L 9 U 41/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 60/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 41/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 87/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Unfallereignis kann im Sinne einer Verschlimmerung zu werten sein, wenn dadurch die Reaktivierung von im Körper bereits vorhandenen Herpes-Viren bewirkt wird, die zu einer Kerato-Uveitis (Hornhautentzündung) sowie einem Glaukom (grüner Star) führt.

Für die Anerkennung als wesentliche Ursache kann es aber auch bei einer Verschlimmerung nicht genügen, dass der unfallbedingte Anteil der Erkrankung zeitlich nach dem Unfallereignis auftritt. Unabdingbar sind weitere Kriterien, die im konkreten Einzelfall eine Verursachung im Sinne eines rechtlich-wesentlichen Faktors wahrscheinlich machen.

Können während einer Latenzzeit von ca. drei Monaten zwischen Unfall und erstmaliger Manifestation von Syptomen alternative Faktoren für die Reaktivierung von Herpes-Viren wie UV-Bestrahlung, Stress, Menstruation und Allgemeininfekte nicht ausgeschlossen werden, ist die rechtlich wesentliche Verursachung durch das traumatische Ereignis angesichts der Ubiqität dieser potentiellen konkurrierenden Ursachen nicht hinreichend wahrscheinlich. Dies gilt jedenfalls im Falle einer Herpes-Simplex-Infektion.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Entschädigung in Form einer Rentengewährung aufgrund eines als Arbeitsunfall anerkannten Verkehrsunfallereignisses vom 4. Dezember 2002 streitig.

Am fraglichen Tag wurde die Klägerin im öffentlichen Straßenraum beim Überqueren einer grünen Ampel von der Schulter eines Fahrradfahrers am Kopf getroffen. Laut Durchgangsarztbericht vom 5. Dezember 2002 klagte die Klägerin über Schmerzen und einem Taubheitsgefühl im Bereich des zweiten Trigeminusastes, sowie über einen Druckschmerz über dem Jochbogen links. Die Röntgen- und CT-Aufnahmen ergaben als Diagnosen eine Orbitabodenfraktur und eine Kieferhöhlenvorderwandfraktur links. Es folgte eine operative Versorgung in der Mund- Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsklinik C-Stadt am 4. Dezember 2002. Diese berichtete in einem Arztbrief am 7. März 2003, dass die Klägerin seit Januar 2003 neben den bestehenden Sensibilitätsstörungen und Schmerzen der linken Gesichtshälfte zusätzlich über eine Hörstörung geklagt habe. Eine HNO-ärztliche Untersuchung blieb ohne Befund. Neurologisch konnte eine Läsion der Nervus maxilliaris und Nervus faszialis links festgestellt werden, wobei die Prognose für eine Rückbildung als gut eingestuft wurde. Weiter wurde ausgeführt, dass seit 20. Januar 2003 Arbeitsfähigkeit wieder bestehe und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht zu erwarten sei.

Am 13. März 2003 begab sich die Klägerin wegen Sehstörungen in ambulante augenärztliche Behandlung; laut Arztbrief von Dr. QW. vom 22. August 2003 an die Privatversicherung handelte es sich um eine Kerato-Uveitis. Mit Schreiben vom 4. September 2003 teilte Prof Dr. ER., Leiterin der Ophtalmopathologie von der Augenklinik A-Stadt mit, dass die Klägerin seit Frühjahr 2003 unter einer schweren rezidivierenden herpetischen Kerato-Uveitis (Hornhautentzündung) am linken Auge leide und sich zwischenzeitlich auch ein Glaukom (grüner Star) ausgebildet habe. Wegen der Schwere der beim Unfall davongetragenen Verletzungen schlossen sie wie auch zuvor Dr. QW. einen Unfallzusammenhang nicht aus und empfahlen die Einholung eines Zusammenhanggutachtens. Die Beklagte holte auf Vorschlag der Klägerin ein augenfachärztliches Gutachten bei Prof. Dr. TZ. vom 1. Dezember 2004 auf Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin ein, in welcher dieser ausführte, dass die Klägerin sich erstmals am 31. März 2003 in der Augenklinik A-Stadt wegen Sehstörungen vorgestellt habe. Anlässlich der Erstuntersuchung seien nummuliartige Plaques bei intakter Hornhautsensibilität sichtbar gewesen. In einer weiteren Untersuchung in der Universitätsklinik D-Stadt am 2. Oktober 2003 habe die Sehschärfe am rechten Auge 1,2 bis 1,6, am linken Auge 0,8 (korrigiert) betragen. Die Bindehaut am linken Auge sei leicht gerötet und die Hornhaut im unteren Drittel diskret gestippt mit tauartigem Endothelbeschlag gewesen. Die Vorderkammer habe sich optisch leer und die Linse klar gezeigt. Am Augenhintergrund seien keine Veränderungen feststellbar gewesen. Bis Dezember 2003 sei dann eine weitere Verschlechterung der Sehfähigkeit festgestellt worden. In der aktuellen Untersuchung habe die Sehschärfe für die Nähe mit Korrektur (+ 3,5) 0,3 und für die Ferne ohne Korrektur 0,05 und mit Korrektur (+ 1,5), 0,1 betragen. Weiterhin habe sich eine eingeschränkte Sensibilität der Hornhaut am linken Auge gezeigt. Bezüglich der Zusammenhangsfrage führte der Gutachter aus, dass diese nicht eindeutig zu beantworten sei. Wahrscheinlich sei jedoch, dass die Erkrankung auf einen Herpes-Simplex-Virus (HSV) zurückzuführen sei. Insoweit seien in der medizinischen Literatur auch Fälle einer traumatischen Herbeiführung einer Herpessimplexschädigung des Auges beschrieben. Voraussetzung dafür sei aber ein Lokaltrauma, das in zeitlicher Latenz zum Unfall stehe. Ein entsprechendes Trauma sei jedoch im Falle der Klägerin nicht gesichert, da keine Hornhautbeteiligung beschrieben worden sei. Auch liege der Erkrankungsbeginn mit drei Monaten nach dem eigentlichen Unfallereignis außerhalb der geforderten Latenzzeit von zwei bis maximal sieben Tagen. Zwar sei auch ein Zusammenhang mit einer durch Herpes- Zoster induzierten Schädigung denkbar, welche in den meisten Fällen, spätestens einen Monat nach dem Trauma oder einer Operation auftrete, aber auch eine Latenzzeit bis zu sechs Monaten aufweisen könne. Im Falle der Klägerin sei eine Zosterinfektion allerdings unwahrscheinlich, da weder das Virus nachgewiesen noch eine Zoster-Dermatitis beschrieben worden sei. Zusammenfassend könne ein Unfallzusammenhang daher nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Durch Bescheid vom 16. Februar 2005 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch einen Anspruch auf Zahlung einer Rente ab. Insbesondere wurde die rezidivierende Kerato-Uveitis nicht als Unfallfolge anerkannt. Anerkannt wurden lediglich die Orbitabodenfraktur links, eine Kieferhöhlenvorderwandfraktur links sowie Läsionen des Nervus maxillaris links sowie des Nervus facialis links.

