L 3 U 55/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 U 5022/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 55/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erleidet ein (Nebenerwerbs-)Landwirt zum Abschluss der Obsternte bei allgemeinen Aufräumarbeiten einen Unfall mit tödlichem Ausgang, steht er auch dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ein kleiner Teil des Obstes zum Brennen von Schnaps verwendet worden ist.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Unfall des verstorbenen Ehegatten der Klägerin J. A. vom 24.10.2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Die Klägerin ist die Witwe des 1953 geborenen und 2010 verstorbenen J. A ... Der Ehemann der Klägerin war am 24.10.2009 gegen 12.40 Uhr 3 km von der Wohnung in M. in einem auf dem ca. 0,50 ha großen Obstbaumgrundstück befindlichen Holzschuppen mit einer schweren Kopfverletzung von seinem Sohn M. A. aufgefunden worden. Nachdem am Vortag durch die Familie eine komplette Aberntung der späten Obstsorten erfolgt war, verließ der Ehegatte der Klägerin am Unfalltag zwischen 7.00 Uhr und 7.30 Uhr morgens das Haus, um mit seinem PKW mit Anhänger nach M. zu fahren. Dort traf ihn die Klägerin gegen 9.30 Uhr beim Ausleeren eines Sackes mit Äpfeln an. An diesem Vormittag war er damit beschäftigt, aus Äpfeln Maische herzustellen. Die angebotene Hilfe der Klägerin nahm er nicht in Anspruch und kündigte an, bald fertig zu sein und nach Hause zu kommen, spätestens zum Mittagessen gegen 12.00 Uhr. Die Klägerin fuhr daraufhin wieder nach Hause in A-Stadt. Als ihr Ehemann mittags nicht nach Hause kam, versuchte sie ihn vergeblich gegen 12.15 Uhr oder 12.30 Uhr auf dem Handy zu erreichen. Der Sohn fand gegen 12.40 seinen Vater in dem Holzschuppen auf einer umgeklappten Aluleiter sitzend vor. Dem Sohn M. A. fielen sofort die blau verfärbten Augen seines Vaters und das Blut auf, welches sich auf der Jacke im Brustbereich befand. J. A. war ansprechbar, aber desorientiert. Der Sohn M. A. brachte J. A. nach Hause, von wo aus der Notarzt alarmiert wurde.

Die Ärzte im Behandlungszentrum V. diagnostizierten am gleichen Tag ein Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelbasisfraktur auf der linken Seite mittig, oberhalb des Ohres, subdurale Hämatome und mehrere Kontusionsherde, weshalb sie von einem Sturzgeschehen ausgingen (Aussage des Dr. S. vom 28.11.2009 gegenüber der Kriminalpolizei B-Stadt). Die Weiterbehandlung erfolgte seit dem 10.02.2010 in der Neurologischen Klinik Bad A., wo J. A. am 19.06.2010 verstarb. Auch eine einfache Kommunikation konnte mit ihm nicht mehr aufgebaut werden, so dass er keine Aussagen bezüglich des Unfallherganges mehr machen konnte. Der Bericht der Leichenbesichtigung vom 19.06.2010 bestätigte das Vorliegen einer "nicht natürlichen Todesart" ohne jeglichen Hinweis auf ein Fremdverschulden.

J. A. war bei der Beklagten gesetzliches Mitglied als landwirtschaftlicher Unternehmer (Nebenerwerbslandwirt) eines 5.000 qm großen Obstgartens mit ca. 500 Obstbäumen (Spalier- und Hochstammbäume, diverse Obstsorten) sowie Beerensträuchern in M ... Außerdem produzierte die Familie als Inhaberin einer Brennlizenz für 50 l Schnaps, der zum Teil auf Märkten verkauft wurde. Die Brennereianlage befand sich im Wohnhaus der Familie in A-Stadt. Hauptberuflich war J. A. als Kraftfahrer abhängig beschäftigt.

