L 13 AS 1494/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 5668/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1494/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 1. März 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren zuletzt (im Berufungsverfahren) noch die Übernahme höherer Kosten für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Die am 11. Oktober 1970 geborene Klägerin und ihr am 26. August 1995 geborener Sohn beziehen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit 1. April 2007 bewohnten sie eine Drei-Zimmer-Wohnung in Kr. mit einer Größe von 95 m² und einer Kaltmiete von 388,58 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 21. Juni 2007 gewährte der Beklagte den Klägern Leistungen ab dem 1. April 2007 unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 306,60 EUR. Er wies darauf hin, dass im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald die angemessene Kaltmiete für einen Zwei-Personen-Haushalt 306,60 EUR betrage. Bei den Kosten der Unterkunft könne lediglich diese Kaltmiete anerkannt werden. Diese als angemessen angesehene Kaltmiete wurde auch in der Folgezeit bei der Leistungsbewilligung berücksichtigt. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2009 bat der Prozessbevollmächtigte der Kläger den Beklagten um Auskunft, mit welchen Bescheiden innerhalb der letzten vier Jahre den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II gewährt worden waren. Der Beklagte teilte hierauf mit Schreiben vom 5. November 2009 die Daten der Erstbescheide für den Zeitraum 8. August 2005 bis 31. Dezember 2009 mit.

Am 17. Dezember 2009 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger wörtlich, "die aus der Anlage (Schreiben der Arbeitsgemeinschaft LK Breisgau-Hochschwarzwald vom 5. November 2009) ersichtlichen Bescheide zurückzunehmen." Weiter führte er aus: "Auf die Frist gemäß § 88 Abs. 1 SGG weise ich ausdrücklich hin. Begründung: Die Bescheide sind rechtswidrig. Die gewährten Regelleistungen entsprechen nicht dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das Existenzminimum ist durch die Regelleistung nicht gewährleistet."

Mit Bescheid vom 31. August 2010 lehnte der Beklagte eine Änderung der seit dem 8. August 2005 erteilten Bewilligungs- und Änderungsbescheide mit der Begründung ab, der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts habe nunmehr entschieden, dass die Festlegung der Höhe der Regelsätze zwar verfassungswidrig sei, diese aber bis zur Neuregelung bzw. zumindest bis 21. Dezember 2010 weiter angewandt werden könnten. Der auf die Überprüfung der Regelleistungshöhe gerichtete Antrag müsse daher abgelehnt werden.

Den hiergegen am 1. Oktober 2010 eingelegten Widerspruch begründeten die Kläger damit, dass die Leistungen für Unterkunft und Heizung zu niedrig und rechtswidrig berechnet worden seien. Das von dem Beklagten angewandte Konzept zur Festsetzung der angemessenen Kaltmieten sei rechtswidrig und entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig, da mit Bescheid vom 31. August 2010 eine Entscheidung über die Höhe der Kosten der Unterkunft nicht getroffen worden sei. Der Beklagte wies aber zugleich darauf hin, dass er den Widerspruch als weiteren Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der Höhe der zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 8. August 2005 bis 31. Dezember 2009 werte und hierüber entscheiden werde.

Mit Bescheid vom 17. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2011 hat der Beklagte eine Änderung der Bescheide vom 9. Dezember 2005, 2. Februar 2006, 20. Juni 2006, 30. Mai 2007, 3. Juli 2007, 7. Dezember 2007, 28. Mai 2008, 13. Oktober 2008, 18. Dezember 2008 und 17. Juni 2009 betreffend den Zeitraum 8. August 2005 bis 31. Dezember 2009 hinsichtlich der Höhe der zu berücksichtigenden Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Bescheide nicht zu beanstanden seien. Der Bescheid werde Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Az. S 14 AS 4881/09 soweit die Überprüfung des Bescheids vom 17. Juni 2009 Gegenstand sei. Dieser Zeitraum bleibe bei der Überprüfung unberücksichtigt. Darüber hinaus wurde auf die Möglichkeit des Widerspruchs hingewiesen. Das hiergegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) angestrengte Klageverfahren (Az. S 14 AS 1757/11) ist ausgesetzt worden.

Gegen den Bescheid vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2010 haben die Kläger am 5. November 2010 Klage zum SG erhoben, zu deren Begründung sie weiterhin vortragen, der Beklagte habe Kosten für Unterkunft und Heizung in unzureichender Höhe gewährt. Mit Urteil vom 1. März 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. In Bezug auf die Leistungszeiträume 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 und 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 bestünden bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Klage. Der Leistungszeitraum 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 sei bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem SG (Az. S 14 AS 6430/09). Die hiesige Klage betreffe zumindest im Leistungsantrag ebenfalls diesen Zeitraum, sie sei deshalb doppelt rechtshängig und unzulässig. Auch hinsichtlich des Leistungszeitraums 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 bestehe doppelte Rechtshängigkeit, da auch für diesen Zeitraum ein Leistungsantrag bereits in einem älteren Verfahren (Az. S 14 AS 4881/09) gestellt worden sei. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber nicht begründet. Der Beklagte habe zu Recht den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. August 2010 als unzulässig verworfen und ihn lediglich zum Anlass genommen, eine erneute Überprüfung der Höhe der Kosten der Unterkunft einzuleiten. Der Beklagte habe im Bescheid vom 31. August 2010 keine Entscheidung über die Rücknahme der verschiedenen dort genannten Bescheide betreffend der Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung ab 8. August 2005 getroffen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Bescheids vom 31. August 2010 habe der Beklagte in diesem Bescheid nur die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung geprüft. Die Kosten der Unterkunft seien nicht Gegenstand dieses Überprüfungsbescheids gewesen. Der Bescheid könne auch nicht so ausgelegt werden, dass er eine umfassende Prüfung der Höhe der den Klägern ab dem 8. August 2005 gewährten Leistungen enthalte. Dafür gebe es in diesem Bescheid keinerlei Anhaltspunkte. Eine Beschränkung der Überprüfung auf die Regelleistungen - ggf. einschließlich des gewährten Mehrbedarfs - sei aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Begründung des Antrags möglich gewesen. Der Bescheid vom 17. November 2010 sei nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Rechtsstreits geworden, da er den Bescheid vom 31. August 2010 weder ganz noch teilweise ersetze. Mit Bescheid vom 17. November 2010 habe der Beklagte allein über die Rechtmäßigkeit der den Klägern gewährten Kosten für Unterkunft und Heizung entschieden, wohingegen mit Bescheid vom 31. August 2010 nur und ausschließlich die Höhe der den Klägern gewährten Regelleistungen überprüft worden sei. Die beiden Bescheide beträfen deshalb vollständig verschiedene Prüfungsgegenstände.

