Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 V 1/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 11/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Überprüfung von Funktionsstörungen als Schädigungsfolgen sowie die Feststellung von zusätzlichen Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die am ... 1928 geborene Klägerin beantragte am 22. Oktober 1991 bei dem Beklagten Versorgungsleistungen nach dem BVG und machte als kriegsbedingte Schädigungsfolgen Verletzungen am Kopf, an den Händen und Beinen, eine Lungen-TBC und Rheuma geltend. Diese Schädigungsfolgen seien durch folgende zwei Ereignisse verursacht worden: Am 20. April 1945 sei sie beim Fahrrad fahren von einem amerikanischen Jagdbomber angegriffen worden. Der Bordschütze habe sie mit dem Maschinengewehr (MG) beschossen. Der Bomber sei beim zweiten Anflug von einem Flak-Geschütz getroffen worden und am Boden explodiert. Danach habe sie stark geblutet und sei durch deutsche Soldaten provisorisch medizinisch versorgt worden. Im November 1945 habe sie als Mitglied einer Mädchen-Akkordeon-Kapelle zum Tanz gespielt, als plötzlich bewaffnete Soldaten der Roten Armee sie und andere auf den Lastwagen getrieben und abtransportiert hätten. Im Flusswasser habe sie am Wiederaufbau der Elbbrücke mitarbeiten müssen.
Nach Einholung und Auswertung von medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 15. Oktober 1992 ab und verwies auf fehlende schädigungsrelevante Gesundheitsbeschwerden. Im Widerspruchsverfahren holte er weitere Befundberichte ein. Der Chirurg Dr. S. aus W. berichtete über an Kopf und Rumpf sowie den Extremitäten verstreute winzige reizlos verheilte Narben. Die HNO-Ärztin Dr. S. teilte mit, dass Nase und Rachenraum frei seien und die Klägerin 1993 erstmalig über eine Fraktur des Oberkiefers durch einen Gewehrkolbenschlag im Jahr 1945 berichtet habe. Der Internist Dr. K. teilte mit, die Klägerin habe nach ihren Angaben 1946 und 1948 an einer Rippenfellentzündung und nachfolgend an einer Lungen-TBC gelitten. Die Nervenärztin Dr. L. gab an, dass das Hirnstrombild für einen cerebralen Gefäßprozess mit herdförmigen Funktionsstörungen über dem rechten Scheitelbein spreche. Die Befunde sind vom Versorgungsarzt Sanitätsrat Dr. R. ausgewertet und die Klägerin von ihm am 26. September 1994 untersucht worden. Zusammenfassend seien eine Narbenbildung am Kopf, linken Unterkiefer, beiden Hohlhänden und der rechten Brust sowie einer geringen Deformierung der Nasenwurzel als schädigungsbedingt anzuerkennen. Darüber hinaus empfahl er das Einholen eines neurologischen Gutachtens. Dem folgend beauftragte der Beklagte Dr. G. (Neurologische Klinik B.) mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens vom 19. Dezember 1994, der angab: Eine Fraktur und eine Perforation der Schädelkalotte (Schädeldach) seien auszuschließen. Es handele sich eindeutig um einen kalkdichten, schalenartig aufgebauten gutartigen Tumor (Menigenom). Nur zufällig bestünde eine lokale Übereinstimmung mit der lediglich äußeren Verletzung der Kopfschwarte und dem Menigenom. Daraufhin änderte der Beklagte den Bescheid vom 15. Oktober 1992 in einem Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1995 teilweise ab und erkannte als Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung an:
"Narbenbildung am Kopf, am linken Unterkiefer, an beiden Hohlhänden, an der rechten Brust, Deformierung der Nasenwurzel nach Gewalteinwirkung"
Eine Beschädigtenrente sei nicht zu zahlen, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 25 vom Hundert (vH) betrage.
Dagegen hatte die Klägerin am 6. März 1995 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau erhoben und die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen begehrt. Das SG hatte die Unterlagen des Gesundheitsamtes W. beigezogen. Danach erlitt die Klägerin im Februar 1949 in Begleitung von Vater und Ehemann einen Autounfall, wobei sie eine stark blutende Kopfverletzung mit schwerem Blutverlust davontrug und der Vater getötet wurde. Die Fachärztin für Lungenkrankheiten Dr. M. hatte im Auftrag des SG ein Gutachten nach klinischer und labormäßiger Untersuchung am 22. September 1995 erstattet und ausgeführt: Nach der Krankenakte der TBC-Fürsorgestelle sei glaubhaft, dass die Klägerin 1946 an einer Rippenfellentzündung und im März 1948 an einer Lungen-TBC mit einer Begleitpleuritis erkrankt gewesen sei. Die Pleuritis 1946 sei das Brückensymptom und begründe die Kausalität. Die MdE betrage unter 20 v. H.
Mit Urteil vom 24. Januar 1997 hatte das SG den Beklagten verurteilt, als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen:
"Inaktive, gering ausgedehnte doppelseitige Lungentuberkulose, late-robasale Pleuraschwarte rechts, leichte obstruktive revisible Ventilationsstörung, Thoraxschmerzen, Nasenbeinverbiegung, Verlust von 4 Backenzähnen im linken Oberkiefer".
Die weitergehenden von der Klägerin begehrten Schädigungsfolgen seien dagegen nicht anzuerkennen. Die bestehende Schwerhörigkeit sei nicht auf ein Schalltrauma zurückzuführen. Es habe auch keine vorübergehende Taubheit unmittelbar nach dem MG-Beschuss vorgelegen. Auch fänden sich keine Hinweise für eine Verletzung des Schädeldaches oder der Schädelbasis. Die geltend gemachte Sehstörung und das Gelenkrheuma seien nach den eingeholten Befundberichten nicht nachgewiesen.
Dagegen hatte die Klägerin am 23. Juni 1997 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Der von Dr. G. diagnostizierte Hirntumor sei in Wirklichkeit eine durch den MG-Beschuss entstandene Deformierung des Schädelknochens an der Stelle, an der die ca. 14cm lange Narbe der Schussverletzung ende. Die Klägerin hatte im Berufungsverfahren beantragt, den Beklagten zu verurteilen, eine Schwerhörigkeit beidseits, Kopfschmerzen, Sehstörung, Wirbelsäulendeformation, Schmerzen in den Knie-, Hüft- und Schultergelenken als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr ab dem 1. Januar 1991 Beschädigtenversorgung nach einer MdE im allgemeinen Erwerbsleben um mindestens 30 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte erkannte das Urteil des SG in dem Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 an und übernahm die dort festgestellten Schädigungsfolgen.
Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hatte einen Befundbericht vom HNO-Arzt Prof. Dr. E. eingeholt, der über eine Schwerhörigkeit beidseits, einen Tinnitus und eine Nasenscheidewandverbiegung bei unverändertem Zustand berichtet hatte. Die Augenärztin Dr. G. hatte eine Gesichtsfeldeinengung beidseits und einen grauen Star, rechts mehr als links, aber keine Verletzungsfolgen angegeben. Das LSG hatte den Chefarzt der HNO-Klinik des städtischen Klinikums D., Dr. S. mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 24. Juni 1999 beauftragt. Der Sachverständige hatte im Bereich der Ohrmuscheln, Gehörgänge und Trommelfelle keine Verletzungen oder Narben festgestellt. Am Nasenrücken sei eine Narbe von 1,5 cm, am rechten Augenwinkel eine lochförmige Narbe von 3 mm Durchmesser festzustellen. Unter dem Knie hatte er links eine 6 cm lange, gering eingezogene Narbe und vom Haaransatz der Stirnmitte bis rechts neben dem Scheitel eine 10 cm lange schmale und reizlose Narbe gefunden. Der Hörverlust betrage nach dem Schwellenaudiogramm für die Luftleitung rechts 78%, links 74% und für die Innenohrleitung rechts 65%, links 62%. Daraus ergebe sich eine MdE von 50 % nach Feldmann. Eine leichtgradige Einengung der Nasendurchgängigkeit beim Ausatmen stimme mit dem klinischen Befund der Nasenscheidewandverbiegung überein. Ein Explosionstrauma könne nicht die Ursache für die hochgradige Mittelohrschwerhörigkeit sein, denn die Hörstörungen sowie Ohrgeräusche und Schwindelerscheinungen seien erst so spät geklagt worden, dass ein Zusammenhang mit der Einnahme von Streptomycin im Rahmen der TBC-Behandlung nicht anzunehmen sei. Die Wunde im Bereich des Scheitels sei aufgrund ihrer Konfiguration nicht als schusswaffenbedingt einzuordnen. Eine entschädigungspflichtige MdE sei nicht gerechtfertigt. Mit Urteil vom 28. Oktober 1999 hatte das LSG Sachsen-Anhalt die Berufung zurückgewiesen.
Am 18. November 2005 beantragte die Klägerin wegen einer wesentlicher Verschlechterung der Sehkraft auf dem rechten Auge sowie wegen häufig auftretender Kopfschmerzen, Schwindel, Augenflimmern und Ohrgeräuschen eine erneute Prüfung. Mit Bescheid vom 4. Juli 2007 lehnte der Beklagte Neufeststellungen unter Hinweis auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 21. Juli 2007: Die Verletzung des Kopfes habe auch den Schädelknochen betroffen, was durch Röntgenaufnahmen eindeutig bestätigt werde. Zudem sei das rechte Auge durch Splitter verletzt worden. Nach einer Operation in P. habe sich die Sehleistung nochmals verschlechtert, was jedoch nicht auf eine Makuladegeneration zurückzuführen sei. Durch den Abschuss des Jagdbombers 1945 sei auch ihr Gehör geschädigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte in der Begründung aus: Rechtsgrundlage des Bescheides sei nicht § 48 SGB X, sondern § 44 SGB X. Denn tatsächlich gehe es der Klägerin um die Überprüfung des in Ausführung des Urteils des SG vom 24. Januar 1997 ergangenen Bescheides. Unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Urteils des LSG vom 28. Oktober 1999 gebe es keine Hinweise, die zur Anerkennung der erneut geltend gemachten Gesundheitsstörungen in Gestalt von Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- und Hörstörungen als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG führen könnten.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. September 2008 Klage beim SG Dessau-Roßlau erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat Bildaufnahmen des Kopfes vorgelegt und vorgetragen, auf diesen Bildern seien der beschädigte Knochen sowie die Splitterverletzung im Kopfbereich deutlich erkennbar. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2009 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Weder aus § 44 SGB X noch aus § 48 SGB X ergebe sich der geltend gemachte Anspruch. Eine nach vielen Jahren gefertigte Röntgenaufnahme sei ungeeignet, eine lang zurückliegende Kriegsverletzung nachzuweisen.
Die nun anwaltlich vertretene Klägerin hat gegen den ihr am 20. Oktober 2009 zugestellten Gerichtsbescheid fristgemäß am 30. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Es bestehe zwischen den verstärkt auftretenden Kopfschmerzen, Schwindel, Hör- und Sehstörungen ein ursächlicher Zusammenhang zu den geschilderten Kriegsereignissen. Das SG habe versäumt, die vorgelegten Röntgenaufnahmen durch einen Sachverständigen auswerten zu lassen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau sowie den Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 24. April 1997 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 15. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 und des Ausführungsbescheides vom 10. Juli 1997 als weitere Schädigungsfolgen mit Wirkung ab 1. Januar 2001 Ohrgeräusche, Augen- und Ohrenstörungen sowie Kopfschmerzen und Schwindel anzuerkennen sowie eine Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 v. H. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowie seine Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte des Augenlaserzentrums H. vom 21. Juni 2010, der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. A. vom 11. Juli 2010 sowie vom Facharzt für Augenheilkunde R. vom 9. August 2010 eingeholt. In einer nichtöffentlichen Sitzung vom 18. Januar 2011 hat die Klägerin einen Bescheid des Landesverwaltungsamtes, Versorgungsamt Schwerbehindertenrecht, vom 9. Dezember 2010 vorgelegt. Auf Nachfrage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt: Aufgrund der nun vorgelegten Röntgenaufnahmen sei von einer knöchernen Hirnverletzung auszugehen, die als Schädigungsfolgen Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrgeräusche, Hör- sowie Augenstörungen verursacht habe.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte der Klägerin vom Versorgungsamt H. (Az:) beigezogen und die darin enthaltenen medizinischen Unterlagen ausgewertet: Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hatte im Befundschein vom 17. Juli 1994 angegeben: Dr. S. habe mit der Klägerin über alte Brücken an der Schädeldecke gesprochen, die sie mit dem Tieffliegerangriff in Zusammenhang gebracht habe. Der Diagnose eines Hirntumors schenke sie dagegen keinen Glauben. So habe sie erklärt, sie habe vierzig Jahre mit einem Schädelbruch gelebt und solle nun um ihr Geld betrogen werden. Eine MRT-Untersuchung habe sie u.a. deshalb abgelehnt, weil ein klarer Zusammenhang zu dem geschilderten Kriegsereignis bestehe. In einem dem Befundschein des Dr. S. beigefügten Arztbrief vom 7. Februar 1994 findet sich ein Schreiben der Chefärztin Dr. A. vom 7. Februar 1994 (Röntgenabteilung der P. G. Stiftung, L. W.). Danach habe ein CT des Schädels vom 4. Februar 1994 keine Zeichen eines Hirnsubstanzdefekts oder einer intracraniellen Schädelverletzung ergeben. Am ehesten sei von einem osteoplastischen Meningenom auszugehen, wobei auch ein Osteom (gutartiges Knochengeschwulst) möglich sei.
Der Senat hat ein Arbeitsmedizinisches Gutachten durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin Dr. B. (Universitätsklinikum H., Sektion Arbeitsmedizin) vom 13. Oktober 2011 (Untersuchung vom 6. Oktober 2011) erstatten lassen. Zu den Beschwerden hat die Klägerin gegenüber der Sachverständigen angegeben: Sie habe häufig Kopfschmerzen. Dann flimmere es vor ihren Augen und sie müsse sich manchmal erbrechen und den Raum verdunkeln. Gegen die Schmerzen nehme sie keine Medikamente, sondern lege sich einfach hin. Wenn sie morgens aufstehe, sei ihr schwindlig. Dies passiere auch, wenn sie schnell aufstehe oder sich aufrege. Seit sie morgens Ingwer zu sich nehme, habe sich die Schwindelintensität verringert. Infolge eines Herzinfarktes im Alter von 35 Jahren habe sie ihren Beruf als Sekretärin aufgeben müssen. Seit Jahren sehe sie mit beiden Augen schlecht. In das rechte Auge sei ein Splitter gelangt. An beiden Augen sei wie wegen eines grauen Stars operiert worden.
