S 6 R 106/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 106/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 454/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 verurteilt, die Altersrente des Klägers ab dem 01.01.2000 unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West und einer Ersatzzeit vom 26.12.1953 bis 30.04.1954, 01.10.1954 bis 30.04.1955, 01.10.1955 bis 30.04.1956 sowie vom 01.10.1956 bis 31.12.1956 neu festzustellen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für dieses Verfahren.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung einer Ersatzzeit im sogenannten Zu-gunstenweg nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für Zeiträume, die der Kläger während und nach der russischen Kommandanturaufsicht in Kasachstan verbrin¬gen musste. Weiter besteht Streit darüber, ob die Beklagte die Altersrente des Klägers un¬ter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West statt Entgeltpunkten Ost neu festzustellen hat.

Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger ist Volksdeutscher und wurde mit seiner Familie am 28.08.1941 nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion von Jagodnoje/Saratow nach Kamarovka/Koktschetav in Kasachstan verschleppt und bis zum 13.12.1955 unter Kom¬mandanturaufsicht gestellt. Nach dem Ende der Kommandanturaufsicht blieb die Familie zwangsweise in Kasachstan. Im Jahr 1992 reiste der Bruder des Klägers in die Bundesre¬publik Deutschland (BRD) ein und organisierte von dort die Ausreise für den Kläger und dessen Familie nach Westdeutschland. Statt in Düsseldorf, wo seine Verwandten ihn er¬warteten, landete der Kläger mit seiner Ehefrau am 19.12.1993 außerplanmäßig in Frank¬furt am Main. Von dort erfolgte durch die zuständigen Behörden eine Unterbringung des Klägers in einem Übergangswohnheim in Brandenburg, wo bereits die drei Monate zuvor aus Kasachstan eingereiste Tochter lebte. Auf Betreiben der in Westdeutschland lebenden Verwandten erhielten der Kläger und seine Ehefrau nach Absolvierung eines Sprachkur¬ses die Erlaubnis zum Umzug nach Westdeutschland, welcher am 15.05.1994 nach X erfolgte.

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagten dem Kläger ab 01.01.2000 Alters-rente wegen Arbeitslosigkeit unter Zugrundelegung von Entgeltpunkten Ost.

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Neufeststellung der bislang gewährten Rente nach § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 23.01.2008 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag als unbegründet ab. Es seien keine weiteren rentenrechtlich relevan¬ten Zeiten geltend gemacht bzw. keine Nachweise für eine höhere Bewertung der Zeiten eingereicht worden.

Hiergegen legte der Kläger am 28.01.2008 Widerspruch ein und bat um Berücksichtigung einer Ersatzzeit für die Kommandanturaufsicht bzw. Verschleppung ab dem 14. Lebens¬jahr. Zudem begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Entgeltpunkten West bei seiner Altersrente, da er in den neuen Bundesländern aufgrund der weniger als sechs Monate dauernden Unterbringung in dem Übergangswohnheim keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klä-gers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger sich nach seiner Ausreise aus der UdSSR am 19.12.1993 bis zum 15.05.1994 in den neuen Bundes¬ländern aufgehalten habe. Auch der Aufenthalt in einem Übergangswohnheim sei als ge¬wöhnlicher Aufenthalt gemäß § 30 SGB I anzusehen, so dass es bei einer Anwendung der Entgeltpunkte Ost verbleibe. Auf Prognosen über spätere Entwicklungen, Veränderungs¬wünsche oder Absichten sowie einen bestimmten Domizilwillen bzw. Freiwilligkeit des Auf¬enthalts komme es nicht an. Eine Ersatzzeit für die Zeit der Kommandanturaufsicht sei nicht zu berücksichtigen. Bei Russlanddeutschen, die nach dem deutschen Angriff auf die ehemalige Sowjetunion innerhalb der ehemaligen Sowjetunion verschleppt und grundsätz¬lich bis Ende 1955 bzw. Anfang 1956 unter Kommandanturaufsicht gestellt waren, werde die Zeit der Kommandanturaufsicht unter dem Gesichtspunkt der Internierung oder Ver¬schleppung im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI angesehen. Als zwingende Voraus¬setzung für die Anwendung dieser Vorschrift müsse der Versicherte einen ab der Internie¬rung bis zur tatsächlichen Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland durchgehenden Ausreise- und Rückkehrwillen gehabt haben. Dies sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Ausweislich seiner Angaben in einem Fragebogen vom 06.06.1995 habe er erstmalig im März 1991 den Gedanken gefasst, das Herkunftsgebiet zu verlassen um einen ständigen Aufenthalt in der BRD zu nehmen.