Auf den am 25. Februar 2005 erhobenen Widerspruch holte die Beklagte ein weiteres Gutachten auf mund -, kiefer- und gesichtschirurgischem Gebiet bei Prof. Dr. Dr. UO. vom 5. Oktober 2005 ein. Darin beschrieb dieser, dass die Klägerin angegeben habe, nach Ermüdung oder bei längerem Lesen am Computer Doppelbilder zu sehen. Bei schnellen Augenbewegungen trete ein optisch induzierter Schwindel auf. Auch leide sie nach wie vor unter anfallsartigen Missempfindungen im Versorgungsbereich des linken Nervus infraorbitalis, sowie unter chronisch dauernden Gesichtsschmerzen auf mittlerem Niveau. In der klinischen Untersuchung zeigten sich zunächst keine Auffälligkeiten. Lediglich die Sensorik der Trigeminusversorgung im Gesichtsbereich sei hypästhetisch in Bezug auf die Zweipunktdiskrimination, die Spitz-Stumpf-Unterscheidung und das Kälteempfinden. Die Röntgenbilder zeigten eine knöchern vollständig konsolidierte Abheilung der Frakturen ohne wesentlich relevante Fehlstellung. Des Weiteren führte Prof. Dr. Dr. UO. aus, dass die noch bestehende Gefühlsschwäche der linken Gesichtshälfte als Unfallfolge zu werten und davon auszugehen sei, dass es sich um einen Dauerzustand handele. Der betroffene Nerv, nämlich der Nervus infraobitalis sei ein sensibler Hauptnerv, welcher die linke Wange, Teile der Schläfe und Teile der Oberlippe mit Gefühl versorge. Die MdE sei diesbezüglich auf 0 von 100 festzusetzen, wobei dies in Bezug auf den von der Klägerin ausgeübten Beruf gelte. Die Augenerkrankungen seien hingegen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen, da in der medizinischen Literatur ein Zusammenhang zwischen einer Jochbeinfraktur ohne Kontamination mit Viren und einer vermutlich herpetischen Uveitis nicht belegt sei.

Durch Bescheid vom 22. Dezember 2005 erkannte die Beklagte die festgestellten Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus infraobitalis mit Gefühlsschwäche der linken Gesichtshälfte, sowie röntgenologisch nachweisbare Veränderungen nach knöchern ausgeheilter dislozierter Impressionsfraktur des linken Jochbeins ohne wesentliche relevante funktionseinschränkende Fehlstellungen zusätzlich als Unfallfolge an. Die Gewährung einer Rente lehnte sie aber weiterhin ab.

Die Klägerin hielt nach diesbezüglicher Anfrage der Beklagten den Widerspruch aufrecht und führte aus, die Gutachten seien fehlerhaft, da sie den Sachverhalt nicht korrekt wiedergäben. Es sei nirgends vermerkt, dass sie bereits unmittelbar nach dem Unfall über Doppelbilder geklagt habe. Die massiven Verletzungen sowie die Verletzungen der Nerven seien mit Sicherheit auch für die Augenproblematik ursächlich, da einer der verletzten Nerven auch für die Versorgung der Hornhaut zuständig sei. Die Verletzung habe dazu geführt, dass das Auge nicht mehr ausreichend versorgt werden könne, was wiederum zu einer erhöhten Infektanfälligkeit geführt habe. Diesbezüglich sei es auffällig, dass lediglich das linke Auge betroffen sei, was wiederum für ein Unfallzusammenhang spräche. Im Übrigen seien Infektionen mit Herpes-Viren zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen worden.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme von Prof. Dr. TZ. vom 10. Juli 2006, der darin ausführte, dass die Frage, ob unmittelbar nach dem Unfallgeschehen Doppelbilder wahrgenommen worden sind, nicht wesentlich für die Zusammenhangsfrage der Uveitis sei. Vielmehr sei bei dem aufgetretenen Verletzungsmuster zu erwarten, dass solche Phänomene auftreten. Auch habe die Höhe des Augendrucks, der sich im Laufe der Zeit wohl gebessert habe, keinen Einfluss auf die Frage des Unfallzusammenhangs. Richtig sei, dass keine Herpes-Infektion habe nachgewiesen werden können, allerdings spreche der Krankheitsverlauf sehr eindeutig für eine HSV assoziierte Form der Uveitis. Die Krankheit lasse sich auch nicht auf eine reine Fehlversorgung des Nervens zurückführen. Dies sei völlig abwegig und entspreche nicht dem ophthalmologischen Ablauf der Erkrankung. Auch die nun bestehende Trockenheit des Auges sei ein typischer Folgezustand nach einer Kerato-Uveitis. Weiterhin sei klarzustellen, dass es sich keineswegs um eine Superinfektion durch HSV handele, sondern höchstwahrscheinlich um eine endogene Reaktivierung. Das heißt, dass sich die Herpes-Vieren nach der Erstinfektion typischerweise innerhalb der ersten 10 Lebensjahre hinter dem Auge aufhalten und durch viele Ursachen reaktiviert werden. Zwar sei auch ein Trauma als Auslöser denkbar. Dieses müsse nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft jedoch innerhalb eines sehr kurzen Zeitfensters erfolgen, um eine traumatische Ursache annehmen zu können. Insoweit sei der fehlende Nachweis von erhöhten HSV-Titern auch kein Beweis gegen eine HSV-Genese. Insgesamt spreche das klinische Bild ganz eindeutig gegen eine autoimmune Erkrankung.

Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Februar 2005 in Gestalt des Bescheids vom 22. Dezember 2005, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wurde, als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 31. Juli 2006 zum Sozialgericht Gießen erhobene Klage, welche dieses durch Beschluss vom 16. August 2006 an das Sozialgericht Marburg verwiesen hat. Zur Begründung hat die Klägerin ein augenfachärztliches Gutachten des Prof. Dr. PA. vorgelegt. Darin beschrieb dieser, dass in der Augenklinik in A-Stadt am 13. März 2003 noch ein völlig unauffälliger Augenbefund einschließlich der Hornhautsensibilität am linken Auge festgestellt worden sei, während am 31. März 2003 dann eine Uveitis anterior mit Hornhautbefall und Sekundärglaukom festgestellt worden sei. Auch zu diesem Zeitpunkt sei die Hornhautsensibilität aber noch intakt gewesen. Im weiteren Verlauf habe sich dann im Dezember 2003 eine völlige Aufhebung der Hornhautsensibilität eingestellt, die bis zum heutigen Tag andauere. In seiner Beurteilung zum Unfallzusammenhang führte der Gutachter aus, dass auch er von einer herpetischen Uveitis ausgehe, weil für die Versorgung der Hornhaut nicht der verletzte Nervus maxilliaris, sondern der Nervus ophtalmicus zuständig sei, der aber nachweislich nicht geschädigt sei. Darüber hinaus spreche der klinische Verlauf in Form eines Sekundärglaukoms und Herabsetzung der Hornhautsensibilität durch nachfolgende Entzündung des Nervus ophtalmicus für eine herpetische Uveitis. Der fehlende Nachweis eines Herpes-Virus sei bei diesem Krankheitsbild nicht ungewöhnlich, sondern lasse sich in der Regel nur durch eine Kammerwasserpunktion führen. In der medizinischen Literatur sei beschrieben, dass eine endogene Herpesinfektion auch mit einer zeitlichen Latenz von sechs Monaten auftreten könne, wobei andere Studien einen Zeitraum von ein bis zwei Monaten beschrieben hätten. Ein Unfallzusammenhang sei insoweit wahrscheinlich. Die MdE sei dabei auf 10 v. H. festzusetzen.

Das Sozialgericht hat daraufhin ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. SD. vom 24. Juli 2007 veranlasst, der darin ausführte, dass Antikörper gegen Herpesviren bei 90 Prozent der Gesamtbevölkerung nachgewiesen werden könnten. Dabei verlaufe die Primärinfektion in der Regel asymptomatisch. Eine Reaktivierung könne dann durch verschiedene Faktoren wie z. B. ein Trauma oder eine medikamentöse Immunsuppression getriggert werden. Eine leere klinische Anamnese schließe eine latente Infektion nicht aus. In einer wissenschaftlichen Arbeit von Thomas et. al. sei darüber hinaus beschrieben worden, dass traumatische Stimulationen eines Nervs mit einer Reaktivierung von Herpes-Zoster-Viren signifikant assoziiert seien. Zwar handele es sich bei der Klägerin nicht um eine Herpes-Zoster-Infektion, jedoch sei der Herpes-Simplex-Virus artverwandt, so dass derselbe Pathomechanismus zugrunde gelegt werden dürfte. Der bei der Klägerin verletzte Nervus maxillaris habe einen gemeinsamen Ganglion mit dem Nervus ophtalmicus, so dass aufgrund der Läsion im Gebiet des Nervus maxillaris eine Reaktivierung der Herpesviren im gemeinsamen Ganglion mit Ausbreitung auf den Nervus ophtalmicus wahrscheinlich sei. Die zeitliche Latenz spreche nicht gegen einen Unfallzusammenhang, da derart verzögerte Prozesseintritte bekannt seien. Dies komme zwar nur selten vor, jedoch seien keine Anzeichen dafür erkennbar, dass vor dem Unfall bereits eine Augenerkrankung vorgelegen habe. Eine spontane Erkrankung, die als Alternative in Betracht zu ziehen sei, komme nur selten vor. Die MdE sei mit 10 v. H. einzuschätzen.

Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht noch ein neurologisches Gutachten bei Dr. FG. am 18. November 2008 eingeholt, in welcher dieser ausführte, dass die Klägerin in der Anamnese beschrieben habe, in ihrer Schulzeit unter Herpes-Infektionen gelitten zu haben, die sich häufig im Rahmen von Erkältungen als Herpes labialis manifestiert hätten. Die letzten Infektionen seien im Jahre 2001 erfolgt. Augenärztliche Untersuchungen seien bis zum Unfall stets unauffällig gewesen. In neurologischer Hinsicht bestehe noch ein Taubheitsgefühl über dem Jochbein, am Nasenrücken links, der linken Hälfte der Oberlippe und am Unterkiefer. Das Mittelgesicht fühle sich oft feucht an, obwohl es trocken sei. Bei Wind und Kälte leide sie unter einschießenden Schmerzen im Mittelgesicht. Auch beim Kauen und Sprechen habe sie Schmerzen. Der linke Mundwinkel hänge leicht nach unten. Das linke Auge träne und sei sehr trocken. Auch laufe die Nase links häufig. In der klinischen Untersuchung sei eine Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus maxillaris sowie eine allenfalls diskrete Mundastschwäche des nervus facialis festgestellt worden. In seiner abschließenden Beurteilung führte der Gutachter aus, dass die festgestellten Nervenschäden auf den Unfall zurückzuführen seien, die Ursache der Augenerkrankung jedoch streitig sei. Bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs einer Reaktivierung der Herpesinfektion durch das Trauma ergebe es insoweit unterschiedliche Meinungen. Das Zentrum für Hygiene und Humangenetik, Institut für Virologie der Universität NF. gehe insoweit von einer Inkubationszeit von drei bis dreißig Tagen aus, während an anderer Stelle eine zeitliche Latenz von bis zu sechs Monaten angegeben werde. Aufgrund dieser Erkenntnisse gehe er von einer Verursachung durch den Unfall aus, wobei aufgrund der Vorerkrankungen von einer richtunggebenden Verschlimmerung auszugehen sei. Zwar könne eine Herpesinfektion auch aufgrund psychischer oder anderer physischer Stressfaktoren entstehen, solche seien im Falle der Klägerin aber nicht bekannt. Die MdE auf neurologischem Fachgebiet bewerte er mit 10 v. H.

