gewesen sei, mit der Begründung gestrichen, dass die Antragsfrist ihrer Bedeutung verloren habe und das Verwaltungsverfahren vereinfacht werden solle (Bezugnahme auf BT-Drucksache 12/6719 S. 17). Eine Dreimonats-Frist nach dem Insolvenzereignis zur Stellung des Antrages nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. folge auch nicht aus § 88 Abs. 2 SGG und § 76 Abs. 1 SGB IV. Die Annahme, es gebe insoweit einen einheitlichen Regelungsplan sei verfehlt. Auch verpflichte § 76 Abs. 1 SGB IV die Einzugsstellen lediglich dazu, bereits entstandene und fällige Forderungen zu verwirklichen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Es dürfe nicht sein, dass der Einzugsstelle freigestellt sei, ob und wann ein Antrag nach § 208 SGB III a.F. gestellt werde. Damit sei ein nicht hinnehmbarer Beitragsausfall für die Rentenversicherung und die Bundesagentur verbunden.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.124,91 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, Fristen müssten vom Gesetz eindeutig formuliert seien.

Auf die Prüfmitteilung samt ihren Anlagen sowie auf die von dem Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ob dabei dem SG zu folgen ist, dass sich die Beklagte hier bereits deshalb nicht schadensersatzpflichtig nach § 28r SGB IV gemacht hat, weil die Pflicht, Insolvenzgeld-Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 208 SGB III a. F. (nunmehr § 175 SGB III) nicht zu denjenigen gehört, auf die § 28r SGB IV verweist (a. A. -soweit ersichtlich nur- Segebrecht, in: Juris Praxis-Kommentar SGB IV § 28r Randnr. 22 ohne jede Begründung), kann dahingestellt bleiben.

Das SG hat jedenfalls richtig ausgeführt, dass es auch keine einschlägige gesetzliche Antragsstellungsfrist (mehr) gibt. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verweist der Senat auf die zutreffende Begründung im angegriffenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Berufungsvorbringen der Klägerin gibt zu einer geänderten rechtlichen Einschätzung kein Anlass.

Der Klage muss vielmehr auch unabhängig hiervon der Erfolg versagt werden:

Die Klägerin macht hier keinen "normalen" Schadensersatz geltend. Die Verzögerung sollen nicht zu Beitragsausfällen geführt haben, sondern nur zu verzögerten Beitragseingängen. Sie reklamiert damit einen Verzögerungsschaden und will -fiktiv- so gestellt werden, als ob sie die Beiträge "rechtzeitig" erhalten hätte. Ein solcher Schaden wird gemeinhin als Verzugsschaden bezeichnet.

Nach allgemeinen Grundsätzen kann zwar nach § 280 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Gläubiger Ersatz des entstandenen Schadens verlangen, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Allerdings gilt aber speziell für den Schadensersatz für Leistungsverzögerungen nach § 280 Abs. 2 BGB, dass dieser nur bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB verlangt werden kann, also nur bei Verzug.

Für Verzug bedarf es nach § 286 Abs. 1 BGB im Regelfall einer Mahnung.

Den allgemeinen Regeln des BGB vorrangige sozialgesetzliche Vorschriften existieren nicht. Ob der Auffassung der Beklagten, § 28r Abs. 2 SGB IV schließe Verzugszinsen in allen Fällen außer dem dort ausdrücklich geregelten (der verspäteten Weitergabe tatsächlich vereinnahmter Beiträge) aus, braucht hierbei nicht entschieden zu werden. Dieser Norm kommt jedenfalls nicht die gegenteilige Funktion zu, in Verdrängung der allgemeinen Regeln die Geltendmachung von Verzugszinsen zu erleichtern.

Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sozialversicherungsrecht, dass öffentlich-rechtliche Forderungen bei verspäteten Leistungen generell zu verzinsen sind, gibt es nicht. Weder aus § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) noch aus § 27 Abs 1 SGB IV ist für den Bereich des Sozialrechts eine allgemeine Verpflichtung zur Verzinsung rückständiger Geldleistungen oder speziell von Beitragserstattungsansprüchen herzuleiten. Die Verzinsungspflicht bezieht sich ausdrücklich nur auf Ansprüche auf soziale Geldleistungen und auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge. Das Gesetz weist insofern auch keine Regelungslücke auf. Vielmehr sind die Verzinsungsregelungen bewusst auf einzelne Ansprüche beschränkt worden (so wörtlich BSG, Urt. v. 24. März 1983 –L 1 RJ 92/81- Juris-Randnr. 23 unter Bezugnahme auf BSGE 49, 227, 228 f).

Die Ausnahmefälle nach dem BGB für Verzug ohne Mahnung scheiden hier alle aus:

Im Streit steht weder eine Entgeltforderung nach § 286 Abs. 3 BGB, noch hat die Beklagte die Leistungen – also die Beitragsweiterleitung nach Antrag und dessen Bescheidung und Erfüllung – ernsthaft und endgültig verweigert (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Für die Leistungen ist auch weder eine Zeit nach dem Kalender bestimmt gewesen, noch hatte ihnen ein Ereignis vorauszugehen und war eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen hat lassen (Nr. 1 und 2 des vorgenannten Absatzes des § 286 BGB). Zwar könnte das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 SGB III a. F. als ein Ereignis in diesem Sinne angesehen werden, eine ausdrückliche Frist gibt es –wie vom SG richtig ausgeführt – jedoch nicht.

Die Klägerin hat die Beklagte hier nicht gemahnt, so dass ein Verzugsschaden bis zur Leistung nicht fällig geworden ist.

Darüber hinaus kann weiter auch bei einer (im Folgenden unterstellter) Verletzung einer Pflicht nach § 28r SGB IV nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, wie dies Voraussetzung wäre:

Ein pflichtwidriges Verzögern könnte nur erfolgt sein, wenn die Beklagte trotz Kenntnis eines Insolvenzereignisses oder fahrlässiger Unkenntnis Anträge unterlassen hätte. Soweit die Klägerin vorträgt, die Einzugsstellen hätten bereits Kenntnisse über Zahlungsunfähigkeit, soweit sie Beitragsrückstände feststellten, zeigt dies eine Kausalität nicht hinreichend auf.

§ 183 Abs. 1 SGB III a. F. (nunmehr § 165 Abs.1 SGB III) enthält die Legaldefinition für "Insolvenzereignis". Ein solches setzt entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers voraus (Nr. 1), oder die Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr. 2) oder die vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3).

Die Einzugsstelle ist nur dann Adressatin von Entscheidungen des Insolvenzgerichts nach den Nummern 1 und 2, wenn sie selbst den Insolvenzantrag gestellt hat. Sie ist ansonsten auf anderweitige Kenntnis angewiesen. Die Bejahung eines Insolvenzereignisses nach Nr. 3 setzt eine Rechtsprüfung und Kenntnisse der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers voraus, für die eine mutmaßliche Zahlungsunfähigkeit, die sich in Beitragsrückständen zeigt, nur ein Anhaltspunkt sein kann. Soweit ein Arbeitgeber beispielsweise zahlungsunwillig ist, kann von der Nichtzahlung nicht ohne Weiteres auf Zahlungsunfähigkeit, geschweige denn auf eine solche Überschuldung geschlossen werden, dass die Masse für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens nicht ausreicht. Die Klägerin beruft sich hier (nur) auf die Tabelle in der Prüfmitteilung der Bundesagentur, die nur das Datum des jeweiligen Insolvenzereignisses nennt und nicht näher erläuterte sowie Tage des angenommenen Zinsbeginns. Da die Klage bereits aus anderen Gründen erfolglos bleibt, verzichtet der Senat darauf, die Klägerin im Rahmen der ihr als Träger obliegenden Mitwirkungspflicht zur Darlegung der näheren Umstände aufzufordern.

