L 11 R 420/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 189/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 420/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.12.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 20.08.2009 ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zusteht.

Die 1960 in R. (Sachsen) geborene Klägerin war 3-mal verheiratet und hat vier Kinder (geboren 1981, 1982, 1990, 1992). Sie hat vom 01.09.1977 bis 15.07.1979 in der damaligen DDR den Beruf einer Konditorin erlernt (zum Sozialversicherungsausweis vgl Blatt 239 ff der Verwaltungsakte); zuletzt hatte sie in der DDR als Weichenreinigerin gearbeitet. Nach dem Umzug ins bisherige Bundesgebiet im Jahr 1992 ist sie im Hinblick auf die Kindererziehung keiner Arbeitstätigkeit mehr nachgegangen. Während ihrer letzten Ehe wurde sie von ihrem Ehemann missbraucht, weshalb dieser zu einer Haftstrafe von 6 ½ Jahren verurteilt, aber wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden war. Der Klägerin wurde eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (Beschädigungsgrundrente iHv 123,00 EUR monatlich) zuerkannt, ebenso wie eine MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit iSd BVG) iHv 30. Zuletzt (seit 2005) lebte sie mit ihren zwei jüngsten Kindern vom SGB II-Leistungsbezug.

Am 20.08.2009 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Hierzu gab sie an, sich wegen chronischer Erkrankung, seit 2000 als Opfer einer Gewalttat mit Morddrohung, psychischen, physisch und körperlichen Einschränkungen für erwerbsgemindert zu halten.

Die Beklagte holte beim Lungenarzt/Sozialmedizin Dr. H. ein Gutachten nach Aktenlage ein. Dieser befand in seinem Gutachten vom 14.09.2009 die Klägerin bei Vorliegen eines depressiven Syndroms, einer Somatisierungsreaktion und einer Akromioklavikulargelenksarthrose rechts für in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen, in Tagesschicht sowie Früh-/Spätschicht und unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen hinsichtlich des Bewegungs-/Haltungsapparates sechs Stunden und mehr ausüben zu können. Auszuschließen seien Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten mit vermehrter seelischer Belastung, Überkopfarbeiten und Wirbelsäulenzwangshaltungen. Auch vermehrter Publikumsverkehr und Zeitdruck sei zu meiden.

Unter Berücksichtigung von weiteren ärztlichen Unterlagen, Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. W., Dr. K., Dr. Wi., Dr. A. und der Diplom-Psychologin P. M.-S. sowie von für die Bundesagentur für Arbeit erstellten Gutachten - insbesondere einem Gutachten von Dr. Sch., der ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert hatte - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2009 die Gewährung der beantragten Rente ab. Es liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vor. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Den am 28.09.2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2009 zurück. Volle bzw teilweise Erwerbsminderung liege nicht vor. Die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Weichenreinigerin sei dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen, weshalb sich die Klägerin im Rahmen der Prüfung von Berufsunfähigkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen müsse.

Am 12.01.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Unter Berücksichtigung der festgestellten MdE iHv 30 und nach den Schicksalen sowie ihrem Lebenslauf sei sie offensichtlich zu einer Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage. Den erlernten Beruf habe sie jahrzehntelang nicht mehr ausgeübt. Zu anderen Tätigkeiten sei sie aber weder persönlich noch gesundheitlich befähigt. Auch aus zunehmend psychischen Gründen sei sie nicht mehr in der Lage einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 37 bis 51, 52 bis 54 sowie 55 der SG-Akte Bezug genommen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Wi. hat dem SG mit Schreiben vom 16.06.2010 mitgeteilt, es bestehe ein deutlicher Antriebsmangel, Schlafstörungen mit Albträumen, eine ausgeprägte Somatisierung mit wechselnden Schmerzen in Wirbelsäule und Gelenken. Eine Fibromyalgie sei diagnostiziert. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei mehrmals vorgeschlagen aber von der Klägerin aber im Hinblick auf die Betreuung ihrer Kinder abgelehnt worden. Die Klägerin sei nur unter drei Stunden täglich leistungsfähig. Der Facharzt Innere Medizin, Rheumatologie und Angiologie Dr. We. hat in seinem Schreiben vom 02.07.2010 die Diagnosen eines Schmerzsyndroms vom Fibromyalgietyp, degeneratives HWS-Syndrom, Hallux valgus, Spreizfußstellung, Großzehengrundgelenksarthrose, Leberwerterhöhung, anamnestische Omarthrose sowie Erschöpfungszustand angegeben. Da seit 2009 erst eine Kontrolluntersuchung stattgefunden habe, könne er keine Beurteilung der Leistungsfähigkeit abgeben. Dr. G., Facharzt für Chirurgie, hat dem SG am 07.07.210 mitgeteilt, die Klägerin sei in der Lage, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche mindestens sechs Stunden nachzugehen.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei der Fachärztin für Neurologie, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Spezielle Schmerzmedizin, Suchtmedizin, Verhaltenstherapie, Dr. O.-P ... Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 92 bis 134 der SG-Akte Bezug genommen. Dr. O.-P. hat in ihrem Gutachten vom 29.03.2011 ausgeführt, bei der Klägerin bestehe ein neurasthen-dysthymes Syndrom nach posttraumatischer Belastungsstörung mit deutlicher Somatisierungsstörung, am ehesten im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung auf dem Boden einer dependenten Persönlichkeitsstörung mit auch ängstlichen Anteilen sowie ein diskretes Wurzelreizzeichen L5. Leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen in Wechselhaltung seien zu bevorzugen. Solche Tätigkeiten könne die Klägerin arbeitstäglich sechs Stunden und mehr ausführen.

