L 3 AS 538/12 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 40 AS 4267/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 538/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine begrenzte Beweisantizipation ist im Prozesskostenhilfeverfahren zulässig. Es verstößt aber gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsverfolgungsbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde.

2. Einer Klage auf Erteilung eines Bildungsgutscheines fehlt das Rechtsschutzbedürfnis wegen der Erledigung des Rechtsschutzbegehrens, wenn die Maßnahme bereits begonnen hat und nichts dafür spricht, dass der Antragsteller noch in die Maßnahme eintreten kann.

3. Die Wiederholungsgefahr als Feststellungsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt, wenn die Erteilung eines Bildungsgutscheines mit der Begründung abgelehnt wurde, die Eignung für die gewünschte berufliche Tätigkeit sei wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht gegeben. Denn es lässt sich nicht mit der für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die gesundheitliche Verfassung des Antragstellers im Wesentlichen unverändert bleiben wird.
I. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 9. Mai 2012 zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren.

Die 1976 geborene Klägerin bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Am 25. März 2011 beantragte sie einen Bildungsgutschein für die Weiterbildung zur Medizinischen Dokumentationsassistentin. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. März 2011 ab. Mit Schreiben vom 5. April 2011 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein und legte unter anderem ein Informationsblatt der TÜV SÜD betreffend die "Qualifikation zur medizinischen Dokumentationsassistenz" mit der Maßnahmenummer 074/47/2011 vor. Die Maßnahme sollte vom 16. Mai 2011 bis zum 17. Februar 2012 dauern. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2011 zurück.

Die Klägerin hat am 12. August 2011 Klage erhoben und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das Sozialgericht hat mit Schreiben vom 4. November 2011 darauf hingewiesen, dass sich der Antrag auf Erteilung eines Bildungsgutscheines auf eine bestimmte Weiterbildungsmaßnahme beziehen müsse, und dass die im Ablehnungsbescheid vom 30. März 2011 behandelte Maßnahe bereits begonnen habe. Die Maßnahme dürfte nicht mehr zu realisieren sein, weshalb sich der Rechtsstreit erledigt haben dürfte. Der Klägerbevollmächtigte hat hierzu mit Schriftsatz vom 17. Januar 2012 erklärt, dass die Klägerin eine Ausbildung zur Medizinischen Dokumentationsassistentin, wahlweise auch zur Medizinisch-technischen Assistentin für Funktionsdiagnostik oder zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin im Rahmen des §§ 33 ff. des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) begehre. Der Beklagte habe hingegen den Antrag pauschal abgelehnt.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 9. Mai 2012 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zur Prüfung der Eignung der Klägerin für die gewünschte berufliche Tätigkeit vom Gericht Ermittlungen in medizinischer Hinsicht in Betracht zu ziehen seien. Gleichwohl sei die Erfolgsaussicht der Klage zu verneinen, weil erhebliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zu Lasten der Klägerin ausgehen werde. Im Übrigen dürfte der Klage die hinreichende Erfolgsaussicht fehlen, weil die Maßnahme zur Medizinischen Dokumentationsassistentin nicht mehr zu realisieren und damit das Klageverfahren erledigt sein dürfte.

Der Klägerbevollmächtigte hat gegen den ihm am 16. Mai 2012 zugestellten Beschluss am 11. Juni 2012 Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, dass wegen des auch vom Sozialgericht anerkannten Ermittlungsbedarfes die Erfolgsaussichten nicht hätten verneint werden dürfen. Im Übrigen bestehe weiterhin ein Rechtsschutzinteresse, weil Wieder-holungsgefahr, nämlich die Ablehnung einer ähnlichen Maßnahme, drohe. Deshalb könnte zumindest hilfsweise ein Feststellungsantrag nachgeholt werden mit dem Begehr, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen.

Der Vertreter der Staatskasse hat zur Beschwerde Stellung genommen. Der Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Instanzen Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaft-lichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hierbei ist zu beachten, dass das Gericht im Prozess-kostenhilfeverfahren die Prüfung der Sach- und Rechtslage nur summarisch vorzunehmen hat und aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2002 – 1 BvR 81/00NJW 2000, 1936 ff.). Damit muss der Erfolg des Rechtsbegehrens nicht gewiss sein; Erfolgsaussichten sind nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Januar 2013 – AS 1184/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 13, m. w. N.).

Hiervon ausgehend bestehen allerdings Zweifel, ob das Sozialgericht trotz des von ihm dem Grunde nach gesehenen Ermittlungsbedarfes die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung durch die Klägerin verneinen durfte. Das Sozialgericht hat zwar, ohne auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich Bezug zu nehmen, diese im Ansatz korrekt wiedergegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes darf die Rechtsverfolgung nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll die Rechtsschutzgleichheit gewährleisten, aber nicht die Hauptsacheentscheidung vorwegnehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 – 2 BvR 94/88BVerfGE 81, 347 [357] = JURIS-Dokument Rdnr. 26; BVerfG, Beschluss vom 25. April 2012 – 1 BvR 2869/11NZS 2012, 739 = JURIS-Dokument Rdnr. 18). Eine begrenzte Beweisantizipation ist im Prozesskostenhilfeverfahren zwar zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997 – 1 BvR 296/94NJW 1997, 2745 [2746] = JURIS-Dokument Rdnr. 22, m. w. N.; BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 1450/00NJW-RR 2002, 1069 = JURIS-Dokument Rdnr. 12; BVerfG, Beschluss vom 14. April 2003 – 1 BvR 1998/02NJW 2003, 2976 [2977] = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Es verstößt aber gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsver-folgungsbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002, a. a. O., m. w. N.; BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 BvR 1807/07NJW 2008, 1060 [1061] = JURIS-Dokument Rdnr. 29; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2008 – 1 BvR 1404/04 – JURIS-Dokument Rdnr. 30; BVerfG, Beschluss vom 25. April 2012, a. a. O.).

