Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 11 KR 65/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide vom 03.06.2008 und 16.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2009 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die magenverkleinernde Operation am 09.07.2009 in Höhe von 3.099,69 EUR zu erstatten.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine magenverkleinernde Operation (laparoskopischer Gastric Bypass) in Höhe von 3.099,69 EUR
Die 1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie beantragte im Frühjahr 2008 die Kostenübernahme für eine magenverkleinernde Operation zur Reduktion des Gewichts (Magenbypassoperation, alternativ Sleeve-Resection). Hierzu wurde der Beklagten ein Arztbrief des Dr. A. – Chefarzt des Bereiches Allgemein- und Viszeralchirurgie am A. A-Stadt – vom 14.04.2008 vorgelegt. Ausweislich des Berichts litt die Klägerin zu diesem Zeitpunkt an einer Übergewichtigkeit mit einem Bodymaßindex (BMI) von 54,5 kg/m², einer Refluxkrankheit bei Hiatushernie, Angststörung und degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden. Die Beklagte erbat daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Der MDK kam in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 20.05.2008 nach einer körperlichen Untersuchung der Klägerin zu folgender sozialmedizinischer Beurteilung:
"[ ...] Die degenerativ bedingten Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden können als Folgeerkrankungen der Adipositas angesehen werden [ ] An konservativen Behandlungsmaßnahmen fehlen eine ärztlich kontrollierte Bewegungstherapie sowie eine aktuelle stationäre Rehabilitationsmaßnahme. In diesem speziellen Fall erscheint die Intensivierung der psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen in Anbetracht der vorliegenden Essstörung (frustbedingte Nahrungsaufnahme alle 14 Tage) zunächst als vorrangig anzusehen. Den vorliegenden Unterlagen ist nicht zu entnehmen, ob bei der durchgeführten Psychotherapie die Angststörung mit Panikattacken oder krankhafte Adipositas im Vordergrund standen. Der Rückgriff auf psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen ist medizinisch vertretbar und zumutbar. In Anbetracht der langjährigen Einnahme von Psychopharmaka ist ein malabsorptives Verfahren wie die Magenbypassoperation nur mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden. Gleichermaßen gilt dies bei Vorliegen einer Refluxkrankheit bei Hiatushernie. Bezüglich der alternativ vorgeschlagenen Sleeve-Resection (Schlauchmagenbildung) ist darauf hinzuweisen, dass geeignete langfristige Untersuchungen fehlen, um die Wirksamkeit dieses Verfahrens zu belegen."
Der MDK empfahl schließlich eine zwölf- bis 18-monatige ärztlich kontrollierte, konservative Therapie im Sinne eines multimodalen Behandlungskonzepts mit ärztlich begleiteter Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen. Die Beklagte lehnte die Leistung mit Schreiben vom 03.06.2008 schließlich ab. Hiergegen wehrte sich die Klägerin mittels Widerspruch am 17.06.2008. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme des MDK. Dieser teilte in seinem Gutachten vom 09.07.2008 mit, dass sich keine neuen klinischen Hinweise ergeben würden, die eine andere sozialmedizinische Einschätzung erlaubten. Es seien zunächst konservative Behandlungsmöglichkeiten durchzuführen.
Zur weiteren Begründung des Widerspruches trug die Klägerin vor, dass sie schon zahllose Diäten und Abmagerungskuren durchgeführt hätte. Sie habe auch illegale Mittel zu sich genommen, um das Gewicht zu reduzieren. Sie leide an Rückenschmerzen, Sodbrennen und Ödeme in den Speckfalten an Bauch, Leiste und Po. Das Übergewicht würde im Rahmen der Psychotherapie mitbehandelt. Sportliche Aktivitäten seien aufgrund des Gewichts und der damit einher gehenden Schmerzen nicht möglich, bereits das Gehen falle ihr schwer. Dr. Q. teilte in einer Stellungnahme vom 11.08.2008 mit, dass aus seiner Sicht die Behandlungsalternativen nicht zielführend seien. Eine Bewegungstherapie sei nicht zu leisten. Es sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen eine weitere konservative Behandlung erfolgversprechend sein sollte – in der Vergangenheit seien zahlreiche diätetische Bemühungen ärztlich begleitet worden. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen.
Es erfolgte schließlich eine weitere Begutachtung durch den MDK. Die Stellungnahme erfolgte am 07.10.2008: Die Versicherte sei durchaus in der Lage, durch konservative Behandlungsmaßnahmen eine deutliche Gewichtsreduktion herbei zu führen, diese könnte jedoch nach Beendigung der jeweiligen Diäten nicht gehalten werden. Folglich sei von einer Essstörung als Grund für die Fettleibigkeit auszugehen. Essstörungen seien Erkrankungen des psychotherapeutischen/psychiatrischem Formenkreises. Operative Interventionen stellten insbesondere bei psychischen Erkrankungen ganz besonders eine ultima-ratio-Intervention dar. Mit Schreiben vom 16.10.2008 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass es bei der bisherigen Entscheidung verbleiben würde. Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein (23.10.2008). Auf die weitere, sehr ausführliche Begründung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie die von ihm vorgelegten zahlreichen Unterlagen zu chirurgischen Maßnahmen der Gewichtsreduktion wird Bezug genommen. Im laufenden Widerspruchsverfahren beantragte die Klägerin die Förderung zur Teilnahme an einer individualisierten Ernährungsberatung, die sie in der Folgezeit auch in Anspruch nahm. An den Kosten hierfür beteiligte sich die Beklagte (Bescheid vom 09.12.2008).
Die Beklagte erbat daraufhin erneut eine Stellungnahme des MDK. Auf die dort gemachten Ausführungen, in dem die zuvor getroffenen Feststellungen bekräftigt wurden, wird Bezug genommen. Im April 2009 teilte die Diplom-Psychologin Z. mit, dass sich die Klägerin von 2004 bis 2008 in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Die Essstörung sei während des Behandlungszeitraums mitbehandelt worden. Trotz hoher Motivation und Veränderungsbereitschaft habe durch die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen keine Gewichtsreduktion erzielt werden können. Mit Bescheid vom 28.04.2009 wies die Beklagte die Widersprüche schließlich zurück. Unter dem 06.05.2009 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Fulda. Sie beantragte zunächst neben der Aufhebung der Bescheide die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine minimalinvasive operative Magenverkleinerung zur Behandlung der Adipositas zu übernehmen. Im Juli 2009 ließ die Klägerin den Eingriff auf eigene Kosten (3.099,69 EUR) durchführen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Bescheide vom 03.06.2008 und 16.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die am 09.07.2009 durchgeführte magenverkleinernde Operation in Höhe von 3.099,69 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass nach den neu gefassten Adipositasrichtlinien die Indikation für eine primäre chirurgische Therapie durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen seien. Durch die Selbstbeschaffung habe die Klägerin der Beklagten die Möglichkeit zur Prüfung hierzu genommen. Außerdem würden die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nicht vorliegen.
