Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 9 P 23/08 WA
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 25/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 2/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Aus Normtext, Gesetzeshistorie, systematischer Stellung des § 86 SGB XI im Bereich des Leistungserbringungsrechts der stationären Pflege sowie aus der Funktion und dem Zweck einer Pflegesatzkommission ist herzuleiten, dass deren Errichtung nicht in das Belieben der in § 86 Abs. 1 SGB XI aufgeführten Beteiligten gestellt ist. Maßgebliches Strukturprinzip der Norm ist, dass sie zum Einen eine Vereinfachung des Pflegesatzbestimmungsverfahrens durch kollektive Pflegesatzvereinbarungen, die an die Stelle der individuellen Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 treten, ermöglicht bzw. durch verbindliche Verfahrens- und Festlegungsgrundsätze erleichtert. Zum Anderen stellt § 86 SGB XI ein auch verfassungsrechtlich gebotenes Gegengewicht zu der eher sozialträgerfreundlichen Struktur des Verfahrens der Individualvergütungsvereinbarung dar. Er stärkt die Verhandlungsmacht der einzelnen Pflegeeinrichtungen, die im Rahmen der Pflegesatzkommission als Kollektiv agieren können.
2. Die in § 86 Abs. 1 SGB XI aufgeführten Beteiligten trifft die Rechtspflicht, an dem Akt der Konstituierung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Deshalb ist die Einnahme einer Haltung der Totalverweigerung rechtswidrig.
3. Die Rechtspflicht zur Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission entfällt auch nicht deswegen, weil § 86 SGB XI – anders als jüngst in das SGB XI aufgenommene Normen, z.B. § 92c SGB XI - keinen Konfliktlösungsmechanismus für den Fall der Nichteinigung der Beteiligten vorsieht.
2. Die in § 86 Abs. 1 SGB XI aufgeführten Beteiligten trifft die Rechtspflicht, an dem Akt der Konstituierung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Deshalb ist die Einnahme einer Haltung der Totalverweigerung rechtswidrig.
3. Die Rechtspflicht zur Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission entfällt auch nicht deswegen, weil § 86 SGB XI – anders als jüngst in das SGB XI aufgenommene Normen, z.B. § 92c SGB XI - keinen Konfliktlösungsmechanismus für den Fall der Nichteinigung der Beteiligten vorsieht.
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juni 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Juli 2010 aufgehoben und die Beklagten werden verpflichtet, an der Bildung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI mitzuwirken.
Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens beider Instanzen gesamtschuldnerisch zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Verurteilung der Beklagten dazu, an der Bildung einer landesweit tätigen Pflegesatzkommission gemäß § 86 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) mitzuwirken.
Bei den Klägern zu 1. bis 14. handelt es sich um Leistungserbringer-Organisationen aus dem Bereich der stationären Pflege. Sie betreiben Pflegeheime, in denen überwiegend in der sozialen Pflegeversicherung versicherte Heimbewohner untergebracht sind, zu denen teilweise auch Personen gehören, die nach den §§ 61 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) Leistungen in Form der Hilfe zur Pflege beziehen. Insoweit ist der Landeswohlfahrtsverband Hessen betroffen, der als Beklagter zu 3. Beteiligter ist. Bei den übrigen Beklagten handelt es sich um die Kostenträger-Vereinigungen nach dem SGB XI, die als Verbände der Pflegekassen in Hessen bzw. als eigenständige Pflegekassen sowie als Verband der privaten Krankenversicherung e.V. auftreten. Beigeladen ist das Land Hessen, vertreten durch das Hessische Sozialministerium im Hinblick auf seine Aufsichtsfunktion.
§ 85 SGB XI bestimmt, dass Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze individuell zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den Pflegkassen oder sonstigen Sozialversicherungsträgern, den für die Bewohner des Pflegeheimes zuständigen Trägern der Sozialhilfe sowie den Arbeitsgemeinschaften der vorgenannten Träger für jedes Pflegeheim gesondert zu vereinbaren sind. Für den Fall, dass eine Pflegesatzvereinbarung innerhalb von 6 Wochen nicht zustande kommt nachdem eine Vertragspartei schriftlich zu Pflegesatzvereinbarungen aufgefordert hat, sieht § 85 Abs. 5 SGB XI vor, dass die nach § 76 SGB XI gebildete Schiedsstelle auf Antrag einer Vertragspartei die Pflegesätze unverzüglich festsetzt. § 75 SGB XI gibt vor, dass Kollektiv-Rahmenverträge für jedes Bundesland mit von Abs. 2 dieser Norm vorgegebenen Mindestinhalten zwischen den in Abs. 1 aufgeführten Beteiligten (unter anderem den Landesverbänden der Pflegekassen und den Vereinigungen der Träger der stationären Pflegeeinrichtungen im Land) abzuschließen sind. Solche Rahmenverträge sind für die Pflegkassen und die zugelassenen Pflegeinrichtungen im Inland unmittelbar verbindlich (§75 Abs. 1 letzter Satz SGB XI). Diese Rahmenverträge können im Nichteinigungsfall von der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI festgesetzt werden.