Nach den kriminalpolizeilichen Ermittlungen, welche noch am Unfalltag 24.10.2009 vor Ort durchgeführt worden waren, hatte J. A. die meisten der von ihm benutzten Sachen bereits gereinigt und wieder aufgeräumt. Der Dampfstrahler, mit dem er augenscheinlich den Obsthäcksler gereinigt hatte, wurde von seinem Sohn an der Stelle gefunden, wo er üblicherweise abgestellt worden war. Das Verlängerungskabel für den Obsthäcksler war auch schon aufgeräumt worden. Blutspuren fanden sich u.a. an der umgeklappten Aluleiter, an einer 2,60 m hohen Holzleiter, über die ein Lagerboden erreicht werden konnte, zu dem aber auch eine feste Holztreppe führte, sowie am Betonboden des Holzschuppens in M ...

Mit Bescheid vom 04.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 24.10.2009 als entschädigungspflichtigen Versicherungsfall und die Gewährung der gesetzlichen Leistungen, insbesondere einer Witwenrente, ab. Nach Würdigung aller Umstände dieses Falles könne der volle Beweis für das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit insoweit nicht als erbracht angesehen werden, als nur eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Obstaberntung vom Versicherungsschutz umfasst wäre. Der Sohn des Verstorbenen sei davon ausgegangen, dass aufgrund der vorgefundenen örtlichen Gegebenheiten davon auszugehen sei, dass sein Vater mit dem Maische machen fertig gewesen sei, da vor der Hütte zwei blaue Tonnen gefüllt mit Maische gestanden hätten. Die Mutmaßungen, sein Vater habe sich bereits auf dem Heimweg befunden, seien unzutreffend, da der Obsthäcksler, der üblicherweise in die Hütte verbracht worden sei, noch nicht aufgeräumt gewesen sei und der Schlüssel für den PKW in der Hütte an einem Nagel hängend aufgefunden worden sei, ebenso wie das Handy des Verstorbenen auf einem Regal neben der Treppe an der Westseite des Schuppens. Dass der Verstorbene die Holzleiter benutzt haben könnte, um von dem Lagerboden etwas herunter zu holen oder hinauf zu tragen, stehe auch nicht mit der erforderlichen Gewissheit fest. Wie der Sohn M. A. bei seiner Zeugeneinvernahme durch die Kriminalpolizei B-Stadt angegeben habe, habe sein Vater hierzu normalerweise die feste Holztreppe benützt. Letztendlich sei auch das Unfallereignis als solche nicht bewiesen. Aufgrund der Art der Verletzungen seien die behandelnden Ärzte zwar von einem Sturzereignis ausgegangen, die näheren Umstände seien jedoch nicht bekannt.

Mit Klage vom 25.03.2010 beim Sozialgericht München (SG) hat der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Witwenrente zu zahlen. Der Sohn M. A. habe angenommen, dass J. A. mit dem Maische machen fertig gewesen sei, da sich vor der Hütte zwei blaue Tonnen befunden hätten; er habe vormittags offensichtlich frisch eingemaischt. Daneben sei ein Obsthäcksler gestanden, den dieser augenscheinlich mit dem Dampfstrahler bereits gereinigt hatte. Den Dampfstrahler habe der Sohn M. A. aufgeräumt in der Hütte gefunden. Auch sonst seien die Sachen in der Hütte im Wesentlichen aufgeräumt gewesen, mit Ausnahme des Obsthäckslers. Der Traktor, der vor der Hütte gestanden sei, sei ebenfalls nicht in die Hütte gefahren gewesen, was normalerweise geschehen sei. Es sei somit davon auszugehen, dass der Verstorbene den Unfall erlitten habe, als er die Hütte seines Obstgartens aufgeräumt habe, um nach Hause zu fahren. Dies sei eine Tätigkeit, die sich nicht dem Schnapsbrennen zuordnen lasse, sondern vielmehr mit dem gesamten Betrieb des Obstgartens ursächlich zusammenhänge. Nachdem J. A. bei der Tätigkeit des Aufräumens der Obsthütte verletzt worden sei, sei dies eine Tätigkeit, die zur versicherten Tätigkeit gehöre.

