L 7 R 1202/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2219/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 1202/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Streit.

Die 1951 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten 2004 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2004 ab. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. Juli 2004; Urteil der Sozialgerichts (SG) Konstanz vom 7. Juli 2005 -S 4 R 1855/04-; Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 21. Dezember 2005 -L 10 R 3628/05-; Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Mai 2006 -B 13 R 28/06 B-).

Die Klägerin stellte erneut am 29. Juli 2004, 30. Dezember 2006, 21. März 2007, 22. Juni 2007, 27. März 2008 (über die Bundesagentur für Arbeit), 12. Juni 2008 und 29. August 2008 Anträge auf Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Übernahme der Kosten ihrer zwischenzeitlich zum 16. April 2007 begonnenen Ausbildung. Die Ausbildung wurde im Juli 2008 und - nachdem die Klägerin diese an einer anderen Einrichtung im Oktober 2008 fortgesetzt hatte - im Januar 2009 jeweils wegen fehlender Zahlung der Lehrgangsgebühren abgebrochen.

Am 8. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage zum SG Konstanz erhoben (Aktenzeichen S 4 R 3579/08). Während des Klageverfahrens lehnte die Beklagte die Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Bescheid vom 12. November 2009 ab.

Die Klägerin hat in der nichtöffentlichen Sitzung der 4. Kammer des SG Konstanz am 1. Juli 2010 ihre Klage zurückgenommen.

Ausweislich eines Aktenvermerks der Kammervorsitzenden vom 30. August 2010 teilte die Klägerin telefonisch mit, dass sie ihre Rücknahme rückgängig machen werde. Mit Schreiben vom 30. August 2010 (Eingang beim Gericht 1. September 2010) nahm die Klägerin ihre Klagerücknahme "wieder zurück". Die Rücknahme der Klage sei aufzuheben, da diese in jedem Falle für sie - die Klägerin - als Betroffene schädlich sei.

Das SG hat den Rechtstreit fortgeführt (nunmehr S 4 R 2219/10) und durch Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2011 festgestellt, dass der Rechtstreit S 4 R 3579/08 durch Klagerücknahme vom 1. Juli 2010 beendet worden ist. Die Klägerin habe ihre Klage wirksam zurückgenommen. Prozesshandlungen könnten nach Beendigung des Rechtstreits grundsätzlich weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich - rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohungen (§§ 119, 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) angefochten werden. Auch eine Nichtigkeit der Rücknahmeerklärung komme selbst dann nicht in Betracht, wenn - wie hier nicht gegeben - diese Erklärung aufgrund einer "Überrumpelung" durch das Gericht oder in Folge einer unrichtigen Belehrung über die Prozessaussicht abgegeben worden wäre. Diese Folge ergebe sich aus der Rechtsnatur von Prozesshandlungen. Nicht frei widerruflich bzw. nicht frei abänderungsfähig seien Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder auf Grund deren er seine Rechtsstellung eingerichtet habe. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könne dann angenommen werden, wenn gleichzeitig mit der Rücknahme deren Widerruf bei Gericht eingehe, was vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen sei. Auch seien Gründe gem. §§ 579, 580 ZPO, die die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich.

Gegen den ihr am 25. Februar 2011 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 21. März 2011 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. In der damaligen Phase des Termins in Konstanz habe sie durch persönlich belastende Nebenschauplätze etwas neben sich gestanden. Wie sonst solle sie sich ein derartiges Eigentor erklären. So sei sie bereits einen Tag zuvor zum SG nach Konstanz in der Annahme gefahren, dass das Datum stimme. Nach wie vor empfinde sie die damalige Empfehlung der jungen Richterin als höchst unqualifiziert, unprofessionell und mangelhaft.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie teilte mit Schreiben vom 2. November 2011 mit, dass er die Klägerin am 14. August 2007 und nach einer längeren Pause seit Juli 2011 behandelt habe bzw. behandle. Die in der Zwischenzeit durchgeführte Diagnostik habe die Diagnose eines adulten ADHS erhärtet. Aus nervenärztlicher Sicht sei nicht an der Rechtmäßigkeit des Wunsches der Klägerin, die Beklagte auf Übernahme der Ausbildungskosten für die letzte Ausbildung zur Arbeitserzieherin zu verklagen, zu zweifeln.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. November 2009 zu verurteilen, ihr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Der Senat hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 27. Juni 2011 mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Ihren wiederholten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat er mit Beschluss vom 19. März 2013 abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des LSG Baden-Württemberg L 10 R 3628/09 und L 12 AS 1110/09 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

1. Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung in der Sache entscheiden, da diese in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Die Entscheidung über die Aufhebung des Termins oder die Vertagung liegt im Ermessen des Vorsitzenden bzw. bei der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung des Gerichts. Bei der Behandlung des klägerischen Antrages auf Terminsverlegung hatte der Senat einerseits die zentrale Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch auf rechtliches Gehör zu berücksichtigen, insbesondere dass eine solche in erster Instanz wegen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht stattgefunden hatte (vgl. BSG, Beschluss vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 35/11 B -). Allerdings knüpft das Gesetz die Verlegung bzw. Vertagung zur Straffung des Verfahrens an "erhebliche Gründe" (§ 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die auf Verlangen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts glaubhaft zu machen sind (§ 227 Abs. 2 ZPO). Erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung lagen nicht vor. Die Klägerin hat gesundheitliche Gründe vorgebracht, ohne eine Verhandlungsunfähigkeit im eigentlichen Sinne zu behaupten. Vielmehr macht sie geltend: "Wegen meiner gesundheitlichen Unpässlichkeit (Fußgelenk, 3. Operation) wäre eine Terminsverschiebung sicherlich in Sachen Chancen- und Waffengleichheit hilfreich." Daraus kann nicht ansatzweise entnommen werden, dass es der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen unmöglich war, zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu erscheinen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sie ihren Antrag auf Terminsverlegung vom 18. März 2013, den der Senat -wie auch ihren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe - mit Beschluss vom 19. März 2013 (der Klägerin am 23. März 2013 zugestellt) abgelehnt hat, nicht mit gesundheitlichen Einschränkungen begründet hat, sondern im Hinblick auf die von ihr im Rahmen der Prozesskostenhilfe gewünschte Beiordnung eines Rechtsanwalts. Auch hat sie in diesem Antrag darauf hingewiesen, dass sie derzeit nicht unter ihrer Wohnschrift erreichbar sei, sondern sie ihre Mutter in Mosbach persönlich pflege und betreue, was mit gravierenden krankheitsbedingten Einschränkungen nicht in Einklang zu bringen sein dürfte. Weiterhin hat sie anlässlich ihrer telefonischen Vorsprache am 27. März 2013, sie könne zur mündlichen Verhandlung wegen einer Fußverletzung nicht kommen, die Einreichung eines ärztlichen Attestes in Aussicht gestellt, ein solches aber mit ihrem - erneuten - Terminsverlegungsantrag vom 27. März 2013 nicht vorgelegt. Dass die Klägerin aufgrund der Auswirkungen ihrer Erkrankung nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen konnte, ist unter diesen Umständen nicht schlüssig vorgetragen.

2. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§143 SGG) und zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes, den die Klägerin auf 17.000 Euro beziffert, 750 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und sie laufende Leistungen für die Ausbildung zur Arbeitstherapeutin, die sie bereits mehr als 1 Jahr absolvierte, begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

3. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der Rechtstreit S 4 R 3579/08 durch die Rücknahme der Klage vom 1. Juli 2010 erledigt worden ist. Die Klägerin, die zudem seinerzeit anwaltlich vertreten war, hat in Beisein ihres Rechtsanwalts die Klage im Erörterungstermin vor dem SG am 1. Juli 2010 wirksam zurückgenommen. Diese Prozesserklärung hat das SG in die Niederschrift aufgenommen und der Klägerin vorgespielt; diese hat die Klagerücknahme ausdrücklich genehmigt. Anhaltspunkte, die gegen eine Wirksamkeit dieser Prozesserklärung sprächen, liegen nicht vor. Insbesondere bestehen keine Hinweise auf eine fehlende Prozessfähigkeit der Klägerin, die entsprechend den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Geschäftsfähigkeit (vgl. § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 2 BGB) zu beurteilen ist (§ 71 Abs. 1 SGG). Es liegen - trotz der der Klägerin durch Dr. Kern bescheinigten psychischen Erkrankung (adulte ADHS) - keine Anhaltspunkte und erst recht keine Nachweise für eine dauerhafte oder zeitlich beschränkte Prozessunfähigkeit vor. Die wirksame Klagerücknahmeerklärung der Klägerin hat zur Folge, dass das Verfahren S 4 R 3579/08 erledigt ist. Gem. § 102 Abs. 1 S. 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs. 1 S. 2 SGG).

Die Klagerücknahme kann weder ausdrücklich noch sinngemäß angefochten bzw. widerrufen werden (allgemeine Meinung, vgl. nur BSG, Beschluss vom 4. November 2009 - B 14 AS 81/08 B -; Leitherer in Meyer- Ladewig, SGG, 10. Auflage 2012, § 102 Rdnr. 7c m.w.N.). Die Klagerücknahme stellt eine Prozesshandlung dar, die aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht angefochten werden kann. Damit ist unerheblich, dass die Klägerin möglicherweise wegen fehlender Rechtskenntnisse die Folgen der Rücknahme nicht kannte oder nicht überblickte. Nur in den engen Grenzen der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens ist ein Widerruf der Klagerücknahme denkbar (§§ 179, 180 SGG). Danach kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des 4. Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs. 1 SGG). Es fehlt hier an den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß der Vorschriften der Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO). Die Anfechtungsgründe sind abschließend aufgeführt. Es handelt sich im wesentlich um schwerste Verfahrensmängel bzw. um eine Entscheidung, die auf einer unrichtigen, insbesondere verfälschten Grundlage beruht, wie z. B. einer Urkundenfälschung oder einer strafbaren Urteilserschleichung. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Derartige Gründe liegen hier nicht vor und werden von der Klägerin nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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