§ 86 Abs. 1 SGB XI, der mit Wirkung zum 01.01.1995 durch Art. 1 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) geschaffen wurde, lautet wie folgt: (1) Die Landesverbände der Pflegekassen, der Verband der privaten Krankenversicherung e.V., die überörtlichen oder ein nach Landesrecht bestimmter Träger der Sozialhilfe und die Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land bilden regional oder landesweit tätige Pflegesatzkommissionen, die anstelle der Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 die Pflegesätze mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger vereinbaren können. § 85 Abs. 3 bis 7 gilt entsprechend.
Durch das 1. SGB XI ÄndG vom 14.06.1996 (BGBl. I S. 830) erhielt Abs. 2 mit Wirkung vom 25.06.1995 die folgende Fassung:
(2) Für Pflegeheime, die in derselben kreisfreien Gemeinde oder in demselben Landkreis liegen, kann die Pflegesatzkommission mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger für die gleichen Leistungen einheitliche Pflegesätze vereinbaren. Die beteiligten Pflegeheime sind befugt, ihre Leistungen unterhalb der nach Satz 1 vereinbarten Pflegesätze anzubieten.
Absatz 3 des § 86 Abs. 3 SGB XI gibt vor:
(3) Die Pflegesatzkommission oder die Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 können auch Rahmenvereinbarungen abschließen, die insbesondere ihre Rechte und Pflichten, die Vorbereitung, den Beginn und das Verfahren der Pflegesatzverhandlungen sowie Art, Umfang und Zeitpunkt der vom Pflegeheim vorzulegenden Leistungsnachweise und sonstigen Verhandlungsunterlagen näher bestimmen. Satz 1 gilt nicht, soweit für das Pflegeheim verbindliche Regelungen nach § 75 getroffen worden sind.
In Hessen wurde bis heute keine Pflegesatzkommission eingerichtet. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen deswegen hat das Hessische Sozialministerium nicht eingeleitet. Das beigeladene Land hat in seinem im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.05.2011 unter Hinweis auf eine Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Schönhut-Keil vom 25.06.2002 (Landtagsdrucksache 15/4077) hierzu folgendes ausgeführt: Die Landesregierung halte die Einrichtung einer Pflegesatzkommission zwar für gesetzlich vorgegeben aber aus fachlichen Gründen nicht für notwendig. Eine durchgeführte Länderumfrage mit Stand 13.05.2011 habe ergeben dass nur in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen eine landesweit tätige Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI eingeführt worden sei.
In Hessen existiert eine Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen mit der die Möglichkeit geschaffen wurde, Angelegenheiten in der Pflege von landesweiter Bedeutung in einem gemeinsamen Gremium zu beraten. Ihr gehören die Landesverbände der Pflegkassen, die Verbände der Sozialhilfeträger in Hessen sowie die Verbände der Liga der Freien Wohlfahrtpflege und die Verbände der privatgewerblichen Einrichtungsträger an. Nach § 3 Abs. 1 der Geschäftsordnung berät diese Arbeitsgemeinschaft alle Angelegenheiten der stationären Pflege, die landesweit von Bedeutung sind. In Abs. 3 dieser Regelung heißt es: "(3) Die Arbeitsgemeinschaft hat nicht die Rechte und Pflichten einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI. Die Arbeitsgemeinschaft schließt keine Verträge nach dem SGB XI für die Vertragsparteien nach den §§ 85, 86, 87 und 89 SGB XI. Insbesondere die entsprechenden rechtsverbindlichen Vertragsabschlüsse für die Entgelte für den pflegerischen Aufwand, Unterkunft und Verpflegung, Zusatzleistung und Investitionskosten bleiben ausschließlich den örtlichen Vertragsparteien vorbehalten." Diese Arbeitsgemeinschaft hat bislang Beschlüsse gefasst, in denen Regelungen z.B. für Heimentgelte für Härtefälle, Erstattungssätze bei PEG-Sondeneinsatz, Erstattung von Inkontinenz-Aufwendungen durch Krankenkassen, Prozentsätze für die pauschale Anhebung der Pflegesätze getroffen wurden, die im Rahmen der individuellen Pflegesatzvereinbarungen mit den Heimträgern bzw. den Schiedssprüchen Berücksichtigung fanden.
Mit Schreiben vom 18.03.2002 hatte die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände das Hessische Sozialministerium ersucht, die Konstituierung einer Pflegesatzkommission zu moderieren, was dieses mit Schreiben vom 22.04.2002 abgelehnt hatte. Auf die Einladung der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände in Hessen zur Teilnahme an einem Kostituierungstermin am 11.06.2002 im Haus der XY. Frankfurt am Main hatten die Verbände der Pflegekassen mit Schreiben vom 05.06.2002, der Landeswohlfahrtsverband Hessen mit Schreiben vom 06.06.2002 und der Hessische Städtetag mit Schreiben vom 26.03.2002 ablehnend reagiert. Zu der für den 11.06.2002 anberaumten konstituierenden Sitzung waren die Beklagten nicht erschienen.
