L 8 SB 2667/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 136/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2667/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50.

Die 1956 geborene Klägerin ist k. Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Für sie wurde mit Bescheid vom 12.04.2005 ein GdB von 40 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), einer Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks (Teil-GdB 10), einer Depression (Teil-GdB 10) und eines Bluthochdrucks (Teil-GdB 10) festgestellt. Ein Änderungsantrag im Jahr 2006 hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 17.07.2006).

Am 16.03.2009 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Behinderung und teilte zur Begründung mit, dass sich die Depressionen verstärkt hätten und sie nunmehr unter einer Polyneuropathie, Taubheit und Schmerzen leide, so dass manchmal ein Aufstehen nicht möglich sei. Sie habe Schmerzen in der Lendenwirbelsäule (LWS).

Der Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei. In der Zeit vom 25.07.2007 bis 15.08.2007 war die Klägerin in Rehabilitation in der R. Klinik Bad K. wegen persistierender Lumboischialgien rechts bei Zustand nach Dekompression L3 bis L5 beidseits und eines chronischen Schmerzsyndroms, Übergewicht, arterieller Hypertonie und Hypercholesterinämie (Entlassungsbericht vom 15.08.2007). Die Klägerin litt seit vielen Jahren immer wieder unter Rückenschmerzen, teilweise mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Aktuell habe sie Schmerzen in der unteren LWS und ein Taubheitsgefühl im rechten Bein. Durch die im Jahr 2006 durchgeführte Dekompression L3 bis L5 sei nur eine geringe Linderung eingetreten. Sie habe Schmerzen beim Vornüberbeugen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei eingeschränkt (Schober 10/13, FBA 40 cm, Seitneigung 20/0/30°, Ott 29/30/33, Lasègue rechts 60° grenzwertig positiv). Von einer Meniskus-OP im Jahr 2004 habe sie keine Beschwerden mehr (Beweglichkeit: 5/0/140°). Die Blutdruckwerte waren im normotonen Bereich.

Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie K. C. berichtete in einem Brief vom 08.05.2008, die Klägerin gebe ein Taubheitsgefühl in beiden Unterschenkeln und Füßen sowie hochstrahlende Schmerzen an der Außenseite der Oberschenkel bis zum Rücken rechts an. Die Unterschenkel und Füße seien berührungsempfindlich, selbst die Bettdecke könne sie nicht ertragen. Schmerzmittel vertrage sie nicht, wenn die Schmerzen unerträglich würden, bekomme sie eine Injektion. Die Klägerin sei niedergeschlagen, etwas dysphorisch, sehr klagsam und auf ihre Schmerzen und die Unverträglichkeit von Analgetika fixiert. Sie wirke etwas lust- und freudlos und in ihren Interessen eingeengt.

In einem Arztbrief vom 12.11.2008 teilte die Neurologin Dr. Schl. die Diagnose einer Polyneuropathie unklarer Genese mit. Die Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus und Nervus tibialis sei verlangsamt. Die sensible Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus suralis links sei nicht erhältlich. Die Muskeleigenreflexe, der Achillessehnenreflex seien seitengleich lebhaft bzw. mittelstark. Die Klägerin weise ein Schonhinken links und einen unsicheren Seiltänzergang auf.

Nach Anhörung seines ärztlichen Dienstes (Dr. L. , 21.04.2009) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2009 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 23.06.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, dass sie an einer derzeit mittelgradigen Episode einer Depression und einem chronischen Schmerzsyndrom leide, so dass ein GdB von 50 festzustellen sei. Die seelische Störung habe seit 2005 deutlich zugenommen.