Das SG hat die Unfallakten der Beklagten und die Unterlagen der Staatsanwaltschaft B-Stadt beigezogen mit dem Bericht der Leichenbesichtigung vom 19.06.2010 und der Lichtbildtafel der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt vom 24.10.2009. Nach dieser Fotodokumentation hat am Unfalltag in der Zufahrt zur Hütte in M. auf der Südseite ein PKW mit Anhänger gestanden, dessen Heckklappe offen gewesen ist. Außerdem hat der Traktor noch vor dem Tor der Hütte gestanden, ebenso drei weitere große Obstkisten, davon eine sichtbar gefüllt mit Äpfeln. Zwei blaue Tonnen mit Maische haben sich auf der Westseite der Hütte aufgeräumt befunden. Vorgerückt, d.h. außerhalb des Traufbereiches, hat der Obsthäcksler gestanden. Der Blick von der Einfahrt in den Schuppen hat linksseitig die an der Westseite angelehnte Leiter erkennen lassen, die auf den Zwischenboden hinaufgeführt hat. In deren Nähe auf dem Betonboden ist ein Blutfleck von ca. 20 cm Durchmesser gewesen. Etwa 30 bis 40 cm hinter der Holzleiter hat sich eine ca. 50 cm hohe umgeklappte Aluleiter (Tritthilfe) befunden, an der sich ebenfalls Blut und vermutlich Erbrochenes befunden hat. Unter der Tritthilfe ist ein umgestürzter Eimer gewesen.

Weiterhin haben sich Blutanhaftungen an der Holzleiter zwischen der dritten und der siebten Sprosse am rechten Holm gefunden, die zu dem Zwischenboden geführt hat. Rechts daneben in Höhe des Zwischenbodens ist auch ein herabhängender Sack zu erkennen, der wie die übrigen bereits aufgeräumten Säcke auf dem Zwischenboden dem Transport der Äpfel gedient hatte. Des Weiteren haben sich diverse Gegenstände auf der Westseite des Zwischenbodens (= Dachbodens) gefunden, z.B. gestapelte leere Eimer und leere Flaschenkisten. Das Handy des Verstorbenen ist in einem Regal an der Westseite des Schuppens gefunden worden (Ende der Fotodokumentation).

Das SG hat den Sohn M. A. als Zeugen einvernommen. Dieser hat erklärt, dass er am 24.10.2009 gegen 12.45 Uhr zum Grundstück in M. gefahren sei, nachdem sein Vater nicht wie vereinbart gegen 12.00 Uhr zum Essen gekommen sei. In der Hütte habe er ihn auf der Aluleiter sitzend vorgefunden, die Augen seien angeschwollen gewesen, auf Ansprache habe er nicht mehr richtig reagiert. Er habe seinen Vater dann mit dem Auto nach Hause gefahren und die Rettungsleitstelle informiert. Als er zur Hütte gekommen ist, sei alles schon aufgeräumt gewesen bis auf den Häcksler, der nur noch mit einem Hubwagen in die Hütte hineingebracht werden hätte müssen, sei alles aufgeräumt gewesen. Er sei bereits gereinigt gewesen. Die Hütte kenne er recht gut, da er öfters mitgeholfen habe.