Die Kläger erhoben am 07.01.2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (zunächst geführt unter dem Az.: S 9 P 37/03) mit dem Antrag, die Beklagten zur verurteilen, in die Bildung einer landesweit tätigen Pflegesatzkommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI einzuwilligen, hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an der Bildung einer landesweiten Pflegekommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mitzuwirken. Sie trugen vor, die Beklagten seien gemäß § 86 SGB XI verpflichtet, zusammen mit den Klägern eine Pflegesatzkommission zu errichten. Die in Hessen bestehende Arbeitsgemeinschaft stationäre Pflege ersetze die Pflegesatzkommission nicht. Die dort Mitwirkenden könnten keine Vergütungsvereinbarungen treffen. Verhandlungen über die Vergütung würden ausschließlich mit den örtlichen Vertragsparteien geführt. Dies sei zu zeitraubend. Bei einer Zusammenarbeit im Rahmen einer Pflegesatzkommission könnte im Falle einer Nichteinigung durch die Schiedsstelle unverzüglich eine Regelung herbeigeführt werden. Die Beklagtenseite als Nachfragekartell könnte dadurch zu einem kooperativeren Verhalten veranlasst werden. Vereinbarungen gemäß § 75 SGB XI schlössen Vereinbarungen einer Pflegesatzkommission nicht aus, da im Rahmen dieser Vorschrift vorrangig Fragen der pflegerischen Versorgung geregelt würden, durch § 86 SGB XI aber die Frage der Bemessung der Vergütung betroffen sei.
In ihrer Klageerwiderung wiesen die Beklagten darauf hin, § 86 SGB XI sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Vorrang habe die individuelle Vergütungsvereinbarung. Eine Pflicht im Rahmen einer Pflegesatzkommission mitzuwirken, bestehe nicht. Im Übrigen seien die Sozialhilfeträger in diesem Gremium unterrepräsentiert, obwohl sie die Hauptlast der Pflegeaufwendungen trügen. Allein im Jahre 2001 seien das 224 Millionen EUR gewesen. Auch bei der derzeit praktizierten Art der Zusammenarbeit stehe der Klägerseite die Schiedsstelle gemäß § 85 Abs. 5 SGB XI immer offen. Zwar böten kollektive Vereinbarungen in der Theorie den Vorteil der Vereinfachung. In der konkreten Praxis könnte aber bei den in Hessen vorliegenden großen regionalen Unterschieden hinsichtlich der Gegebenheiten der stationären Einrichtungen kaum ein gemeinsamer Nenner für kollektive Vereinbarungen gefunden werden.
Ein von gerichtlicher Seite vorgeschlagenes Mediationsverfahren kam nicht zustande. Am 13.08.2008 fand eine Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege statt. Darin hatte der Justitiar der Diakonie Hessen-Waldeck einen Entwurf einer Geschäftsordnung für eine zur Pflegesatzkommission erweiterte "Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege" vorgelegt (Bl. 87 ff Gerichtsakte L 8 P 25/09). Ein Einvernehmen zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern und den Verbänden der Pflegeeinrichtungen über die Einrichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI kam wiederum nicht zustande. Hierauf wurde das ruhend gestellte Klageverfahren wieder aufgerufen und unter dem Az. S 9 P 23/08 WA fortgeführt.
Mit nach mündlicher Verhandlung ergangenem Urteil vom 04.06.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage sei unzulässig. Ein Rechtschutzbedürfnis sei nicht gegeben. Denn die Kläger befänden sich bereits in der Rechtsposition, die sie einklagten. Das folge aus § 86 Abs. 1 S. 1 SGB XI. Nach dieser Vorschrift bildeten die Landesverbände der Pflegekassen, der Verband der privaten Krankenversicherung, die überörtlichen oder ein nach Landesrecht bestimmter Träger der Sozialhilfe und die Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land regional oder landesweit tätige Pflegesatzkommissionen, die an Stelle der Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 SGB XI die Pflegesätze mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger vereinbaren könnten. Bei wörtlicher Auslegung dieser Vorschrift ergäbe sich, dass das Gremium der jeweiligen Pflegesatzkommissionen mit den dort aufgeführten Rechtspersonen bereits bestehe. Die einzelnen Rechtspersonen seien Teile dieser Kommissionen. Sie "bildeten" sie bereits. Mit dieser Vorschrift sei also die Mitgliedschaft dieser Rechtspersonen im Gremium der Pflegekommissionen beschrieben, die kraft Gesetzes vorliege. Das heiße aber auch, dass dieses Gremium jederzeit tagen und verhandeln könne, sofern dies alle Beteiligten wollten. Aber auch wenn man diese Vorschrift mit der herrschenden Meinung in der Literatur (Hinweis auf Hauck/ Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch XI § 86 Rn. 7 ff) in der Weise auszulegen habe, dass mit den Gesetzesworten " Pflegesatzkommissionen " ... " bilden" für die in der Vorschrift aufgeführten Rechtspersonen ein aktives Tun im Sinne einer Errichtung und Institutionalisierung (Geschäftsstelle, Zahl der Vertreter etc.) gemeint sei, so wäre die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Denn es fehle hierfür der erforderliche Konsens mit der Beklagtenseite (Hauck/ Noftz a.a.O.). Der Beklagtenseite sei es ausdrücklich erlaubt, an Verhandlungen von Pflegesatzkommissionen (- unabhängig davon, ob sie bereits bestünden oder ob eine Errichtung für ihr Bestehen Voraussetzung wäre -) nicht mitzuwirken. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung könne die Klage nicht durchdringen. Daran schließt sich ein Passus an, wonach das Gericht den Beteiligten vorgeschlagen hat, sofern sie keine Verhandlungsstruktur in Anlehnung an eine in Bayern und Schleswig-Holstein vereinbarte Geschäftsordnung der Pflegesatzkommission vereinbaren wollten, die der Arbeitsgemeinschaft stationäre Pflege in Hessen zu Grunde liegende Geschäftsordnung im Konsensprinzip fortzuentwickeln.
