L 20 R 1092/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 202/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 1092/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einem Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente steht ein wirksamer Unterhaltsverzicht nach § 72 EheG entgegen.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.10.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach dem Versicherten H.-W. A. hat.

Die 1939 geborene Klägerin war die Ehefrau des Versicherten H.-W. A., geb. 1931, verstorben zwischen dem 23.09.2009 und dem 06.10.2009. Die Ehe wurde am 09.05.1964 geschlossen, aus ihr gingen 2 Kinder hervor, nämlich der Sohn A., geb. 31.01.1965 und der Sohn A., geb. 01.04.1966. Die Ehe wurde am 04.02.1970 durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts A-Stadt geschieden (Az. 2 R 98/69). Festgestellt wurde, dass beide Parteien an der Scheidung schuld sind.

In einer am 19.01.1970 getroffenen Scheidungsvereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann wurde u.a. geregelt, dass sich die Beteiligten darüber einig seien, dass ihre Ehe unhaltbar zerrüttet sei und auf Klage der Klägerin und Mitschuldantrag des Herrn A. aus beiderseitigem Verschulden geschieden werden solle. Beide Parteien verzichteten gegenseitig auf jeglichen Unterhalt für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließlich des sog. Notbedarfs. Jede Partei nehme den Verzicht der anderen an. Die eheliche Wohnung werde Herrn A. alleine überlassen.

Im Rahmen des Trennungsunterhalts erließ das Landgericht A-Stadt mit Beschluss vom 01.12.1969 (Az. 2 R 98/69) folgende Unterhaltsregelung:
"I. Der Beklagte hat an die Klägerin für sie und die Kinder A. und A.
folgende Unterhaltsbeträge zu zahlen:
1. Für Monat September 1969 weitere 200,00 DM
2. Für Monat November 1969 weitere 200,00 DM
3. Ab 1. Dez. 1969 je monatlich im Voraus für die Dauer des Ehescheidungs-
rechtsstreits 600,00 DM (300,00 DM für die Klägerin und je 150,00 DM für
beide Kinder)."

In diesem Verfahren führte die Klägerin aus, sie könne wegen der notwendigen Sorge für die Kinder nicht erwerbstätig sein. Der Beklagte verfüge über ein Monatseinkommen von netto 1.400,00 DM, unter Einschluss von Zulagen und Nebenerwerb über mindestens 1.600,00 DM. Der Beklagte gab an, er verfüge über durchschnittlich 1.432,82 DM monatlich, davon habe er für die Wohnungsmiete und die damit zusammenhängenden fixen Kosten erhebliche Beträge aufzuwenden, während die Klägerin unentgeltlich bei ihren Eltern wohne. Er bedürfe für seine Versorgung gleichfalls gesteigerter Aufwendungen. Die Klägerin verfüge über Ersparnisse in Höhe von 9.000,00 DM. Schließlich treffe die Klägerin auch ein erhebliches Verschulden an der Trennung. Dem Antrag wurde in der vorgenannten Form stattgegeben.

Am 09.11.2009 beantragte die Klägerin Geschiedenenwitwenrente. Im Antrag gab sie an, zum Zeitpunkt der Auflösung der Ehe habe der Versicherte ein Nettoeinkommen von ca. 1.500,00 DM gehabt. Er sei den Kindern zum Kinderunterhalt verpflichtet gewesen. Sie selber habe zum Zeitpunkt der Auflösung der Ehe kein Einkommen gehabt. Zum Zeitpunkt des Todes habe der Versicherte ein Einkommen durch Altersrente in Höhe von 1.542,44 EUR gehabt, sie habe Altersrente in Höhe 938,89 EUR und eine Zusatzrente in Höhe von 338,00 EUR bezogen.

Mit Bescheid vom 05.01.2010 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Voraussetzungen des § 243 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht erfüllt. Der frühere Ehemann habe im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet, die Klägerin habe auf Unterhalt verzichtet. Der Unterhaltsverzicht habe sich auch nicht als "leere Hülse" erwiesen. Ein Unterhaltsverzicht habe keine materiell-rechtliche Bedeutung erlangt, wenn auch ohne ihn weder zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichtes noch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten kein Unterhaltsanspruch bestanden habe. Da die Klägerin ohne den Unterhaltsverzicht zum Zeitpunkt der Scheidung zumindest aus Billigkeitsgründen einen Unterhaltsanspruch gehabt habe, stehe der Unterhaltsverzicht dem Rentenanspruch entgegen.