Das Gericht hat im Rahmen der Ermittlungen ärztliche Unterlagen und Befundberichte angefordert sowie ein Sachverständigengutachten des Dr. F. nach Aktenlage eingeholt. Er hat folgende Feststellungen getroffen:
"[ ] Die Patientin hat sich aufgrund des Scheiterns der zuvor durchgeführten konservativen Therapieversuche, wie über die Jahre glaubhaft und objektiv dokumentiert, bei einem BMI über 40 kg/m² und den oben aufgeführten Komorbiditäten zur operativen Gewichtsreduktion entschlossen. Auch wenn der Medizinische Dienst unablässig darauf abhebt, einen mindestens 6- bis 12 monatigen Gewichtsreduktionskurs vor allem unter verhaltenstherapeutischer Regie zu fordern, erscheint dem Gutachter dieses Argument vorgeschoben, da bei genauer Betrachtung der Datenlage eine jahrelange psychiatrische wie auch verhaltenstherapeutische Begleitung der Patientin, gerade unter dem Aspekt des Übergewichts, keinen signifikanten Gewichtsverlust, vielmehr eine Gewichtszunahme nach sich zogen. Somit ist von einer weiteren Verhaltenstherapie aus Gutachtersicht kein positiver Effekt zu erwarten. Da Fachärzte wie Psychotherapeuten und Psychiater die Operation empfahlen, muss die Aussage des Medizinischen Dienstes und Sozialgutachtens, die psychische Störung der Patientin sei eine Kontraindikation gegenüber einer bariatrischen Operation, zumindest relativiert werden. Auch das Argument, eventuell notwendige Psychopharmaka könnten aufgrund der Bypassoperation eine unzureichende Resorption erfahren, erscheint dem Gutachter vorgeschoben, da naturgemäß auch andere Medikamente, die für die Gesundheit der Patienten postoperativ notwendig sind, oral verabreicht und über den Restdünndarm resorbiert werden können. Falls die Menge nicht ausreicht, müssen eventuell Dosissteigerungen erfolgen! [ ] Auf Basis der eingesehenen Unterlagen, vor allem unter Zugrundelegung der Stellungnahme der Psychotherapeutin Frau Z. wie auch der Oberärztin der Psychiatrie Frau Y. stellt die psychische Auffälligkeit der Patientin keine Kontraindikation dar [ ]"
Auf die weiteren Ausführungen des Sachverständigen – auch im Rahmen der ergänzenden Stellungnahme - sowie den gesamten weiteren Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Kostenerstattung statt Sachleistungsgewährung beziehungsweise Kostenübernahme für eine Sachleistung stellt keine Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dar. Es gilt vielmehr § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG. Hiernach ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird. Dazu gehört insbesondere die Umstellung auf Kostenerstattung für eine inzwischen durchgeführte Therapie (vgl. Meyer-Ladewig-Leitherer, SGG, § 99, Rn. 5).
Die Klage ist auch vollumfänglich begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 3.099,69 EUR für die durchgeführte chirurgische Maßnahme zur Gewichtsreduktion. Da sich die Klägerin die Leistung selbst beschafft hat, kommen im vorliegenden Verfahren lediglich die Kostenerstattungsansprüche des § 13 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V in Betracht. Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V sind die in der Höhe entstandenen Kosten dann zu erstatten, wenn die Krankenkasse entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt. 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt. 2) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V erfüllt. Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im Juli 2009 einen Anspruch auf die magenverkleinernde Operation (laparoskopischer Gastric Bypass) gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 5, 39 Abs. 1 SGB V gehabt. In Kostenerstattungsverfahren ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich (Urteil des BSG vom 08.03.1995, Az. 1 RK 8/94, Rn. 12, zitiert nach juris, Kasseler-Kommentar-Brandts, SGB V, § 13, Rn. 54).
Gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, 39 Abs. 1 SGB V).
Eine Krankheit im vorgenannten Sinne hat bei der hochgradig adipösen Klägerin vorgelegen. Hierunter ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (Kasseler-Kommentar-Höfler, SGB V, § 27, Rn. 9). Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Dabei ist nicht jede Abweichung von der morphologischen Idealnorm regelwidrig. Es muss sich vielmehr um eine wesentliche Störung der normalen psychophysischen Funktionen handeln, die so beträchtlich ist, dass ihre Wiederherstellung eine ärztliche Behandlung erfordert (jurisPK-Fahlbusch, SGB V, § 27, Rn. 37). Ob der Adipositas nach diesem Verständnis per se Krankheitswert zukommt, kann dahingestellt bleiben. Anerkannt ist aber, dass bei starkem Übergewicht (BMI ) = 30 kg/m²) bereits deswegen eine ärztliche Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion angezeigt ist, weil anderenfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen besteht (Urteil des BSG vom 19.02.2003, Az. B 1 KR 1/02 R, Rn. 11, zitiert nach juris). Nach diesem Verständnis hat die Adipositas der Klägerin zum Zeitpunkt des Eingriffs im Juli 2009 Krankheitswert gehabt. Das Körpergewicht hat den glaubhaften Angaben der Klägerin zu Folge am Operationstag 160 kg getragen (BMI von nahezu 60 kg/m²) (Bl. 200 der Gerichtsakte). Im Übrigen haben bei der Klägerin unter anderem degenerativ bedingte Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden vorgelegen, die auch von Seiten des MDK als Folgeerkrankungen der Adipositas angesehen worden sind (Bl. 20 der Verwaltungsakte).
Die Leistung kann schließlich auch nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Eingriff keine kausale Behandlung der bestehenden Krankheit darstellt, sondern die Störung gewissermaßen durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsaufnahme beeinflusst werden soll. Eine solche mittelbare Behandlung wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mit umfasst, wenn die weiteren, in § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt sind (BSG, a.a.O., Rn. 12). Danach muss die Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.