Hiergegen richtet sich die am 14.07.2008 erhobene Klage. Nach Ansicht des Klägers ist seine Rente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West zu gewähren, da er auf-grund der Kürze seines Aufenthalts in dem Übergangswohnheim keinen gewöhnlichen Aufenthalt in den neuen Bundesländern begründet habe. Ein Verbleib des Klägers in dem Wohnheim und in neuen Bundesländern bis auf weiteres sei nicht beabsichtigt gewesen. Hinsichtlich der geltend gemachten Ersatzzeit komme es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17.02.2005, Az.: B 13 Rj 25/04 R) bei der Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI nicht auf einen durchgehenden Rück¬kehrwillen auch nach dem Ende der Kommandanturaufsicht an, sondern allein darauf, in¬wieweit während der geltend gemachten Ersatzzeit ein solcher Bestand. Bei Kindern sei diesbezüglich allein auf den Rückkehrwillen der Eltern abzustellen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2008 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 03.07.2008 zu verurteilen, seine Altersrente unter Zugrundele-gung von Entgeltpunkten West und Berücksichtigung der Zeit der Kommandanturaufsicht vom 26.12.1953 bis 13.12.1955 als Ersatzzeit sowie der Zeit der anschließenden Rück¬kehrverhinderung vom 14.12.1955 bis 30.04.1956 und vom 01.10.1956 bis 31.12.1956 als Ersatzzeit ab dem 01.01.2000 neu festzusetzen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Ansicht hat beim Kläger in der Zeit vom 19.12.1993 bis 15.05.1994 ein gewöhn¬licher Aufenthalt im Beitrittsgebiet vorgelegen. Es könne nicht von einem lediglich kurzzei¬tigen Aufenthalt ausgegangen werden, da der Aufenthalt sechs Monate umfasste. Hin¬sichtlich der Anerkennung einer Ersatzzeit wegen Kommandanturaufsicht sei ein fortge¬setzter Ausreise- und Rückkehrwillen bis zum Zuzug in die BRD erforderlich, der bei Klä¬ger nicht vorgelegen habe.

Auf Anfrage des Gerichts hat der Kläger Herrn X und Frau Y als Zeugen für den Rückkehrwillen der Eltern des Klägers während der Kommandan¬turaufsicht benannt. Die Zeugen haben sich im Wege schriftlicher Anhörung geäußert.

In einem die Ehefrau des Klägers betreffenden Verfahren vor dem SG Köln (S 6 R 5/09) hat die Beklagte am 31.07.2009 anerkannt, dass hinsichtlich der Ehefrau durch den knapp sechsmonatigen Aufenthalt in dem Übergangswohnheim in Brandenburg kein gewöhnli¬cher Aufenthalt in den neuen Bundesländern begründet worden ist und bei der Rente Ent¬geltpunkte West zu berücksichtigen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die darin befindlichen gewechselten Schrift¬sätze und die Streitakte in dem Verfahren SG Köln zu dem Aktenzeichen S 6 R 5/09, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn die Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Altersrente des Klägers auf den Überprüfungsantrag vom 31.12.2004 unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit für die geltend gemachten Zeiträume der Kommandan¬turaufsicht sowie der Rückkehrverhinderung (dazu 1.) sowie unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West (dazu 2.) neu festzustellen.

Die Beklagte ist verpflichtet, die von ihr erteilten Altersrentenbescheide gemäß § 44 SGB X abzuändern und die Altersrente des Klägers neu festzustellen, weil diese Bescheide das Recht unrichtig anwenden.

1. Die Beklagte hat bei dem Kläger für die Zeiträume 26.12.1953 bis 30.04.1954, 01.10.1954 bis 30.04.1955, 01.10.1955 bis 30.04.1956 sowie vom 01.10.1956 bis 31.12.1956 eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI zu berücksichtigen.

Nach dieser Vorschrift sind Ersatzzeiten auch die Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen nicht Versicherungspflicht bestanden hat und der Versicherte nach vollendetem 14. Le-bensjahr während oder nach dem Ende eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen bis zum 30.06.1945 an der Rückkehr aus Gebieten außer-halb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden ist.