Der Beklagte zog weitere Unterlagen beim Hausarzt der Klägerin, Dr. Sp. , bei. Er übersandte einen weiteren Arztbrief von Dr. Schl. vom 08.07.2009, die den Verdacht auf ein Restless Legs Syndrom äußerte. Die Klägerin berichte über Bewegungsunruhe in den Beinen abends beim Fernsehen. Der Internist Dr. Ki. schloss in einem Arztbrief vom 05.03.2009 eine perfusionsmindernde arterielle Verschlusskrankheit der Beine aus (Blutdruck: 160/90 mmHg). In einem Arztbrief vom 18.10.2007 schloss er außerdem ein Ulcus ventrikuli bei seit Jahren wiederkehrenden Oberbauchschmerzen aus. Er gehe nach wiederholter Untersuchung von einer funktionellen Dyspepsie aus. Der Radiologe Dr. Sche. stellte in einem Bericht vom 09.07.2007 einen im Vergleich zu einer Voruntersuchung im Dezember 2005 deutlichen Progress von degenerativen Veränderungen der mittleren/unteren LWS mit Nachweis einer momentan bestehenden sehr ausgeprägten Osteochondrose bei Lendenwirbelkörper (LWK) 3/4 bis LWK 5/SWK 1 mit sehr kräftigem Knochenmarködem dar. Beim LWK 4/5 bestehe ein Bulging mit Anhebung der Nervenwurzel, vor allem rechts. Weiterhin bestünden degenerative Veränderungen auch beim LWK 2/3, der Befund habe sich hier aber nicht gewandelt.

Nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. L. , 18.11.2009) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2009 zurück.

Dagegen erhob die Klägerin am 14.01.2010 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG), zu deren Begründung sie vortrug, dass die seelische Störung mit einem GdB von 30 anzusetzen sei. Außerdem habe sie ein chronisches Schmerzsyndrom, das dazu führe, dass sie regelmäßig mit Schmerzspritzen behandelt werde. Ihr Magen sei bereits so angegriffen, dass sie die verordneten schweren Schmerzmittel nicht vertrage. Zur Begründung verwies sie auf den Arztbrief von K. C. vom 08.05.2008.

Das SG befragte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K. C. schriftlich als sachverständige Zeugin. Sie teilte unter dem 01.09.2010 mit, dass sie die Klägerin nur einmal, nämlich am 08.05.2008, psychiatrisch untersucht habe. Im Übrigen sei sie in der Praxis ausschließlich durch Dr. Schl. neurologisch behandelt worden. Diagnostisch bestehe eine Polyneuropathie unklarer Genese, ein Restless-Legs-Syndrom, ein Zustand nach OP einer Spinalkanalstenose und eine depressive Verstimmung. Die Klägerin klage über ein Unruhegefühl in den Beinen, Schmerzen im linken Knie, Unsicherheit beim Seiltänzergang. Das Vibrationsempfinden sei in beiden Waden herabgesetzt, es bestehe ein Schonhinken links. Die Behinderungen seien in der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vollständig erfasst. Zur Beurteilung des GdB bestehe Übereinstimmung.

Das SG befragte weiter Dr. Schl. schriftlich als sachverständige Zeugin, die im Wesentlichen die von K. C. mitgeteilten Diagnosen wiederholte. Bei der Klägerin bestehe eine Gangunsicherheit und eine sehr leicht ausgeprägte Gleichgewichtsstörung in körperlicher Hinsicht. Weiterhin bestehe nach der Spinalkanalstenosen-OP noch eine residuale L4-Läsion rechts mit Reflexabschwächung ohne weitere Lähmungen. Im Zusammenhang mit der Wirbelsäulenerkrankung bestehe eine chronische Lumbalgie. Auf Grund einer rezidivierenden depressiven Störung bestehe eine leicht verminderte Belastbarkeit. Dr. Schl. hielt einen GdB von 50 für gerechtfertigt.