Gegen das ihnen am 15.09.2009 zugestellte Urteil haben die Kläger am 14.10.2009 Berufung eingelegt. Auf den Hinweis der Klägerseite, die Namen der an dem Urteil beteiligten ehrenamtlichen Richter stimmten nicht mit denen in der Sitzungsniederschrift vom 04.06.2009 aufgeführten Namen überein, berichtigte das Sozialgericht sein Urteil mit Beschluss vom 13.07.2010 hinsichtlich der Namen der ehrenamtlichen Richter. Die Beteiligten haben Ihr Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt und vertieft.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 04.06.2009 in der Fassung der Berichtigung vom 13.07.2010 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen an der Bildung einer landesweiten Pflegekommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mitzuwirken.
Die Beklagten zu 1. und 3. beantragen,
die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2. stellt keinen Antrag.
Das beigeladene Land stellt keinen Antrag.
Der Senat hat durch den Berichterstatter am 08.03.2012 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 04.06.2009 zu Unrecht die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission kann im Wege der (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) geltend gemacht werden. Eine ebenfalls denkbare allgemeine Feststellungsklage nach § 55 SGG ist demgegenüber subsidär.
Die Klägerseite hat ihren Klageantrag zutreffend darauf beschränkt, die Beklagten zu verpflichten, an der Errichtung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Eine Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages über die Bildung einer Pflegesatzkommission nach den von den Klägern vorgelegten Entwürfen wäre nicht möglich gewesen. Ebenso war es nicht möglich, die Beklagten konkret zu einer landesweit tätigen Pflegeersatzkommission zu verurteilen. Die Einzelinhalte einer Konstituierungsordnung für das Gremium nach § 86 SGB XI sind von den Beteiligten auszuhandeln und können nicht von den Sozialgerichten angeordnet oder festgelegt werden. Dies gilt auch für die Entscheidung, ob eine landesweit oder regional tätige Pflegeersatzkommission(en) (§ 86 Abs. 1 SGB VI) gebildet werden. Jedoch begründet die in § 86 SGB XI vorgesehene zwingende Beteiligung der dort aufgeführten Verbände/Vereinigungen und des Sozialhilfeträgers einen Anspruch auf die Einleitung von Verhandlungen über einen Gründungsvertrag. Die Kläger können diesen Anspruch auch als subjektives Recht geltend machen. Ihm korrespondiert auf Seiten der Beklagten eine Pflicht zur Mitwirkung an Verhandlungen.
Entgegen den obiter-dictum-Darlegungen des Sozialgerichts ist die Klage auch begründet. Den Klägern steht ein Rechtsanspruch auf Mitwirkung der Beklagten an der Errichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI zu. Insbesondere aus der systematischen Stellung des § 86 SGB XI im Bereich des Leistungserbringungsrechts der stationären Pflege sowie aus der Funktion und dem Zweck einer Pflegesatzkommission ist herzuleiten, dass deren Errichtung nicht in das Belieben der in § 86 Abs. 1 SGB XI aufgeführten Beteiligten gestellt ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die in § 86 Abs. 1 als Mitglieder der Pflegesatzkommission aufgeführten Verbände sowie Vereinigungen bzw. der Sozialhilfeträger rechtlich die Pflicht trifft, an dem Akt der Konstituierung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Es trifft zwar zu, dass die Errichtung und Institutionalisierung (Errichtung einer Geschäftsstelle, Bestimmung der Zahl der Vertreter etc.) einer Pflegesatzkommission im hohen Maße des Konsenses der Beteiligten bedarf. Dies bedeutet aber nicht, dass es im freien Belieben der Beteiligten steht, ob sie an dem Verfahren der Errichtung dieser Kommission mitwirken oder sich dem gänzlich entziehen. Insbesondere ist es mit der gesetzlichen Vorgabe nicht zu vereinbaren, die Haltung einer Totalverweigerung einzunehmen, wie es von Seiten der Beklagten über Jahre hinweg praktiziert wurde.