Die Sachverständige hat folgende Feststellungen getroffen: Neben der bereits anerkannten Lungentuberkulose, einer reizlosen und unauffälligen Narbenbildung am Kopf, unter dem rechten Auge, an der Nase, an der Brust und am rechten Knie sei wiederholt diskutiert worden, ob die Klägerin durch den MG-Beschuss eine schwerwiegende knöcherne Verletzung des Schädels bzw. Schädigung des Gehirns erlitten habe. Anhand des Schädel-CT von 1994 und eines Röntgenbildes seien Knochenverletzungen nicht nachzuweisen gewesen. Auf dem CT habe sich eine kalkdichte Veränderung an der Hirnhaut erkennen lassen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als ein langsam wachsendes Meningenom zu bewerten sei. Ein Zusammenhang mit dem MG-Beschuss sowie der Flugzeugexplosion sei dagegen nicht herzustellen. Die berichteten Kopfschmerzen seien am ehesten mit einer Migräne zu erklären. So bestehe die dafür typische Aura mit Flimmern, vermehrtem Brechreiz und einer Lichtempfindlichkeit. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 20. April 1945 bestehe nicht, da dieses nur äußere Hautverletzungen verursacht habe. Zudem gebe es in der Literatur keine Hinweise darauf, dass eine Migräne durch traumatische Ereignisse verursacht werden könne. Bei dem von der Klägerin angegebenen Schwindel handele es sich um einen sog. orthostatischen Schwindel, der kreislaufbedingt auftrete. Die Ursache der hochgradigen Schwerhörigkeit sei schwer zu ermitteln. Der erste Hörbefund stamme aus dem Jahr 1993, d. h. fast fünfzig Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin bereits 65 Jahre alt gewesen. In diesem Alter bestehe bei vielen Menschen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Schwerhörigkeit. Bei der Explosion eines Flugzeuges breiteten sich die Schallwellen gleichmäßig aus, was zu einer gleichmäßigen Schädigung beider Ohren führen könne. Nach Angaben der Klägerin habe sie jedoch vor allem linksseitig schlecht hören können. Überdies habe sei nach dem Jahr 1945 in einer Theatergruppe mitgewirkt und als Sekretärin gearbeitet, was ein gutes Gehör voraussetze. Probleme bei der Ausübung dieser Tätigkeiten seien von ihr weder berichtet worden noch aus der Akte erkennbar. Aus der Hörkurve von 1993 könne nicht auf ein Knalltrauma aus dem Jahr 1945 geschlossen werden. Gleiches gelte für die Ohrgeräusche, über die während der Untersuchung nichts berichtet worden sei. Die Klägerin leide an einer Maculadegeneration beider Augen mit Linsentrübung (grauer Star), was zu einer Einschränkung der Sehkraft geführt habe. Hierbei handele es sich um eine fortschreitende Schädigung der Netzhaut im Auge. Die Erkrankung könne durch hohen Blutdruck, Rauchen sowie eine genetische Veranlagung verursacht werden. Ein Zusammenhang zum Kriegsereignis lasse sich dagegen nicht herstellen. Für eine Rheumaerkrankung fehle es an typischen Symptomen sowie an einer nachweisbaren entzündlichen Aktivität im Blut. Die bisher festgestellten Schädigungsfolgen seien zutreffend und mit einem GdS von unter 20 korrekt bewertet worden.
Nach Eingang des Sachverständigengutachtens hat der Berichterstatter mit Verfügung vom 20. Oktober 2011 unter Belehrung nach § 106 a Sozialgesetzbuch (SGG) die Beteiligten aufgefordert, sich zum Gutachten zu äußern. Die Berufung erscheine derzeit nicht aussichtsreich, weitere Ermittlungen seien nicht beabsichtigt und das Verfahren werde als entscheidungsreif angesehen. Die Klägerin hat hierzu ausgeführt: Die Gutachterin habe sie nur äußerst oberflächlich begutachtet und keine eingehenden Untersuchungen durchgeführt. Insbesondere bezweifele sie die Ergebnisse des Gutachtens zur Kopfverletzung. Dazu hätte die Gutachterin die knöcherne Schädelverletzung bildtechnisch abgleichen müssen. Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen seien daher bloße Vermutungen. Die Klägerin rege ein Obergutachten an. In einem Schreiben vom 5. Dezember 2011 hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, es sei nicht beabsichtigt, ein sog. "Obergutachten" einzuholen. Das Verfahren sei demnächst zur Terminierung und Entscheidung vorgesehen.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Akte des Beklagten über die Klägerin sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts S 5 V 23/95, des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt L 5 V 28/97 sowie die Schwerbehindertenverwaltungsakte 422450 haben dem Senat in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und sind bei der Entscheidung herangezogen worden.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
2. Die Klage ist als verbundene Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
3. Die Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 ist rechtmäßig, da der Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, den bestandskräftigen Bescheid vom 15. Oktober 1992 sowie den Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 abzuändern und Ohr- und Sehstörungen sowie Kopfschmerzen, Ohrgeräusche und einen Schwindel als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Antrag der Klägerin vom 18. November 2005 ist bei verständiger Würdigung nach objektivem Empfängerhorizont in zwei Richtungen auszulegen. Soweit sie sich auf Schädigungsfolgen bezieht, die bereits Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens vor dem SG Dessau (S 5 V 23/95) gewesen waren, begehrt sie eine Überprüfung der damaligen Entscheidung gemäß § 44 Abs. 1 SGB X. Soweit sie dagegen die Feststellung von Schädigungsfolgen begehrt, die in diesem Verfahren noch nicht geltend gemacht worden waren, macht sie das Hinzutreten einer neuen, bisher noch nicht anerkannten Schädigungsfolge im Sinne des § 48 SGB X geltend.
I. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist der eine Sozialleistung ablehnende Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Diese Bestimmung ermöglicht ein Abweichen von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Im Kern geht es dabei der Klägerin um die Zahlung einer Beschädigtenrente als Sozialleistung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Sollte dagegen die Feststellung von Schädigungsfolgen, ähnlich einer Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), als völlig eigenständiger Anspruch bewertet werden können, wäre daneben als weitere Anspruchsgrundlage § 44 Abs. 2 SGB X zu prüfen (vgl. zur Feststellung eines GdB, BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 SB 3/10 R, zitiert nach juris), dessen Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht erfüllt sind.
In der Sache hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 15. Oktober 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 sowie des Ausführungsbescheides vom 10. Juli 1997 zusteht. Der Senat kann nicht, wie es die beantragte Rücknahme nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X bzw. § 44 Abs. 2 SGB X voraussetzt, feststellen, dass bei Erlass dieser Bescheide das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Der Bescheid vom 15. Oktober 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 sowie der Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 sind nicht zu beanstanden, denn der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Anerkennung von weiteren Schädigungsfolgen im Sinne von § 1 BVG zu.
Nach § 1 BVG erhält derjenige, der durch eine militärische oder militärähnliche Verrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. BSG, Urt. v. 15. 12. 1999 – B 9 VS 2/98 R – SozR 3-3200 § 81 Nr. 16, S. 73, m.w.N.). Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies gilt auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses als Primärschaden hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung (vgl. BSG, ebd., S. 74 ff.). Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinischen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urt. v. 8. 8. 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14, m.w.N.).