Das SG zog nunmehr die Akte aus einem parallel laufenden Rechtsstreit gegen die Deutsche Rentenversicherung bei (S 14 R 4229/09). Darin befand sich ein orthopädisches Gutachten des Dr. H. vom 29.06.2010. Bei der dortigen Untersuchung am 18.06.2010 gab die Klägerin an, dass sie nach längerem Sitzen im Auto ziehende Schmerzen ins rechte Bein bekomme. Sie mache etwa eine halbe Stunde täglich Nordic Walking. In der LWS habe sie einen dumpfen Dauerschmerz, der zusätzlich bei Belastung und Stehen von mehr als zwei Stunden brennend auftrete. An den Unterschenkeln habe sie rechts ausgeprägter als links ein ständiges Taubheitsgefühl. Nachts im Liegen sei es schlimmer. Schmerzen im Kniegelenk habe sie nicht mehr. Bei der Untersuchung sei kein sichtbares Schonhinken aufgetreten. Während der 30minütigen Befragung könne die Klägerin ruhig und zurückgelehnt auf ihrem Stuhl sitzen. Sie bücke sich problemlos, um Ausweispapiere aus der Tasche zu ziehen und diese wieder zu verstauen. Das Gangbild sei etwas verlangsamt. Die Füße würden nur wenig über die Zehen abgerollt. Der Einbeinstand sei beidseits sicher, der Tandemstand etwas wackelig, der Tandemgang etwas wackelig aber möglich. Die LWS weise eine allenfalls mäßig ausgeprägte Bewegungsstörung auf (FBA 30 cm, Schober 10/14 cm, Seitneigefähigkeit leicht reduziert, Rückneigebewegung bis 20°). Die Brustwirbelsäule sei frei entfaltbar. In den Röntgenaufnahmen seien erhebliche degenerative Veränderungen mit Osteochondrosen aller lumbalen Segmente und Spondylarthrosen der mittleren und unteren LWS erkennbar. Weiterhin bestehe eine lateral und beginnend retropatellar betonte Gonarthrose im linken Kniegelenk ohne Reizzustand.

Das SG holte im Rentenverfahren außerdem ein nervenärztliches Gutachten des Prof. Dr. B. vom 02.01.2011 ein. Dort gab die Klägerin an, im Jahr 2000 wegen eines Karpaltunnelsyndroms und im Jahr 2006 zur Entfernung der Gallenblase operiert worden zu sein. Seitdem habe sie vielerlei Probleme mit ihrem Bauch. Sie gab an, dass sie in ihrer bis 2004 ausgeübten Tätigkeit immer zu Nachtschichten eingeteilt worden sei. Das sei fünf Jahre lang gut gegangen, dann sei sie depressiv geworden. In den vergangenen Jahren sei das schlimmer geworden. Sie versinke dann in sich selbst und frage sich, warum das Schicksal sie mit ihren Beschwerden so sehr bestrafe und warum auch ihr Mann so krank sei. Oft werde ihr schlecht. Alle drei Monate besuche sie die Nervenärztin Dr. Schl ... Ihre Füße fühlten sich eiskalt an, das störe sie wahnsinnig. Sie habe Taubheitsgefühle in den Füßen bis zu den Sprunggelenken. Ab und zu vergesse sie etwas, das sie sich vorgenommen habe. Beim Essensbeginn bekomme sie Krämpfe im Magen. Schwindelerscheinungen seien normalerweise nicht vorhanden. Ihr Blutdruck liege immer bei ca. 140/95-100 Torr (gemessen: 160/100 Torr). Bei der Untersuchung stellte Prof. Dr. B. Verdeutlichungstendenzen fest. Die Untersuchungssituation sei durch Klagsamkeit geprägt. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sei subjektiv deutlich, objektiv allenfalls leicht eingeschränkt. Es bestehe eine besorgte und bedrückte Grundstimmung. Die Klägerin scheine etwas energielos. In den Praxisräumen gehe sie leicht rechtshinkend. Die Halswirbelsäulen (HWS)- Beweglichkeit sei frei. Die Beweglichkeit der LWS sei deutlich eingeschränkt in allen Bewegungsebenen, die Klägerin gebe bei der Untersuchung Schmerzlaute von sich (FBA 28 cm, Lasègue beidseits endgradig positiv). Der Oberkörper werde nach links gehalten. Prof. Dr. B. diagnostizierte ein chronifiziertes Schmerzsyndrom der LWS bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen, eine Gonarthrose des linken Kniegelenks, eine distal symmetrisch, rein sensible Polyneuropathie der Beine unklarer Genese, eine arterielle Hypertonie, eine Hypercholesterinämie, eine Somatisierungsstörung und eine chronifizierte Dysthymie. Ein Hinweis auf ein Restless Legs Syndrom habe sich in der Untersuchung nicht ergeben. Psychisch bestehe eine leicht eingeschränkte Schwingungsbreite in Richtung des depressiven Pols.