Bereits der Wortlaut des § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ("bilden") und die Gesetzesbegründung legen nahe, dass die in § 86 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten Parteien zur Errichtung einer Pflegesatzkommission verpflichtet sind. In die Entscheidungsmacht der Beteiligten, welche die Pflegesatzkommission zu bilden haben, hat der Gesetzgeber lediglich gestellt, ob die Pflegesatzkommission auf regionaler oder auf Landesebene gebildet wird. Leitbild für die Norm des § 86 SGB XI waren die unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ohne normative Vorgabe zur Erzielung allgemeiner Pflegesatzvereinbarungen eingerichteten paritätisch besetzten Pflegesatzkommissionen mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und den Sozialhilfeträgern auf Landes- oder regionaler Ebene. Die BSHG-Pflegesatzkommissionen waren eine "Erfindung" der Praxis, die in allen alten Bundesländern mit teilweise unterschiedlichen Bezeichnungen, Kompetenzen und Verfahrensregelungen etabliert waren. Vor dem Hintergrund, dass das bis 1993 rudimentär normierte Leistungserbringungsrecht des BSHG auch gesetzliche Rahmenverträge nicht vorsah, stellte sich die mit praxisnahen Personen besetzte Pflegesatzkommission als ein geeignetes Instrument zur Aushandlung leistungserbringungsrechtlicher Regelungen, die einrichtungsübergreifend gestaltet waren, dar (vgl. Griep, Wie kann die Wirksamkeit leistungserbringungsrechtlicher Rahmenregelungen des SGB XI verbessert werden?, Sozialrecht aktuell, 2009, 161, 163). Die Begründung zu Absatz 1 des § 95 – Pflegesatzkommission im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen für den Entwurf eines Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG) – der in dem Gesetzentwurf enthaltene § 95 stellte eine dem späteren § 86 SGB XI entsprechende Regelung dar – verweist auf diesen Sachverhalt. Es heißt darin, die Vorschrift knüpft an die Praxis der Pflegesatzverhandlungen nach § 93 Abs. 2 BSHG an. Sie ermöglicht abweichend von dem Pflegesatzverfahren nach § 94 Abs. 1 – "kollektive" Pflegesatzverhandlungen in Pflegesatzkommissionen. In der Begründung zu § 95 Abs. 3 dieses Gesetzentwurfes heißt es: Die in Satz 1 vorgesehenen Rahmenvereinbarungen dienen dem Zweck, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu bestimmen und verlässliche Grundregeln für das Pflegesatzverfahren im Einzelfall zu entwickeln. In solchen Vereinbarungen kann z. B. auch die Pflegesatzberechtigung für Zeiten der Beurlaubung oder Abwesenheit des Pflegebedürftigen aus dem Pflegeheim oder die Abrechnung der Pflegesätze mit Hilfe von maschinenlesbaren Datenträgern (Disketten, Magnetbänder) geregelt werden (BT-Drucks. 12/5262, S. 146, zu § 95 d.E.). Der zitierte Gesetzentwurf ist in den nachfolgenden Ausschussberatungen sowie im 2. Vermittlungsverfahren nicht grundsätzlich verändert worden (vgl. zu den Einzelheiten Dalichau/Grüner, SGB XI, Loseblattkommentar, § 86 Anmerkung 2). Die Überlegungen des Gesetzgebers zur Grundstruktur des § 86 SGB XI sind daher in diesem ersten Gesetzentwurf bereits im Wesentlichen skizziert. Maßgebliches Strukturprinzip der Norm ist, dass sie eine Vereinfachung des Pflegesatzverfahrens durch kollektive Pflegesatzvereinbarungen, die an die Stelle der individuellen Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 treten, ermöglicht (vgl. Mühlenbruch, in: Hauck/Noftz, SGB XI, Loseblattkommentar, § 86 Rz. 1).