Wie auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, hat die Klägerin als kriegsbedingte Schädigung eine "Narbenbildung am Kopf, am linken Unterkiefer, an beiden Hohlhänden, an der rechten Brust, Deformierung der Nasenwurzel nach Gewalteinwirkung" sowie eine "Inaktive, gering ausgedehnte doppelseitige Lungentuberkulose, laterobasale Pleuraschwarte rechts, leichte obstruktive revisible Ventilationsstörung, Thoraxschmerzen, Nasenbeinverbiegung, Verlust von 4 Backenzähnen im linken Oberkiefer" erlitten.
Die von der Klägerin begehrte Überprüfung von weiteren Schädigungsfolgen wie einer beidseitigen Schwerhörigkeit (dazu im Folgenden a.), Ohrgeräuschen (im Folgenden b.) sowie einer Einschränkung der Sehkraft (dazu im Folgenden c.) und Kopfschmerzen (dazu im Folgenden d.) sind den Kriegsereignissen nicht als Schädigungsfolge zuzurechnen. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Der Senat folgt dabei dem überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 13. Oktober 2011. Hiernach kann keine der von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit dem schädigenden Ereignis von 1945 in Zusammenhang gebracht werden. Insbesondere ihre Annahme, sie sei durch feindlichen Fliegerbeschuss sowie durch die anschließende Explosion des Flugzeuges nach Flakabschuss schwer am Kopf verletzt worden, was die Folgeschäden an den Ohren und den Augen sowie am Kopf erklären könne, hat die Sachverständige nicht für wahrscheinlich gehalten. Dr. B. hat – wie bereits Dr. G. in seinem Gutachten vom 19. Dezember 1994 – eine erhebliche traumatische Kopfverletzung nicht bestätigen können. Dies ergibt sich auch aus der röntgenologischen Auswertung von Dr. A. vom 7. Februar 1994. Dabei hat die Sachverständige Dr. B. nochmals die Röntgenaufnahmen sowie die CT-Aufnahmen des Kopfes geprüft und ausgewertet und ebenso wie bereits Dr. G. und Dr. A. lediglich ein mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehendes Menigenom diagnostiziert. Die Rüge der Klägerin, die Sachverständige habe versäumt, eine knöcherne Schädelverletzung bildtechnisch abzugleichen und stelle lediglich Vermutungen auf, ist deshalb zurückzuweisen. Aus den schon vorhandenen älteren Bildbefunden ergeben sich keine Anhaltpunkte für eine traumatische Kopfverletzung. Wenn schon damals, im Jahr 1994 keine solche Kopfverletzung nachweisbar war, besteht kein Grund, diese Untersuchung Jahre später zu wiederholen. Für die von der Klägerin geforderte Einholung eines sog. "Obergutachtens" bleibt angesichts dieser eindeutigen Befundgrundlage erst Recht kein Grund. Einen Antrag nach § 109 SGG hat sie nicht gestellt, so dass weitere Ermittlungen des Senats nicht durchzuführen waren.
a.) Die von der Sachverständigen Dr. B. festgestellte Schwerhörigkeit steht ebenfalls nicht mit dem Fliegerangriff und der anschließenden Explosion des Flugzeuges in Zusammenhang. Gegen ein Knalltrauma spricht bereits die Art der Schädigung der Ohren selbst. So fehlt es nach den Angaben der Klägerin an einer gleichwertigen, beidseitigen Ohrschädigung und an einer konkret nachweisbaren Trommelfellschädigung. Zudem stammt der erste Hörbefund der Klägerin erst aus dem Jahr 1993, d.h. fast fünfzig Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis. Von daher ist die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. B. nachvollziehbar, dass diese Schwerhörigkeit altersbedingt ist. Auch spricht gegen eine traumatische Hörschädigung das langjährig von der Klägerin betriebene private Theaterschauspiel sowie ihre berufliche Tätigkeit als Sekretärin in den Jahren nach 1945, die bei einer kriegsbedingten, schweren Hörschädigung schon im Jahr 1945 so kaum möglich gewesen sein dürfte. Dies stimmt auch mit der Einschätzung des HNO-Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 24. Juni 1999 überein.
b.) Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. B., denen der Senat folgt, leidet die Klägerin nicht unter Tinnitus, denn sie hat zu Ohrgeräuschen während der aktuellen Untersuchung keine Angaben gemacht. Hinweise für diese Gesundheitsstörung bestehen demnach nicht. Im Übrigen müssten für eine solche Schädigung der Ohren – wie die Sachverständige überzeugend ausgeführt hat – ihre Ausführungen zur Schwerhörigkeit übertragen werden, was einen Ursachenzusammenhang ausschließt. Auch diese Einschätzung wurde im Übrigen bereits durch den HNO-Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 24. Juni 1999 getroffen.
c.) Dr. B. hat bei der Klägerin ferner einen grauen Star beider Augen sowie eine Maculardegeneration diagnostiziert. Diese Augenerkrankungen stehen mit den angeschuldigten Ereignissen nicht in einem erkennbaren Ursachenzusammenhang. Der von der Klägerin behauptete Splitter im Auge ließ sich in Auswertung der zahlreichen augenärztlichen Befunde nicht nachweisen. Für die festgestellten Augenerkrankungen sind nach der nachvollziehbaren Bewertung der Sachverständigen Dr. B. genetische Faktoren sowie weitere Risikofaktoren (Bluthochdruck, Rauchen) verantwortlich zu machen. Hinweise für eine Augenschädigung durch eine äußere Gewalteinwirkung finden sich dagegen nicht.
d.) Bezogen auf die von der Klägerin geltend gemachten Kopfschmerzen hat die Sachverständige Dr. B. eine Migräne diagnostiziert und einen Ursachenzusammenhang zu den angeschuldigten Ereignissen für unwahrscheinlich gehalten. Diese Einschätzung hält der Senat für schlüssig, da sich keine Hinweise für eine schwere traumatische Kopfverletzung ergeben haben.
II. Auch die von der Klägerin begehrte Feststellung der Schädigungsfolge Schwindel gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X kommt nicht in Betracht, da kein Ursachenzusammenhang zu dem Ereignis aus dem Jahr 1945 wahrscheinlich zu machen ist. Diese Norm ermöglicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine derartige Änderung kann nicht nur in der Verschlechterung oder Verbesserung anerkannter Schädigungsfolgen liegen, sondern auch im Hinzutreten einer neuen, bisher noch nicht anerkannten Schädigungsfolge. Die Voraussetzungen einer Anerkennung der Schädigungsfolge eines Schwindels im Sinne des § 1 BVG liegt nicht vor. Bezogen auf den Schwindel liegt nach Ansicht von Dr. B. bei der Klägerin eine Kreislaufproblematik vor, die mit den angeschuldigten Ereignissen erkennbar in keinem Ursachenzusammenhang stehen kann.