Der Beklagte legte zu diesen Gutachten eine Stellungnahme von Dr. R. vom 27.07.2011 vor.

Die Klägerin legte eine für die 14. Kammer des SG gefertigte sachverständige Zeugenaussage von Dr. Sp. , Hausarzt und Internist, vom 06.03.2010 vor, der zusätzlich zu den weiteren Diagnosen einen Reizmagen und eine Refluxösophagitis mitteilte. Im Februar 2009 sei es zu einer Schwellung des linken Knies gekommen, die unter Salbenverbänden nach zehn Tagen wieder weg gewesen sei. In einer sachverständigen Zeugenaussage für die 14. Kammer des SG vom 27.01.2010 gab die Neurologin Dr. Schl. an, dass im Vordergrund die degenerativen LWS-Veränderungen stünden. Außerdem bestehe eine Polyneuropathie mit daraus folgender leichter Gangunsicherheit. Sie habe außerdem ein Restless-Legs-Syndrom diagnostiziert. Der Orthopäde Dr. So. gab unter dem 20.01.2010 an, die Klägerin befinde sich seit 1999 in seiner regelmäßigen Behandlung. Es seien degenerative Veränderungen der HWS bekannt. Die Klägerin leide unter einer sehr stark ausgeprägten chronischen Schmerzsymptomatik. Es erfolge eine schmerztherapeutische Behandlung durch Infiltrationen, Physiotherapie und Akupunktur. Im November 2009 sei eine Röntgendiagnostik des linken Knie erfolgt, nachdem die Klägerin dort über Schmerzen und eine Ergussbildung geklagt habe. Dabei habe sich eine Gonarthrose herausgestellt. Im November 2009 habe die Klägerin auch Schmerzen in HWS und Schulter gehabt, die dazu geführt hätten, dass sie die Schulter nur bis 70° habe bewegen können.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.05.2012 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass nach den vorliegenden Unterlagen im Bereich der Wirbelsäule von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt auszugehen sei. Diese seien mit einem GdB von 20 zu bewerten. Die Klägerin leide ferner an einer Dysthymie. Eine schwere psychische Störung ergebe sich weder aus den Angaben von K. C. noch aus dem Gutachten von Prof. Dr. B ... Ein GdB von 10 sei insofern ausreichend. Die Klägerin könne täglich eine Freundin treffen und eine halbe Stunde Nordic Walking durchführen. Die soziale Interaktion und die sexuelle Interaktion mit ihrem Ehemann sei intakt, der Tagesablauf geregelt. Prof. Dr. B. habe der Klägerin eine deutliche Aggravationstendenz bescheinigt. Außerdem sei die Dysthymie schon begrifflich deutlich unter der Depression anzusiedeln. Hinzu komme, dass die Klägerin keine Psychopharmaka oder Antidepressiva einnehme und auch die Neurologin Dr. Schl. nur einmal im Vierteljahr aufsuche. Die Psychiaterin K. C. habe sie überhaupt nur einmal konsultiert. Hinsichtlich der Polyneuropathie, der Gonarthrose des linken Kniegelenks und des Bluthochdrucks sei ein GdB von je 10 ausreichend. Der Gesamt-GdB liege bei 30, so dass der bereits festgestellte GdB von 40 jedenfalls nicht zu gering sei.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 21.05.2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 21.06.2012 beim SG eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ihre Auffassung bekräftigt, dass die psychischen Beschwerden mit einem GdB von 30 zu bewerten seien, was zwanglos zu einem GdB von 50 führe.