Durch Urteil vom 17. Dezember 2009 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte die Anerkennung der Augenerkrankung als Unfallfolge und die damit verbundenen Folgebeeinträchtigungen zu Recht abgelehnt habe. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen den bestehenden Beschwerden und dem anerkannten Arbeitsunfall könne weder im Sinne der Entstehung noch der richtunggebenden Verschlimmerung als wahrscheinlich angesehen werden. So seien alle Gutachter nachvollziehbar und übereinstimmend davon ausgegangen, dass eine Reaktivierung einer Herpes-Simplex-Infektion stattgefunden habe. Prof. Dr. TZ. habe in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass der Erkrankungsverlauf typisch für eine Herpes-Simplex-Virus induzierte Erkrankung sei und der fehlende sereologische Nachweis keine maßgebliche Bedeutung habe. Dieser Beurteilung hätte sich auch Prof. Dr. PA. angeschlossen, der ebenfalls ausgeführt habe, dass der klinische Verlauf ganz eindeutig für eine herpetische Uveitis spreche und der fehlende Nachweis eines Herpes-Virus bei diesem Krankheitsbild nicht ungewöhnlich sei, weil dieser in der Regel nur durch eine Kammerwasserpunktion zu führen sei. Beide Gutachter hätten die Entstehung der Krankheit aufgrund einer Fehlversorgung des Nervens infolge der beim Unfall davongetragenen Nervenläsion für unwahrscheinlich gehalten, da zum einen der Nervus ophtalmicus, der für die Versorgung der Hornhaut zuständig sei, nachweislich nicht beschädigt worden sei und ophthalminologische Erkrankung zum anderen auch nicht auf eine reine Fehlversorgung des Nervens zurückgeführt werden könne. Daher sei auch die Kammer davon überzeugt, dass es sich um eine virale Augenerkrankung handele. Auch sei die Kammer davon überzeugt, dass es sich um eine Herpes-Simplex-Infektion aufgrund einer Reaktivierung der bereits vorhandenen Viruszellen gehandelt habe. So habe Prof. Dr. TZ. nachvollziehbar ausgeführt, dass neben der Tatsache, dass keine Herpes-Zoster-Infektion habe nachgewiesen werden können, auch das klinische Bild typisch für eine Herpes-Simplex-Infektion sei, nicht aber für eine Herpes-Zoster-Infektion. Eine letztere zeichne sich als endogen neuronales Rezidiv einer Windpockenerkrankung als varizeller Zostervirus, insbesondere durch den Befall der Haut, aus und führe zu einer Herabsetzung der Hornhautsensibilität. Von der erstbehandelnden Klinik sei jedoch weder eine Zoster-Dermatitis noch eine herabgesetzte Hornhautsensibilität beschrieben worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass tatsächlich eine Herpesinfektion vorgelegen habe. Hiervon sei auch Prof. Dr. SD. ausgegangen. Letzterer habe ebenfalls sehr anschaulich beschrieben, dass Antikörper gegen Herpesviren bei 90 Prozent der Gesamtbevölkerung nachgewiesen werden könnten und die Primärinfektion, die typischerweise innerhalb der ersten 10 Lebensjahre auftrete, in der Regel asymptomatisch verlaufe. Nach der Primärinfektion hielten sich die Herpesviren im Ganlion auf und könnten durch verschiedene Faktoren wie z. B. ein Trauma oder eine medikamentöse Immunsubversion getriggert werden. In der Literatur seien daneben auch äußere Reize wie z. B. UV-Bestrahlung, Stress, Menstruation, Allgemeindefekte beschrieben. Schließlich habe die Klägerin selbst im Rahmen der Begutachtung durch Dr. FG. angegeben, seit ihrer Schulzeit unter Herpesinfektionen gelitten zu haben, so dass für das Gericht kein vernünftiger Zweifel mehr daran bestehe, dass es bereits in früherer Kindheit zu einer Erstinfektion gekommen sei. Hinsichtlich des Auslösers der Reaktivierung seien sowohl Prof. Dr. TZ., Prof. Dr. PA. als auch Prof. Dr. SD. übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein Unfallgeschehen ein entsprechender Trigger sein könne, dass aber gewisse zeitliche Zusammenhänge beachtet werden müssten. Zwar habe Prof. Dr. PA. undifferenziert von einer Latenzzeit von einem Monat bis zu sechs Monaten gesprochen, Prof. Dr. TZ. und Prof. Dr. SD. hätten aber der medizinischen Wissenschaft entsprechend eine Differenzierung zwischen dem Herpes-Zoster-Virus und dem Herpes-Simplex-Virus vorgenommen. Insoweit sei medizinisch belegt, dass eine durch Herpes-Simplex induzierte Reaktivierung in der Regel mit einer Latenz von drei bis sieben Tagen, höchstens jedoch 30 Tagen, zum auslösenden Ereignis auftrete, während für den Zostervirus eine ein- bis sechsmonatige Latenzzeit habe belegt werden können. Entsprechend habe Prof. Dr. TZ. einen Unfallzusammenhang nicht als wahrscheinlich angesehen, denn selbst wenn man nicht den Unfall, sondern die nachfolgende Operation als Auslösefaktor annehmen würde, läge ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten dazwischen, der laut entsprechender medizinischer Literatur nicht mehr der geforderten Latenzzeit entspreche. Deshalb sei auch nicht den Ausführungen des Prof. Dr. SD. zu folgen. Insbesondere halte die Kammer den Rückschluss von Prof. Dr. SD., ein Herpes-Simplex-Virus sei mit einem Herpes-Zoster artverwandt und unterliege daher demselben Pathomechanismus, so dass die zeitliche Latenz nicht gegen einen Unfallzusammenhang spreche, für nicht zulässig. Denn die entsprechende Studie habe eine sechsmonatige Latenzzeit eben nur für den Zoster-Virus erbracht, nicht aber für den Simplex-Virus.

Gegen das am 20. Januar 2010 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung von Montag, dem 22. Februar 2010. Die Klägerin vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass der Mechanismus bei der infolge des Arbeitsunfalls durchgeführten Operation nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Insbesondere müsse aufgeklärt werden, ob die Klägerin eine Jochbeinfraktur erlitten habe oder es sich um eine Fraktur der Kieferhöhlenvorderwand und des Orbitabodens gehandelt habe. Dies sei deshalb wichtig, weil das Risiko der Verletzung einiger Nerven an denen dann Herpes Viren ins Auge hochsteigen könnten, unterschiedlich ausgeprägt sei, je nach Nähe der entsprechenden Nerven. Deshalb sollten die Röntgenbilder und CT-Aufnahmen durch einen Neuroradiologen begutachtet werden. Ferner sei ein weiteres Röntgenbild im Rahmen der Konsiliaruntersuchung an der Universitätsklinik C Stadt gefertigt worden, welches noch in der Kieferchirurgie der Universitätsklinik C Stadt vorhanden sein müsse. Diese Bilder in Form von Röntgenaufnahmen und CT Aufnahmen seien erneut zu bewerten.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17. Dezember 2009 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2005 und den Abänderungsbescheid vom 22. Dezember 2005 beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Augenerkrankung der Klägerin als Unfallfolge anzuerkennen und ihr Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. Dezember 2002 nach einer MdE von 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung und sieht darüber hinaus keinen Ermittlungsbedarf.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie auf die Akte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-); sie ist aber unbegründet.

Der Klägerin steht, wie das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 17. Dezember 2009 zutreffend entschieden hat, aufgrund des anerkannten Arbeitsunfalls vom 4. Dezember 2002 keine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von mindestens 20 v. H. zu. Über die bereits durch die Bescheide der Beklagten festgestellten Gesundheitsstörungen hinaus sind keine weiteren Gesundheitsschäden als Folge des streitgegenständlichen Unfallereignisses anzuerkennen.

Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haben diejenigen Versicherten Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist.

Nach § 8 SGB VII ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleidet. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Wirken eine krankhafte Veranlagung und ein Unfallereignis bei der Entstehung einer Körperschädigung zusammen, so sind beide Umstände Bedingungen im naturwissenschaftlichen Sinne für das Unfallgeschehen. Nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung zur Beurteilung von Zusammenhangsfragen anzuwendenden Theorie von der wesentlichen Bedingung ist dann zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis, nach welcher jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (s. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, Juris). Im Sozialrecht erfolgt diese Unterscheidung und Zurechnung mangels einer Verschuldensprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung, nach welcher als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (s. bereits BSGE 1, 72, 76 sowie 1, 150, 156; BSG, Urteil vom 12. April 2005, BSGE 94, 269). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Hierbei gilt, dass es mehrere rechtliche Mitursachen geben kann, wobei sozialrechtlich alleine relevant ist, ob das Unfallereignis als solches wesentlich war. Ob es eine konkurrierende Ursache war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, a. a. O.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten Ursachen "wesentlich" und damit Ursachen im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber im zweiten Prüfungsschritt nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f.; BSGE 94, 269). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen oder abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f.; BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az.: B 2 U 27/04, BSGE 94, 269). Bei der Abwägung kann zum einen der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkungen gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Schluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist.

Weitere Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens, wobei allerdings eine Ursache nicht deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (s. BSGE 38, 127, 129 sowie BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196-209).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass das Unfallereignis selbst sowie die versicherte Tätigkeit als auch die Erkrankung mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSGE 45, 19; BSGE 7, 103, 106 sowie 19, 52, 53). Für die Kausalbeziehungen zwischen dem unfallbringenden Verhalten und der Krankheit hingegen genügt nach herrschender Meinung der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht bzw. wenn der bei Berücksichtigung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gegründet werden kann, wobei die bloße Möglichkeit nicht ausreicht (s. BSGE 19, 5, 53; BSGE 32, 203, 209, BSG, Urteil vom 2. Juni 1959 - SozR 3-542 RVO a. F. Nr. 120).

Zwischen den Beteiligten steht fest, dass die Klägerin am 4. Dezember 2002 einen versicherten Arbeitsunfall erlitt, als sie beim Überqueren einer grünen Ampel auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle von der Schulter eines Fahrradfahrers am Kopf getroffen wurde. Als Gesundheitsschäden, die unstreitig durch das Unfallereignis verursacht wurden und entsprechend durch Bescheid vom 22. Dezember 2005 seitens der Beklagten festgestellt wurden, sind Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus ophthalmicus mit Gefühlsschwäche der linken Gesichtshälfte existent sowie inzwischen ausgeheilte Frakturen des linken Jochbeins ohne wesentliche relevante funktionseinschränkende Fehlstellungen. Des Weiteren wurde durch dieses Unfallereignis als Primärschaden eine Läsion des Nervus maxillaris und des Nervus facialis verursacht.

Darüber hinaus ergibt sich für den Senat überzeugend bereits aus den Diagnosen des Durchgangsarztes sowie der Augenkliniken C-Stadt und A-Stadt sowie nicht zuletzt aus den aktenkundlichen Gutachten und hierbei insbesondere dem Gutachten des Prof. Dr. TZ., welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (BSG SozR Nr. 66 zu § 128 SGG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 26 RdNr. 28), dass bei der Klägerin Sehstörungen und eine eingeschränkte Sensibilität der Hornhaut am linken Auge als Folge einer Kerato-Uveitis bestehen. Dieser Einschätzung haben sich letztlich sämtliche im Verfahren gehörten Sachverständigen angeschlossen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist jedoch diese Uveitis nicht mit der notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch das angeschuldigte und als Arbeitsunfall anerkannte Ereignis im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache hervorgerufen worden. Unter Zugrundelegung des seitens der Klägerin im Klageverfahren selbst vorgelegten augenfachärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. PA. wäre eine solche Verursachung einer Uveitis unmittelbar durch das Unfallereignis nur möglich, wenn der für die Versorgung der Hornhaut zuständige Nervus ophtalmicus geschädigt worden wäre. Aus der medizinischen Dokumentation ergeben sich hingegen keine Anhaltspunkte für eine Läsion des Nervus ophtalmicus; eine solche wurde auch in den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht bekundet, und zwar weder als direkte Folge des angeschuldigten Unfallereignisses noch durch die im Nachgang durchgeführte und gem. § 11 SGB VII ebenfalls unter Versicherungsschutz stehende Operation, so dass der Nachweis einer solchen Schädigung dieses Nervs nicht erbracht ist. Durch das Unfallgeschehen wurde nachweislich alleine der Nervus maxillaris in Mitleidenschaft gezogen. Sowohl Prof. Dr. TZ. als auch Prof. Dr. PA. - letzterer in dem durch die Klägerin selbst im Klageverfahren vorgelegten Gutachten - haben überzeugend die Entstehung der Krankheit aufgrund einer Fehlversorgung des Nervus ophtalmicus infolge der beim Unfall davon getragenen Nervenläsion für unwahrscheinlich gehalten, da dieser Nerv nicht beschädigt worden sei und der beschriebene ophtalmologische Ablauf der Erkrankung nicht aufgrund einer reinen Fehlversorgung des Nervens erklärt werden kann. Eine unmittelbare Schädigung des Auges im Sinne einer Läsion des für die Versorgung der Hornhaut verantwortlichen Nerven - des Nervus ophtalmicus - ist daher zumindest nicht bewiesen.

Auch für den Senat ergibt sich vielmehr aus sämtlichen im Verwaltungsverfahren sowie im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten übereinstimmend, dass die bei der Klägerin nachgewiesene Uveitis eine so genannte herpetische Uveitis ist, diese also durch Herpes-Viren verursacht wurde. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer ebenfalls aus dem bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Prof. Dr. TZ., dem sich einschließlich des durch die Klägerin selbst beauftragten Prof. Dr. PA. im Klageverfahren sämtliche gehörten Mediziner angeschlossen haben, wonach der Erkrankungsverlauf typisch für eine Herpes-Simplex-Virus induzierte Erkrankung sei, wofür insbesondere die Entstehung einer Sekundärglaukoms und Herabsetzung der Hornhautsensibilität durch eine nachfolgende Entzündung des Nervus ophtalmicus sprächen.