Mit Urteil vom 01.12.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. O.-P. ergebe sich, dass die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei und insoweit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich bestehe. Berufsunfähigkeit liege nicht vor, da sich die Klägerin, die seit 1989 als Weichenreinigerin gearbeitet habe, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müsse, auf dem sie aber mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig sei.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 27.12.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.01.2012 beim SG (Eingang beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) am 26.01.2012) Berufung eingelegt. Sie fühle sich durch das Urteil nicht genügend gewürdigt, sie könne auf keinen Fall beschäftigt werden. Sie schaffe mit "Ach und Krach" gerade den Haushalt, sei danach auch sehr kaputt und niedergeschlagen. Auch sei eine Verschlechterung eingetreten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.12.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.08.2009 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, ggf bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wegen des von ihr vorgelegten Versicherungsverlaufs wird auf Blatt 11 bis 16 sowie Blatt 121 bis 124 der Senatsakte Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Prof. Dr. R., Chefarzt der Klinik für Neurologie, Ärztlicher Direktor der Sankt Rochus Kliniken, Facharzt für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie, Klinische Geriatrie, Physikalische Rehabilitation und Rehabilitationswesen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 37 bis 97 der Senatsakte Bezug genommen. Prof. Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 14.09.2012 eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia und degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule diagnostiziert. Die Klägerin sei in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben.

Die Sach- und Rechtslage wurde in einem Erörterungstermin am 26.11.2012 mit den Beteiligten besprochen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses dieses Termins wird auf die Niederschrift (Blatt 108 bis 110 der Senatsakte) Bezug genommen. Der Senat hat auch im Einverständnis mit der Klägerin die Akten des Landratsamts Karlsruhe - Amt für Versorgung und Rehabilitation - beigezogen. Wegen des Inhalts dieser Akten wird auf Blatt 127 bis 144 der Senatsakten Bezug genommen.

Mit den Beteiligten zugestelltem Hinweis vom 28.01.2013 hat der Senat auf die beabsichtigte Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats, die beigezogene Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 22.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2009. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Sie ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Insoweit nimmt der Senat zur Begründung auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs 2 SGG) und sieht von einer weiteren Begründung ab.

Das vom SG gefundene Ergebnis wurde in der Beweisaufnahme durch den Senat bestätigt. Denn auf Grundlage des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. R. ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Gesundheit der Klägerin durch eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia und degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule beeinträchtigt ist. Diese Gesundheitsstörungen führen jedoch nur dazu, dass das Leistungsvermögen allein in qualitativer Hinsicht eingeschränkt ist. Prof. Dr. R. konnte für den Senat überzeugend darlegen, dass die benannten Gesundheitsstörungen der Klägerin nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Zwangshaltungen und ohne Akkord- oder Fließbandarbeiten ermöglichen. Lasten von über 10 kg sollten nicht gehoben oder getragen werden. Die Tätigkeiten sollten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ausgeführt werden. Sei dieser Positionswechsel nicht möglich, könnten auch Tätigkeiten ständig im Sitzen bzw überwiegend im Stehen oder überwiegend im Gehen zugemutet werden. Ständige Zwangshaltungen, wie zB häufiges Bücken oder kniende Tätigkeiten, seien zu vermeiden. Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten seien angesichts der Schmerzsymptomatik und des von der Klägerin angegebenen Schwindels nicht zumutbar. Arbeiten unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, gasen, Dämpfen oder Nässe sollten vermieden werden, während Tätigkeiten im Freien untergünstigen Witterungsbedingungen bzw bei geeigneter Schutzkleidung nicht grundsätzlich auszuschließen seien. Arbeiten an Büromaschinen könnten nur noch in einem geringfügigen Umfang verrichtet werden. Tätigkeiten in Früh- bzw Spätschicht kämen in Frage, Nachtschichten dagegen seien zu meiden. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens sei leidensgerecht, Publikumsverkehr sei zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit erhöhter oder hoher Verantwortung könne aber nicht mehr zugemutet werden.