III. Die somit zu Recht nur als Schädigungsfolge anerkannten gesundheitlichen Folgen bedingen nach § 30 Abs. 1 und 2 BVG keine MdE von mindestens 25 v.H., die nach § 31 Abs. 1 und 2 BVG rentenberechtigend wäre. Der Senat sieht sich nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. B. auch nicht veranlasst, von einer Verschlimmerung der bisher vom Beklagten bereits anerkannten Schädigungsfolgen auszugehen und eine höhere MdE bzw. einen höheren GdS anzuerkennen. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Hinblick auf diese bereits anerkannten Schädigungsfolgen wird von der Klägerin weder behauptet noch gibt es hierfür irgendeinen medizinischen Hinweis. Ein Rentenanspruch der Klägerin ist daher weiterhin nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Überprüfung von Funktionsstörungen als Schädigungsfolgen sowie die Feststellung von zusätzlichen Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die am ... 1928 geborene Klägerin beantragte am 22. Oktober 1991 bei dem Beklagten Versorgungsleistungen nach dem BVG und machte als kriegsbedingte Schädigungsfolgen Verletzungen am Kopf, an den Händen und Beinen, eine Lungen-TBC und Rheuma geltend. Diese Schädigungsfolgen seien durch folgende zwei Ereignisse verursacht worden: Am 20. April 1945 sei sie beim Fahrrad fahren von einem amerikanischen Jagdbomber angegriffen worden. Der Bordschütze habe sie mit dem Maschinengewehr (MG) beschossen. Der Bomber sei beim zweiten Anflug von einem Flak-Geschütz getroffen worden und am Boden explodiert. Danach habe sie stark geblutet und sei durch deutsche Soldaten provisorisch medizinisch versorgt worden. Im November 1945 habe sie als Mitglied einer Mädchen-Akkordeon-Kapelle zum Tanz gespielt, als plötzlich bewaffnete Soldaten der Roten Armee sie und andere auf den Lastwagen getrieben und abtransportiert hätten. Im Flusswasser habe sie am Wiederaufbau der Elbbrücke mitarbeiten müssen.
Nach Einholung und Auswertung von medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 15. Oktober 1992 ab und verwies auf fehlende schädigungsrelevante Gesundheitsbeschwerden. Im Widerspruchsverfahren holte er weitere Befundberichte ein. Der Chirurg Dr. S. aus W. berichtete über an Kopf und Rumpf sowie den Extremitäten verstreute winzige reizlos verheilte Narben. Die HNO-Ärztin Dr. S. teilte mit, dass Nase und Rachenraum frei seien und die Klägerin 1993 erstmalig über eine Fraktur des Oberkiefers durch einen Gewehrkolbenschlag im Jahr 1945 berichtet habe. Der Internist Dr. K. teilte mit, die Klägerin habe nach ihren Angaben 1946 und 1948 an einer Rippenfellentzündung und nachfolgend an einer Lungen-TBC gelitten. Die Nervenärztin Dr. L. gab an, dass das Hirnstrombild für einen cerebralen Gefäßprozess mit herdförmigen Funktionsstörungen über dem rechten Scheitelbein spreche. Die Befunde sind vom Versorgungsarzt Sanitätsrat Dr. R. ausgewertet und die Klägerin von ihm am 26. September 1994 untersucht worden. Zusammenfassend seien eine Narbenbildung am Kopf, linken Unterkiefer, beiden Hohlhänden und der rechten Brust sowie einer geringen Deformierung der Nasenwurzel als schädigungsbedingt anzuerkennen. Darüber hinaus empfahl er das Einholen eines neurologischen Gutachtens. Dem folgend beauftragte der Beklagte Dr. G. (Neurologische Klinik B.) mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens vom 19. Dezember 1994, der angab: Eine Fraktur und eine Perforation der Schädelkalotte (Schädeldach) seien auszuschließen. Es handele sich eindeutig um einen kalkdichten, schalenartig aufgebauten gutartigen Tumor (Menigenom). Nur zufällig bestünde eine lokale Übereinstimmung mit der lediglich äußeren Verletzung der Kopfschwarte und dem Menigenom. Daraufhin änderte der Beklagte den Bescheid vom 15. Oktober 1992 in einem Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1995 teilweise ab und erkannte als Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung an:
"Narbenbildung am Kopf, am linken Unterkiefer, an beiden Hohlhänden, an der rechten Brust, Deformierung der Nasenwurzel nach Gewalteinwirkung"
Eine Beschädigtenrente sei nicht zu zahlen, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 25 vom Hundert (vH) betrage.
Dagegen hatte die Klägerin am 6. März 1995 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau erhoben und die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen begehrt. Das SG hatte die Unterlagen des Gesundheitsamtes W. beigezogen. Danach erlitt die Klägerin im Februar 1949 in Begleitung von Vater und Ehemann einen Autounfall, wobei sie eine stark blutende Kopfverletzung mit schwerem Blutverlust davontrug und der Vater getötet wurde. Die Fachärztin für Lungenkrankheiten Dr. M. hatte im Auftrag des SG ein Gutachten nach klinischer und labormäßiger Untersuchung am 22. September 1995 erstattet und ausgeführt: Nach der Krankenakte der TBC-Fürsorgestelle sei glaubhaft, dass die Klägerin 1946 an einer Rippenfellentzündung und im März 1948 an einer Lungen-TBC mit einer Begleitpleuritis erkrankt gewesen sei. Die Pleuritis 1946 sei das Brückensymptom und begründe die Kausalität. Die MdE betrage unter 20 v. H.
Mit Urteil vom 24. Januar 1997 hatte das SG den Beklagten verurteilt, als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen:
"Inaktive, gering ausgedehnte doppelseitige Lungentuberkulose, late-robasale Pleuraschwarte rechts, leichte obstruktive revisible Ventilationsstörung, Thoraxschmerzen, Nasenbeinverbiegung, Verlust von 4 Backenzähnen im linken Oberkiefer".
Die weitergehenden von der Klägerin begehrten Schädigungsfolgen seien dagegen nicht anzuerkennen. Die bestehende Schwerhörigkeit sei nicht auf ein Schalltrauma zurückzuführen. Es habe auch keine vorübergehende Taubheit unmittelbar nach dem MG-Beschuss vorgelegen. Auch fänden sich keine Hinweise für eine Verletzung des Schädeldaches oder der Schädelbasis. Die geltend gemachte Sehstörung und das Gelenkrheuma seien nach den eingeholten Befundberichten nicht nachgewiesen.
Dagegen hatte die Klägerin am 23. Juni 1997 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Der von Dr. G. diagnostizierte Hirntumor sei in Wirklichkeit eine durch den MG-Beschuss entstandene Deformierung des Schädelknochens an der Stelle, an der die ca. 14cm lange Narbe der Schussverletzung ende. Die Klägerin hatte im Berufungsverfahren beantragt, den Beklagten zu verurteilen, eine Schwerhörigkeit beidseits, Kopfschmerzen, Sehstörung, Wirbelsäulendeformation, Schmerzen in den Knie-, Hüft- und Schultergelenken als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr ab dem 1. Januar 1991 Beschädigtenversorgung nach einer MdE im allgemeinen Erwerbsleben um mindestens 30 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte erkannte das Urteil des SG in dem Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 an und übernahm die dort festgestellten Schädigungsfolgen.
Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hatte einen Befundbericht vom HNO-Arzt Prof. Dr. E. eingeholt, der über eine Schwerhörigkeit beidseits, einen Tinnitus und eine Nasenscheidewandverbiegung bei unverändertem Zustand berichtet hatte. Die Augenärztin Dr. G. hatte eine Gesichtsfeldeinengung beidseits und einen grauen Star, rechts mehr als links, aber keine Verletzungsfolgen angegeben. Das LSG hatte den Chefarzt der HNO-Klinik des städtischen Klinikums D., Dr. S. mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 24. Juni 1999 beauftragt. Der Sachverständige hatte im Bereich der Ohrmuscheln, Gehörgänge und Trommelfelle keine Verletzungen oder Narben festgestellt. Am Nasenrücken sei eine Narbe von 1,5 cm, am rechten Augenwinkel eine lochförmige Narbe von 3 mm Durchmesser festzustellen. Unter dem Knie hatte er links eine 6 cm lange, gering eingezogene Narbe und vom Haaransatz der Stirnmitte bis rechts neben dem Scheitel eine 10 cm lange schmale und reizlose Narbe gefunden. Der Hörverlust betrage nach dem Schwellenaudiogramm für die Luftleitung rechts 78%, links 74% und für die Innenohrleitung rechts 65%, links 62%. Daraus ergebe sich eine MdE von 50 % nach Feldmann. Eine leichtgradige Einengung der Nasendurchgängigkeit beim Ausatmen stimme mit dem klinischen Befund der Nasenscheidewandverbiegung überein. Ein Explosionstrauma könne nicht die Ursache für die hochgradige Mittelohrschwerhörigkeit sein, denn die Hörstörungen sowie Ohrgeräusche und Schwindelerscheinungen seien erst so spät geklagt worden, dass ein Zusammenhang mit der Einnahme von Streptomycin im Rahmen der TBC-Behandlung nicht anzunehmen sei. Die Wunde im Bereich des Scheitels sei aufgrund ihrer Konfiguration nicht als schusswaffenbedingt einzuordnen. Eine entschädigungspflichtige MdE sei nicht gerechtfertigt. Mit Urteil vom 28. Oktober 1999 hatte das LSG Sachsen-Anhalt die Berufung zurückgewiesen.
Am 18. November 2005 beantragte die Klägerin wegen einer wesentlicher Verschlechterung der Sehkraft auf dem rechten Auge sowie wegen häufig auftretender Kopfschmerzen, Schwindel, Augenflimmern und Ohrgeräuschen eine erneute Prüfung. Mit Bescheid vom 4. Juli 2007 lehnte der Beklagte Neufeststellungen unter Hinweis auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 21. Juli 2007: Die Verletzung des Kopfes habe auch den Schädelknochen betroffen, was durch Röntgenaufnahmen eindeutig bestätigt werde. Zudem sei das rechte Auge durch Splitter verletzt worden. Nach einer Operation in P. habe sich die Sehleistung nochmals verschlechtert, was jedoch nicht auf eine Makuladegeneration zurückzuführen sei. Durch den Abschuss des Jagdbombers 1945 sei auch ihr Gehör geschädigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte in der Begründung aus: Rechtsgrundlage des Bescheides sei nicht § 48 SGB X, sondern § 44 SGB X. Denn tatsächlich gehe es der Klägerin um die Überprüfung des in Ausführung des Urteils des SG vom 24. Januar 1997 ergangenen Bescheides. Unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Urteils des LSG vom 28. Oktober 1999 gebe es keine Hinweise, die zur Anerkennung der erneut geltend gemachten Gesundheitsstörungen in Gestalt von Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- und Hörstörungen als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG führen könnten.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. September 2008 Klage beim SG Dessau-Roßlau erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat Bildaufnahmen des Kopfes vorgelegt und vorgetragen, auf diesen Bildern seien der beschädigte Knochen sowie die Splitterverletzung im Kopfbereich deutlich erkennbar. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2009 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Weder aus § 44 SGB X noch aus § 48 SGB X ergebe sich der geltend gemachte Anspruch. Eine nach vielen Jahren gefertigte Röntgenaufnahme sei ungeeignet, eine lang zurückliegende Kriegsverletzung nachzuweisen.
Die nun anwaltlich vertretene Klägerin hat gegen den ihr am 20. Oktober 2009 zugestellten Gerichtsbescheid fristgemäß am 30. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Es bestehe zwischen den verstärkt auftretenden Kopfschmerzen, Schwindel, Hör- und Sehstörungen ein ursächlicher Zusammenhang zu den geschilderten Kriegsereignissen. Das SG habe versäumt, die vorgelegten Röntgenaufnahmen durch einen Sachverständigen auswerten zu lassen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau sowie den Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 24. April 1997 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 15. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 und des Ausführungsbescheides vom 10. Juli 1997 als weitere Schädigungsfolgen mit Wirkung ab 1. Januar 2001 Ohrgeräusche, Augen- und Ohrenstörungen sowie Kopfschmerzen und Schwindel anzuerkennen sowie eine Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 v. H. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowie seine Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte des Augenlaserzentrums H. vom 21. Juni 2010, der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. A. vom 11. Juli 2010 sowie vom Facharzt für Augenheilkunde R. vom 9. August 2010 eingeholt. In einer nichtöffentlichen Sitzung vom 18. Januar 2011 hat die Klägerin einen Bescheid des Landesverwaltungsamtes, Versorgungsamt Schwerbehindertenrecht, vom 9. Dezember 2010 vorgelegt. Auf Nachfrage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt: Aufgrund der nun vorgelegten Röntgenaufnahmen sei von einer knöchernen Hirnverletzung auszugehen, die als Schädigungsfolgen Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrgeräusche, Hör- sowie Augenstörungen verursacht habe.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte der Klägerin vom Versorgungsamt H. (Az:) beigezogen und die darin enthaltenen medizinischen Unterlagen ausgewertet: Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hatte im Befundschein vom 17. Juli 1994 angegeben: Dr. S. habe mit der Klägerin über alte Brücken an der Schädeldecke gesprochen, die sie mit dem Tieffliegerangriff in Zusammenhang gebracht habe. Der Diagnose eines Hirntumors schenke sie dagegen keinen Glauben. So habe sie erklärt, sie habe vierzig Jahre mit einem Schädelbruch gelebt und solle nun um ihr Geld betrogen werden. Eine MRT-Untersuchung habe sie u.a. deshalb abgelehnt, weil ein klarer Zusammenhang zu dem geschilderten Kriegsereignis bestehe. In einem dem Befundschein des Dr. S. beigefügten Arztbrief vom 7. Februar 1994 findet sich ein Schreiben der Chefärztin Dr. A. vom 7. Februar 1994 (Röntgenabteilung der P. G. Stiftung, L. W.). Danach habe ein CT des Schädels vom 4. Februar 1994 keine Zeichen eines Hirnsubstanzdefekts oder einer intracraniellen Schädelverletzung ergeben. Am ehesten sei von einem osteoplastischen Meningenom auszugehen, wobei auch ein Osteom (gutartiges Knochengeschwulst) möglich sei.
Der Senat hat ein Arbeitsmedizinisches Gutachten durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin Dr. B. (Universitätsklinikum H., Sektion Arbeitsmedizin) vom 13. Oktober 2011 (Untersuchung vom 6. Oktober 2011) erstatten lassen. Zu den Beschwerden hat die Klägerin gegenüber der Sachverständigen angegeben: Sie habe häufig Kopfschmerzen. Dann flimmere es vor ihren Augen und sie müsse sich manchmal erbrechen und den Raum verdunkeln. Gegen die Schmerzen nehme sie keine Medikamente, sondern lege sich einfach hin. Wenn sie morgens aufstehe, sei ihr schwindlig. Dies passiere auch, wenn sie schnell aufstehe oder sich aufrege. Seit sie morgens Ingwer zu sich nehme, habe sich die Schwindelintensität verringert. Infolge eines Herzinfarktes im Alter von 35 Jahren habe sie ihren Beruf als Sekretärin aufgeben müssen. Seit Jahren sehe sie mit beiden Augen schlecht. In das rechte Auge sei ein Splitter gelangt. An beiden Augen sei wie wegen eines grauen Stars operiert worden.