Hiergegen legte die Klägerin am 14.01.2010 Widerspruch ein. Die Scheidung sei sehr unangenehm verlaufen. Der Versicherte habe durch sein Aggressionsverhalten dazu geführt, dass die Klägerin mit zwei kleinen Kindern gezwungen gewesen sei, nicht auf den Unterhaltsanspruch zu bestehen. Der Versicherte sei zur Unterhaltszahlung verpflichtet gewesen, habe aber nie gezahlt (Beschäftigungsaufnahmen seien abgelehnt worden, da aufgrund des fehlenden Einkommens keine Unterhaltszahlung zu leisten wäre). Sie sei gezwungen gewesen, trotz alleiniger Erziehung der Kinder kurz nach der Scheidung eine Beschäftigung aufzunehmen, um für die Kinder und den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. In der Zeit von 1982 bis 1990 sei der Versicherte arbeitslos gewesen. Eine Unterhaltsforderung in den letzten Jahren vor dem Tod des Versicherten sei aufgrund seiner schweren psychischen Krankheit ausgeschlossen gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen des § 243 SGB VI lägen nicht vor. Eine tatsächliche Unterhaltszahlung sei nicht erfolgt. Ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem früheren Ehegatten habe nicht bestanden, denn die Klägerin habe auf den Unterhalt verzichtet. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht als "leere Hülse" anzusehen, da maßgeblich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Verzichts im Jahre 1970 gewesen seien. Da vor der Ehescheidung Trennungsunterhalt zugesprochen worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass seitens des Versicherten Leistungsfähigkeit bestanden habe und der Unterhaltsverzicht nicht ausschließlich deklaratorischen Charakter gehabt habe. Die Arbeitslosigkeit des Versicherten in den Jahren 1982 bis 1990 sei für die rechtliche Einordnung des Unterhaltsverzichts unbeachtlich.

Dagegen hat die Klägerin am 07.04.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben. Im Wesentlichen hat sie durch ihren Bevollmächtigten vortragen lassen, in dem Beschluss des Landgerichts vom 01.12.1969 habe der Versicherte auf ein Sparbuch mit einem Guthabensbetrag von 9.000,00 DM verwiesen. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass die Klägerin keine Chancen in einem Unterhaltsverfahren gehabt habe. Der Ehemann sei in extremer Weise von Hass gegen die Klägerin geprägt gewesen. Die Klägerin habe die eheliche Wohnung mit den beiden Kindern auch nicht behalten können, sondern der Ehemann habe diese für sich in Anspruch genommen. Ab 01.12.1970 habe die Klägerin ein eigenes Arbeitsverhältnis gehabt und sich von da an ohnehin aufgrund der Arbeitseinkünfte selbst versorgen können. Darüber hinaus sei die Scheidungsvereinbarung nur durch massive Nötigung zustande gekommen, der Versicherte habe gedroht, den Kindern oder der Klägerin selbst etwas anzutun. Weiter hat die Klägerin vorgetragen, sie habe mit den zwei Söhnen bei den eigenen Eltern in A-Stadt und dort völlig miet- und nebenkostenfrei gewohnt. Die Klägerin habe Pflegeleistungen für die Großmutter, den Onkel und die Tante erbracht. Sie habe Lebensmittel bekommen und sei verköstigt worden, Fahrtkosten seien bezahlt und auch zusätzliche kleinere Zuwendungen, Geld- oder Sachleistungen erbracht worden. Darüber hinaus seien auch noch Arbeitsleistungen bei Nachbarn erbracht worden, ebenfalls Übersetzungsleistungen. Auf diese Weise habe sich die Klägerin auf niedrigstem Niveau über die Runden gebracht, so dass sie extreme Belastungen, wie einen Rechtsstreit um den eigenen Unterhalt mit dem früheren Ehemann, zum eigenen und zum Schutz der Kinder unterlassen habe.