Die Klägerin hat erklärt, das "schöne Obst" sei zum Verzehr aussortiert worden, dies sei schon beim Pflücken ordentlich in die Kisten gelegt worden, das übrige Obst sei weiter verarbeitet worden, entweder zu Schnaps oder zu Apfelsaft, Apfelmost und Apfelessig. Sie habe am 23.10.2009 bei der Ernte den ganzen Tag mitgeholfen. Es sei der letzte Tag der Ernte gewesen, am 24.10.2009 sei sie gegen 9.30 Uhr an der Hütte gewesen. J. A. habe gesagt, dass er noch alles zusammenräume und dann nach Hause kommen werde. Am 23.10.2009 nach der Ernte seien noch Äpfel in den Elevator für die Obstpresse eingefüllt worden. Die leeren Säcke seien alle zusammen vorläufig in eine blaue Tonne gelegt worden. Diese Säcke würden ganz zum Schluss ordentlich zusammengelegt, dies sei aber an dem 23.10.2009 nicht mehr gemacht worden. Wenn die Säcke nicht mehr benötigt wurden, seien sie auf den Lagerboden links oben in der Hütte gelegt worden. Bei den Säcken auf Bild 13 der Gerichtsakte handele es sich um solche Säcke, in denen das Obst transportiert werde.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 14.12.2011 verurteilt, unter Aufhebung des Bescheids vom 04.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2011 den Unfall des Herrn J. A. als Arbeitsunfall anzuerkennen. Aufgrund der glaubwürdigen Angaben der Klägerin und des Sohnes M. A. als Zeugen und insbesondere auch unter Auswertung der Lichtbildaufnahmen vom Unfallort sei gesichert, dass J. A. beim Aufräumen leerer Obstsäcke verunfallt sei. Der Verstorbene habe sich noch nicht auf dem Heimweg befunden, da der Obsthäcksler und außerdem der vor der Hütte abgestellte Traktor noch in die Hütte hätten gefahren werden müssen. Zudem habe sich noch das Handy des Verstorbenen und sein PKW-Schlüssel in der Hütte befunden. Weiterhin sei das SG auch davon überzeugt, dass J. A. beim Aufräumen leerer Obstsäcke von der Leiter gestürzt sei. Zum einen seien auf den vom Unfallort am 24.10.2009 um 14.50 Uhr, also etwa zwei Stunden nach dem Auffinden des Verunfallten, angefertigten Lichtbildern weder im Innenbereich noch im Außenbereich leere Obstsäcke zu sehen, außer an der Stelle auf dem Lagerboden in der Hütte auf der linken Seite, an der die leeren Säcke nach Aussage der Klägerin üblicherweise aufbewahrt würden. Dort sei ein Stoß leerer Säcke zu sehen. Da die Klägerin ausgesagt habe, dass ihr Mann, als sie ihn am Vormittag gegen 9.30 Uhr besucht habe, gerade einen Sack Obst leerte, müsste zumindest dieser Sack noch herumliegen, wenn er nicht aufgeräumt worden wäre. Des Weiteren lasse sich aus den Lichtbildern ersehen, dass zumindest der oberste leere Sack von dem Lagerboden zu mindestens einem Drittel herunterhänge und nicht ordentlich aufgeräumt sei. Die Holzleiter, die nach den Feststellungen der Beklagten beim Ortstermin am 22.11.2009 an der Auflagestelle nicht befestigt war, befand sich genau an der Stelle, an der die leeren Säcke aufbewahrt werden. An dieser Holzleiter waren an mehreren Stellen Blutspuren und auch in der Nähe der Holzleiter auf dem Betonboden ein großer Blutfleck. Nach Aussage des behandelnden Arztes Dr. S. am 28.11.2009 gegenüber der Kriminalpolizei B-Stadt spreche das Verletzungsmuster für ein Sturzgeschehen. Die Kopfverletzung bei J. A. auf der linken Seite oberhalb des Ohres und die Blutungen im Hirn lassen auf ein Sturzgeschehen schließen. Diese Umstände lassen erkennen, dass der Verstorbene beim Aufräumen von leeren Obstsäcken von der Holzleiter gestürzt ist. Der Einwand der Beklagten, dass der Verstorbene nach Aussage seines Sohnes M. A. gegenüber der Kriminalpolizei üblicherweise die feste Holztreppe benutze, greife nicht durch, da dies nicht ausschließe, dass der Verstorbene ausnahmsweise am 24.10.2009 eben nicht die Holztreppe, sondern die Holzleiter benutzt habe. Beim Aufräumen der leeren Obstsäcke habe es sich um eine bei der Beklagten versicherte Tätigkeit gehandelt, da die Obstsäcke zum Transport von Obst, das zur Verarbeitung zu Apfelsaft, Apfelmost, Apfelessig und zu Schnaps vorgesehen gewesen sei, genutzt worden seien. Denn auch bei gemischten Tätigkeiten sei die Abgrenzung des versicherten Bereiches vom unversicherten Bereich anhand der Handlungstendenz vorzunehmen. Sowohl das Vorsortieren der Äpfel als auch das Aufräumen der Obstsäcke hätten auch dann von dem Verstorbenen vorgenommen werden müssen, wenn er das Obst nicht auch zum Schnapsbrennen verwandt hätte, da das Obst sonst nach dem Ernten in einem gesonderten Arbeitsgang hätte aussortiert werden müssen, was einen doppelten Aufwand bedeutet hätte. Weiterhin sei J. A. im Zeitpunkt des Unfalles mit der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit - dem Einmaischen von Obst für die Schnapserstellung - bereits fertig gewesen und habe die leeren Obstsäcke aufgeräumt, die sowohl für die betriebliche als auch die eigenwirtschaftliche Tätigkeit benutzt worden seien. Damit sei ein Unfall (Sturz von der Holzleiter) infolge der versicherten Tätigkeit (Aufräumen leerer Obstsäcke) nachgewiesen, durch den er sich schwerste Kopfverletzungen, unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, ein akutes subdurales Hämatom links, eine temporale Kalottenfraktur links, eine temporale Kontusionsblutung links und mehrere Kontusionsblutungsherde rechts zugezogen habe.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit Berufung vom 06.02.2012 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) und beantragt, das Urteil vom 14.12.2011 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 04.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2011 abzuweisen. Der Verstorbene sei am Unfalltag ausschließlich damit beschäftigt gewesen, aus Äpfeln Maische, aus der später Schnaps entstehen sollte, herzustellen. Obst für die Weiterverarbeitung zu Apfelsaft, Apfelmost oder Apfelessig sei am Unfalltag nicht gepresst worden. Die Verrichtung einer der ausschließlich der unversicherten Schnapsbrennerei dienenden Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt könne daher nicht ausgeschlossen werden. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles könne somit der volle Beweis für das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit im Unfallzeitpunkt nicht als erbracht angesehen werden. Denn sowohl eine versicherte als auch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit sei im gleichen Maße möglich.

