L 1 KR 278/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 KR 933/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 278/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.358,90 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht der Sache nach die Bezahlung einer stationären Behandlung im Februar 2004.

Das von der Klägerin betriebene Krankenhaus ist in den Krankenhausplan B aufgenommen. Der Versicherte der Beklagten H S wurde dort in der Zeit vom 19. bis 27. Februar 2004 stationär behandelt. Die Klägerin stellte ihr hierfür mit Schlussrechnung vom 10. März 2004 6.474,01 EUR in Rechnung, welche sie noch im März 2004 beglich.

Am 3. Juni 2008 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD BEV) mit der Durchführung einer Einzelfallbegutachtung nach § 275 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Der MD BEV forderte mit Schreiben vom 3. Juni 2008 von der Klägerin die Übersendung von Unterlagen zur Durchführung des Prüfungsverfahrens an. Dem kam diese nach. Der MD BEV gelangte in seinem Gutachten vom 30. Januar 2009 zu dem Ergebnis, die Klägerin habe in der Schlussrechnung vom 10. März 2004 eine fehlerhafte Kodierung verwendet. Die Beklagte forderte sie mit Schreiben vom 10. Februar 2009 zur Korrektur der Schlussrechnung binnen 14 Tagen auf und kündigte die Verrechnung eines Betrages von 3.358,90 EUR an. Am 13. März 2009 verrechnete die Beklagte diese Summe mit der unstreitigen Schlussrechnung der Klägerin vom 4. März 2009 über 6.209,17 EUR betreffend die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten U R.

Mit der am 5. Juni 2009 beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 3.358,90 EUR nebst Zinsen. Das Prüfungsrecht sei bereits verfristet gewesen, der Rückzahlungsanspruch im Übrigen verjährt. Die Beklagte hat sich unter anderem auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. Juli 2004 (AZ: B 3 KR 21/03 R) berufen. Die Verjährung sei spätestens mit der Einleitung des Begutachtungsverfahrens durch die Beklagte bzw. der Anforderung der Unterlagen bei der Klägerin durch den MD BEV gehemmt gewesen.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 10. August 2010 verurteilt, an die Klägerin 3.358,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. März 2009 zu zahlen. Die Beklagte habe mit ihrer etwaigen Forderung nicht wirksam aufrechnen können, weil diese zum Zeitpunkt der Aufrechnung bereits verjährt gewesen sei. Der Zinsanspruch folge entweder aus § 12 Abs. 5 des Vertrages über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen den Krankenkassen und Krankenkassenverbänden und der Berliner Krankenhausgesellschaft e. V. vom 1. November 1994 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 22. Dezember 1997 (Krankenhausbehandlungsvertrag), wonach das Krankenhaus ab Fälligkeitstag ohne vorherige Mahnung Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem Basiszinssatz verlangen könne. Sofern der Krankenhausbehandlungsvertrag zwischen den Beteiligten keine Anwendung finden sollte, ergäbe sich der Zinsanspruch alternativ aus § 69 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 288 BGB (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 19. April 2007 – B 3 KR 10/06 R).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 10. September 2010. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Einrede der Verjährung stünde bereits der entsprechend anwendbare § 215 BGB entgegen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 3 KR 21/03 R). Im streitgegenständlichen Fall hätte sie bereits vor Ablauf des Jahres 2008 Klage auf Herausgabe der Unterlagen an ihren Medizinischen Dienst erheben können. Zusätzlich sei die Verjährung durch § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB durch das von ihr eingeleitete Überprüfungsverfahren durch den Medizinischen Dienst gehemmt gewesen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. § 215 BGB sei nicht einschlägig. Die gegenseitigen Forderungen hätten sich zu keiner Zeit unverjährt gegenüber gestanden. Es sei auch keine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB eingetreten. Eine solche trete nur ein, wenn die Vertragsparteien dies vereinbarten, nicht hingegen bei einseitiger Veranlassung einer Überprüfung.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem solchen Verfahren erklärt haben (§§ 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung der 3.358,90 EUR nebst Zinsen verlangen. Der von der Beklagten hiergegen aufgerechnete Erstattungsanspruch ist jedenfalls verjährt (so bereits Urteil des Senats vom 27. April 2012 – L 1 KR 267/11).