In einem Erörterungstermin am 20.07.2010 hat die Klägerin angegeben, sie habe auch wegen der Kinder nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammen leben können. Sie sei bereit gewesen, alles zu unterschreiben, wenn nur die Scheidung durchgeführt werde. Deshalb habe sie die eigene Wohnung dem Ehemann überlassen und sei bereit gewesen, auf Unterhalt zu verzichten. Sie sei überzeugt gewesen, dass er sonst nicht in die Scheidung eingewilligt hätte. Die Klägerin hat weiter vortragen lassen, der frühere Ehemann habe an einer geistigen Erkrankung gelitten, dies sei auch einem Brief von 1984 zu entnehmen. Darüber hinaus habe der Vater Entwicklungsstörungen (in der Sprachentwicklung) bei den Kindern verursacht. Es sei lebensgefährlich für die Mutter gewesen, eine Unterhaltsklage in die Wege zu leiten. Darüber hinaus sei die rechtliche Wirksamkeit der Vereinbarung nicht gegeben, weil der frühere Ehemann nicht geschäftsfähig gewesen sei.

Die Beklagte hat dazu Stellung genommen und dargelegt, die Geschäftsunfähigkeit des Verstorbenen sei für das Jahr 1970 nicht belegt. Neben den Eheleuten seien die beiden Rechtsanwälte bei der Scheidungsvereinbarung anwesend gewesen, es sei nicht ersichtlich gewesen, dass einer der Anwesenden Zweifel an der Geschäftsfähigkeit gehabt habe.

In einem weiteren Schriftsatz vom 24.09.2010 verwies der Klägerbevollmächtigte erneut auf verschiedene Vorkommnisse in den Jahren 1984 wie auch 2006, wonach der frühere Ehemann der Klägerin geschäftsunfähig gewesen sei.

In der mündlichen Verhandlung am 26.10.2010 hat der Klägerbevollmächtigte vorgetragen, der geschiedene Ehemann habe sich ablehnend gegen jede Zahlung gestellt und gedroht, dass er der Klägerin und den minderjährigen Kindern Gewalt antun wolle. Deshalb habe die Klägerin auch jedes Mal, wenn sich die Kinder beim geschiedenen Ehemann aufgehalten hätten, Angst gehabt. Der geschiedene Ehemann sei psychisch krank gewesen, sie habe ihm alles zugetraut. Außerdem habe sie damit rechnen müssen, dass nicht ihr geschiedener Mann sie unterhalte, sondern sie für ihn Unterhalt zahlen müsse. Die Ausführungen im Urteil des Landgerichts, dass die Scheidung aus beiderseitigem Verschulden erfolgt sei, müsse so verstanden werden, dass der Ehemann ansonsten der Scheidung nicht zugestimmt hätte und sich die Klägerin deshalb darauf eingelassen habe, ihre Mitschuld als relevant darzustellen. Sie habe nach der Scheidung für sich und die Kinder keine Sozialhilfe in Anspruch genommen.

Mit Urteil vom 26.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente zu. Der im Scheidungsverfahren ausgesprochene Unterhaltsverzicht stelle sich nicht lediglich als leere Hülse dar. Der geschiedene Ehemann habe zum Zeitpunkt der Scheidung über ein Monatseinkommen von wenigstens netto 1.400,00 DM verfügt, die Klägerin habe über kein eigenes Einkommen verfügt. Der geschiedene Ehemann sei unterhaltsfähig und sie unterhaltsbedürftig gewesen. Nach den eigenen Einlassungen habe die Klägerin erst ab Dezember 1970 eine Arbeit aufgenommen und Einkommen erzielt. Somit sei die Scheidungsvereinbarung keine "leere Hülse" gewesen. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht allein aus Ängsten vor der Aggressivität des geschiedenen Ehemanns geschehen. Auch die Ausführungen der Klägerin, sie habe damit rechnen müssen, dass nicht ihr geschiedener Mann sie unterhalte, sondern sie für ihn Unterhalt zahlen müsse, zeige, dass Drohungen des Ehemanns nicht der alleinige Grund für den Unterhaltsverzicht gewesen seien.

