L 7 AS 3479/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3479/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 7. August wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten; im Übrigen verbleibt es beim Kostenausspruch erster Instanz. Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG). Vorliegend kommt, wie vom Sozialgericht Freiburg zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht.

Der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, eine nur vorläufige Regelung bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung zu treffen, sowie die lediglich geringe für die Entscheidung zur Verfügung stehende Zeit bedingen, dass regelmäßig nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durchgeführt werden kann. Drohen jedoch nicht nur erhebliche, sondern schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, scheidet eine summarische Prüfung aus. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, ist in solchen Fällen eine Entscheidung allein anhand einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn besonders folgenschwere Beeinträchtigungen von grundrechtlicher Relevanz im Raume stehen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B- (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), z.B. BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365; Binder in Hk-SGG, 4. Auflage, § 86b Rdnr. 4). Eine derartige Folgenabwägung nimmt der Senat in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, also in Angelegenheiten, in denen Fragen der menschenwürdigen Existenz ernsthaft berührt sind, regelmäßig vor, wenn eine vollständige Aufklärung wegen der Dringlichkeit der Sache nicht möglich erscheint. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164).

Im Rahmen dieser auch hier vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegen die zu besorgenden Nachteile der Antragstellerin eindeutig gegenüber denen des Antragsgegners. In dem auf den Antrag des Antragsgegners (damals Antragsteller) nach § 199 Abs. 2 SGG ergangenen Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung vom 3. September 2012 ist im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

" Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Im Beschwerdeverfahren geht es darum, ob der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet werden kann, für einen bestimmten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig zu gewähren. Es bedarf keiner weiteren Darlegungen, dass durch den vollständigen Entzug der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II gravierende Rechtsbeeinträchtigungen der Antragsgegnerin im Raum stehen. Dies gilt umso mehr, als im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II - so erörtert auch vom SG Freiburg im Beschluss vom 7. August 2012 - die Heranziehung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vom 29. April 2004 (RL 2004/38/EG), ferner das beiderseitige Verhältnis der letztgenannten Regelungen zueinander höchst umstritten ist, mithin, ob [auch] aus dem sekundären Gemeinschaftsrecht ein Leistungsausschluss z.B. für rumänische Staatsbürger - wie hier - hergeleitet werden kann [oder dieses einem solchen entgegensteht] (vgl. zum Meinungsstand etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29. Februar 2012 - L 20 AS 2347/11 B ER -, vom 3. April 2012 - L 5 AS 2157/11 B ER -, vom 23. Mai 2012 - L 25 AS 837/12 B ER -, vom 21. Juni 2012 - L 20 AS 1322/12 B ER - und vom 29. Juni 2012 - L 14 AS 1460/12 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012 - L 3 AS 1477/11 - (Revision beim BSG anhängig); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012 - L 9 AS 47/12 B ER -; SG Berlin, Beschluss vom 14. Mai 2012 - S 124 AS 7164/12 ER -; SG Nürnberg, Beschluss vom 4. Juli 2012 - S 10 AS 494/12 ER -; offengelassen in BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 - B 14 AS 138/11 R - (alle juris)). Im Hinblick auf diese ungeklärte Rechtlage nimmt der Senat in den Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG regelmäßig eine Folgenabwägung zugunsten des Leistungsempfängers vor (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris) und vom 20. September 2011 - L 7 AS 3428/11 ER-B - ; ferner z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Juli 2012 - L 1 AS 2751/12 ER-B -). "

Diesen Erörterungen schließt sich der Senat auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren an, sodass die Folgenabwägung hier zu Gunsten der Antragstellerin den Ausschlag zu geben hat (vgl. auch Senatsbeschluss vom 16. August 2012 - L 7 AS 3207/12 ER-B - (Letzterer ergangen in einem Verfahren, in dem der Antragsgegner selbst Beteiligter war)).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, nachdem der Antragstellerin, die im Beschwerdeverfahren nicht vertreten ist, ein Kostenerstattungsanspruch gegen die öffentliche Hand zusteht (vgl. BVerfGE 81, 347, 362).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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