Die Sachverständige hat folgende Feststellungen getroffen: Neben der bereits anerkannten Lungentuberkulose, einer reizlosen und unauffälligen Narbenbildung am Kopf, unter dem rechten Auge, an der Nase, an der Brust und am rechten Knie sei wiederholt diskutiert worden, ob die Klägerin durch den MG-Beschuss eine schwerwiegende knöcherne Verletzung des Schädels bzw. Schädigung des Gehirns erlitten habe. Anhand des Schädel-CT von 1994 und eines Röntgenbildes seien Knochenverletzungen nicht nachzuweisen gewesen. Auf dem CT habe sich eine kalkdichte Veränderung an der Hirnhaut erkennen lassen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als ein langsam wachsendes Meningenom zu bewerten sei. Ein Zusammenhang mit dem MG-Beschuss sowie der Flugzeugexplosion sei dagegen nicht herzustellen. Die berichteten Kopfschmerzen seien am ehesten mit einer Migräne zu erklären. So bestehe die dafür typische Aura mit Flimmern, vermehrtem Brechreiz und einer Lichtempfindlichkeit. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 20. April 1945 bestehe nicht, da dieses nur äußere Hautverletzungen verursacht habe. Zudem gebe es in der Literatur keine Hinweise darauf, dass eine Migräne durch traumatische Ereignisse verursacht werden könne. Bei dem von der Klägerin angegebenen Schwindel handele es sich um einen sog. orthostatischen Schwindel, der kreislaufbedingt auftrete. Die Ursache der hochgradigen Schwerhörigkeit sei schwer zu ermitteln. Der erste Hörbefund stamme aus dem Jahr 1993, d. h. fast fünfzig Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin bereits 65 Jahre alt gewesen. In diesem Alter bestehe bei vielen Menschen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Schwerhörigkeit. Bei der Explosion eines Flugzeuges breiteten sich die Schallwellen gleichmäßig aus, was zu einer gleichmäßigen Schädigung beider Ohren führen könne. Nach Angaben der Klägerin habe sie jedoch vor allem linksseitig schlecht hören können. Überdies habe sei nach dem Jahr 1945 in einer Theatergruppe mitgewirkt und als Sekretärin gearbeitet, was ein gutes Gehör voraussetze. Probleme bei der Ausübung dieser Tätigkeiten seien von ihr weder berichtet worden noch aus der Akte erkennbar. Aus der Hörkurve von 1993 könne nicht auf ein Knalltrauma aus dem Jahr 1945 geschlossen werden. Gleiches gelte für die Ohrgeräusche, über die während der Untersuchung nichts berichtet worden sei. Die Klägerin leide an einer Maculadegeneration beider Augen mit Linsentrübung (grauer Star), was zu einer Einschränkung der Sehkraft geführt habe. Hierbei handele es sich um eine fortschreitende Schädigung der Netzhaut im Auge. Die Erkrankung könne durch hohen Blutdruck, Rauchen sowie eine genetische Veranlagung verursacht werden. Ein Zusammenhang zum Kriegsereignis lasse sich dagegen nicht herstellen. Für eine Rheumaerkrankung fehle es an typischen Symptomen sowie an einer nachweisbaren entzündlichen Aktivität im Blut. Die bisher festgestellten Schädigungsfolgen seien zutreffend und mit einem GdS von unter 20 korrekt bewertet worden.
Nach Eingang des Sachverständigengutachtens hat der Berichterstatter mit Verfügung vom 20. Oktober 2011 unter Belehrung nach § 106 a Sozialgesetzbuch (SGG) die Beteiligten aufgefordert, sich zum Gutachten zu äußern. Die Berufung erscheine derzeit nicht aussichtsreich, weitere Ermittlungen seien nicht beabsichtigt und das Verfahren werde als entscheidungsreif angesehen. Die Klägerin hat hierzu ausgeführt: Die Gutachterin habe sie nur äußerst oberflächlich begutachtet und keine eingehenden Untersuchungen durchgeführt. Insbesondere bezweifele sie die Ergebnisse des Gutachtens zur Kopfverletzung. Dazu hätte die Gutachterin die knöcherne Schädelverletzung bildtechnisch abgleichen müssen. Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen seien daher bloße Vermutungen. Die Klägerin rege ein Obergutachten an. In einem Schreiben vom 5. Dezember 2011 hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, es sei nicht beabsichtigt, ein sog. "Obergutachten" einzuholen. Das Verfahren sei demnächst zur Terminierung und Entscheidung vorgesehen.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Akte des Beklagten über die Klägerin sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts S 5 V 23/95, des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt L 5 V 28/97 sowie die Schwerbehindertenverwaltungsakte 422450 haben dem Senat in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und sind bei der Entscheidung herangezogen worden.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
2. Die Klage ist als verbundene Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
3. Die Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 ist rechtmäßig, da der Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, den bestandskräftigen Bescheid vom 15. Oktober 1992 sowie den Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 abzuändern und Ohr- und Sehstörungen sowie Kopfschmerzen, Ohrgeräusche und einen Schwindel als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Antrag der Klägerin vom 18. November 2005 ist bei verständiger Würdigung nach objektivem Empfängerhorizont in zwei Richtungen auszulegen. Soweit sie sich auf Schädigungsfolgen bezieht, die bereits Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens vor dem SG Dessau (S 5 V 23/95) gewesen waren, begehrt sie eine Überprüfung der damaligen Entscheidung gemäß § 44 Abs. 1 SGB X. Soweit sie dagegen die Feststellung von Schädigungsfolgen begehrt, die in diesem Verfahren noch nicht geltend gemacht worden waren, macht sie das Hinzutreten einer neuen, bisher noch nicht anerkannten Schädigungsfolge im Sinne des § 48 SGB X geltend.
I. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist der eine Sozialleistung ablehnende Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Diese Bestimmung ermöglicht ein Abweichen von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Im Kern geht es dabei der Klägerin um die Zahlung einer Beschädigtenrente als Sozialleistung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Sollte dagegen die Feststellung von Schädigungsfolgen, ähnlich einer Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), als völlig eigenständiger Anspruch bewertet werden können, wäre daneben als weitere Anspruchsgrundlage § 44 Abs. 2 SGB X zu prüfen (vgl. zur Feststellung eines GdB, BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 SB 3/10 R, zitiert nach juris), dessen Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht erfüllt sind.
In der Sache hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 15. Oktober 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 sowie des Ausführungsbescheides vom 10. Juli 1997 zusteht. Der Senat kann nicht, wie es die beantragte Rücknahme nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X bzw. § 44 Abs. 2 SGB X voraussetzt, feststellen, dass bei Erlass dieser Bescheide das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Der Bescheid vom 15. Oktober 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 sowie der Ausführungsbescheid vom 10. Juli 1997 sind nicht zu beanstanden, denn der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Anerkennung von weiteren Schädigungsfolgen im Sinne von § 1 BVG zu.
Nach § 1 BVG erhält derjenige, der durch eine militärische oder militärähnliche Verrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. BSG, Urt. v. 15. 12. 1999 – B 9 VS 2/98 R – SozR 3-3200 § 81 Nr. 16, S. 73, m.w.N.). Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies gilt auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses als Primärschaden hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung (vgl. BSG, ebd., S. 74 ff.). Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinischen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urt. v. 8. 8. 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14, m.w.N.).