Dagegen hat die Klägerin am 30.12.2010 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Im Wesentlichen hat sie durch ihren Klägerbevollmächtigten erneut vortragen lassen, sie habe Ersparnisse von 9.000,00 DM gehabt, sei also nicht bedürftig gewesen. Im Rahmen des Unterhaltsverfahrens habe die Klägerin keine Chance gehabt, eine Unterhaltszahlung gegenüber dem Ehemann durchzusetzen. Die Klägerin habe auf jede nur erdenkliche Weise die Scheidung herbei führen müssen, wegen der Aggressivität des Versicherten. Insbesondere aus dem Brief von 1984 ergebe sich die extreme Fixierung des Versicherten. Der Versicherte sei schon vorher psychisch krank gewesen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.10.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Geschiedenenwitwenrente auf ihren Antrag vom 09.11.2009 hin zu gewähren, hilfsweise die über den Verstorbenen geführten Krankenakten ab 2006 - insbesondere Nervenklinik A-Stadt - einzuholen für den Nachweis der Tatsache, dass im Jahr 1970 zum Datum der Verzichtserklärung Geschäftsunfähigkeit beim verstorbenen Ehemann vorgelegen hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.10.2010 zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Beklagtenakten und der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente hat.

Gemäß § 243 Abs 1, 2 SGB VI haben geschiedene Ehegatten Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente
1. deren Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden ist,
2. die weder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet haben,
3. die im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten (Versicherter) Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten, und
(nach Abs 2 für die große Witwenrente:) 4. die ... b) das 45. Lebensjahr vollendet haben,
wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30.04.1942 gestorben ist.

Im vorliegenden Falle wurde die Ehe vor dem 01.07.1977, nämlich am 04.02.1970, geschieden. Die Klägerin hat das 45. Lebensjahr vollendet und hat seit der Scheidung weder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet. Der Versicherte ist zwischen dem 23.09.2009 und 06.10.2009, also nach dem 30.04.1942, verstorben und hat die allgemeine Wartezeit erfüllt.

Allerdings hat die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten keinen Unterhalt von diesem erhalten.

Des Weiteren hatte sie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod (d.h. während der Rentenbezugszeit des Versicherten) keinen Anspruch auf Unterhalt.

Insoweit kommt allein ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz (EheG) in Betracht. Die Vorschriften des EheG sind zwar mit Ablauf des 30.06.1977 außer Kraft getreten (vgl. Art 3 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG - vom 14.06.1976). Hier sind aber die Vorschriften des EheG über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung noch anwendbar, weil die Ehe vor dem Inkrafttreten des 1. EheRG am 01.07.1977 (vgl. Art 12 Nr 3 Abs 2 des Gesetzes) geschieden worden ist.

Gemäß § 60 EheG kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, soweit beide Ehegatten schuld an der Scheidung sind, aber keiner die überwiegende Schuld trägt, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Der Unterhalt beträgt die Hälfte des nach §§ 58, 59 EheG zu leistenden Unterhalts (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 9).

Im Scheidungsurteil vom 04.02.1970 wurde festgestellt, dass beide Ehepartner ein Verschulden an der Scheidung trifft.

Bei der Berechnung des Unterhalts gemäß § 58 EheG sind die ehelichen Lebensverhältnisse maßgeblich. Zum Zeitpunkt der Ehescheidung waren die Lebensverhältnisse allein durch die Einkünfte des Versicherten geprägt. Bei Alleinverdienerehen ist zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs auf die sog. Differenzmethode abzustellen. Die ehelichen Lebensverhältnisse werden danach durch die Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen der Eheleute bestimmt. Später hinzutretendes Erwerbseinkommen ist im Wege der Differenzmethode anzurechnen (BSG vom 25.02.2010 - B 13 R 147/08 R). Hinsichtlich der erbrachten Leistungen ist - auch für den Unterhaltsanspruch nach der Scheidung - eine Quotelung von zumindest 3/7 (unterhaltsberechtigter Ehegatte) zu 4/7 des Nettoeinkommens vorzunehmen. Danach ist zunächst für die Klägerin von einem Unterhaltsanspruch gemäß § 58 EheG von 613,00 DM (1.432,00 DM x 3: 7) auszugehen. Unter Berücksichtigung des Unterhalts für die Kinder von jeweils 2 x 150,00 DM und der Billigkeit (kostenloses Wohnen bei den Eltern, Hälfte eines Anspruchs nach § 58 EheG) ist mit dem Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 01.12.1969 davon auszugehen, dass es bei der Höhe des zunächst bestimmten Trennungsunterhalts von 300,00 DM verblieben wäre (zumal sich die Verhältnisse nicht geändert hatten). Die Bedürftigkeit der Klägerin ist auch nicht wegen vorhandenen Vermögens entfallen. Für ein Vermögen von 9.000,00 DM ist kein Nachweis erbracht worden, insbesondere hat die Klägerin selbst angegeben, dass sie auf finanzielle Unterstützung der Eltern und Verwandten angewiesen war.