Dr. So. habe ihr in letzter Zeit mehrmals ins Knie spritzen müssen, weil sie Schmerzen habe. Er habe gemeint, wenn die Spritzen nicht mehr helfen, müssen eine Knieprothese gemacht werden. Diese Situation bestehe seit etwa einem Monat.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.05.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.12.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 seit dem 16.03.2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich den Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid an.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird verwiesen auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten, einen Band des Sozialgerichts Heilbronn sowie die beim Senat angefallene Akte.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Klägerin steht kein höherer GdB als 40 zu.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen -welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass ab 01.01.2009 die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) anstelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) heranzuziehen sind. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, aaO, RdNr 30).

Nach diesen Kriterien bedingen die Einschränkungen der Klägerin von Seiten der Wirbelsäule einen GdB von 20, diejenigen durch die Depression und eine somatoforme Schmerzstörung einen solchen von allenfalls 30, durch die Polyneuropathie der Beine sowie des Bluthochdrucks von je 10 und durch die Gonarthrose, die Schulterbeschwerden, den Reizmagen, die Refluxkrankheit der Speiseröhre, den Verlust der Gallenblase und das operierte Karpaltunnelsyndrom jeweils keinen eigenen GdB.

Für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule ist das SG zu Recht von einem GdB von 20 ausgegangen. Nach Nr. 18.9 Teil B VG bedingen Wirbelsäulenschäden, die keine Bewegungseinschränkung oder Instabilität verursachen einen GdB von 0. Bei geringen funktionellen Auswirkungen wird ein GdB von 10 angenommen, bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, d.h. Verformung, häufig rezidivierenden oder anhaltenden Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierenden und über Tage andauernden Wirbelsäulensyndromen wird ein GdB von 20 angenommen. Ein GdB von 30 ist gerechtfertigt bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit z.B. häufig rezidivierenden und Wochen andauernden ausgeprägten Wirbelsäulensyndromen oder bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Bei der Klägerin liegen mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Sie hat nach den Befunden von Dr. H. in seinem Gutachten vom 29.06.2010 in der LWS einen dumpfen Dauerschmerz, der sich nach Stehen von mehr als zwei Stunden in einen brennenden Schmerz umwandelt. Die Bewegungsstörung in der LWS ist allenfalls mäßiggradig ausgeprägt, sie kann sich problemlos vorbeugen, um Ausweispapiere aus der Tasche zu ziehen und dieser wieder zu verstauen. Auch die von Dr. H. gemessenen Werte für den Finger-Boden-Abstand und die Entfaltungszeichen nach Schober und Ott weisen nicht auf eine höhergradige Bewegungsbeeinträchtigung hin. BWS und HWS sind weitgehend frei entfaltbar. Ein höherer GdB als 20 ergibt sich für diese Beeinträchtigung nicht.

Die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin bedingen einen GdB von allenfalls 30. Nach Nr. 3.7 Teil B VG bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen, die sich als leichtere psychovegetative oder psychische Störungen darstellen, einen GdB von 0 bis 20. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wie z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert und somatoforme Störungen bedingen einen GdB von 30 bis 40. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass allein die zum depressiven Pol verschobene Stimmung der Klägerin keinen höheren GdB als 10 bedingt. Prof. Dr. B. bezeichnet diese Störung als Dysthymie, also eine Erkrankung, die gerade keine depressive Störung beinhaltet. Die Sozialkontakte der Klägerin sind intakt, sie fühlt sich in ihrem Heimatort und in ihrer Mitgliedschaft im Verein der Landfrauen aufgehoben und kann sich täglich mit ihrer Freundin treffen und eine halbe Stunde Nordic Walking durchführen. Eine psychotherapeutische oder psychiatrische Betreuung ist nicht notwendig.