Ein pflichtwidriges Verhalten, das zu Verzögerungsschäden geführt hat, setzt weiter voraus, dass andere Ursachen für die Verzögerung, die nicht der Einzugsstelle zuzurechnen sind, ausscheiden. Die (unterstellten) Pflichtverletzungen endeten jeweils spätestens mit der (verspäteten) Antragstellung. Soweit in der Aufstellung in der Prüfmitteilung auch Zinsen für den Zeitraum zwischen Antragstellung und Zahlung durch die Bundesagentur enthalten sind, ist ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang nicht mehr feststellbar. Selbst wenn man unterstellte, dass die Beklagte grundsätzlich schadensersatzpflichtig sei, hätte sie nur den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB).

Die Klägerin unterstellt auch einfach, dass die Bundesagentur einen früher gestellten Antrag entsprechend früher beschieden hätte. Dies ist aber eine reine Mutmaßung, die ausblendet, dass an die Zahlung von Insolvenzgeld an die oben dargestellten Voraussetzungen geknüpft ist, deren Vorliegen die Bundesagentur zu prüfen hat. Diese entscheidet durch Verwaltungsakt (so BSG bereits mit Urt. v. 12.12.1984 -10 RAr 7/83- SozR 4100 § 141n Nr. 10 S. 25f zur Vorgängervorschrift im AFG).

Zuletzt greift – zusätzlich – auch die Verjährungseinrede der Beklagten, soweit sich die entgangenen Zinsen auf das Jahr 2003 beziehen. Für den Schadensersatzanspruch nach § 28h Abs. 1 SGB IV gilt nach der Rechtsprechung des BSG eine vierjährige Verjährungsfrist entsprechend § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Die Anwendung der regelmäßigen vierjährigen Verjährungsfrist sei gerechtfertigt und geboten, weil der Schadenersatzanspruch an die Stelle des Anspruchs auf die Beiträge trete (BSG, Urteil vom 30. März 2000 – B 12 KR 15/99 R – Juris Randnr. 18). Der Rentenversicherungsträger habe aus dem Treuhandverhältnis einen Anspruch gegen die Einzugsstelle darauf, dass seine Beiträge rechtzeitig und vollständig eingezogen werden. Für die Einzugsstelle ist die entsprechende Pflicht die Hauptleistungspflicht aus dem Rechtsverhältnis zum Rentenversicherungsträger. Dessen Anspruch gegen die Einzugsstelle auf Einziehung der Beiträge findet jedoch seine Grenzen dort, wo auch die Einzugsstelle eine Beitragsforderung gegenüber dem Beitragsschuldner (Arbeitgeber) nicht mehr durchsetzen kann. Eine solche Grenze ist die Verjährung. Hier gilt die vierjährige Verjährungsfrist, weil von vorsätzlichem Verhalten eines der Mitarbeiter der Beklagten oder deren Organe (bei unterstellter Pflichtverletzung) nicht ausgegangen werden kann.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Verjährungshemmung aufgrund einer Prüfung ist nicht eingetreten. § 25 Abs. 2 S. 2 ff SGB IV beschränkt dies dem Wortlaut nach auf Prüfungen beim Arbeitgeber und Nachunternehmer. § 25 Abs. 2 S. 6 SGB IV erweitert den Anwendungsbereich auf Prüfungen bei sonstigen Versicherten bzw. versicherungspflichtigen Selbständigen, nicht auf Einzugsstellen. Eine Hemmung aufgrund Verhandlungen (§ 25 Abs. 2 S. 1 SGB IV i. V. m. § 203 S. 1 BGB scheidet aus. Die Beteiligten haben nicht über einen Zinsanspruch der Klägerin verhandelt, da die Beklagte hat von Anfang an Zinszahlungen abgelehnt hat.

Ginge man – mit der Klägerin – davon aus, dass der geltend gemachte Zinsanspruch mit Beendigung des pflichtwidrigen Unterlassens fällig geworden wäre, hätte die Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres begonnen. Die Verjährung selbst wäre vier Jahre später eingetreten. Soweit ist die Zahlung der Arbeitsagentur bereits im Jahr 2003 erfolgt ist, ist Verjährung zum 31. Dezember 2007 eingetreten. Die verjährungshemmende Klageerhebung ist erst im November 2008 erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (grundsätzliche Bedeutung) zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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