Im Anschluss an die Ausführungen von Prof. Dr. R. ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin unter Beachtung dieser qualitativer Leistungseinschränkungen zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden verrichten kann. Der Überzeugung des Senats steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Erörterungstermin geltend gemacht hatte, es liege eine Summe von Antriebsschwächen vor, auch sei die freie Willensentschließung ausgeschlossen. Dies ergibt sich weder aus dem Gutachten von Prof. Dr. R. noch aus dem Gutachten von Dr. O.-P. oder demjenigen von Dr. Sch ... Prof. Dr. R., der in der von der Klägerin insoweit in Bezug genommenen Passage (vgl Seite 10 des Gutachtens/Blatt 46 der Senatsakte) das Gutachten von Dr. Sch. aus dem Jahr 2009 zusammenfasst, hat dort niedergeschrieben: "Frau M. habe eindeutig dysfunktionale Kognitionen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit aufgewiesen, diese entzögen sich aber nicht zur freien Willensbestimmung bzw der zumutbaren Willensanspannung". Auch Dr. Sch. hatte in seinem Gutachten ausgeführt, die psychische Symptomatik sei "nicht derart ausgeprägt, als dass es Frau M. bei zumutbarer Willensanstrengung nicht möglich wäre, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen und auch vollschichtig zu verrichten". Aus diesen Ausführungen, wie auch aus den gesamten Ausführungen der Gutachten Dr. Sch., Dr. O.-P. und Prof. Dr. R. ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Willensentschließung. Ebenso wenig ergeben sich - auch entgegen den Ausführungen von Dr. Wi. - Antriebsschwächen von rentenrelevantem Ausmaß. So berichtet Prof. Dr. R., dass die Analyse der Alltagsaktivitäten (dazu vgl Seite 11 bis 124 des Gutachtens/Blatt 47 bis 50 der Senatsakte), und der nur leicht gestörte psychische Befund zeigten, dass es sich nur um einen leichten, nicht um einen mittleren oder schweren Ausprägungsgrad der somatoformen Schmerzstörung handele. Hieraus wie auch aus der vorliegenden Dysthymia kann eine Antriebsschwäche von erheblichem Ausmaß nicht abgeleitet werden. Gegen die Annahme einer solchen Antriebslosigkeit oder Störung der Willensentschließung spricht auch das Verhalten der Klägerin, der es im SG-Verfahren darauf ankam, nicht von einem Mann begutachtet zu werden, weshalb sie einen Wechsel des Gutachters durchsetzte. Auch im Erörterungstermin hat sie sich mit ihrem Vorbringen vehement gegen eine Rücknahme der Berufung eingesetzt, obwohl das Gutachten von Prof. Dr. R. keine Erfolgsaussichten für das Berufungsverfahren versprach. Auch Dr. Wi. berichtet, die Klägerin habe mehrfach eine Kur abgelehnt, um ihre Kinder zu versorgen. Dies zeigt, dass die Klägerin, sehr wohl in der Lage ist, ihren Willen zu bilden, zu artikulieren und beharrlich zu verfolgen. Eine Antriebslosigkeit oder Störung der Willensentschließung kann damit aber nicht angenommen werden. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass Prof. Dr. R. bei seiner Untersuchung - anders als noch Dr. O.-P. - gerade kein neurasthenisches Syndrom (vorzeitige Erschöpfbarkeit) mehr gefunden hatte.

Auch aus den vom Landratsamt Karlsruhe vorgelegten Unterlagen lassen sich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit nicht ableiten. Aus diesen Unterlagen ergibt sich, dass (mit Bescheid vom 03.01.12013) eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen abgelehnt worden war.

Damit konnte sich der Senat davon überzeugen, dass die von Prof. Dr. R. genannten Gesundheitsstörungen (dazu s o) vorliegen. Diese vom Senat festgestellten Gesundheitsstörungen führen aber nicht zu einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund des im Gutachten von Prof. Dr. R. mitgeteilten Tagesablaufs, der keinerlei Umstände dahingehend zu erkennen gibt, dass weitere, gravierende und über die von Prof. Dr. R. (dazu s o) genannten qualitativen Einschränkungen hinausgehende Leistungseinschränkungen vorlägen. Die Klägerin ist mithin in der Lage, unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche auszuüben. Dem stehen die Auskünfte von Dr. Wi., der ein eingeschränktes Leistungsvermögen angegeben hatte, nicht entgegen. Denn aus dessen mitgeteilten Befunden und Ausführungen konnte der Senat nicht, wie im Gutachten von Prof. Dr. R., dessen Einschätzung eines eingeschränkten Leistungsvermögens schlüssig ableiten. Dies wird dadurch unterstrichen, dass sich die Klägerin auch weder in ambulanter Psychotherapie noch in konsequenter nervenärztlicher Behandlung befindet. Auch die Feststellung einer MdE nach dem OEG begründet allein noch keine rentenrelevante Einschränkung der Erwerbsfähigkeit.

Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass diese noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus den bestehenden Einschränkungen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Klägerin ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies konnten die Gutachter Prof. Dr. R. - zu dem die Klägerin mit dem Fahrrad angereist ist - und Dr. O.-P. bestätigen.

Die Klägerin ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit Rentenantragstellung und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); sie hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da die Klägerin zuletzt als Weichenreinigerin und damit als ungelernte Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt war, ist sie - selbst wenn sie ihre letzte Tätigkeit nicht mehr ausüben könnte - auf sämtliche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeiten verweisbar. Derartige leichte Tätigkeiten kann sie aber - wie dargelegt - arbeitstäglich noch sechs Stunden und mehr verrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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