Das Einkommen der Versicherten zur Zeit der Scheidung ist regelmäßig auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand fortzuschreiben. Dies kann entfallen, wenn - wie hier bei der Berücksichtigung der Altersrenten - die Einkommensentwicklung im Wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat. Entfällt die Projektion, ist der Unterhaltsanspruch allein aus den Nettoeinkommen in der Zeit vor dem Tod des Versicherten zu errechnen.

Dies zugrunde gelegt, sind die Renteneinkünfte des Versicherten mit denen der Klägerin zu addieren (1.542,44 EUR + 938,89 EUR +338,00 EUR = 2.819,33 Euro) und darauf die Quote von 3/7 anzuwenden (1.208,28 EUR). Diesen Betrag kann die Klägerin allerdings mit ihrem Einkommen decken, so dass kein Anspruch mehr besteht.

Darüber hinaus stünde diesem Unterhaltsanspruch und damit dem Anspruch aus § 243 Abs 1, 2 SGB VI (sowie einem Anspruch gemäß § 243 Abs 3 SGB VI) der mit Scheidungsvereinbarung vom 19.01.1970 getroffene Unterhaltsverzicht (auch für den Notbedarf) entgegen. Eine solche Unterhaltsvereinbarung war nach den zum Zeitpunkt der Scheidung geltenden Vorschriften des Ehegesetzes zulässig.

Gemäß Art 72 EheG waren diese Unterhaltsvereinbarungen grundsätzlich zulässig. Einen solchen Unterhaltsverzicht iS des § 72 EheG haben die Beteiligten erklärt. Anhaltspunkte dafür, dass die Willenserklärung des Versicherten aufgrund Geschäftsunfähigkeit zum damaligen Zeitpunkt nicht hätten wirksam sein sollen, lassen sich jedenfalls nicht nachweisen. Zum einen waren bei der Vereinbarung beide Parteien vertreten, keine Partei hat irgendwelche Bedenken wegen fehlender Geschäftsfähigkeit des Versicherten erhoben. Zum anderen können die vorgelegten Unterlagen, wie etwa eine Behandlung des Versicherten in der Nervenklinik im Jahr 2006, wirre Unterlagen in Form eines Briefes aus dem Jahre 1984 oder die von der Klägerin genannten Vorfälle (Androhung, die Arbeit aufzugeben, um der Unterhaltspflicht zu entkommen; nicht getünchtes Entree, weil die Entscheidung für eine Farbe nicht gefällt wurde; kein Kümmern um die Kinder) keinesfalls eine Geschäftsunfähigkeit nachweisen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Versicherte noch bis 1982, also 12 Jahre nach der Verzichtserklärung versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist.

Dem Beweisantrag des Klägervertreters auf Beiziehung der Unterlagen der Nervenklinik aus dem Jahr 2006 war nicht nachzukommen. Für die Beiziehung fehlt es an der Einwilligungserklärung des Verstorbenen. Das Recht auf Einsicht in ärztliche Unterlagen ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. Solch höchstpersönliche Rechte sind nicht vererblich (Palandt, BGB Kommentar, 72. Auflage 2013, § 1922 RdNr 36), die Einwilligung könnte also auch nicht durch mögliche Erben erfolgen.

Die Beteiligten haben den Verzicht auch gegenseitig angenommen. Anhaltspunkte dafür, dass der Verzicht nur durch eine Drohung zustande gekommen sei, bestehen nicht. Zum einen ist eine solche Bedrohung nicht dokumentiert. Zwar sind dem Scheidungsurteil des Landgerichts A-Stadt vom 04.02.1970 durchaus ernsthafte Verfehlungen des Versicherten zu entnehmen. Danach hat er die Klägerin in übelster Weise mit Schimpfworten bedacht. Allerdings ist in dem Scheidungsurteil ebenso die Mitschuld der Klägerin ausgesprochen, da auch sie zugegeben hat, sie habe bei verschiedenen Gelegenheiten den Versicherten beschimpft. Auch hat die Klägerin angegeben, sie habe befürchtet, einmal für den Versicherten unterhaltspflichtig zu werden und auch deshalb dem gegenseitigen Verzicht zugestimmt.