Die Zurechnung der bei der Klägerin bestehenden Uveitis und den daraus resultierenden Gesundheitsstörungen zum anerkannten Unfallereignis im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache ist daher nur denkbar, wenn man entweder eine durch das Unfallereignis verursachte Infektion mit Herpes-Viren oder aber eine Reaktivierung von bereits im Körper vorhandenen Herpes-Viren durch das Unfallereignis bzw. die nachfolgende Operation (§ 11 SGB VII) annehmen würde. Hinweise auf eine durch den Unfall oder die nachfolgende medizinische Behandlung verursachte Infektion mit wie auch immer gearteten Herpes-Viren ergeben sich indes weder aus der gesamten in den Akten befindlichen medizinischen Dokumentation noch aus den im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten.

Denkbar ist allenfalls, dass es durch den Unfall zu einer Reaktivierung von bereits im Körper der Klägerin vorhandenen Viruszellen gekommen ist. Zwar ist auch nach den Ausführungen von Prof. Dr. PA. bei der Klägerin der Herpes-Virus nicht nachweisbar, jedoch spricht für eine bereits vor dem Unfall bestehende Infizierung mit Herpes-Viren die Tatsache, dass die Klägerin im Rahmen der ambulanten Untersuchung bei der Anamneseerhebung durch den Neurologen Dr. FG. im erstinstanzlichen Verfahren selbst angegeben hat, seit ihrer Schulzeit wiederholt unter Herpes-Infektionen gelitten zu haben, die sich häufig im Rahmen von Erkältungen als Herpes-Labialis manifestiert hätten. Hierbei sei die letzte Infektion im Januar 2001 erfolgt. Dass die Klägerin zumindest den Virus des Herpes-Simplex zum Zeitpunkt des Unfallereignisses in sich trug, ergibt sich daher zur Überzeugung des Senats aus diesen durch den Sachverständigen Dr. FG. erhobenen Befundtatsachen, die seitens der Klägerin nicht bestritten wurden.

Ein Unfallereignis kann als Ursache einer Verschlimmerung einer - in diesem Fall vorbestehenden Infektion - zu werten sein. Voraussetzung ist jedoch, dass das Unfallereignis auf einen vorbestehenden Gesundheitsschaden einwirkt und diesen in eine geänderte Erscheinungsform bringt, wobei der gesamte Gesundheitsschaden rechtlich zerlegt wird in einen alleine vor dem Unfall bestehenden und den danach gegebenen und durch ihn wesentlich bedingten verschlimmerten Teil. Da nur der letztere Anteil der Verschlimmerung unfallversicherungsrechtlich relevant ist, muss er entsprechend abgrenzbar sein (siehe Becker/Krasney/Kruschinski, SGB VII § 8 Rdnr. 383; siehe auch LSG Schleswig, Breithaupt 1956, 955, 958). Um dem angeschuldigten Unfallereignis die Rolle einer rechtlich wesentlichen Ursache für eine richtunggebende Verschlimmerung einer vorbestehenden Herpes-Infektion und daraus letztlich resultierender viralen Uveitis zumessen zu können, müsste nach den Grundsätzen der Kausalitätsnorm der rechtlich wesentlichen Ursache mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegbar sein, dass sowohl angesichts des Unfallmechanismus und des Krankheitsverlauf sowie der übrigen oben benannten Kriterien insgesamt mehr für eine solche Verursachung spricht als dagegen.

Zwar gehen sämtliche gehörten Gutachter bzw. Sachverständigen übereinstimmend davon aus, dass ein Unfallgeschehen wie das vorliegende als Arbeitsunfall anerkannte ein entsprechender Trigger für die Aktivierung einer bestehenden Herpes-Infektion sein kann. Nicht zuletzt die im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Prof. Dr. SD. und Dr. FG. haben indes im Einklang wiederum mit der einschlägigen Fachliteratur dargelegt, dass im Körper vorhandene Herpes-Viren, die sich im Ganglion aufhielten, durch verschiedene Faktoren getriggert werden könnten, wobei nicht nur Traumata genannt werden, sondern auch eine medikamentöse Immunsupression oder äußere Reize wie UV-Bestrahlung, Stress, Menstruation, aber auch Allgemeininfekte.

Unabdingbar für die Zurechnung der Reaktivierung von Herpes-Viren zu dem streitgegenständlichen Unfallereignis oder der Operation sind daher über die Annahme der naturwissenschaftlichen Verursachungsmöglichkeit hinaus weitere Kriterien, die im konkreten Einzelfall eine Verursachung im Sinne eines rechtlich-wesentlichen Faktors wahrscheinlich machen. Für die Anerkennung als wesentliche Ursache kann es hingegen auch für eine Verschlimmerung nicht genügen, wenn vor einer entsprechenden Erkrankung ein Unfall aufgetreten ist, weil eine Abgrenzung vom zufälligen Auftreten der Herpes-Erkrankung praktisch nicht möglich ist, wenn weder zeitliche noch örtliche oder anderweitige Aspekte konkretisiert werden können, zumal nicht abschließend gesichert ist, ob Grund für die Reaktivierung bei einem Trauma unmittelbar oder mittelbar die Auswirkung auf das Allgemeinbefinden oder nachfolgender Stress mit der Folge einer Abschwächung der Immunabwehr ist (siehe auch Sächsisches LSG, Urteil vom 28. Juni 2007, Az.: L 2 U 35/04 zum Herpes-Zoster). Letztlich stimmen demgemäß sämtliche im Verfahren gehörte Mediziner darin überein, dass die Verursachung einer Reaktivierung von Herpes-Viren durch traumatische Ereignisse nur im Rahmen von bestimmten zeitlichen Zusammenhängen zwischen Unfallereignis und Ausbruch der Krankheit bzw. ihrer Manifestation belegbar ist.