Dies Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger war nach Kriegsende ohne Kriegsteilnehmer zu sein durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus den in § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI genannten Gebieten verhindert gewesen bzw. war dort festgehalten worden. Am 26.12.1953 hatte der Kläger das 14. Lebensjahr vollendet.

Die Zeit der Kommandanturaufsicht ist stets als feindliche Maßnahme im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI anzusehen, die sich gezielt gegen die deutsche Volksgruppe gerichtet hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2005, Az.: B 13 RJ 25/04 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Ur¬teil vom 28.09.2009, Az.: L 3 R 52/05). Während der Zeit der Kommandanturaufsicht, der der Kläger mit seinen Eltern in Kasachstan unterstand, war der objektive Tatbestand des Festgehaltenwerdens zweifelsfrei erfüllt. Für die Zeit nach der Entlassung des Klägers aus der Kommandanturaufsicht am 13.12.1955 gilt nichts anderes, denn in einem volksdeut¬schen Siedlungsgebiet der UdSSR geborene Volksdeutsche, wie der in Saratow geborene Kläger, die nach Kasachstan verschleppt und dort wegen des Verbots der Rückkehr in das Siedlungsgebiet bis zur Ausreise verblieben, sind festgehalten worden im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI. Diese Deutschen waren doppelt betroffen, durch die Deportation im Jahre 1941 einerseits und die verbleibende Entwurzelung andererseits, denn sie konnten nicht mehr in die deutschsprachige Heimat zurückkehren und gerieten sie in sprachliche oder kulturelle Vereinsamung. Das allgemeine Ausreiseverbot in der UdSSR wirkte sich bei diesem Personenkreis derart aus, dass es sich ihnen gegenüber auch nach dem Jahr 1956 als feindliche Maßnahme darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1997, Az.: 8 Rkn 7/96 mit weiteren Nennungen).

Aber auch der subjektive Tatbestand des Festgehaltenwerdens ist nach Auffassung der Kammer erfüllt. Erforderlich ist dafür das Bestehen eines ernsthaften Rückkehr- bzw. Aus¬reisewillens, der allein während der geltend gemachten Ersatzzeit bestanden haben muss. Abzustellen ist dabei zudem nicht auf den Willen des damals minderjährigen Klägers, son¬dern auf den Rückkehrwillen der Eltern des Klägers. Denn Kinder teilen im Hinblick auf ihre völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von den Eltern deren Schicksal (vgl. BSG a.a.O. Mit weiteren Nennungen). Die davon abweichende Auffassung der Beklagten, dass der Betroffene einen fortgesetzten Ausreise- bzw. Rückkehrwillen bis zur tatsächli¬chen Ausreise gehabt haben müsse, überzeugt nicht.

Einen Rückkehr- bzw. Ausreisewillen seiner Eltern während der Kommandanturaufsicht und auch danach hat der Kläger glaubhaft gemacht. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichba¬ren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 4 Abs. 1 Fremd¬rentengesetz). Die Kammer hat aufgrund der Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers sowie der im Rahmen schriftli¬cher Anhörung erfolgten Angaben der Zeugen Schäfer und Koch keinerlei Zweifel, dass die Eltern des Klägers und auch der Kläger selbst während und nach der Kommandan¬turaufsicht einen Rückkehr- bzw. Ausreisewillen nach Deutschland gehabt hatten. Der Klä¬ger hat an Eides statt versichert, dass seine Eltern innerhalb der Familie stets bekundet haben, nach Deutschland ausreisen zu wollen. Diese Angabe ist glaubhaft, denn sie wird durch die Zeugenaussage seiner Ehefrau gestützt. Unabhängig davon wäre es völlig lebensfremd, bei den damaligen Lebensverhältnissen und Benachteiligungen der nach Kasachstan verschleppten und dort auch nach Ende der Kommandanturzeit festgehaltenen Deutschen, keinen Ausreisewillen annehmen zu wollen.

Während der Kommandaturaufsicht sind Ersatzzeiten vom 26.12.1953 (Vollendung des 14. Lebensjahres) bis 30.04.1954, 01.10.1954 bis 30.04.1955 und 01.10.1955 bis zum de-ren Ende für den Kläger am 13.12.1955 anzuerkennen. Nach der Kommandanturaufsicht sind Ersatzzeiten vom 14.12.1955 bis 30.04.1956 sowie vom 01.10.1956 bis 31.12.1956 anzuerkennen. Die dazwischen liegenden Zeiträume können gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI keine Berücksichtigung finden, da sie bereits mit Pflichtbeiträgen belegt sind.