Bei mittelbaren Behandlungen, insbesondere bei chirurgischen Eingriffen in ein an sich intaktes Organ, bedarf es darüber hinaus einer speziellen Rechtfertigung, bei der die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (Urteil des BSG vom 06.10.1999, Az. B 1 KR 13/97 R, Rn. 20, zitiert nach juris).
Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei den von der Rechtsprechung aufgestellten Bedingungen zur mittelbaren Behandlung nicht um weitere Voraussetzungen des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs.1 SGB V; sie konkretisieren vielmehr das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V.
Die Voraussetzungen haben nach eingehender Überprüfung der Sachlage vorgelegen. Die Anlage des laparoskopischen Gastric Bypass im Wege einer vollstationären chirurgischen Behandlung im Juli 2009 ist zur Gewichtsreduktion ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen und hat das Maß des Notwendigen nicht überschritten.
Ausreichend ist eine Leistung dann, wenn sie – ausgehend vom Zweck der jeweiligen Leistung – nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für einen Heilerfolg bietet. In diesem Zusammenhang ist der in § 11 SGB V allgemein umschriebene und in den nachfolgenden Einzelvorschriften präzisierte Leistungszweck ebenso zu berücksichtigen wie der in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V niedergelegte Grundsatz, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und dem medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben (jurisPK-Engelhard, SGB V, § 12, Rn. 47 f.). Anhaltspunkte dafür, dass die durchgeführte Behandlung nicht ausreichend im vorgenannten Sinne gewesen ist, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Prüfung und Entscheidung darüber, ob eine im Krankenhaus angewandte Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, im Übrigen gerade nicht den Krankenkassen und Gerichten obliegt, sondern dem nach § 137 c SGB V eingerichteten Ausschuss Krankenhaus.
Darüber hinaus ist die Leistung zweckmäßig und notwendig gewesen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien bei mittelbaren Behandlungen. Der Begriff der Zweckmäßigkeit entspricht dem der Eignung. Die Maßnahme muss auf eines der in §§ 11 Abs. 1., Abs. 2 und 27 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Ziele objektiv ausgerichtet und auch hinreichend wirksam sein, um diese Ziele zu erreichen (jurisPK-Engelhard, a.a.O., Rn. 52). Der Begriff der Notwendigkeit hingegen kennzeichnet ein Übermaßverbot und dient dem Schutz des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vor einer Überforderung (jurisPK-Engelhard, a.a.O, Rn. 76). Nach der neu gefassten S 3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie (CA-ADIP) vom Juni 2010 (www.adipositas-gesellschaft.de) ist ein chirurgischer Eingriff zur Gewichtsreduktion bei Personen mit einem BMI von )= 40 kg/m² ohne Kontraindikationen und bei einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m² mit einer oder mehreren Adipositas-assoziierten Folge-/Begleiterkrankungen indiziert, sofern die konservative Therapie erschöpft ist (S. 12 der Leitlinie). Die konservative Therapie umfasst die Bereiche Ernährung, Bewegung und Psychotherapie. Nach der Leitlinie sind die Möglichkeiten zur Ernährungstherapie dann erschöpft, wenn mittels einer energiereduzierten Mischkost und einer weiteren ernährungsmedizinischen Maßnahme das Therapieziel nicht erreicht wurde. Die Bewegungstherapie erfordert die Durchführung einer Ausdauer- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche. Eine Psychotherapie ist angezeigt, wenn eine Essstörung vorliegt. Die Therapiearten müssen mindestens sechs Monate durchgeführt werden (S. 15 f. der Leitlinie). Aus den vorgenannten engen Voraussetzungen ergibt sich, dass ein chirurgischer Eingriff grundsätzlich nur ultima ratio sein kann. Ausnahmsweise ist eine chirurgische Therapie primär durchführbar, wenn Art und/oder Schwere der Krankheit beziehungsweise psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen lassen, dass eine operative Maßnahme nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist (S. 16 der Leitlinie).
Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen des Gerichts steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bei der Klägerin im Juli 2009 die Indikation für eine bariatrische Operation zur Reduktion der Adipositas vorgelegen hat. Den zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. zu Folge, die sich das Gericht vollumfänglich zu Eigen macht, sind jedenfalls die Therapiebereiche Ernährung und Psycho- beziehungsweise Verhaltenstherapie erschöpft gewesen: "Neben zahlreichen diätetischen Versuchen mit Heilfasten, Eier- und Ananasdiäten, Slimfast, der Einnahme von Medikamenten wie Xenical, kam es in den zurückliegenden Jahren immer wieder zu dem so genannten Jojo-Effekt mit kurzfristiger Gewichtsreduktion und anschließender Gewichtszunahme [ ] Wegen einer nachgewiesenen Angststörung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Stadtkrankenhauses A-Stadt wurde die Patientin von 1993 bis 1998 medizinisch begleitet und auch medikamentös mit einem Antidepressivum wie Fluctin versorgt [ ] Parallel versuchte die Patientin über Weight Watchers eine Gewichtsabnahme, über 6 Monate konnten 16 kg Gewicht reduziert, aber leider nicht gehalten werden. Selbst die Aufnahme einer Psychotherapie bei Frau Z. [ ] über 4 Jahre zwischen 2004 und 2008, in der eine Essstörung der Patientin mitbehandelt wurde, konnte keinen positiven Einfluss auf die stetige Gewichtszunahme bewirken. Auch die von der Kasse empfohlene Vorstellung beim Internisten und Dr. B. konnte unter Zuhilfenahme von Ernährungsberatung und diätetischen Maßnahmen und vor allem unter Hinzuziehung einer Diätassistentin zwischen 2008 und 2009 nur zu dem Ergebnis führen, dass auch von dieser Seite einer bariatrischen Operation das Wort zugesprochen wurde [ ...]" (S. 4 f. des Gutachtens, Bl. 155 f. der Gerichtsakte). Die Ausführungen des Sachverständigen sind plausibel. Sie überzeugen insbesondere deswegen, weil sich Dr. F. mit den vorhandenen ärztlichen Unterlagen umfassend auseinandergesetzt und die bis in die 90er Jahre zurück reichende Krankheitsgeschichte der Klägerin bei der Beurteilung berücksichtigt hat. Außerdem hat auch Dr. A., bei dem sich die Klägerin bereits langjährig in Behandlung befindet, deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass die zahlreichen diätetischen Bemühungen in der Vergangenheit ärztlich begleitet worden sind (Bl. 42 der Verwaltungsakte). Eine wiederholte vergebliche Ausschöpfung der konservativen Therapien, wie von Seiten des MDK in seiner Stellungnahme vom 09.07.2008 verlangt (Bl. 33 der Verwaltungsakte), sieht die S 3-Leitlinie im Übrigen gar nicht vor.
Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass die Essstörung mit den Mitteln der Psychotherapie zu behandeln sei (vgl. Bl. 19, 33, 47 der Verwaltungsakte). Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich um ein vorgeschobenes Argument handeln würde, "da bei genauer Betrachtung der Datenlage eine jahrelange psychiatrische wie auch verhaltenstherapeutische Begleitung der Patientin, gerade unter dem Aspekt des Übergewichts, keinen signifikanten Gewichtsverlust, vielmehr eine Gewichtszunahme nach sich zogen. Somit ist von einer weiteren Verhaltenstherapie aus Gutachtersicht kein positiver Effekt zu erwarten" (S. 8 des Gutachtens, Bl. 159 der Gerichtsakte).
In Bezug auf die fehlende ärztlich kontrollierte Bewegungstherapie (Bl. 19 der Verwaltungsakte) hat Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass es der Patientin nicht mehr möglich gewesen sei, entsprechende Ausdauer- und/oder Kraft-Ausdauersportarten so zu gestalten, dass es über die Bewegung zu einer Steigerung des Grundumsatzes komme. Die konservative Möglichkeit einer Bewegungstherapie zur Gewichtsreduktion sei erschöpft (S. 4 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 183 der Gerichtsakte). Die von ihm hierzu getroffenen Feststellungen sind im Hinblick auf einen BMI von weit über 50 kg/m² bis 60 kg/m² durchaus plausibel. Es erschließt sich dem Gericht nicht, wie die hochgradig adipöse Klägerin mit bereits vorhandenen degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden Ausdauersport- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche hätte absolvieren sollen. So hat auch Dr. A. darauf hingewiesen, dass eine Bewegungstherapie von der Klägerin nicht geleistet werden könne (Befundbericht vom 11.08.2008, Bl. 42 der Verwaltungsakte). Nach der S3-Leitlinie ist die Therapie nur dann durchzuführen, "falls keine Barrieren bestehen (z.B. Gonarthrose für Gehsportarten oder Scham beim Schwimmen)" (S. 16 der Leitlinie). Vor diesem Hintergrund war auch ohne Bewegungstherapie eine Indikation für die chirurgische Maßnahme gegeben.
Aus welchen Gründen der MDK eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen hat (Bl. 19 der Verwaltungsakte), ist nicht erklärlich. Sie ist keine konservative Therapie im Sinne der S 3-Leitlinie. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob diese Maßnahme bei einer hochgradigen Übergewichtigkeit überhaupt zur Gewichtsreduktion geeignet sein kann. Kontraindikationen haben ausweislich der glaubhaften Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. nicht vorgelegen: "Auf Basis der eingesehenen Unterlagen, vor allem unter Zugrundelegung der Stellungnahme der Psychotherapeutin Frau Z. wie auch der Oberärztin der Psychiatrie Frau Y. stellt die psychische Auffälligkeit keine Kontraindikation dar" (S. 14 des Gutachtens, Bl. 165 der Gerichtsakte). Das gilt auch in Bezug auf die ausreichende Motivation der Klägerin zur Gewichtsreduktion, die der Sachverständige sogar als evident bezeichnet hat (S. 15 des Gutachtens, Bl. 166 der Gerichtsakte).
Die mittelbare Behandlung ist schließlich auch gerechtfertigt gewesen. Bei der Abwägung sind Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten gegeneinander abzuwägen (BSG, a.a.O.). Die durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass Art und Ausmaß der Adipositas bei der Klägerin und der durch die Therapie bedingte Nutzen die mit dem Eingriff einher gehenden Risiken und etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung bei weitem überwiegen. So hat Dr. F. darauf hingewiesen, dass die ökonomischen Analysen des HTA-Berichtes die Kosteneffizienz gegenüber konservativer oder keiner Behandlung bestätigen würden. Die durchschnittlichen Therapiekosten durch Reduktion oder Remission der Komorbiditäten sei nach amerikanischen Literaturangaben schon nach zwei bis drei Jahren wieder eingespielt. Bei Betrachtung der finanziellen Aufwendungen sei die Vergütung der aufgewendeten Fallpauschale des W.krankenhauses eher gering (S. 12 des Gutachtens, Bl. 163 des Gutachtens).
Das Risiko, wegen Adipositas-assoziierter Komplikationen vorzeitig zu versterben, sei durch einen Eingriff trotz operationsbedingter Komplikationen um den Faktor 9 gegenüber konservativ behandelten Patienten und den Faktor 20 gegenüber unbehandelten morbid adipöser Patienten reduziert. Bei Betrachtung der Klägerin gelte das vor allem im Hinblick auf die Komorbiditäten wie degenerative Gelenkveränderungen, die Atemnot, die axiale Hiatushernie, Reflux, beginnende diabetische Stoffwechsellage wie auch im Ultraschall nachgewiesene Fettleber. Auch die psychische Situation würde sich verbessern lassen (S. 14 des Gutachtens, Bl. 165 der Gerichtsakte). Dem Hinweis des MDK, dass die Einnahme von Psychopharmaka durch ein malabsorptives Verfahren gefährdet sei, hat der Sachverständige entgegen gehalten, dass auch andere postoperativ notwendige Medikamente oral verabreicht und über den Restdünndarm resorbiert werden könnten. Eventuell sei die Dosis zu steigern (S. 9 des Gutachtens, Bl. 160 der Gerichtsakte).
Nach alledem hat im Juli 2009 die Indikation für eine adipositas-chirurgische Maßnahme zur Gewichtsreduktion vorgelegen, um die Verschlimmerung der Krankheit zu verhüten und die damit einher gehenden Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V abgelehnt. Die Ablehnung ist auch wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung gewesen. Die Klägerin ist erst im Juni 2009 zur Operation fest entschlossen gewesen (Festlegung des Operationstermins am 09.06.2009 (Bl. 28 der Gerichtsakte)), mithin ein Jahr nach der ersten ablehnenden Entscheidung der Beklagten. Die Kosten für die chirurgische Therapie von insgesamt 3.099,69 EUR sind von der Beklagten in voller Höhe zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die magenverkleinernde Operation am 09.07.2009 in Höhe von 3.099,69 EUR zu erstatten.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine magenverkleinernde Operation (laparoskopischer Gastric Bypass) in Höhe von 3.099,69 EUR
Die 1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie beantragte im Frühjahr 2008 die Kostenübernahme für eine magenverkleinernde Operation zur Reduktion des Gewichts (Magenbypassoperation, alternativ Sleeve-Resection). Hierzu wurde der Beklagten ein Arztbrief des Dr. A. – Chefarzt des Bereiches Allgemein- und Viszeralchirurgie am A. A-Stadt – vom 14.04.2008 vorgelegt. Ausweislich des Berichts litt die Klägerin zu diesem Zeitpunkt an einer Übergewichtigkeit mit einem Bodymaßindex (BMI) von 54,5 kg/m², einer Refluxkrankheit bei Hiatushernie, Angststörung und degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden. Die Beklagte erbat daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Der MDK kam in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 20.05.2008 nach einer körperlichen Untersuchung der Klägerin zu folgender sozialmedizinischer Beurteilung:
"[ ...] Die degenerativ bedingten Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden können als Folgeerkrankungen der Adipositas angesehen werden [ ] An konservativen Behandlungsmaßnahmen fehlen eine ärztlich kontrollierte Bewegungstherapie sowie eine aktuelle stationäre Rehabilitationsmaßnahme. In diesem speziellen Fall erscheint die Intensivierung der psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen in Anbetracht der vorliegenden Essstörung (frustbedingte Nahrungsaufnahme alle 14 Tage) zunächst als vorrangig anzusehen. Den vorliegenden Unterlagen ist nicht zu entnehmen, ob bei der durchgeführten Psychotherapie die Angststörung mit Panikattacken oder krankhafte Adipositas im Vordergrund standen. Der Rückgriff auf psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen ist medizinisch vertretbar und zumutbar. In Anbetracht der langjährigen Einnahme von Psychopharmaka ist ein malabsorptives Verfahren wie die Magenbypassoperation nur mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden. Gleichermaßen gilt dies bei Vorliegen einer Refluxkrankheit bei Hiatushernie. Bezüglich der alternativ vorgeschlagenen Sleeve-Resection (Schlauchmagenbildung) ist darauf hinzuweisen, dass geeignete langfristige Untersuchungen fehlen, um die Wirksamkeit dieses Verfahrens zu belegen."
Der MDK empfahl schließlich eine zwölf- bis 18-monatige ärztlich kontrollierte, konservative Therapie im Sinne eines multimodalen Behandlungskonzepts mit ärztlich begleiteter Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen. Die Beklagte lehnte die Leistung mit Schreiben vom 03.06.2008 schließlich ab. Hiergegen wehrte sich die Klägerin mittels Widerspruch am 17.06.2008. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme des MDK. Dieser teilte in seinem Gutachten vom 09.07.2008 mit, dass sich keine neuen klinischen Hinweise ergeben würden, die eine andere sozialmedizinische Einschätzung erlaubten. Es seien zunächst konservative Behandlungsmöglichkeiten durchzuführen.
Zur weiteren Begründung des Widerspruches trug die Klägerin vor, dass sie schon zahllose Diäten und Abmagerungskuren durchgeführt hätte. Sie habe auch illegale Mittel zu sich genommen, um das Gewicht zu reduzieren. Sie leide an Rückenschmerzen, Sodbrennen und Ödeme in den Speckfalten an Bauch, Leiste und Po. Das Übergewicht würde im Rahmen der Psychotherapie mitbehandelt. Sportliche Aktivitäten seien aufgrund des Gewichts und der damit einher gehenden Schmerzen nicht möglich, bereits das Gehen falle ihr schwer. Dr. Q. teilte in einer Stellungnahme vom 11.08.2008 mit, dass aus seiner Sicht die Behandlungsalternativen nicht zielführend seien. Eine Bewegungstherapie sei nicht zu leisten. Es sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen eine weitere konservative Behandlung erfolgversprechend sein sollte – in der Vergangenheit seien zahlreiche diätetische Bemühungen ärztlich begleitet worden. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen.
Es erfolgte schließlich eine weitere Begutachtung durch den MDK. Die Stellungnahme erfolgte am 07.10.2008: Die Versicherte sei durchaus in der Lage, durch konservative Behandlungsmaßnahmen eine deutliche Gewichtsreduktion herbei zu führen, diese könnte jedoch nach Beendigung der jeweiligen Diäten nicht gehalten werden. Folglich sei von einer Essstörung als Grund für die Fettleibigkeit auszugehen. Essstörungen seien Erkrankungen des psychotherapeutischen/psychiatrischem Formenkreises. Operative Interventionen stellten insbesondere bei psychischen Erkrankungen ganz besonders eine ultima-ratio-Intervention dar. Mit Schreiben vom 16.10.2008 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass es bei der bisherigen Entscheidung verbleiben würde. Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein (23.10.2008). Auf die weitere, sehr ausführliche Begründung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie die von ihm vorgelegten zahlreichen Unterlagen zu chirurgischen Maßnahmen der Gewichtsreduktion wird Bezug genommen. Im laufenden Widerspruchsverfahren beantragte die Klägerin die Förderung zur Teilnahme an einer individualisierten Ernährungsberatung, die sie in der Folgezeit auch in Anspruch nahm. An den Kosten hierfür beteiligte sich die Beklagte (Bescheid vom 09.12.2008).
Die Beklagte erbat daraufhin erneut eine Stellungnahme des MDK. Auf die dort gemachten Ausführungen, in dem die zuvor getroffenen Feststellungen bekräftigt wurden, wird Bezug genommen. Im April 2009 teilte die Diplom-Psychologin Z. mit, dass sich die Klägerin von 2004 bis 2008 in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Die Essstörung sei während des Behandlungszeitraums mitbehandelt worden. Trotz hoher Motivation und Veränderungsbereitschaft habe durch die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen keine Gewichtsreduktion erzielt werden können. Mit Bescheid vom 28.04.2009 wies die Beklagte die Widersprüche schließlich zurück. Unter dem 06.05.2009 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Fulda. Sie beantragte zunächst neben der Aufhebung der Bescheide die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine minimalinvasive operative Magenverkleinerung zur Behandlung der Adipositas zu übernehmen. Im Juli 2009 ließ die Klägerin den Eingriff auf eigene Kosten (3.099,69 EUR) durchführen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Bescheide vom 03.06.2008 und 16.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die am 09.07.2009 durchgeführte magenverkleinernde Operation in Höhe von 3.099,69 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass nach den neu gefassten Adipositasrichtlinien die Indikation für eine primäre chirurgische Therapie durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen seien. Durch die Selbstbeschaffung habe die Klägerin der Beklagten die Möglichkeit zur Prüfung hierzu genommen. Außerdem würden die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nicht vorliegen.