In der mündlichen Verhandlung vom 29.01.2013 stellt die Bevollmächtigte der Beklagten den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.12.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Unterlagen der Staatsanwaltschaft B-Stadt Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat mit Urteil vom 14.12.2011 zutreffend ausgesprochen, dass der Unfall des verstorbenen Ehegatten der Klägerin vom 24.10.2009 als Arbeitsunfall gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 5a, 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) anzuerkennen ist.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (Bundessozialgericht - BSG - mit Urteil vom 07.12.2004 - B 2 U 47/03 R - mit weiteren Nachweisen; SozR 4-2700 § 8 Nr. 11; NZS 2005, 657 ff.).

Hiervon ausgehend steht nach Würdigung der beigezogenen Akten, insbesondere der Unterlagen der Staatsanwaltschaft B-Stadt und der dort befindlichen Lichtbildtafel vom 24.10.2009, zur Überzeugung des Senats fest, dass J. A. bei dem Aufräumen von Obstsäcken von der Holzleiter gestürzt ist und sich hierbei die schweren Kopfverletzungen zugezogen hat, die letztendlich zu seinem Tod am 19.06.2010 geführt haben. Auch wenn der genaue Hergang des Unfalls sich nicht mehr aufklären lässt, ist jedoch durch die glaubwürdigen Angaben des Zeugen, der Klägerin und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft B-Stadt belegt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallgeschehen besteht.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 12.05.2009, SozR 4-2700 § 8 Nr. 33) stehen auch typische Vor- und Nachbereitungshandlungen gemäß § 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) kraft Gesetzes unter Versicherungsschutz, wenn sie - wie hier - in einem besonders engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Im vorliegenden Fall hat J. A. beim Verwahren von Arbeitsgeräte (Säcke, Maschinen) nach Abschluss der Ernte und des Einmaischens den Unfall erlitten (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII; siehe auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Rn. 30 m.w.N.; Schmitt, SGB VII, § 8 Rn. 292, 294, 304).