Wie auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, hat die Klägerin als kriegsbedingte Schädigung eine "Narbenbildung am Kopf, am linken Unterkiefer, an beiden Hohlhänden, an der rechten Brust, Deformierung der Nasenwurzel nach Gewalteinwirkung" sowie eine "Inaktive, gering ausgedehnte doppelseitige Lungentuberkulose, laterobasale Pleuraschwarte rechts, leichte obstruktive revisible Ventilationsstörung, Thoraxschmerzen, Nasenbeinverbiegung, Verlust von 4 Backenzähnen im linken Oberkiefer" erlitten.
Die von der Klägerin begehrte Überprüfung von weiteren Schädigungsfolgen wie einer beidseitigen Schwerhörigkeit (dazu im Folgenden a.), Ohrgeräuschen (im Folgenden b.) sowie einer Einschränkung der Sehkraft (dazu im Folgenden c.) und Kopfschmerzen (dazu im Folgenden d.) sind den Kriegsereignissen nicht als Schädigungsfolge zuzurechnen. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Der Senat folgt dabei dem überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 13. Oktober 2011. Hiernach kann keine der von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit dem schädigenden Ereignis von 1945 in Zusammenhang gebracht werden. Insbesondere ihre Annahme, sie sei durch feindlichen Fliegerbeschuss sowie durch die anschließende Explosion des Flugzeuges nach Flakabschuss schwer am Kopf verletzt worden, was die Folgeschäden an den Ohren und den Augen sowie am Kopf erklären könne, hat die Sachverständige nicht für wahrscheinlich gehalten. Dr. B. hat – wie bereits Dr. G. in seinem Gutachten vom 19. Dezember 1994 – eine erhebliche traumatische Kopfverletzung nicht bestätigen können. Dies ergibt sich auch aus der röntgenologischen Auswertung von Dr. A. vom 7. Februar 1994. Dabei hat die Sachverständige Dr. B. nochmals die Röntgenaufnahmen sowie die CT-Aufnahmen des Kopfes geprüft und ausgewertet und ebenso wie bereits Dr. G. und Dr. A. lediglich ein mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehendes Menigenom diagnostiziert. Die Rüge der Klägerin, die Sachverständige habe versäumt, eine knöcherne Schädelverletzung bildtechnisch abzugleichen und stelle lediglich Vermutungen auf, ist deshalb zurückzuweisen. Aus den schon vorhandenen älteren Bildbefunden ergeben sich keine Anhaltpunkte für eine traumatische Kopfverletzung. Wenn schon damals, im Jahr 1994 keine solche Kopfverletzung nachweisbar war, besteht kein Grund, diese Untersuchung Jahre später zu wiederholen. Für die von der Klägerin geforderte Einholung eines sog. "Obergutachtens" bleibt angesichts dieser eindeutigen Befundgrundlage erst Recht kein Grund. Einen Antrag nach § 109 SGG hat sie nicht gestellt, so dass weitere Ermittlungen des Senats nicht durchzuführen waren.
a.) Die von der Sachverständigen Dr. B. festgestellte Schwerhörigkeit steht ebenfalls nicht mit dem Fliegerangriff und der anschließenden Explosion des Flugzeuges in Zusammenhang. Gegen ein Knalltrauma spricht bereits die Art der Schädigung der Ohren selbst. So fehlt es nach den Angaben der Klägerin an einer gleichwertigen, beidseitigen Ohrschädigung und an einer konkret nachweisbaren Trommelfellschädigung. Zudem stammt der erste Hörbefund der Klägerin erst aus dem Jahr 1993, d.h. fast fünfzig Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis. Von daher ist die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. B. nachvollziehbar, dass diese Schwerhörigkeit altersbedingt ist. Auch spricht gegen eine traumatische Hörschädigung das langjährig von der Klägerin betriebene private Theaterschauspiel sowie ihre berufliche Tätigkeit als Sekretärin in den Jahren nach 1945, die bei einer kriegsbedingten, schweren Hörschädigung schon im Jahr 1945 so kaum möglich gewesen sein dürfte. Dies stimmt auch mit der Einschätzung des HNO-Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 24. Juni 1999 überein.
b.) Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. B., denen der Senat folgt, leidet die Klägerin nicht unter Tinnitus, denn sie hat zu Ohrgeräuschen während der aktuellen Untersuchung keine Angaben gemacht. Hinweise für diese Gesundheitsstörung bestehen demnach nicht. Im Übrigen müssten für eine solche Schädigung der Ohren – wie die Sachverständige überzeugend ausgeführt hat – ihre Ausführungen zur Schwerhörigkeit übertragen werden, was einen Ursachenzusammenhang ausschließt. Auch diese Einschätzung wurde im Übrigen bereits durch den HNO-Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 24. Juni 1999 getroffen.
c.) Dr. B. hat bei der Klägerin ferner einen grauen Star beider Augen sowie eine Maculardegeneration diagnostiziert. Diese Augenerkrankungen stehen mit den angeschuldigten Ereignissen nicht in einem erkennbaren Ursachenzusammenhang. Der von der Klägerin behauptete Splitter im Auge ließ sich in Auswertung der zahlreichen augenärztlichen Befunde nicht nachweisen. Für die festgestellten Augenerkrankungen sind nach der nachvollziehbaren Bewertung der Sachverständigen Dr. B. genetische Faktoren sowie weitere Risikofaktoren (Bluthochdruck, Rauchen) verantwortlich zu machen. Hinweise für eine Augenschädigung durch eine äußere Gewalteinwirkung finden sich dagegen nicht.
d.) Bezogen auf die von der Klägerin geltend gemachten Kopfschmerzen hat die Sachverständige Dr. B. eine Migräne diagnostiziert und einen Ursachenzusammenhang zu den angeschuldigten Ereignissen für unwahrscheinlich gehalten. Diese Einschätzung hält der Senat für schlüssig, da sich keine Hinweise für eine schwere traumatische Kopfverletzung ergeben haben.
II. Auch die von der Klägerin begehrte Feststellung der Schädigungsfolge Schwindel gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X kommt nicht in Betracht, da kein Ursachenzusammenhang zu dem Ereignis aus dem Jahr 1945 wahrscheinlich zu machen ist. Diese Norm ermöglicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine derartige Änderung kann nicht nur in der Verschlechterung oder Verbesserung anerkannter Schädigungsfolgen liegen, sondern auch im Hinzutreten einer neuen, bisher noch nicht anerkannten Schädigungsfolge. Die Voraussetzungen einer Anerkennung der Schädigungsfolge eines Schwindels im Sinne des § 1 BVG liegt nicht vor. Bezogen auf den Schwindel liegt nach Ansicht von Dr. B. bei der Klägerin eine Kreislaufproblematik vor, die mit den angeschuldigten Ereignissen erkennbar in keinem Ursachenzusammenhang stehen kann.
III. Die somit zu Recht nur als Schädigungsfolge anerkannten gesundheitlichen Folgen bedingen nach § 30 Abs. 1 und 2 BVG keine MdE von mindestens 25 v.H., die nach § 31 Abs. 1 und 2 BVG rentenberechtigend wäre. Der Senat sieht sich nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. B. auch nicht veranlasst, von einer Verschlimmerung der bisher vom Beklagten bereits anerkannten Schädigungsfolgen auszugehen und eine höhere MdE bzw. einen höheren GdS anzuerkennen. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Hinblick auf diese bereits anerkannten Schädigungsfolgen wird von der Klägerin weder behauptet noch gibt es hierfür irgendeinen medizinischen Hinweis. Ein Rentenanspruch der Klägerin ist daher weiterhin nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
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