L 32 AS 379/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 434/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 379/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 06. Februar 2013 geändert. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben, als der Antragsgegner verpflichtet wird, dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung ab dem 07. Januar 2013 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2013, Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 200 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zum einstweiligen Rechtsschutz für beide Instanzen trägt der Antragsgegner zu drei Fünfteln.

Gründe:

I.

Im Streit ist der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege einstweiliger Anordnung.

Die 1979 geborene Antragstellerin ist griechische Staatsangehörige. Nach erfolgter Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bis Dezember 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. November 2012 einen Antrag der Antragstellerin vom 20. November 2012 auf Leistungen ab. Sie könne keine Leistungen beanspruchen, weil sie lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik habe (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Der dagegen von der Antragstellerin eingelegte Widerspruch ist nach Aktenlage noch nicht beschieden worden.

Mit dem am 07. Januar 2013 beim Sozialgericht (SG) eingegangenen Schriftsatz beantragt die Antragstellerin,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewähren und ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Zur Begründung des Antrags wurde insbesondere vorgetragen, die Antragstellerin befinde sich derzeit in einer finanziellen Notlage, da sie nur durch Hilfe von Freunden und ihrer Mutter die Lebenshaltungskosten bestreiten könne und über kein Einkommen oder Vermögen verfüge.

Im Einzelnen wurde begründet, weshalb der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegend für die Antragstellerin hier nicht eingreife.

Der Antragsgegner hat beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Der Antragsgegner begründet seine Auffassung, dass die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II dem Grunde nach von der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei.

Mit Beschluss vom 06. Februar 2013 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 07. Januar 2013 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382 Euro zuzüglich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 200 Euro zu zahlen. Prozesskostenhilfe wurde bewilligt. Das SG hat anhand einer Folgenabwägung entschieden. Für die Antragstellerin drohe als Folge zu Unrecht verweigerter Leistungen eine vollständige Bedarfsunterdeckung.

Gegen den dem Antragsgegner am 06. Februar 2013 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13. Februar 2013 beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde des Antragsgegners. Im Einzelnen wurde die Rechtsauffassung begründet, wonach die Antragstellerin im Ergebnis von der Inanspruchnahme von Leistungen im SGB II im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sei.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss vom 06. Februar 2003 aufzuheben und den Antrag abzulehnen und die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss vom 06. Februar 2013 auszusetzen.

Hilfsweise die Regelleistung auf 80 Prozent zu beschränken.

Die Antragstellerin hat keine Stellung genommen.

Mit Beschluss vom 22. Februar 2013 wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung teilweise abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakten und Verwaltungsakten des Antragsgegner.

II.

Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.

Das Gericht kann nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens des Anordnungsgrundes (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden.

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind, dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage § 86 b Rdnr. 16 b).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung teilweise nicht zu beanstanden.

Der Anordnungsgrund ist hier für die Zeit ab 07. Januar 2013 zu bejahen. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, auf Leistungen nach dem SGB II zur Existenzsicherung angewiesen zu sein. Sie verfügt nach ihren Angaben über keine Einnahmen. Ihr steht auch grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungen Personen, die

1.das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht haben oder 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind, 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen zu 1. und ist auch erwerbsfähig gemäß Nr.2, was sich bereits aus ihren hier übernommenen Beschäftigungen ergibt. Sie ist auch hilfebedürftig nach Nr.3, da sie nach ihren glaubhaften Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Des Weiteren ist glaubhaft, dass sie gemäß Nr.4 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Antragstellerin ist seit dem 04. September 2011 in Berlin gemeldet und hat dort eine Wohnung mit der Absicht, in der Bundesrepublik zu bleiben. Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen, was für eine Bindung spricht, die diese Absicht bestätigt. Sie bewohnt ein Zimmer in der von ihrer Mutter gemieteten Wohnung. Der Untermietvertrag sieht eine monatliche Kaltmiete von 135 Euro und monatliche Vorauszahlungen für Heizung/Betriebskosten in Höhe von 37 und 28 Euro vor. Auch unternimmt sie Anstrengungen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Die Frage, ob der Anspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen ist, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes – EU freizügigkeitsberechtigt sind und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt und ihre Familienangehörigen, 3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Zwar könnte sich hier das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben. Fraglich ist allerdings, ob die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Fall der Klägerin anwendbar und auch ob sie europarechtskonform ist. Die Schwierigkeit und Komplexität der Beurteilung erfordern, dass die Klärung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten ist. Es war daher im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzustellen. Das gilt besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundsätzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – abgedruckt in juris). Insoweit stellt Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen könnten, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (BVerfG a.a.O., juris Rdnr. 24).

Die vom SG vorgenommene Folgenabwägung ist vorliegend nicht zu beanstanden.Der Senat nimmt hierauf Bezug.

Insoweit bleibt die Beschwerde erfolglos.

Auch hinsichtlich des Hilfsantrags, einen Abschlag in der bewilligten Leistung vorzunehmen, bleibt die Beschwerde erfolglos. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache insoweit begegnet werden kann, dass Leistungen nur mit einem Abschlag zugesprochen werden können (BVR 569/05 AO Rz. 36 bei juris). Allerdings erscheint dies auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe der Leistungen nach dem AsylBLG hier nicht geboten.

Die Beschwerde ist erfolgreich hinsichtlich der angefochtenen Verpflichtung zur Zahlung von 200 Euro für Kosten der Unterkunft und Heizung.

Für die begehrte Anordnung fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund in Gestalt eines unaufschiebbar eiligen Regelungsbedürfnisses. Der Antragstellerin ist insoweit ein Abwarten auf die Entscheidung im bereits anhängigen Hauptsacheverfahren zumutbar, weil nicht glaubhaft ist, dass ihr gegenwärtig Wohnungs- noch gar Obdachlosigkeit und nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile drohen.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Landessozialgericht beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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