Verunglückt ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte (BSG vom 31.01.2012, NZS 2012, 513 ff; BSG vom 04.09.2007, USK 2007-102; BSG vom 26.10.2004, BSGE 93, 279 ff).

Die vorliegenden Umstände belegen den engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang der Aufräumarbeiten mit der versicherten Tätigkeit und schließen eine eigenwirtschaftliche Verrichtung aus. Das der Herstellung von Schnaps dienende Einmaischen - wenn hier überhaupt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit liegt, da der Schnaps auch verkauft wurde - war beendet und J. A. hatte, nachdem die Apfelernte vom Vortag beendet wurde, die Geräte und Arbeitsmittel aufgeräumt, als der Unfall geschah.

Es steht fest, dass nicht nur der PKW mit dem Hänger bei geöffneter Heckklappe auf der Südseite der Hütte in M. gestanden hat, sondern auch vor dem Tor der Hütte der dort abgestellte Traktor. Dies belegt ebenso wie das im Regal an der Westseite des Schuppens befindliche Handy und die im Schuppen befindlichen PKW-Schlüssel, dass sich Johan A. noch nicht auf dem Heimweg von M. nach A-Stadt befunden hat.

Andererseits sind bereits die wesentlichen Aufräumarbeiten getätigt worden. Insbesondere haben sich an der Westseite der Hütte zwei verschlossene blaue Tonnen mit Maische aufgeräumt befunden. Auch der Dampfstrahler, mit dem der Obsthäcksler bereits gereinigt worden ist, war an dem dafür vorgesehenen Platz in der Hütte an einem schrägen Balken aufgehängt. Ein Stapel von Säcken, die dem Transport der Äpfel dienten, war rechtsseitig neben der Holzleiter auf dem Dach- oder Zwischenboden der Hütte gestapelt; davon hing einer der Säcke rechts neben der Holzleiter etwa zu einem guten Drittel bzw. knapp zur Hälfte herunter. Dies belegt, dass sich der Verunfallte bei Aufräumarbeiten befunden hat, als er von der Holzleiter gestürzt ist.

Auch das Sturzereignis als solches ist zweifelsfrei nachgewiesen. Dies ergibt sich aus den Blutanhaftungen an der Leiter zwischen der dritten und der siebten Sprosse am rechten Holm und dem ca. 20 cm durchmessenden Blutfleck auf dem Betonboden sowie den weiteren Blutanhaftungen an der Aluleiter und Flecken vermutlich von Erbrochenem in unmittelbarer Nähe der Holzleiter. Weiterhin hat der behandelnde Arzt des Verstorbenen Dr. S. am 28.11.2009 gegenüber der Kriminalpolizei B-Stadt das Vorliegen eines Sturzgeschehens aufgrund des Verletzungsmusters bestätigt. Bei der Kopfverletzung auf der linken Seite oberhalb des Ohres etwa mittig sind Blutungen im Hirn entstanden. Im Hirnbereich hat sich eine Kontusionsblutung befunden, was auf die Sturzgeschehen schließen lässt. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Hütte mit einem Betonboden ausgekleidet gewesen ist, der den Sturz nicht abgemildert hat. Die Schwere des Sturzes belegt auch die Schädelbasisfraktur (vgl. Befragung des Dr. S. vom 28.10.2009). Der Bericht der Leichenbesichtigung vom 19.06.2010 hat ergeben, dass der Verunfallte an einem "nicht natürlichen Tod" ohne Fremdeinwirkung verstorben ist, letztendlich also an den Folgen des Unfalles vom 24.10.2009.