Selbst bei Annahme, die Drohung sei ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung gewesen, führt dies lediglich zur Anfechtbarkeit. Gemäß § 124 Abs 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung bis 31.12.2001 ist die Anfechtung jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 30 Jahre verstrichen sind; gemäß § 124 Abs 3 BGB in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung beträgt die Ausschlussfrist nur 10 Jahre nach Abgabe der Willenserklärung. Die Frist war also spätestens im Jahr 2000 erloschen.

Sofern die Zivilgerichte in den Fällen, in denen Kinder zu betreuen gewesen sind, die Alternative bedacht haben, dass bei dem Unterhaltsverzicht einer Mutter mit minderjährigen Kindern, die kein oder ein unzureichendes Einkommen hatte, entweder der Sozialhilfeträger belastet werde oder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden musste, die zu Lasten der Kinderbetreuung gehe, zum Teil von einer Unwirksamkeit gemäß § 72 EheG ausgegangen sind (vgl. BSG vom 16.12.1993 - 13 RJ 1/93), hat das BSG insoweit auch ausgeführt, dass eine aus diesen Gründen eingetretene Nichtigkeit des Unterhaltsverzichts sich nicht auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten erstrecken könne, da zu diesem Zeitpunkt die Klägerin wegen Kinderbetreuung nicht mehr daran gehindert gewesen wäre, eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auszuüben (im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand waren die in den Jahren 1965 und 1966 geborenen Kinder längst volljährig).

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist auch nicht im Rahmen des von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmefalles der sog. "leeren Hülse" unwirksam gewesen, sondern hat Bedeutung erlangt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.12.1993 aaO) hat ein erklärter Unterhaltsverzicht dann keine schädliche Wirkung und einen lediglich deklaratorischen Charakter, wenn
1. der Versicherte zur Zeit der Scheidung keinem Unterhaltsanspruch ausgesetzt war und
2. der Versicherte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand keinem Unterhaltsanspruch ausgesetzt war, insbesondere wegen fehlender eigener Leistungsfähigkeit oder fehlender Leistungsbedürftigkeit des geschiedenen Ehegatten und
3. nach den bei Abschluss des Unterhaltsverzichts gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise nicht damit gerechnet werden konnte, dass in Zukunft ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch des früheren Ehegatten entstehen würde.
Dieser Ausnahmefall betrifft also Konstellationen, in denen der Unterhaltsverzicht zum Zeitpunkt der Ehescheidung ohne Bedeutung war und auch prognostisch nicht zu erwarten gewesen war, dass sich jemals ein Unterhaltsanspruch ergeben würde oder realisieren lassen würde. Nur bei einer solchen Ausgangslage kommt dem Unterhaltsverzicht keine eigenständige Wirkung zu, weil auch ohne den Unterhaltsverzicht eine tatsächliche Unterhaltszahlung des geschiedenen Ehegatten nicht erfolgt wäre.

Ein solcher Ausnahmefall ist bei der Klägerin nicht gegeben gewesen. Zum Zeitpunkt der Ehescheidung hätte die Klägerin nach den Regeln des EheG Unterhalt auch für sich beanspruchen können (siehe oben). Dabei war zum Zeitpunkt der Ehescheidung jedenfalls nicht erkennbar und auch nicht prognostisch zu erwarten gewesen, dass bei dem geschiedenen Ehegatten in Zukunft eine Unfähigkeit zur tatsächlichen Unterhaltszahlung an die Klägerin eintreten würde. Vielmehr hat der geschiedene Ehegatte ihr auch noch bis 1984 Unterhalt für die Kinder gezahlt. Das Anstreben oder Ausüben einer eigenen Erwerbstätigkeit der Klägerin hat darauf gerade keinen Einfluss, weil sich die Verhältnisse in der Zukunft ungewiss entwickelten konnten.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved