L 2 U 104/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 18 U 29/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 104/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verwaltungsakte der ehemaligen DDR, die wirksam bleiben, sind auch im Hinblick auf die Zuständigkeit eines Sozialleistungsträgers im Erstattungsstreit als rechtmäßig zu behandeln.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. März 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 79.696,84 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, macht gegenüber der Beklagten, der für den Kläger zuständigen Krankenkasse, einen Erstattungsanspruch geltend.

Bei dem 1951 geborenen Versicherten (U F, im Folgenden: Versicherter) war bereits zu DDR-Zeiten aufgrund eines Gutachtens vom 3. April 1989 mit Bescheid vom 13. September 198) wegen einer deutlichen Arthrose deformans im linken Handgelenk eine Berufskrankheit der Listennummer 54 mit einem Körperschaden in Höhe von 20 % anerkannt worden. Die Klägerin übernahm nach der Wiedervereinigung als nunmehr zuständiger Leistungsträger diesen Leistungsfall und gewährte dem Versicherten in der Folgezeit Leistungen für diese Berufskrankheit, so unter anderem eine Verletztenrente sowie Heilbehandlung.

Ab Mitte 200) wurde der Versicherte wegen anhaltender Beschwerden und Schmerzen des linken Handgelenkes umfangreich medizinisch behandelt und beantragte schließlich im Oktober 2006 die Erhöhung der MdE für die bei ihm anerkannte Berufskrankheit. Die Klägerin veranlasste daraufhin die Begutachtung des Versicherten durch den Privatdozenten Dr. St, der in seinem Gutachten vom 19. Juni 2007 unter anderem ausführte, es lägen keine Zeichen einer BK Nr. 2103 (bzw. BK Nr. 54/DDR) vor. Der Gesundheitszustand des Versicherten sei Folge einer distalen Radiusfraktur aus dem Jahre 1970. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 teilte die Klägerin dem Versicherten daraufhin mit, die Erkrankung des linken Handgelenkes sei zu Unrecht als Berufskrankheit anerkannt worden. Ihre Entschädigungspflicht bleibe jedoch aufgrund der Besitzstandsschutzregelungen für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten seien, bestehen. Ihre Erstattungsansprüche gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung blieben hiervon unberührt. Die MdE werde ab 24. Juli 2007 auf 35 v. H. neu festgestellt.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2006, 14. Juni 2007, 10. Dezember 2007, 16. April 2008 und 17. Dezember 2008 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und begehrte die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 79.696,84 EUR.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2008 lehnte die Beklagte die Erstattung der Aufwendungen der Klägerin ab.

Mit Urteil vom 26. März 2012 in der Fassung des Beschlusses vom 2. August 2012 verurteilte das Sozialgericht Frankfurt (Oder) die Beklagte dazu, der Klägerin die erbrachten Aufwendungen in Höhe von 79.696,84 EUR zu erstatten.

Gegen das ihr am 21. Mai 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 6. Juni 2012.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. März 2012 in der Fassung des Beschlusses vom 2. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der von ihr an den Versicherten erbrachten Leistungen gemäß § 105 SGB X. Zutreffend sind Klägerin, Beklagte und Sozialgericht davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage der geltend gemachten Erstattung nur § 105 SGB X in Betracht kommen kann. Danach ist der zuständige Leistungsträger dem unzuständigen Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn dieser Sozialleistungen erbracht hat. Unstreitig hat die Klägerin dem Versicherten die von ihr mit Schriftsätzen vom 10. Dezember 2007, 16. April 2008 und 17. Dezember 2008 bezifferten Sozialleistungen erbracht. Sie hat dies jedoch zur Überzeugung des Senates nicht als unzuständiger Leistungsträger getan, sondern war für diese Leistungen zuständig. Leistungsverpflichtet war die Klägerin aufgrund des Bescheides vom 13. September 1989, mit dem bei dem Versicherten noch zu DDR-Zeiten eine Berufskrankheit anerkannt worden war.

Prüfungsmaßstab für einen solchen Bescheid ist allein Art. 19 Einigungsvertrag, wonach vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik wirksam bleiben (Satz 1). Sie können nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Vertrags unvereinbar sind (Satz 2) – wovon vorliegend nicht auszugehen ist. Im Übrigen bleiben die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt (Satz 3).

Das Bundessozialgericht hat in inzwischen ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Verwaltungsakte der ehemaligen DDR, die vor Wirksamwerden des Beitritts ergangen sind, grundsätzlich wirksam bleiben. Diese Verwaltungsakte können nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind (BSG Urteil vom 11. Mai 1995, Az. 2 RU 24/94, BSGE 76, 124, 125;18. März 1997, 2 U 19/96, BSGE 80, 119, 122; BSG Urteil vom 23. März 1999, Az. B 2 U 8/98, BSGE 84, 22, 26). Dieser grundsätzliche Ausschluss gilt nicht nur für die Anwendbarkeit des § 44 Abs 1 SGB X auf - möglicherweise - rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte in der ehemaligen DDR, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in gleicher Weise auch für rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte. Die Anwendung der insoweit einschlägigen §§ 45, 48 Abs 3 SGB X ist durch Art 19 Satz 2 i. V. m. der Anlage I Kap VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 2 Einigungsvertrag mit Wirkung für Zeiträume vor dem 1. Januar 1991 ebenfalls ausgeschlossen (BSGE 76 aaO; BSGE 80 aaO). Daraus folgt, dass vorbehaltlich der Voraussetzungen des Art 19 Satz 2 Einigungsvertrag die Aufhebung eines rechtswidrigen nichtbegünstigenden Verwaltungsaktes sowie die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ausgeschlossen sind (BSG Urteil vom 11. September 2001, aaO).

Dementsprechend hat die Klägerin auch mit ihrem Bescheid vom 24. Oktober 2007 nicht die Anerkennung der Berufskrankheit des Versicherten aufgehoben oder ihm Leistungen aberkannt. Ob sie die Rechtswidrigkeit der Anerkennung hätte aussprechen dürfen, kann dahinstehen. Besteht damit aber gemäß Art. 19 Einigungsvertrag weiterhin ein bestandskräftiger Bescheid zugunsten des Versicherten, der nicht zurückgenommen werden kann und materiell-rechtlich nicht überprüfbar ist, so ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund es der Klägerin gestattet sein sollte, ihre aus dem bestandskräftigen und wegen Art. 19 Einigungsvertrag nicht zurücknehmbaren Bescheid folgende Zuständigkeit auf die Beklagte abwälzen zu können. Der Einigungsvertrag hat insoweit zur Überzeugung des Senates eine eindeutige Regelung getroffen, nach der die vor der Wiedervereinigung getroffenen Entscheidungen nicht abgeändert werden sollen. Dies entfaltet auch eine "Sperrwirkung" im Hinblick auf ein Erstattungsstreitverfahren gemäß § 105 SGB X. Dabei kommt es auf die von Klägerin und der Beklagten zitierten unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur zur Frage, ob der erstattungspflichtige Leistungsträger auch zur Erstattung von Leistungen aus einem rechtswidrigen, aber aus Vertrauensschutzgründen nicht mehr zurücknehmbaren Verwaltungsakt verpflichtet ist oder nicht, nicht an. Denn dieser Streit wird nur im Hinblick auf die vorliegend ausgeschlossenen Regelungen der §§ 45, 48 SGB X geführt. Damit ist der vorliegende Fall, in dem die Bestandskraft der ursprünglichen Entscheidung auf Art. 19 Einigungsvertrag beruht, jedoch nicht zu vergleichen. In diesen Fällen bleibt die Zuständigkeit des aus dem bestandskräftigen Bescheid verpflichteten Leistungsträgers erhalten, denn der Einigungsvertrag hat insoweit eine eigene, eindeutige Regelung getroffen, die nicht nur zwischen dem Leistungsträger und dem Versicherten, sondern auch zwischen den Versicherungsträgern untereinander gilt. Die Klägerin hat nach alledem nicht als unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht. Sie ist vielmehr der auch materiell-rechtlich zuständige Träger, weil – wie ausgeführt – der Bescheid vom 13. September 1989 inhaltlich nicht überprüfbar ist.

Die Voraussetzungen des § 105 SGB X liegen nicht vor. Der Berufung ist daher stattzugeben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie berücksichtigt, dass im Verfahren 79.696,84 EUR streitig waren.

Der Streitwert ist nach der Höhe der im Berufungsverfahren streitig gewesenen Beträge auf 79.696,84 EUR festzusetzen (§§ 52, 40 Gerichtskostengesetz-GKG-).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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