Überzeugend hat Prof. Dr. TZ. unter Zugrundlegung und Nennung einschlägiger wissenschaftlicher Veröffentlichungen dargelegt, dass bei einer durch Herpes-Simplex induzierten Reaktivierung in der Regel mit der Latenz von drei bis sieben Tagen, höchstens jedoch von 30 Tagen zwischen dem auslösenden Ereignis und der Reaktivierung mit den damit verbundenen Symptomen auszugehen sei. Dieser Auffassung haben sich letztlich auch die im Laufe des Gerichtsverfahrens gehörten Sachverständigen angeschlossen. Sofern es sich um einen Herpes-Zoster-Virus handelt, kommt danach zwar auch eine ein- bis sechsmonatige Latenzzeit in Betracht. Hierzu hat Dr. TZ., der als einziger der gehörten Gutachter und Sachverständigen sich differenziert mit der Frage der Latenzkette auseinandersetzt, darauf hingewiesen, dass nur wenige Literaturstellen existieren, die zur Frage der Virusreaktivierung Stellung nehmen. Ferner hat er sich auf eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahre 1984 bezogen, derzufolge eine Latenzzeit von sechs Monaten im Falle eines Herpes-Zoster einen Kausalzusammenhang nicht ausschließen würde, zugleich aber verlangt, dass danach innerhalb von sechs Monaten ein signifikanter Zusammenhang zwischen Trauma und einem Hautausschlag auf der selben Seite bestehen müsse, wobei der Beginn des Ausschlages meist innerhalb des ersten Monats nach dem Trauma eintrete. Unabhängig von der Frage, ob diese verlängerte Latenzzeit im Falle einer Infektion mit Herpes-Zoster-Viren dem zugrunde zu legenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 2 U 16/08 R - juris), ergibt sich im Falle der Klägerin aus den eingeholten Gutachten und hierbei insbesondere aus den diesbezüglich besonders fundierten und daher auch den Senat überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. TZ., dass eine Herpes-Zoster-Infektion ein endogenneuronales Rezidiv einer Windpockenerkrankung ist und ein typisches Symptom hierfür der Befall der Haut darstellt, die zu einer Herabsetzung der Hornhautsensibilität führt. Übereinstimmend haben sowohl Prof. Dr. TZ. als auch Prof. Dr. SD. dargelegt, dass vorliegend weder eine Zoster-Dermatitis noch eine herabgesetzte Hornhautsensibilität im Rahmen der Behandlung der Klägerin beschrieben worden sind, so dass nur von einer Herpes-Simplex-Infektion ausgegangen werden kann. Für letztere spricht aus Sicht des Senates auch - wenn auch der Virus als solcher nicht nachgewiesen werden konnte - dass die Klägerin selbst im Rahmen der Begutachtung durch Dr. FG. eine Herpes-Infektion in ihrer Jugend - allerdings gerade nicht aufgrund einer Windpockenerkrankung - angegeben hat. Zumindest im Bereich des Herpes-Simplex-Virus wird für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs zwischen einem Lokaltrauma und einer virusinduzierten Schädigung des Auges jedenfalls ein enger zeitlicher Zusammenhang von zwei bis fünf, höchstens sieben Tagen nach dem Trauma verlangt.

Die Annahme einer Verschlimmerung einer bestehenden Infektion mit Herpes-Simplex-Viren durch ein traumatisches Ereignis wie den streitgegenständlichen Unfall oder die nachfolgende Operation würde demnach aber fast laut aller gehörten Gutachter voraussetzen, dass spätestens 30 Tage nach dem Unfallereignis bzw. operativen Eingriff die ersten Symptome feststellbar gewesen sein müssten. Vorliegend hat sich die Klägerin erstmals im März 2003 in der Augenklinik A-Stadt wegen einer Sehstörung vorgestellt. Selbst wenn man unter Berücksichtigung des § 11 SGB VII nicht den Zeitpunkt des Unfallereignisses, sondern den der nachfolgenden Behandlung in Form der Operation als Auslösefaktor zugrunde legen würde, liegt damit ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten zwischen diesen in Betracht kommenden Ereignissen und den erstmals nachgewiesenen Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form von Sehstörungen. Die seitens der Klägerin behaupteten Sehstörungen in Form von Doppelbildern, die unmittelbar im Anschluss an das Unfallereignis aufgetreten seien, wurden nirgends dokumentiert. Der Senat schließt dies zwar nicht aus, hält es aber ebenso für möglich, dass es sich hierbei um eine Schutzbehauptung der Klägerin handelt, deren Wahrheitsgehalt nicht überprüft werden kann. Jedenfalls ist es nicht glaubhaft, dass die Klägerin zwei Monate unter Sehstörungen leidet, um sich dann erstmals deswegen in ärztliche Behandlung zu begeben.

Die Auffassung des im erstinstanzlichen Klageverfahren gehörten Prof. Dr. SD. sowie des diesem folgenden Dr. FG., dass ein Herpes-Simplex-Virus mit einem Herpes-Zoster artverwandt sei und daher demselben Pathomechanismus unterliege, so dass die zeitliche Latenz von sechs Monaten nicht gegen einen Zusammenhang spreche, ist aus Sicht des Senats nicht überzeugend. Die Ansicht von Prof. Dr. SD. wird durch die übrigen Gutachten nicht gestützt und erscheint auch dem Senat nicht plausibel, da es sich um zwei unterschiedliche Ausformungen von Herpes-Viren handelt und ein maßgebendes Charakteristikum eines Herpes-Simplex-Virus nach den Ausführungen sämtlicher übrigen gehörten Mediziner gerade die geringere Latenzzeit ist. Insofern ist zweifelhaft, ob Prof. Dr. SD. bzw. Dr. FG. sich bewusst sind, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ihrer Wertung zugrunde legen zu müssen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch Sachverständige, von der diese nur wissenschaftlich begründet abweichen können. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles kommt es nicht auf die allgemeine wissenschaftliche Auffassung des einzelnen Sachverständigen an, sondern auf den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010). Zwar kann bei Abwägung verschiedener Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden. Dies gilt aber nur dann, wenn es zu einer bestimmten Fragestellung keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand gibt (BSG vom 17. Juli 1958, SozR Nr. 33 zu § 128 SGG). Dementsprechend ist es auch durchaus möglich, sofern kein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand existiert, eine einzeln vertretene Meinung zugrunde zulegen, jedoch muss diese entsprechend begründet werden. Vorliegend befassen sich Prof. Dr. SD. sowie Dr. FG. jedoch nicht einmal mit der einschlägigen in den Gutachten des Prof. Dr. PA. sowie Prof. Dr. TZ. erwähnten Studie von Thomas, Wheeler und Hall (Case-Control study of the effect of mechanical trauma on the risk of herpes zoster, British medical journal 328, 2004, S. 439-440), die die einzige wissenschaftliche Erkenntnisquelle für eine längere Latenzzeit als höchstens 30 Tage zu sein scheint, und auch dies nur für den Fall der bei der Klägerin nach Auffassung des Senates nicht nachgewiesenen Infektion mit Herpes-Zoster-Viren behauptet. Dementsprechend misst der Senat zumindest dieser Behauptung der Sachverständigen, die beiden Arten von Herpes-Viren unterlägen derselben Latenzzeit, nur einen verminderten Beweiswert zu.

Der Senat weist zudem darauf hin, dass aus dieser Studie - wie sich aus dem Zitat im Gutachten von Prof Dr. TZ. und zudem der aktenkundlichen E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und einer der Autorinnen aus dem Jahre 2004 ergibt - das als Voraussetzung einer verlängerten Latenzzeit von bis zu sechs Monaten ein signifikanter Zusammenhang zwischen Trauma und einem Hautausschlag bestehen muss, wobei der Beginn des Ausschlages meist innerhalb des ersten Monats nach dem Trauma eintrete. Dies lässt darauf schließen, dass auch bei Herpes-Zoster-Viren immer ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Trauma und Ausbruch der Krankheit bestehen muss. Da bei der Klägerin gerade solche äußerlichen Symptome in zeitlicher Nähe zum Unfall bzw. der Operation nicht beobachtet wurden, würde selbst unter Zugrundelegung dieser Ansicht ein Zusammenhang im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache nicht wahrscheinlich sein.