In den Bereich der Neurosen und Persönlichkeitsstörungen ist aber auch die chronische Schmerzstörung der Klägerin einzuordnen. Die Klägerin hat dauernd Schmerzen in der LWS mit Ausstrahlung in die Beine, die von allen behandelnden und begutachtenden Ärzten als chronische Schmerzstörung bezeichnet werden. Dazu kommen Schmerzen im Oberbauch, die der behandelnde Dr. Ki. schon im Jahr 2007 als funktionelle Dyspepsie, ihr Hausarzt Dr. Sp. als Reizmagen bezeichnete. Auch insofern findet sich keine körperliche Erkrankung, die die auftretenden Beschwerden erklären kann. Diese Störung ist deshalb ebenfalls unter die Schmerzstörung einzuordnen, die sich als somatoforme Störung darstellt und in der Vergangenheit wiederholt zu Behandlungsversuchen mit Analgetika, Antidepressiva und Infiltrationen durch die insofern konsultierten Fachärzte für Orthopädie und Neurologie geführt hat. Es kann insofern dahingestellt bleiben, ob - wie es der Wortlaut der Nr. 3.7 Teil B VG nahezulegen scheint - allein die Diagnose einer somatoformen Störung auch ohne psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu einer Einstufung mit einem GdB von 30 bis 40 führt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin insofern von einem GdB von 30 ausginge, würde das jedenfalls nicht zu einem höheren Gesamt-GdB als 40 führen. Ein höherer GdB als 30 kommt angesichts der nur sehr geringen Auswirkungen der somatoformen Schmerzstörung auf die Integration der Klägerin im sozialen Leben jedenfalls nicht in Betracht.

Die Polyneuropathie der Beine ist mit einem GdB von 10 zu bewerten. Nach Nr. 3.11 Teil B VG ergeben sich bei den Polyneuropathien die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle mit Muskelatrophien, sensibler Störungen oder Kombinationen von beiden. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen ist zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen z.B. bei Feinbewegungen führen können. Bei der Klägerin liegt beidseits eine rein sensible Polyneuropathie der Füße bis zu den Sprunggelenken vor. Die Klägerin hat insofern ein Taubheitsgefühl, die Füße fühlen sich kalt an. Eine zwischenzeitlich bei Dr. Schl. angegebene Unruhe der Beine bestand bei der Untersuchung durch Prof. Dr. B. nicht mehr. Das Taubheitsgefühl der Beine führt nach Angaben von Dr. Schl. zu einer leichten Gangunsicherheit, die weder Prof. Dr. B. noch Dr. H. bestätigen konnten. Die Polyneuropathie hindert die Klägerin offenbar jedenfalls nicht an täglichem Nordic Walking. Höhergradige Einschränkungen der Klägerin in ihrer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ergeben sich aus diesen Befunden nicht. Ein GdB von 10 ist angemessen aber auch ausreichend.

Der Bluthochdruck ist mit einem GdB von 10 ebenfalls ausreichend berücksichtigt. Die Klägerin leidet unter eine leichten Form der Hypertonie, ein diastolischer Blutdruck von mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung ist ebenso wenig eingetreten wie Organbeteiligungen, vgl. Nr. 9.3. Teil B VG.

Die Beschwerden der Klägerin im Bereich des linken Knies bedingen keinen eigenen GdB. Nach Nr. 18.13 Teil B VG werden Bewegungseinschränkungen des Kniegelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0/0/90°) einseitig mit einem GdB von 0 bis 10 bewertet. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen werden mit einem GdB von 10 bis 30 berücksichtigt. Bei der Klägerin liegt links eine Gonarthrose vor, die nach dem Gutachten von Dr. H. , das im Wesentlichen mit den Befunden von Dr. Sp. und Dr. So. übereinstimmt, nicht zu einer Bewegungseinschränkung geführt hat. Im Jahr 2009 ist es zweimal zu einem Erguss gekommen, der sich jeweils mit Salbenverbänden schnell gebessert hat. Sowohl bei Dr. H. als auch bei Prof. Dr. B. hat die Klägerin angegeben, dass sie von Seiten der Kniegelenke keine Beschwerden habe. Knorpelschäden im Kniegelenk hat keiner der behandelnden und begutachtenden Ärzte mitgeteilt. Ein anhaltender Reizzustand ergibt sich aus diesen Befunden ebenfalls nicht. Ein GdB von mindestens 10 ist deshalb nicht zu berücksichtigen. Insofern ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass sie seit einem Monat wieder wegen Kniebeschwerden in Behandlung sei, kein neuer Gesichtspunkt. Die nunmehr geklagten Beschwerden werden derzeit behandelt. Dr. So. geht nach den Angaben der Klägerin derzeit noch von einem Erfolg der Therapie aus, ein Persistieren der Beschwerden über mehr als sechs Monate hat auch die Klägerin nicht behauptet.