Das Gericht hat im Rahmen der Ermittlungen ärztliche Unterlagen und Befundberichte angefordert sowie ein Sachverständigengutachten des Dr. F. nach Aktenlage eingeholt. Er hat folgende Feststellungen getroffen:
"[ ] Die Patientin hat sich aufgrund des Scheiterns der zuvor durchgeführten konservativen Therapieversuche, wie über die Jahre glaubhaft und objektiv dokumentiert, bei einem BMI über 40 kg/m² und den oben aufgeführten Komorbiditäten zur operativen Gewichtsreduktion entschlossen. Auch wenn der Medizinische Dienst unablässig darauf abhebt, einen mindestens 6- bis 12 monatigen Gewichtsreduktionskurs vor allem unter verhaltenstherapeutischer Regie zu fordern, erscheint dem Gutachter dieses Argument vorgeschoben, da bei genauer Betrachtung der Datenlage eine jahrelange psychiatrische wie auch verhaltenstherapeutische Begleitung der Patientin, gerade unter dem Aspekt des Übergewichts, keinen signifikanten Gewichtsverlust, vielmehr eine Gewichtszunahme nach sich zogen. Somit ist von einer weiteren Verhaltenstherapie aus Gutachtersicht kein positiver Effekt zu erwarten. Da Fachärzte wie Psychotherapeuten und Psychiater die Operation empfahlen, muss die Aussage des Medizinischen Dienstes und Sozialgutachtens, die psychische Störung der Patientin sei eine Kontraindikation gegenüber einer bariatrischen Operation, zumindest relativiert werden. Auch das Argument, eventuell notwendige Psychopharmaka könnten aufgrund der Bypassoperation eine unzureichende Resorption erfahren, erscheint dem Gutachter vorgeschoben, da naturgemäß auch andere Medikamente, die für die Gesundheit der Patienten postoperativ notwendig sind, oral verabreicht und über den Restdünndarm resorbiert werden können. Falls die Menge nicht ausreicht, müssen eventuell Dosissteigerungen erfolgen! [ ] Auf Basis der eingesehenen Unterlagen, vor allem unter Zugrundelegung der Stellungnahme der Psychotherapeutin Frau Z. wie auch der Oberärztin der Psychiatrie Frau Y. stellt die psychische Auffälligkeit der Patientin keine Kontraindikation dar [ ]"
Auf die weiteren Ausführungen des Sachverständigen – auch im Rahmen der ergänzenden Stellungnahme - sowie den gesamten weiteren Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Kostenerstattung statt Sachleistungsgewährung beziehungsweise Kostenübernahme für eine Sachleistung stellt keine Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dar. Es gilt vielmehr § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG. Hiernach ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird. Dazu gehört insbesondere die Umstellung auf Kostenerstattung für eine inzwischen durchgeführte Therapie (vgl. Meyer-Ladewig-Leitherer, SGG, § 99, Rn. 5).
Die Klage ist auch vollumfänglich begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 3.099,69 EUR für die durchgeführte chirurgische Maßnahme zur Gewichtsreduktion. Da sich die Klägerin die Leistung selbst beschafft hat, kommen im vorliegenden Verfahren lediglich die Kostenerstattungsansprüche des § 13 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V in Betracht. Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V sind die in der Höhe entstandenen Kosten dann zu erstatten, wenn die Krankenkasse entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt. 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt. 2) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V erfüllt. Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im Juli 2009 einen Anspruch auf die magenverkleinernde Operation (laparoskopischer Gastric Bypass) gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 5, 39 Abs. 1 SGB V gehabt. In Kostenerstattungsverfahren ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich (Urteil des BSG vom 08.03.1995, Az. 1 RK 8/94, Rn. 12, zitiert nach juris, Kasseler-Kommentar-Brandts, SGB V, § 13, Rn. 54).
Gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Krankenhausbehandlung (§§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, 39 Abs. 1 SGB V).
Eine Krankheit im vorgenannten Sinne hat bei der hochgradig adipösen Klägerin vorgelegen. Hierunter ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (Kasseler-Kommentar-Höfler, SGB V, § 27, Rn. 9). Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Dabei ist nicht jede Abweichung von der morphologischen Idealnorm regelwidrig. Es muss sich vielmehr um eine wesentliche Störung der normalen psychophysischen Funktionen handeln, die so beträchtlich ist, dass ihre Wiederherstellung eine ärztliche Behandlung erfordert (jurisPK-Fahlbusch, SGB V, § 27, Rn. 37). Ob der Adipositas nach diesem Verständnis per se Krankheitswert zukommt, kann dahingestellt bleiben. Anerkannt ist aber, dass bei starkem Übergewicht (BMI ) = 30 kg/m²) bereits deswegen eine ärztliche Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion angezeigt ist, weil anderenfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen besteht (Urteil des BSG vom 19.02.2003, Az. B 1 KR 1/02 R, Rn. 11, zitiert nach juris). Nach diesem Verständnis hat die Adipositas der Klägerin zum Zeitpunkt des Eingriffs im Juli 2009 Krankheitswert gehabt. Das Körpergewicht hat den glaubhaften Angaben der Klägerin zu Folge am Operationstag 160 kg getragen (BMI von nahezu 60 kg/m²) (Bl. 200 der Gerichtsakte). Im Übrigen haben bei der Klägerin unter anderem degenerativ bedingte Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden vorgelegen, die auch von Seiten des MDK als Folgeerkrankungen der Adipositas angesehen worden sind (Bl. 20 der Verwaltungsakte).
Die Leistung kann schließlich auch nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Eingriff keine kausale Behandlung der bestehenden Krankheit darstellt, sondern die Störung gewissermaßen durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsaufnahme beeinflusst werden soll. Eine solche mittelbare Behandlung wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mit umfasst, wenn die weiteren, in § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt sind (BSG, a.a.O., Rn. 12). Danach muss die Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.
