L 3 AS 2432/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 3034/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 2432/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1982 geborene Kläger lebt zusammen mit seinen Eltern (D. und P. B., beide geboren 1957) in deren Eigenheim, mit einer Gesamtgröße von 86 qm (Baujahr 1987, 4 Zimmer, Küche, Bad, Ölheizung). Die Eltern, die über monatliche Rentenbezüge in Höhe von 1.272,55 EUR verfügen, beantragten für die Zeit ab 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Während die Bundesagentur für Arbeit Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit ablehnte, bewilligte der damals für die Kosten der Unterkunft und Heizung zuständige Landkreis K. - Sozialamt - monatliche Leistungen in Höhe von 294,84 EUR. Wegen der Einstellung dieser Leistungen ab April 2007 strengte der Vater des Klägers eine Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) an, die - ebenso wie die Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg - erfolglos war (Gerichtsbescheid vom 14.06.2005 - S 5 AS 1021/05 und Urteil vom 20.01.2006 - L 8 AS 3073/05).

Der Kläger beantragte erstmals im April 2006 SGB II-Leistungen. Dieser Antrag wurde mangels Hilfebedürftigkeit - der Kläger bezog damals noch Arbeitslosengeld - abgelehnt. Vom 01.04.2007 bis 31.07.2009 wurden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in getrennter Trägerschaft von der Bundesagentur für Arbeit sowie vom Landkreis K. - Sozialamt - erbracht.

Am 27.06.2009 stellte der Kläger den Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 01.08.2009.

Mit Bescheid vom 06.07.2009 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2009 bis zum 31.01.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der Regelleistung von monatlich 359,00 EUR.

Hiergegen hat der Kläger mit gleichlautendem Schreiben vom 12.07.2009 sowohl Widerspruch bei der Bundesagentur für Arbeit eingelegt als auch Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, eingegangen am 13.07.2009 (Az. S 16 AS 3034/09). Zur Begründung macht er geltend, er verwahre sich dagegen, dass ihn die Bundesagentur für Arbeit fortgesetzt im Wege der Schikane monatlich nötige, Hartz IV-Anträge zu stellen, anstatt mit den Zahlungen der seit 3 Jahren mit einer Haftungsquote von 100 % rechtskräftig verurteilten M. Versicherung die Unfallfolgen eines im Jahr 1999 erlittenen Arbeitsunfalles zu beheben. Der von der Bundesagentur für Arbeit übergeleitete Zahlungsanspruch belaufe sich mittlerweile auf 102.736,74 EUR.

Nachdem der Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.07.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2009 zurückgewiesen wurde, hat der Kläger auch hiergegen am 23.07.2009 Klage zum SG erhoben (S 16 AS 3216/09). Mit Beschluss vom 20.11.2009 hat das SG beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 16 AS 3034/09 verbunden.

Das SG hat den Kläger mit Verfügung vom 10.02.2010 aufgefordert darzulegen, was Gegenstand der Klage sei, nachdem von ihm geltend gemacht werde, Leistungen nicht beantragt zu haben. Den vom Kläger in der Folgezeit vorgelegten umfangreichen Schriftsätzen ist über das bisherige Vorbringen hinaus kein weitergehendes Begehren zu entnehmen.

Die im gleichen streitbefangenen Zeitraum vom 01.08.2009 bis 31.01.2010 gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung sind Gegenstand des Parallelverfahrens, in dem der erkennende Senat am heutigen Tag über eine weitere Berufung des Klägers entschieden hat (L 3 AS 2431/10).

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27.04.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Die Beklagte - damals noch die Bundesagentur für Arbeit - habe dem Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II mit der Bewilligung des Regelsatzes in Höhe von 359,00 EUR voll entsprochen. Es sei bei dieser Sachlage nicht erkennbar, wie sich die rechtliche und wirtschaftliche Situation des Klägers bei einem Erfolg der ausdrücklich gegen die Bewilligungsentscheidung der Beklagten gerichteten Rechtsverfolgung verbessern könne. Soweit der Kläger vortrage, die Beklagte verweise ihn auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, könne ebenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers erkannt werden. Denn diese Leistungen würden gemäß § 37 Abs. 1 SGB II nur auf Antrag erbracht, so dass ihre Gewährung von der Mitwirkung des Klägers abhänge. Ein aufgedrängter Leistungsbezug könne daher nicht eintreten, zumal auch nicht ersichtlich sei, wodurch der Kläger infolge der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen beschwert sein könne. Soweit der Kläger eine Behebung seiner Unfallfolgen durch Zahlung der M. Versicherung begehre, sei ein Zusammenhang zu der angefochtenen Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht erkennbar. Der Kläger habe sein Begehren trotz Aufforderung nicht konkretisiert. Für einen über die bewilligten Grundsicherungsleistungen hinausgehenden Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte zur Behebung seiner Unfallfolgen bestehe keine Rechtsgrundlage.