Die Bedeutung des § 86 SGB XI erschließt sich aus dem Vergleich mit dem nicht kollektiven Verfahren der Festlegung der Vergütung für stationäre Pflegeleistungen. Dominant ist das Verfahrend der Einzel-Vergütungsvereinbarung. Für das Pflegesatzverfahren gilt in Übereinstimmung mit den historisch gewachsenen Strukturen des Leistungserbringungsrechts das Vereinbarungsprinzip, das in § 85 Abs. 1 SGB XI niedergelegt ist. Danach werden Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze von den Parteien des Pflegeverfahrens ausgehandelt. Mit Art ist dabei die Einteilung in Pflegeklassen umschrieben, mit Höhe das in Euro bezifferte Entgelt für die abgegoltenen Tagesleistungen der Pflegeklassen und die Laufzeit legt die Geltungsdauer der Vereinbarung fest. § 85 Abs. 2 SGB XI geht bei der Benennung der Vertragsparteien vom Individualprinzip aus. Danach schließt der einzelne Heimträger die Vereinbarung mit den Sozialleistungsträgern ab. Zu diesen gehören die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger und der nach Landesrecht örtlich und sachlich zuständige Träger der Sozialhilfe. Für das Verfahren gelten noch folgende Besonderheiten: Die Pflegesatzvereinbarung, die der Schriftform bedarf, kommt durch Einigung (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB XI) zwischen der Leistungserbringerseite und der Mehrheit der Kostenträger zustande. Eine Teilnahmeverweigerung einzelner Institutionen hat keine negative Auswirkung auf das Zustandekommen. Die Pflegesatzvereinbarung gilt nach § 85 Abs. 6 SGB XI für den in ihr festgelegten Zeitraum und gilt bis zum Abschluss neuer Pflegesätze weiter; eine Rückwirkung der Pflegesätze ist unzulässig. Die Vergütungs-(Pflegesatz-)Vereinbarung bindet beide Seiten der Vertragsparteien. Der Sozialhilfeträger hat ein Widerspruchsrecht (§ 85 Abs. 5 Satz 2 SGB XI) mit der Rechtswirkung, dass die Vereinbarungen für seinen Bereich nicht gelten. Kommt zwischen den Vertragsparteien im Verhandlungswege keine Einigung zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI. Dies gilt auch, soweit der nach § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XI als Vertragspartei fungierende Sozialhilfeträger der Pflegesatzvereinbarung innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsabschluss widerspricht. Der Sozialhilfeträger kann im Voraus verlangen, dass anstelle der gesamten Schiedsstelle nur der Vorsitzende mit oder ohne die beiden unparteiischen Mitglieder alleine entscheidet (§ 85 Abs. 5 Satz 2 SGB XI). Weiter ordnet das Gesetz an, dass die Pflegesatzvereinbarungen für alle Heimbewohner, ungeachtet ob sie Leistungsansprüche aus der Pflegeversicherung oder sozialhilferechtliche Ansprüche haben, gelten. Auf Kostenträgerseite sind Vertragspartner die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger, die zuständigen (örtlichen oder überörtlichen) Sozialhilfeträger und die Arbeitsgemeinschaften der genannten Träger, wenn sie die fünf Prozent-Betreuungsquote erfüllen. Aufgrund der Betreuungsquote sind gesetzlich zugelassene Kostenträger im Sinne des § 85 Abs. 2 SGB XI zumeist die zuständige AOK, weitere ein bis zwei Pflegekassen sowie der örtliche Sozialhilfeträger.
Insgesamt ergibt sich durch diese Besonderheiten im Individualvergütungsvereinbarungsverfahren eine eher sozialleistungsträgerfreundliche Struktur. Eine viel geäußerte Kritik lautet, das SGB XI weise den Vertragspartnern ungleiche Verhandlungsmacht zulasten der Pflegeeinrichtungen zu, insbesondere hinsichtlich Anzahl und Kompetenz der Verhandlungsteilnehmer auf Sozialleistungsträger und der einseitigen Informationspflichten der Pflegeeinrichtungen (vgl. Griep/Renn, Pflegesozialrecht, 4. Auflage, 2009, Abschnitt 16.4.2, Rz. 351). Dabei werden unter Individualverträgen bzw. Einzelvergütungsvereinbarungen solche Vereinbarungen verstanden, bei denen auf der einen Seite als Vertragspartner ein einzelner Träger einer Pflegeeinrichtung und auf der anderen Seite eine oder mehrere Pflegekassen oder sonstige Leistungsträger stehen. Zu dem im Bereich der Bestimmung der Vergütung der stationären Pflegeleistung maßgeblichen Individualprinzip weist der Verfassungsrechtler Volker Neumann (in: Bertram Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band IV, Pflegeversicherung, 1997, § 22 Rz. 29) zutreffend auf folgende Systembesonderheiten hin: Das Individualprinzip sei im Hinblick auf das Gefälle an Verhandlungsmacht zwischen den vereinzelten Heimträgern und übermächtigen Leistungsträgern verfassungsrechtlich bedenklich. Verhandlungsfähigkeit setze eine gewisse soziale Mächtigkeit voraus. Darüber hinausgehend sei Verhandlungsparität als Voraussetzung von Vertragsfreiheit zu fordern. Das SGB XI sehe allerdings drei Korrekturen vor, mit denen die Verhandlungsmacht des einzelnen Heimträgers gestärkt werden könne. Diese bestünden darin, dass die Vereinigungen der Pflegeheime im Land – wie auch die anderen in § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB XI genannten Verbände – sich am Pflegesatzverfahren beteiligten könnten. Sie würden dadurch zwar nicht zu einer Vertragspartei, könnten aber überörtliche und regionale Belange im Pflegesatzverfahren zu Gehör bringen und die Interessen der ihnen zugeordneten Vertragspartei unterstützen. Die zweite Korrektur liege in dem Recht der Heimträger, sich nach Vorlage einer schriftlichen Verhandlungs- und Abschlussvollmacht (§ 85 Abs. 4 Satz 3 SGB XI) durch Dritte, vor allem durch die jeweilige Vereinigung vertreten zu lassen. Das dritte Korrektiv stelle die Regelung in § 86 Abs. 1 SGB XI dar, der zufolge die Vereinbarungen auch von der Pflegesatzkommission abgeschlossen werden könnten. Die Pflegesatzkommission stelle ein paritätisch besetztes Gremium dar, welches im Sozial- und Jugendhilfe finanzierten Einrichtungsbereich errichtet werde. Durch die Regelung des § 86 SGB XI hätten die Vertragsparteien der Pflegesätzefestlegungen die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Individualisierungsprinzip des § 85 Abs. 2 SGB XI und dem Kollektivprinzip (Neumann, a.a.O., § 22 Rz. 33).