Gegen das ihm am 11. März 2011 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 11. April 2011 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung wird vorgetragen, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen. Die Beschränkung auf einen bestimmten rechtlichen Prüfungsmaßstab unterliege nicht der Disposition der Beteiligten. Es habe die Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen zu erfolgen. Hierzu gehörten auch die Kosten der Unterkunft. Diese Grundsätze dürften nicht nur für die Sozialgerichte, sondern - entsprechend angewandt - auch für die mit den Antrags- und Widerspruchsverfahren befassten Verwaltungsbehörden gelten. Auch nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hätte der Beklagte eine umfassende Prüfung durchführen müssen. Eine ausdrückliche und unzweifelhafte Erklärung sei durch die Kläger erst in der mündlichen Verhandlung erfolgt. Erst dort sei der Streitgegenstand - zulässigerweise - auf die Kosten für Unterkunft und Heizung eingeschränkt worden. Das durch den Beklagten angewandte Konzept hinsichtlich der Kosten der Unterkunft sei rechtswidrig, weshalb im Falle der Kläger höhere Kosten der Unterkunft im streitigen Zeitraum zu berücksichtigen seien.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 1. März 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 31. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 zu verurteilen, die Bescheide vom 30. Mai 2007, 3. Juli 2007, 7. Dezember 2007, 28. Mai 2008, 18. Dezember 2008 und 17. Juni 2009 in der Fassung der jeweiligen Änderungsbescheide abzuändern und ihnen für den Zeitraum 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 388,58 EUR zzgl. Nebenkosten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 11. August 2011, der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, der SG-Akten und der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Kläger, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag im Berufungsverfahren noch das Begehren der Kläger, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2010 zu verurteilen, die Bescheide vom 30. Mai 2007, 3. Juli 2007, 7. Dezember 2007, 28. Mai 2008, 13. Oktober 2008, 18. Dezember 2008 und 17. Juni 2009 in Gestalt der jeweiligen Änderungsbescheide abzuändern und den Klägern für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 Kosten für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 388,58 Euro zu gewähren.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, dass der Beklagte mit Bescheid vom 31. August 2010 nach § 44 SGB X allein die Rechtmäßigkeit der Regelleistung, die einen abtrennbaren Streitgegenstand darstellt, geprüft und damit keine anfechtbarer Entscheidung zur Höhe der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft getroffen hat. Das SG hat ferner den Bescheid vom 17. November 2010 zu Recht nicht nach § 96 SGG in das Verfahren einbezogen, da die Streitgegenstände nicht identisch sind. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 17. Dezember 2009 lediglich eine Überprüfung der genannten Bescheide hinsichtlich der Regelleistung beantragt hat. Der Beklagte hat auch alleine hierüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 31. August 2010 entschieden. Eine Entscheidung hinsichtlich einer Überprüfung der Höhe der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung hat der Beklagte nicht getroffen.

Angesichts der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Trennbarkeit des Streitgegenstandes im Hinblick auf Leistungen nach § 22 SGB II einerseits und Regelleistungen/Sozialgeld andererseits (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R - Juris Rdnr. 13 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217-230 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 = Juris Rdnr. 18; vgl. auch BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 41/08 R - Juris m.w.N.) durfte der Beklagte im Überprüfungsverfahren auch allein über die Höhe der Regelleistung entscheiden. Die vom BSG zumindest für die hier maßgeblichen Gesetzesfassungen bis zum 31. März 2011 zugelassene Trennung der Streitgegenstände ist nicht alleine auf das Gerichtsverfahren beschränkt. Bei einer Trennbarkeit von Streitgegenständen ist es auch dem Grundsicherungsträger möglich, über trennbare Teile der Leistungen nach §§ 19 ff SGB II eine getrennte Entscheidung und somit auch eine lediglich streitgegenstandsbezogene, getrennte Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X zu treffen.

Hat der Beklagte daher - rechtlich zulässig - im angefochtenen Bescheid vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2010 nicht über Kosten der Unterkunft und Heizung entschieden, liegt keine mit einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anfechtbare Entscheidung des Beklagten vor.

Nachdem mit Bescheid vom 17. November 2010 allein die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 44 SGB X geprüft wurden, wurde durch diesen Bescheid der Bescheid vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 weder im Sinne des § 96 SGG abgeändert noch ersetzt. Beide Bescheide entscheiden über unterschiedliche Streitgegenstände. Wird aber ein teilbarer Verwaltungsakt nur hinsichtlich seines bislang nicht streitbefangenen Teils durch einen späteren Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt, ist für eine Einbeziehung nach § 96 SGG kein Raum.

Die Entscheidung des SG ist daher nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass die Kläger im Ergebnis erfolglos geblieben sind und der Beklagte zur Klage keinen berechtigten Anlass gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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