Der Kläger hat gegen das ihm am 22.05.2010 zugestellte Urteil noch am gleichen Tag Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen hinsichtlich zivilrechtlicher Rechtsansprüche gegen die M. Versicherung, welche zu Unrecht auf die Beklagte übergeleitet worden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2009 zu verurteilen, seine Unfallfolgen mit Zahlungen der M. Versicherung zu beheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Leistungen der Grundsicherung seien dem Kläger in gesetzlicher Höhe bewilligt worden. Es sei weiterhin nicht nachvollziehbar, was der Kläger mit seiner Berufung erreichen wolle. Ein Zusammenhang mit Anträgen auf Haftung und Folgenbeseitigung könne nicht hergestellt werden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1. Auf Beklagtenseite ist nach dem Ende der getrennten Aufgabenwahrnehmung ab 01.01.2012 das Jobcenter Landkreis K. (gemeinsame Einrichtung gemäß § 44b SGB II in der seit 01.01.2011 gültigen Fassung) als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen in getrennter Trägerschaft geführten Behörden getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt eine im Berufungsverfahren zulässige Klageänderung im Sinne von §§ 99, 153 Abs. 1 SGG dar (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R, in juris). Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die vom SG mit Beschluss vom 20.01.2009 verbundenen Verfahren S 16 AS 3034/09 und S 16 AS 3216/09.

Das Klageverfahren S 16 AS 3216/09, das sich gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.07.2009 richtete, war wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit bereits unzulässig. Denn der Bescheid vom 06.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2009 war bereits Gegenstand des Klageverfahrens S 16 AS 3034/09. Ursprünglich war nur der Bescheid vom 06.07.2009 Gegenstand des vorbezeichneten Klageverfahrens. Mangels Durchführung eines Vorverfahrens war die Klage im Zeitpunkt ihrer Erhebung zunächst unzulässig. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Das Vorverfahren stellt eine Prozessvoraussetzung dar, deren Fehlen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist. Nicht erforderlich ist, dass das Vorverfahren schon bei Klageerhebung abgeschlossen sein muss. Fehlt es allein an der Prozessvoraussetzung eines abgeschlossenen Vorverfahrens, ist eine Klage in der Regel nicht unzulässig, sondern das Vorverfahren ist im Prozess nachzuholen (BSG, Beschluss vom 20.07.2011 - B 13 R 97/11 B, in juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann dieses auch noch während des Rechtsstreits in der Tatsacheninstanz nachgeholt werden (BSG, a.a.O.). Wird das Vorverfahren nachgeholt, so wird der dieses abschließende Widerspruchsbescheid Gegenstand des Klageverfahrens in der Tatsacheninstanz (BSG, Urteil vom 31.08.1978 - 4/5 RJ 110/76, in juris).

Vorliegend hat der Beklagte das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 06.07.2009 mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2009 abgeschlossen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war das Klageverfahren S 16 AS 3034/09 noch anhängig, so dass auch der Widerspruchsbescheid Gegenstand dieses Klageverfahrens geworden ist.

Die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 20.07.2009, wonach dieser mit der Klage angefochten werden könne, ist unzutreffend. Die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung eröffnet allerdings kein gesetzlich ausgeschlossenes Rechtsmittel (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 66 Anm. 12a).

Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz kann während der Rechtshängigkeit die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Dies beruht auf dem Rechtsgrundsatz, dass über einen Streitgegenstand zwischen den selben Beteiligten nur eine gerichtliche Entscheidung ergehen darf (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 94 Anm. 7).

Damit war die am 23.07.2009 erhobene Klage im Verfahren S 16 AS 3216/09 bereits unzulässig.

3. Zu Recht hat das SG die Klage gerichtet gegen den Bescheid vom 06.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2009 als unzulässig abgewiesen. Der Beklagte hat mit den streitbefangenen Bescheiden über Leistungen nach dem SGB II entschieden und die Regelleistung in gesetzlicher Höhe ungekürzt bewilligt. Es fehlt damit an einer Klagebefugnis, denn eine Beschwer des Klägers ist nicht zu erkennen. Soweit der Kläger darüber hinaus eine Verurteilung des Beklagten dahingehend begehrt, seine Unfallfolgen mit Zahlungen der Haftpflichtversicherung zu beheben, war dieses Begehren nicht Gegenstand der Entscheidung des Beklagten, so dass ein Rechtsschutzinteresse für die Klage gerichtet gegen den Bescheid vom 06.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2009 fehlt. Wegen der Begründung im Übrigen verweist der Senat auf die Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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