Eine Auslegung, die § 86 SGB XI nur den Charakter einer für die Vertragsparteien im Rahmen der Pflegesatzvereinbarungen freien Optionsmöglichkeit zuweist und nicht von der Rechtspflicht zur Bildung einer Pflegesatzkommission ausgeht, ist zum einen mit den Strukturvorgaben des SGB XI zur Pflegesatzvereinbarung nicht vereinbar und wäre zudem auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich. Des Weiteren käme es ohne Notwendigkeit zu einem Verzicht auf ein hilfreiches Instrumentarium. Es ist allgemein anerkannt, dass sich die Rahmenverträge nach § 75 SGB XI als ein häufig zu schwerfälliges zu wenig konkretes und nicht bedarfgerechtes Mittel erweisen, um auf Gesetzesänderungen und neue praktische Fragestellungen zu reagieren (vgl. z. B. Dalichau/Grüner, § 86 SGB XI, Anmerkung 1; Griep, a.a.O., S. 161, 162 bis 163). Rahmenverträge werden nämlich häufig über viele Monate oder Jahre beraten und kommen letztlich oft nur über ein Schiedsverfahren zustande. Auch außerhalb von Rahmenverträgen wird ein erheblicher Regelungsbedarf konstatiert, z. B. zu Gegenständen wie Heimentgelt für Härtefälle, Muster-, Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen, Musterkalkulationsblätter, Musterversorgungsverträge, Verfahrensgrundsätze für Pflegesatzverhandlungen, Vereinbarungen zur pauschalen Anhebung der Pflegesätze (vgl. die Auflistung bei Griep, a.a.O. S. 161, 164 f.). Aus dem Umstand, dass die in Hessen tätige Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen in etlichen Beschlüssen Regelungen für Vertragsgegenstände der genannten Art nach §§ 85, 86, 87 und 89 SGB XI und leistungserbringungsrechtlicher Verträge der §§ 69 bis 92b SGB XI getroffen hat, lässt das Instrumentarium des § 86 SGB XI nicht als verzichtbar erscheinen. Nach § 3 Abs. 3 ihrer Geschäftsordnung darf diese Arbeitsgemeinschaft Aufgaben der Pflegesatzkommission gerade nicht wahrnehmen. Hieraus ergeben sich rechtliche Probleme, insbesondere im Hinblick darauf, ob die Pflegeheime Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen, die Gegenstände betreffen, welche insbesondere für Rahmenvereinbarungen nach § 86 Abs. 3 Satz 1 in Betracht kommen, im Verhältnis zu ihren Heimbewohnern umsetzen können, ohne in Konflikt mit § 5 Abs. 5 Heimgesetz zu gelangen (vgl. hierzu Griep, a.a.O., S. 161, 166). Dass eine nach § 86 SGB XI gebildete Pflegesatzkommission durchaus funktionstüchtig sein und sinnvolle Rahmenvereinbarungen im Sinne des § 86 Abs. 3 SGB XI treffen kann, erweist die Praxis der niedersächsischen Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI – stationär. Diese hat z. B. mit Beschluss vom 20.06.2008 Regelungen zu Vorbereitung, Beginn und Verfahren von Pflegesatzverhandlungen nach dem 8. Kapitel SGB XI erstellt, welche die Führung von Verhandlungen über Individualvergütungsvereinbarungen strukturieren und erleichtern können. Es werden Vorgaben für die von den Vertragsparteien zu leistenden Ermittlungen gemacht und Formblätter und Mustervereinbarungen erstellt, welche die Kalkulation der zu verhandelnden Entgelte und den Abschluss von Pflegesatzvereinbarungen strukturieren und erleichtern.
Die Rechtspflicht zur Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission entfällt auch nicht deswegen, weil § 86 SGB XI keinen Konfliktlösungsmechanismus für den Fall der Nichteinigung der Beteiligten vorsieht. Dass solche Regelungsmechanismen fehlen, hängt damit zusammen, dass die Norm des § 86 SGB XI bereits in der Erstfassung des SGB XI enthalten war. Der Gesetzgeber hat aus derartigen technischen Mängeln des Gesetzes gelernt und bei der Schaffung neuer Einrichtungen im SGB XI Sanktionsmechanismen aufgenommen. Exemplarisch ist hierfür etwa die mit Wirkukng vom 1. Juli 2008 getroffene Regelung des Verfahrens zur Errichtung von Pflegestützpunkten nach § 92c SGB XI. Abs. 1 dieser Norm gibt vor, dass die Einrichtung eines Pflegestützpunktes innerhalb von sechs Monaten nach der Bestimmung durch die oberste Landesbehörde zu erfolgen hat. Kommen die hierfür erforderlichen Verträge nicht innerhalb von drei Monaten nach der Bestimmung durch die oberste Landesbehörde zustande, haben die Landesverbände der Pflegekassen innerhalb eines weiteren Monats den Inhalt der Verträge festzulegen. Dass ein vergleichbares Umsetzungskorsett in § 86 SGB XI nicht enthalten ist, kann nicht dazu führen, dass die von den Beklagten eingenommene Haltung der Totalverweigerung nicht als Rechtsbruch eingestuft und eine Verpflichtung, an den von den Klägern eingeleiteten Akten zur Institutionalisierung einer hessischen Pflegekommission mitzuwirken, verneint wird.