Der Sturz von der Holzleiter bei dem Aufräumen leerer Obstsäcke ist nach der o.g. Rechtsprechung des BSG dem versicherten Bereich zuzurechnen. Der Senat verkennt nicht, dass die Obstsäcke sowohl zum Transport von Obst, das zur Verarbeitung zu Apfelsaft, Apfelmost und Apfelessig vorgesehen war, als auch von Obst, das zur Verarbeitung von Schnaps, falls hier eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit angenommen wird, vorgesehen war, genutzt worden sind. Bei gemischten Tätigkeiten ist die Abgrenzung des versicherten Bereiches vom unversicherten Bereich anhand der Handlungstendenz vorzunehmen. Versicherungsschutz besteht, wenn die Verrichtung im Einzelfall betrieblichen Zwecken wesentlich zu dienen bestimmt war. Sie braucht betrieblichen Zwecken hingegen nicht überwiegend zu dienen bestimmt gewesen zu sein. Die Abgrenzung ist danach vorzunehmen, ob der Versicherte die Verrichtung auch dann vorgenommen hätte, wenn der private Zweck weggefallen wäre (BSG mit Urteil vom 05.05.1994 - 2 RU 26/93 - in SozR 3-2200 § 548 Nr. 19; BSG mit Urteil vom 01.07.1997 - 2 RU 36/96 - in SozR 3-2200 § 548 Nr. 32; BSG mit Urteil vom 12.05.2009 - B 2 U 12/08 R - in SozR 4 § 8 Nr. 33; G. Wagner in Juris PK-SGB VII § 8 Rz. 42 ff.).

Der Arbeitsablauf, der von dem Zeugen M. A. sowie der Klägerin selbst übereinstimmend und überzeugend beschrieben worden ist, beinhaltet, dass bereits beim Ernten verschiedene Obstsorten in verschiedene Säcke und Tonnen gefüllt werden bzw. gefüllt worden sind. Diese Vorsortierung hätte der Verstorbene auch dann vorgenommen, wenn er das Obst nicht auch zum Schnaps brennen verwandt hätte, da das Obst sonst nach dem Ernten in einem gesonderten Arbeitsgang hätte sortiert werden müssen, was einen doppelten Aufwand bedeutet hätte. Außerdem hätten die Obstsäcke auch dann auf den Dach- bzw. Zwischenboden aufgeräumt werden müssen, wenn nicht ein kleiner Teil der Äpfel dem Schnaps brennen gedient hätte.

Die Behauptung der Beklagten, dass der Verstorbene am Unfalltag möglicherweise ausschließlich der unversicherten Schnapsbrennerei dienende Tätigkeiten ausgeführt hat, wird durch die Lichtbildtafel vom 24.10.2009 widerlegt. Denn auf Bild 2 der genannten Lichtbildtafel sind nicht nur der vor dem Tor der Hütte abgestellte Traktor zu sehen, sondern auch drei weitere große Obstkisten, von denen eine mit Obst gefüllt ist. Diese dritte, im Freien stehende gefüllte Obstkiste ist zum alsbaldigen Abtransport hergerichtet, möglicherweise mittels des an den PKW angekuppelten Anhängers, dessen Heckklappe geöffnet war. Dies rundet das Bild dahingehend ab, dass sich J. A. bei allgemeinen, dem versicherten Bereich zuzurechnenden Aufräumarbeiten befunden hat und nicht dem eigenwirtschaftlichen unversicherten Bereich des Schnapsbrennens.

Die Beklagte kann sich somit auch nicht zu Recht auf die Entscheidung des BSG (Urteil vom 31.01.2012 a.a.O.) stützen. Auch wenn nicht alle Details des Geschehens vom 24.01.2009 geklärt sind, steht jedoch der wesentliche entscheidungserhebliche Sachverhalt fest: Sturz von der Holzleiter bei allgemeinen Aufräumarbeiten zum Abschluss der Obsternte. Eine Unterbrechung der Arbeitstätigkeit wegen einer persönlichen Verrichtung oder auch einem persönlichen Beweggrund ist auch nicht erkennbar (Bundessozialgericht, Urteil vom 04.09.2007 a.a.O.).

Nach alledem ist die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 14.12.2011 zurückzuweisen, ohne dass es einer nochmaligen Zeugeneinvernahme des Sohnes M. A. bedurft hätte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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