Der Senat folgt der Auffassung des Bundessozialgerichts, dass § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips der vierjährigen Verjährung im gesamten Sozialrecht, somit auch hier, anzuwenden ist (BSG, Urt. v. 17. Juni 1999 – B 3 Kr 6/99 R – SozR 3 1200 § 45 Nr. 8, juris-Rdnr. 12f m. w. N.): Zunächst ist § 69 Abs. 3 SGB V, wonach die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden abschließend durch die Regelungen des Vierten Kapitels des SGB V – dessen §§ 63, 64 – sowie im Krankenhausfinanzierungsgesetz und im Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt sind, einengend so auszulegen, dass entsprechend der Regelung des § 61 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) über den öffentlich-rechtlichen Vertrag die Vorschriften des BGB nur dann in Analogie ergänzend heranzuziehen sind, wenn sich aus den übrigen Vorschriften des gesamten Sozialgesetzbuches nichts anderes ergibt (BSG, Urt. v. 12. Mai 2005 – B 3 KR 32/04 R –, juris Rdnr. 15ff). Denn der Hintergrund dieser Regelung liegt darin, dass der Gesetzgeber das Leistungserbringungsrecht des Vierten Kapitels des SGB V von der Anwendung kartellrechtlicher Vorschriften ausnehmen wollte, da einige Zivilgerichte in der Nachfragetätigkeit der Krankenkassen und ihrer Verbände ein Auftreten als Unternehmen im Sinne des deutschen und europäischen Wettbewerbs und Kartellrechts gesehen hatten. Darauf habe der Gesetzgeber mit einem Bündel von neuen Vorschriften reagiert (a. a. O., Nr. 19). Um dies auszudrücken, habe der Gesetzgeber die Formulierung gewählt, dass die Regelungen des § 69 SGB V abschließend seien. Damit habe er jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass die übrigen Regelungen des Sozialgesetzbuchs, wie hier die Verjährungsfristen, nicht anwendbar seien.

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen nach vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Dieser Verjährungsfrist unterliegt auch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch im Bereich des Sozialgesetzbuches (BSGE 69, 158, 160 f.). Das BSG hat ausdrücklich entschieden, dass die vierjährige Verjährungsfrist auch für den Rückforderungsanspruch der Krankenkasse wegen Überzahlung einer Behandlung gilt (vgl. Urteil vom 28. Februar 2007 – B 3 KR 12/06 R = SozR 4-2500 § 276 Nr 1 Rdnr. 24ff).

Die Forderung der Klägerin wurde im Jahr 2004 beglichen, die Verjährung eines etwaigen Erstattungsanspruches der Beklagten begann somit am 01. Januar 2005 und endete am 31. Dezember 2008.

Allerdings schließt § 215 BGB eine Aufrechnung dann nicht aus, wenn die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher sie gegen die andere Forderung aufgerechnet werden konnte, noch nicht verjährt war. Entscheidend kommt es somit auf die Aufrechnungslage an, also darauf, wann sich die gegenseitigen Forderungen als zur Aufrechnung geeignet gegenübergetreten sind. Hierfür wiederum ist entscheidend, gegen welche Forderung(en) sich die Aufrechnung richtet (BSG, a. a. O., Rdnr. 36).

Die Forderung, mit der die Beklagte hier aufgerechnet hat, ist erst mit der Schlussrechnung vom 4. März 2009 entstanden. Somit hat eine gegenseitige Aufrechnungslage zu keinem Zeitpunkt bis Ende des Jahres 2008 bestanden.

Daran ändert auch der Hinweis darauf nichts, dass die Klägerin bereits 2008 Kenntnis vom Prüfverfahren der Beklagten erlangt hat. Weder die – unverzüglich erfüllte – Aufforderung, Unterlagen vorzulegen noch das Prüfungsverfahren selbst sind Forderungen, sondern dienen, wie dies für ein "Prüfverfahren" bereits der Begriff sagt, der Prüfung der Frage, ob eine Forderung besteht, die dann bejahendenfalls später unter Umständen geltend gemacht werden kann.

Die Verjährung war auch nicht wegen des von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachtens des MD BEV gehemmt, denn insoweit lagen die Voraussetzungen des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB nicht vor. Danach wird die Verjährung durch ein vereinbartes Begutachtungsverfahren gehemmt. Ein Verfahren gem. § 275 SGB V jedoch stellt kein Begutachtungsverfahren gem. § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB dar, da es nicht zwischen den Parteien vereinbart war. Es besteht auch keine Gesetzeslücke, die im Wege der Analogie zu schließen wäre. Der Gesetzgeber wollte die Hemmungswirkung ausschließlich im Falle vereinbarter Gutachten eintreten lassen, wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt. Grund dafür ist, dass der Schuldner Kenntnis von dem die Hemmung der Verjährung auslösenden Ereignis haben soll (BT-Drs. 14/6040, S. 114).

Zum Zinsanspruch wird ergänzend auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe vor.

Der Beschluss zur Streitwertfestsetzung, der nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht anfechtbar ist (§ 177 SGG), beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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