2. Die Beklagte hat die Altersrente des Klägers nach Entgeltpunkten West zu berechnen und neu festzustellen.

Für in Deutschland zurückgelegte Beitragszeiten hängt die Zuordnung zu Entgeltpunkten West bzw. Entgeltpunkten Ost im Grundsatz davon ab, ob sie im Beitrittsgebiet oder im al¬ten Bundesgebiet zurückgelegt worden sind (vgl. § 254 d SGB VI). Soweit es in Anwen¬dung des Fremdrentengesetzes um die Berücksichtigung von im nichtdeutschen Her¬kunftsland zurückgelegter Beitragszeiten geht, hat der Gesetzgeber in Art. 6 § 4 Abs. 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts (FANG) fol¬gende Regelung hinsichtlich der Zuordnung zu den Entgeltpunkten getroffen:

Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezem¬ber 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwer¬ben, b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremd¬rentengesetz erwerben oder c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bun¬desrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und be¬reits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben, werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermit¬telt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Ge¬biet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost).

Der Kläger hat Anspruch auf Berechnung seiner Altersrente nach Entgeltpunkten West, da in seinem Fall entgegen der Auffassung der Beklagten keiner der Tatbestände des Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG erfüllt ist. Die Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass der Kläger nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegte. Denn der Kläger hatte nach der Einreise in die Bundesrepublik durch den weniger als sechs Monate andauernden Auf¬enthalt in dem Übergangswohnheim in Brandenburg keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet begründet. Von einem gewöhnlicher Aufenthalt des Klägers im Rechtssinne in der BRD ist nach Ansicht der Kammer erstmalig mit der Wohnsitznahme am 15.05.1994 in Westdeutschland (X) auszugehen.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand nach der Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die er-kennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend ver¬weilt. Eine zeitliche Vorgabe oder Konkretisierung enthält diese Vorschrift nicht. Es kann jedoch die Regelung in § 9 Abgabenordnung (AO) als eine Art Faustregel ergänzend her¬angezogen werden. Danach ist als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen. Bei einem unter sechsmonatigen Aufenthalt ist nach Auffassung der Kammer im Um¬kehrschluss eher nicht von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen. Zumindest bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die in einem solchen Fall einen gewöhnli¬chen Aufenthalt zu begründen vermögen.

Solche Anhaltspunkte liegen im Fall des Klägers nicht vor. Zwar kann der Aufenthalt in ei¬nem Übergangswohnheim für Spätaussiedler einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen (vgl. BverwG, Urteil vom 18.03.1999, Az.: 5 C 11/98). Voraussetzung dafür ist indes, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zu¬kunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Einen solchen zukunftsoffenen Aufenthalt hatten der Kläger und seine Ehefrau nach An¬sicht der Kammer in dem Übergangswohnheim in Brandenburg nicht. Nach der glaubhaf¬ten Schilderung des Klägers und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung war der Aufenthalt in dem Übergangswohnheim im Beitrittsgebiet nicht beabsichtigt und nicht er¬wünscht. Nur aufgrund der Ankunft an dem falschen Flughafen sind der Kläger und seine Familie nach der Einreise in die BRD nicht wie beabsichtigt bei den Verwandten in West¬deutschland untergekommen, sondern wurden von den deutschen Behörden dem Über¬gangswohnheim in Brandenburg, wo die zuvor eingereiste Tochter lebte, zugewiesen. Dort hielten sich der Kläger und seine Ehefrau weder freiwillig auf, noch hatten sie sich mit der Unterbringung abgefunden. Vielmehr bestand reger Kontakt mit den Verwandten des Klä¬gers in Westdeutschland, die im Mai 1994 schließlich eine behördliche Erlaubnis zum Um¬zug nach X erreichen konnten, die auch unverzüglich genutzt worden ist. Bei diesen objektiv wie subjektiv vorliegenden Verhältnissen ist der Aufenthalt von ca. fünfeinhalb Mo¬naten in dem Übergangswohnheim in Brandenburg nur als vorübergehendes Verweilen einzustufen. Einen gewöhnlichen Aufenthalt im rechtlichen Sinne in der BRD begründete der Kläger nach Ansicht der Kammer erst mit seinem Umzug nach X, denn dort haben er und seine Ehefrau nach der Ausreise aus Kasachstan erstmals einen neuen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen begründet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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