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin die Wertung des Prof. Dr. SD. sowie Dr. FG. dem Rechtsstreit zugrundelegen und zu ihren Gunsten unterstellt würde, dass auch ein Auftreten der Erkrankung innerhalb von sechs Monaten nach dem versicherten Ereignis nicht gegen den Kausalzusammenhang spräche, könnten die Sehstörungen bzw. die Uveitis nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit als wesentliche Folge anerkannt werden. So hat gerade auch Prof. Dr. SD. im Einklang wiederum mit der einschlägigen Fachliteratur dargelegt, dass im Körper vorhandene Herpes-Viren, die sich im Ganglion aufhielten, durch verschiedene Faktoren getriggert werden können, wobei nicht nur Traumata genannt werden, sondern auch eine medikamentöse Immunsupression oder äußere Reize wie UV-Bestrahlung, Stress, Menstruation, aber auch Allgemeininfekte. Dem hat sich Dr. FG. angeschlossen. Die bloße Möglichkeit der Verursachung von Gesundheitsschäden durch ein bestimmtes traumatisches Ereignis reicht für die Anerkennung als Unfallfolge jedoch nicht aus. Dies gilt insbesondere dann, wenn weitere alternative Ursachen, wie die genannten in Betracht kommen. Diese alternativen Faktoren können während einer Latenzzeit von ca. drei Monaten zwischen Unfall und erstmaliger Manifestation der Sehstörungen aufgrund ihrer Ubiquität nicht nur nicht ausgeschlossen werden, sondern werden alleine aufgrund ihrer Alltäglichkeit als verursachende Faktoren mit zunehmendem Zeitablauf immer wahrscheinlicher. Damit ist letztlich die Verursachungswahrscheinlichkeit gerade des angeschuldigten Ereignisses im Vergleich zu den alternativ in Betracht kommenden anderen Triggern nicht mehr abzugrenzen, solange hierfür keine gefestigten Erkenntnisse existieren. Denkbar wäre dann zwar unter Zugrundelegung der Auffassung des Prof. Dr. SD., dass im Falle der Klägerin das angeschuldigte Unfallereignis die Reaktivierung der Herpes-Viren ausgelöst hat. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Stressempfindungen eines Menschen, die jeweils abhängig von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur und in persönlichkeitsspezifischen Bewältigungsstrategien ist, wäre es aber unerlässlich, dass weitere Umstände benannt würden, die die Annahme der Verursachung gerade durch das angeschuldigte Unfallereignis über die nachfolgende Behandlung belegen. Nicht genügen kann demgegenüber als Beweis für die wesentliche Verursachung durch das traumatische Ereignis, dass - wie Dr. FG. ausgeführt hat - keine anderen psychischen oder physischen Stressfaktoren im Falle der Klägerin außerhalb des angeschuldigten Ereignisses belegt wurden, da die in Betracht kommenden alternativen Ursachen derartig ubiquitär und niederschwellig sind, dass ihr Vorkommen nach dem Unfall nicht ausgeschlossen werden kann. So hat die Klägerin selbst in der letzten mündlichen Verhandlung am 1. Februar 2013 eingeräumt, kurz vor Auftreten der Sehschwäche und dem deswegen für erforderlich gehaltenen Aufsuchen der Augenklinik unter einer starken Erkältung gelitten zu haben, derentwegen sie Medikamente gegen Herpes eingenommen habe. Gerade bei einem solchen Infekt kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser der konkrete Auslöser der Reaktivierung war, zumal nicht sichergestellt werden kann, dass die Klägerin die Medikamente rechtzeitig eingenommen hat.

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt zwar von Amts wegen, es ist jedoch an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Insbesondere muss das Gericht nicht nach Tatsachen forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (s. BSGE 87, 132, 138; 36, 107, 110). Insbesondere für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es weiterer Anknüpfungstatsachen, die die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Sachverständigen zur Beurteilung dieser Tatsachen nahelegen. Solche liegen jedoch erkennbar nicht vor. Insbesondere sah sich der Senat nicht veranlasst, von Amts wegen ein weiteres Gutachten bei einem Neuroradiologen zu veranlassen. Die seitens der Klägerin unter Beweis gestellte Frage, welche Art der knöchernen Verletzung dargestellt wird und ob anzunehmen ist, dass im Rahmen dieser knöchernen Verletzung Nervenschädigungen hätten eintreten können, stellt einen klassischen Ausforschungsbeweis dar und lässt das eigentliche Beweisthema letztlich nur erahnen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 160 Rn 18a m. w. N.). Auch wird nicht deutlich, inwieweit die Frage, ob die Klägerin beim Unfallereignis eine Jochbeinfraktur oder eine Fraktur der Kieferhöhlenvorderwand und des Orbitaboden links erlitten hat, entscheidungserheblich sein soll. Sowohl aus dem Durchgangsarztbericht als auch aus dem Arztbrief des Herrn Dr. HJ. vom 16. Oktober 2003 ergibt sich, dass es sich um einen Zustand nach Orbitaboden- und Jochbeinfraktur links mit posttraumatischer Läsion des Nervus maxillaris und Nervus facialis handelt. Die Angabe der Klägerin, dies sei deshalb wichtig, weil das Risiko der Verletzung einiger Nerven, an denen Herpes-Viren ins Auge hochsteigen können, unterschiedlich ausgeprägt sei, je nach Nähe des Frakturereignisses mit den entsprechenden Nerven, wird durch keine medizinische Stellungnahme belegt. Letztlich könnte diese Frage - nämlich das Bestehen einer Fraktur sowohl des Jochbeins als auch der Kieferhöhlenvorderwand - als wahr unterstellt werden, ohne dass daraus die Reaktivierung der Herpes-Viren durch das angeschuldigte Ereignis wahrscheinlicher würde, da dies nichts an dem fehlenden zeitlichen Zusammenhang ändern würde.

Im Ergebnis geht der Senat daher davon aus, dass eine Verursachung der Uveitis bei der Klägerin durch den angeschuldigten Unfall bzw. die nachfolgende Operation durchaus möglich, jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich ist, da keine dies belegenden Umstände vorliegen. Demgemäß konnte die Berufung keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 160 Abs. 2 SGG, weil die dortigen Voraussetzungen nicht vorlagen.
Rechtskraft
Aus
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