Es erscheint fraglich, ob diese beschriebenen Grenzen für eine noch zulässige Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren vom Sozialgericht auf der Grundlage der vor-liegenden medizinischen Stellungnahmen, insbesondere des nur nach Aktenlage erstellten Gutachtens vom 19. April 2011, und der Einwendungen gegen dieses Gutachten in der Klagebegründung nicht zu Lasten der Klägerin überspannt wurden. Dies bedarf aber keiner weiteren Erörterung, weil die Klage bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung unzulässig war.

Der Klage auf Erteilung des begehrten Bildungsgutscheines fehlte nach Aktenlage bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Rechtsschutz-begehren erledigt war. Die Erledigung liegt darin, dass die Maßnahme zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits begonnen hatte und nichts dafür spricht, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch in die Maßnahme hätte eintreten können (vgl. auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. November 2010 – L 19 AS 1684/10 B – JURIS-Dokument Rdnr. 16). Die neunmonatige Qualifizierungsmaßname zur medizinischen Dokumentationsassistentin hatte am 16. Mai 2011 begonnen. Der Unterricht fand von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr statt. Die Klägerin hat am 12. August 2012 Klage erhoben und den Prozesskostenhilfeantrag gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war ein Drittel der Maßnahmedauer verstrichen. Es ist weder vorgetragen noch etwas dafür ersichtlich, dass auf Grund der verstrichenen Zeit und der zeitlichen Intensität des Unterrichts die Klägerin noch in die Maßnahme hätte einsteigen können.

Die Klage ist auch nicht in Form der vom Klägerbevollmächtigten erwogenen Fest-stellungsklage zulässig. Zwar kann der Klägerin im Falle einer Hauptsacheerledigung grundsätzlich in analoger Anwendung von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG an Stelle der ursprünglichen Verpflichtungsklage eine Fortsetzungsfeststellungsklage betreiben (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1976 – RAr 107/75 – BSGE 42, 212 [216] = JURIS-Dokument Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 28. September 2005 – B 6 KA 73/04 RSozR 4-2500 § 75 Nr. 3 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 131 Rdnr. 7c, m. w. N.). In doppelter Analogie kann sie ihr Verpflichtungsbegehren als Fortsetzungsfeststellungsbegehren auch verfolgen, wenn die Erledigung vor der Klageerhebung eingetreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2007 – B 7/7a AL 16/06 R – SozR 4-1500 § 131 Nr. 3 Rdnr. 12 = JURIS-Dokument Rdnr. 12, m. w. N.; Keller, a. a. O., § 131 Rdnr. 7d, m. w. N.).

Der Klägerin fehlt jedoch das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnungsentscheidung der Beklagten. Denn Voraussetzung für die vom Klägerbevollmächtigten geltend gemachte Wiederholungsgefahr, die ein Feststellungsinteresse begründen kann, ist zweierlei: Zum einen muss die konkrete, in naher Zukunft oder absehbarer Zeit tatsächlich bevorstehende Gefahr eines gleichartigen Verwaltungsaktes be-stehen. Zum anderen müssen die tatsächlichen und rechtlichen Umstände im Wesentlichen unverändert sein (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – B 9 SB 1/12 R – SozR 4-3250 § 145 Nr. 4 Rdnr. 22 = JURIS-Dokument Rdnr. 22, m. w. N.; Keller, a. a. O., § 131 Rdnr. 10b, m. w. N.). Vorliegend fehlt es zumindest an der zweiten Voraussetzung. Denn die Erteilung eines Bildungsgutscheines steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Selbst wenn die in § 77 Abs. 1 SGB III (in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) oder in § 81 Abs. 1 SGB III (in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung) aufgeführten Voraussetzungen gegeben sind, hat ein Antragsteller nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung. Ein Ermessensgesichtspunkt kann die Frage sein, ob der Antragsteller die in Folge der Weiterbildungsmaßnahme angestrebte berufliche Tätigkeit auch unter Berücksichtigung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen wird ausüben können. Da nach den vorliegenden Unterlagen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin insbesondere im psychischen Bereich liegen, ist es nicht auszuschließen, dass sich ihr Gesundheitszustand bis zu einem etwaigen neuen Antrag auf Erteilung eines Bildungsgutscheines wird verbessern, im ungünstigen Fall aber auch verschlechtern können. Es lässt sich mithin nicht mit der für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die gesundheitliche Verfassung der Klägerin im Wesentlichen unverändert bleiben wird.

Soweit der Klägerbevollmächtigte rügt, der Beklagte habe nicht über alle von der Klägerin gewünschten Weiterbildungsmaßnahmen entschieden, ist mit dem Sozialgericht darauf hinzuweisen, dass nach den vorliegenden Verwaltungsakten die Klägerin nur die Weiterbildung zur Medizinischen Dokumentationsassistentin beantragt hat. In Bezug auf die im Klageverfahren angesprochenen anderen Weiterbildungsmaßnahmen findet sich nichts in der Verwaltungsakte.

3. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. § 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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