Bei mittelbaren Behandlungen, insbesondere bei chirurgischen Eingriffen in ein an sich intaktes Organ, bedarf es darüber hinaus einer speziellen Rechtfertigung, bei der die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (Urteil des BSG vom 06.10.1999, Az. B 1 KR 13/97 R, Rn. 20, zitiert nach juris).
Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei den von der Rechtsprechung aufgestellten Bedingungen zur mittelbaren Behandlung nicht um weitere Voraussetzungen des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs.1 SGB V; sie konkretisieren vielmehr das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V.
Die Voraussetzungen haben nach eingehender Überprüfung der Sachlage vorgelegen. Die Anlage des laparoskopischen Gastric Bypass im Wege einer vollstationären chirurgischen Behandlung im Juli 2009 ist zur Gewichtsreduktion ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen und hat das Maß des Notwendigen nicht überschritten.
Ausreichend ist eine Leistung dann, wenn sie – ausgehend vom Zweck der jeweiligen Leistung – nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für einen Heilerfolg bietet. In diesem Zusammenhang ist der in § 11 SGB V allgemein umschriebene und in den nachfolgenden Einzelvorschriften präzisierte Leistungszweck ebenso zu berücksichtigen wie der in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V niedergelegte Grundsatz, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und dem medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben (jurisPK-Engelhard, SGB V, § 12, Rn. 47 f.). Anhaltspunkte dafür, dass die durchgeführte Behandlung nicht ausreichend im vorgenannten Sinne gewesen ist, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Prüfung und Entscheidung darüber, ob eine im Krankenhaus angewandte Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, im Übrigen gerade nicht den Krankenkassen und Gerichten obliegt, sondern dem nach § 137 c SGB V eingerichteten Ausschuss Krankenhaus.
Darüber hinaus ist die Leistung zweckmäßig und notwendig gewesen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien bei mittelbaren Behandlungen. Der Begriff der Zweckmäßigkeit entspricht dem der Eignung. Die Maßnahme muss auf eines der in §§ 11 Abs. 1., Abs. 2 und 27 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Ziele objektiv ausgerichtet und auch hinreichend wirksam sein, um diese Ziele zu erreichen (jurisPK-Engelhard, a.a.O., Rn. 52). Der Begriff der Notwendigkeit hingegen kennzeichnet ein Übermaßverbot und dient dem Schutz des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vor einer Überforderung (jurisPK-Engelhard, a.a.O, Rn. 76). Nach der neu gefassten S 3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie (CA-ADIP) vom Juni 2010 (www.adipositas-gesellschaft.de) ist ein chirurgischer Eingriff zur Gewichtsreduktion bei Personen mit einem BMI von )= 40 kg/m² ohne Kontraindikationen und bei einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m² mit einer oder mehreren Adipositas-assoziierten Folge-/Begleiterkrankungen indiziert, sofern die konservative Therapie erschöpft ist (S. 12 der Leitlinie). Die konservative Therapie umfasst die Bereiche Ernährung, Bewegung und Psychotherapie. Nach der Leitlinie sind die Möglichkeiten zur Ernährungstherapie dann erschöpft, wenn mittels einer energiereduzierten Mischkost und einer weiteren ernährungsmedizinischen Maßnahme das Therapieziel nicht erreicht wurde. Die Bewegungstherapie erfordert die Durchführung einer Ausdauer- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche. Eine Psychotherapie ist angezeigt, wenn eine Essstörung vorliegt. Die Therapiearten müssen mindestens sechs Monate durchgeführt werden (S. 15 f. der Leitlinie). Aus den vorgenannten engen Voraussetzungen ergibt sich, dass ein chirurgischer Eingriff grundsätzlich nur ultima ratio sein kann. Ausnahmsweise ist eine chirurgische Therapie primär durchführbar, wenn Art und/oder Schwere der Krankheit beziehungsweise psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen lassen, dass eine operative Maßnahme nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist (S. 16 der Leitlinie).
Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen des Gerichts steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bei der Klägerin im Juli 2009 die Indikation für eine bariatrische Operation zur Reduktion der Adipositas vorgelegen hat. Den zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. zu Folge, die sich das Gericht vollumfänglich zu Eigen macht, sind jedenfalls die Therapiebereiche Ernährung und Psycho- beziehungsweise Verhaltenstherapie erschöpft gewesen: "Neben zahlreichen diätetischen Versuchen mit Heilfasten, Eier- und Ananasdiäten, Slimfast, der Einnahme von Medikamenten wie Xenical, kam es in den zurückliegenden Jahren immer wieder zu dem so genannten Jojo-Effekt mit kurzfristiger Gewichtsreduktion und anschließender Gewichtszunahme [ ] Wegen einer nachgewiesenen Angststörung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Stadtkrankenhauses A-Stadt wurde die Patientin von 1993 bis 1998 medizinisch begleitet und auch medikamentös mit einem Antidepressivum wie Fluctin versorgt [ ] Parallel versuchte die Patientin über Weight Watchers eine Gewichtsabnahme, über 6 Monate konnten 16 kg Gewicht reduziert, aber leider nicht gehalten werden. Selbst die Aufnahme einer Psychotherapie bei Frau Z. [ ] über 4 Jahre zwischen 2004 und 2008, in der eine Essstörung der Patientin mitbehandelt wurde, konnte keinen positiven Einfluss auf die stetige Gewichtszunahme bewirken. Auch die von der Kasse empfohlene Vorstellung beim Internisten und Dr. B. konnte unter Zuhilfenahme von Ernährungsberatung und diätetischen Maßnahmen und vor allem unter Hinzuziehung einer Diätassistentin zwischen 2008 und 2009 nur zu dem Ergebnis führen, dass auch von dieser Seite einer bariatrischen Operation das Wort zugesprochen wurde [ ...]" (S. 4 f. des Gutachtens, Bl. 155 f. der Gerichtsakte). Die Ausführungen des Sachverständigen sind plausibel. Sie überzeugen insbesondere deswegen, weil sich Dr. F. mit den vorhandenen ärztlichen Unterlagen umfassend auseinandergesetzt und die bis in die 90er Jahre zurück reichende Krankheitsgeschichte der Klägerin bei der Beurteilung berücksichtigt hat. Außerdem hat auch Dr. A., bei dem sich die Klägerin bereits langjährig in Behandlung befindet, deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass die zahlreichen diätetischen Bemühungen in der Vergangenheit ärztlich begleitet worden sind (Bl. 42 der Verwaltungsakte). Eine wiederholte vergebliche Ausschöpfung der konservativen Therapien, wie von Seiten des MDK in seiner Stellungnahme vom 09.07.2008 verlangt (Bl. 33 der Verwaltungsakte), sieht die S 3-Leitlinie im Übrigen gar nicht vor.
Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass die Essstörung mit den Mitteln der Psychotherapie zu behandeln sei (vgl. Bl. 19, 33, 47 der Verwaltungsakte). Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich um ein vorgeschobenes Argument handeln würde, "da bei genauer Betrachtung der Datenlage eine jahrelange psychiatrische wie auch verhaltenstherapeutische Begleitung der Patientin, gerade unter dem Aspekt des Übergewichts, keinen signifikanten Gewichtsverlust, vielmehr eine Gewichtszunahme nach sich zogen. Somit ist von einer weiteren Verhaltenstherapie aus Gutachtersicht kein positiver Effekt zu erwarten" (S. 8 des Gutachtens, Bl. 159 der Gerichtsakte).
In Bezug auf die fehlende ärztlich kontrollierte Bewegungstherapie (Bl. 19 der Verwaltungsakte) hat Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass es der Patientin nicht mehr möglich gewesen sei, entsprechende Ausdauer- und/oder Kraft-Ausdauersportarten so zu gestalten, dass es über die Bewegung zu einer Steigerung des Grundumsatzes komme. Die konservative Möglichkeit einer Bewegungstherapie zur Gewichtsreduktion sei erschöpft (S. 4 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 183 der Gerichtsakte). Die von ihm hierzu getroffenen Feststellungen sind im Hinblick auf einen BMI von weit über 50 kg/m² bis 60 kg/m² durchaus plausibel. Es erschließt sich dem Gericht nicht, wie die hochgradig adipöse Klägerin mit bereits vorhandenen degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden Ausdauersport- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche hätte absolvieren sollen. So hat auch Dr. A. darauf hingewiesen, dass eine Bewegungstherapie von der Klägerin nicht geleistet werden könne (Befundbericht vom 11.08.2008, Bl. 42 der Verwaltungsakte). Nach der S3-Leitlinie ist die Therapie nur dann durchzuführen, "falls keine Barrieren bestehen (z.B. Gonarthrose für Gehsportarten oder Scham beim Schwimmen)" (S. 16 der Leitlinie). Vor diesem Hintergrund war auch ohne Bewegungstherapie eine Indikation für die chirurgische Maßnahme gegeben.
Aus welchen Gründen der MDK eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen hat (Bl. 19 der Verwaltungsakte), ist nicht erklärlich. Sie ist keine konservative Therapie im Sinne der S 3-Leitlinie. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob diese Maßnahme bei einer hochgradigen Übergewichtigkeit überhaupt zur Gewichtsreduktion geeignet sein kann. Kontraindikationen haben ausweislich der glaubhaften Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. nicht vorgelegen: "Auf Basis der eingesehenen Unterlagen, vor allem unter Zugrundelegung der Stellungnahme der Psychotherapeutin Frau Z. wie auch der Oberärztin der Psychiatrie Frau Y. stellt die psychische Auffälligkeit keine Kontraindikation dar" (S. 14 des Gutachtens, Bl. 165 der Gerichtsakte). Das gilt auch in Bezug auf die ausreichende Motivation der Klägerin zur Gewichtsreduktion, die der Sachverständige sogar als evident bezeichnet hat (S. 15 des Gutachtens, Bl. 166 der Gerichtsakte).
Die mittelbare Behandlung ist schließlich auch gerechtfertigt gewesen. Bei der Abwägung sind Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten gegeneinander abzuwägen (BSG, a.a.O.). Die durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass Art und Ausmaß der Adipositas bei der Klägerin und der durch die Therapie bedingte Nutzen die mit dem Eingriff einher gehenden Risiken und etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung bei weitem überwiegen. So hat Dr. F. darauf hingewiesen, dass die ökonomischen Analysen des HTA-Berichtes die Kosteneffizienz gegenüber konservativer oder keiner Behandlung bestätigen würden. Die durchschnittlichen Therapiekosten durch Reduktion oder Remission der Komorbiditäten sei nach amerikanischen Literaturangaben schon nach zwei bis drei Jahren wieder eingespielt. Bei Betrachtung der finanziellen Aufwendungen sei die Vergütung der aufgewendeten Fallpauschale des W.krankenhauses eher gering (S. 12 des Gutachtens, Bl. 163 des Gutachtens).
Das Risiko, wegen Adipositas-assoziierter Komplikationen vorzeitig zu versterben, sei durch einen Eingriff trotz operationsbedingter Komplikationen um den Faktor 9 gegenüber konservativ behandelten Patienten und den Faktor 20 gegenüber unbehandelten morbid adipöser Patienten reduziert. Bei Betrachtung der Klägerin gelte das vor allem im Hinblick auf die Komorbiditäten wie degenerative Gelenkveränderungen, die Atemnot, die axiale Hiatushernie, Reflux, beginnende diabetische Stoffwechsellage wie auch im Ultraschall nachgewiesene Fettleber. Auch die psychische Situation würde sich verbessern lassen (S. 14 des Gutachtens, Bl. 165 der Gerichtsakte). Dem Hinweis des MDK, dass die Einnahme von Psychopharmaka durch ein malabsorptives Verfahren gefährdet sei, hat der Sachverständige entgegen gehalten, dass auch andere postoperativ notwendige Medikamente oral verabreicht und über den Restdünndarm resorbiert werden könnten. Eventuell sei die Dosis zu steigern (S. 9 des Gutachtens, Bl. 160 der Gerichtsakte).
Nach alledem hat im Juli 2009 die Indikation für eine adipositas-chirurgische Maßnahme zur Gewichtsreduktion vorgelegen, um die Verschlimmerung der Krankheit zu verhüten und die damit einher gehenden Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V abgelehnt. Die Ablehnung ist auch wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung gewesen. Die Klägerin ist erst im Juni 2009 zur Operation fest entschlossen gewesen (Festlegung des Operationstermins am 09.06.2009 (Bl. 28 der Gerichtsakte)), mithin ein Jahr nach der ersten ablehnenden Entscheidung der Beklagten. Die Kosten für die chirurgische Therapie von insgesamt 3.099,69 EUR sind von der Beklagten in voller Höhe zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
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