Die Schulterbeschwerden der Klägerin bedingen ebenfalls keinen eigenen GdB. Sie hat einmalig im November 2009 über eine eingeschränkte Beweglichkeit der Schulter geklagt. Bei der Begutachtung durch Dr. H. hat sie diese Beschwerden nicht mehr angegeben, die Schultern waren frei beweglich. Ein GdB von wenigstens 10 ergibt sich daraus nicht (Nr. 18.13 Teil B VG).

Reizmagen und Refluxkrankheit der Speiseröhre führen ebenfalls nicht zur Berücksichtigung eines GdB. Die Klägerin hat weder anhaltende Refluxbeschwerden angegeben noch sind solche ersichtlich (vgl. Nr. 10.2 Teil B VG). Der Magen reagiert auf die Einnahme von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten, so dass die Klägerin diese nicht verträgt. Pathologische Befunde von Seiten des Magens konnte Dr. Ki. nicht feststellen. Die Nahrungsaufnahme der Klägerin ist nicht beeinträchtigt. Sie hat zwar angegeben, in den letzten Jahren erheblich Gewicht verloren zu haben. Das entspricht auch den von den behandelnden Ärzten angegeben Daten. Diesen Gewichtsverlust führt sie selbst aber auf ihre anhaltenden Schmerzen und nicht auf Beschwerden von Seiten des Magen-Darm-Trakts zurück. Für eine Fehlfunktion des Magens oder der Nahrungsaufnahme ergibt sich aus den vorliegenden Arztunterlagen auch kein Hinweis. Ein Magengeschwürsleiden konnte nicht festgestellt werden. Ein GdB von wenigstens 10 ergibt sich nach Nr. 10.2.1 Teil B VG nicht.

Der Verlust der Gallenblase führt zu keinen wesentlichen Störungen, so dass nach Nr. 10.3.5 Teil B VG ein GdB von 0 anzusetzen ist.

Das im Jahr 2000 operierte Karpaltunnelsyndrom führt zu keinen Beschwerden. Ein GdB von wenigstens 10 ist nach Nr. 18.13 Teil B VG nicht anzunehmen.

Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bedingen keinen GesamtGdB von 50 wie das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Die AHP führen zur Umsetzung dieser Vorschriften aus, dass eine Addition von Einzel GdB Werten grundsätzlich unzulässig ist und auch andere Rechenmethoden für die Gesamt GdB Bildung ungeeignet sind. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird; ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. AHP Nr. 19 Abs. 3) Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG, SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).

Bei der Klägerin liegt ein GdB von allenfalls 30 für die psychischen Beschwerden, 20 für die Wirbelsäulenbeschwerden, 10 für die Polyneuropathie und 10 für den Bluthochdruck vor. Ausgehend von dem GdB von 30 für die psychische Beeinträchtigung wird der GdB durch den für die Wirbelsäulenbeschwerden zu berücksichtigenden GdB von 20 auf 40 erhöht. Die mit 10 bewerteten Behinderungen durch die Polyneuropathie und den Bluthochdruck wirken sich nicht in besonderer Weise auf die psychischen Beschwerden aus, so dass auch sie nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen können. Der bereits zuerkannte GdB von 40 ist deshalb – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – jedenfalls nicht zu niedrig bemessen.

Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen sieht der Senat nicht und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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