Die Befürchtungen der Beklagten, sie würden sich in der Pflegesatzkommission nachteiligen Mehrheitsverhältnissen ausgesetzt sehen, sind rechtlich unerheblich. § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB XI verweist auf eine entsprechende Geltung der Abs. 3 bis 7 des § 85 SGB XI. Hieraus folgt, dass die Entscheidungen der Pflegesatzkommission Mehrheitsentscheidungen sind (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB XI). Damit kann die Pflegesatzkommission auch gegen den Willen einzelner Pflegekassen oder Sozialversicherungsträger gemäß § 85 Abs. 2 SGB XI tätig werden. Gleiches gilt für die Sorge der Beklagten, sie könnten über Entscheidungen der Schiedsstelle in ihrer Verhandlungsmacht bei nachgehenden Individualvergütungsvereinbarungen geschwächt werden. Über die Verweisungsnorm des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB XI hat der Gesetzgeber angeordnet, dass nach § 85 Abs. 5 SGB XI im Falle einer Nichteinigung innerhalb der Pflegesatzkommission die Schiedsstelle angerufen werden kann, wobei nach dem später eingeführten § 85 Abs. 5 Satz 2 dieses Recht auch dem überstimmten Sozialhilfeträger allein zusteht. Diese gesetzgeberische Vorgabe für Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Pflegesatzkommission ist verbindlich und auch von der Beklagtenseite zu akzeptieren.
Nicht nachvollziehbar für den Senat ist die bisherige Untätigkeit des Hessischen Sozialministeriums als Aufsichtsbehörde. Hessischem Recht, nämlich dem Pflegeversicherungsausführungsgesetz vom 31.12.2003, ist ebenfalls zu entnehmen, dass eine Pflegekommission zu bilden ist. § 6 Abs. 2 des hessischen Pflegeversicherungsausführungsgesetzes lautet wie folgt: "(2) Die Träger der Sozialhilfe benennen der obersten Landesbehörde einen Träger der Sozialhilfe, der in den nach § 86 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zu bildenden Pflegesatzkommissionen die Interessen der örtlichen Träger der Sozialhilfe wahrnimmt. Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung einen Träger der Sozialhilfe zu bestimmen, soweit die Träger der Sozialhilfe nicht einen Träger der Sozialhilfe der obersten Landesbehörde benannt haben. In der Pflegesatzkommission tritt an die Stelle des örtlichen Trägers der Sozialhilfe der überörtliche Träger, wenn Angelegenheiten behandelt werden, die in die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe fallen."
Der Klage war somit stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine Verpflichtung zur Errichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI besteht, zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens beider Instanzen gesamtschuldnerisch zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Verurteilung der Beklagten dazu, an der Bildung einer landesweit tätigen Pflegesatzkommission gemäß § 86 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) mitzuwirken.
Bei den Klägern zu 1. bis 14. handelt es sich um Leistungserbringer-Organisationen aus dem Bereich der stationären Pflege. Sie betreiben Pflegeheime, in denen überwiegend in der sozialen Pflegeversicherung versicherte Heimbewohner untergebracht sind, zu denen teilweise auch Personen gehören, die nach den §§ 61 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) Leistungen in Form der Hilfe zur Pflege beziehen. Insoweit ist der Landeswohlfahrtsverband Hessen betroffen, der als Beklagter zu 3. Beteiligter ist. Bei den übrigen Beklagten handelt es sich um die Kostenträger-Vereinigungen nach dem SGB XI, die als Verbände der Pflegekassen in Hessen bzw. als eigenständige Pflegekassen sowie als Verband der privaten Krankenversicherung e.V. auftreten. Beigeladen ist das Land Hessen, vertreten durch das Hessische Sozialministerium im Hinblick auf seine Aufsichtsfunktion.
§ 85 SGB XI bestimmt, dass Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze individuell zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den Pflegkassen oder sonstigen Sozialversicherungsträgern, den für die Bewohner des Pflegeheimes zuständigen Trägern der Sozialhilfe sowie den Arbeitsgemeinschaften der vorgenannten Träger für jedes Pflegeheim gesondert zu vereinbaren sind. Für den Fall, dass eine Pflegesatzvereinbarung innerhalb von 6 Wochen nicht zustande kommt nachdem eine Vertragspartei schriftlich zu Pflegesatzvereinbarungen aufgefordert hat, sieht § 85 Abs. 5 SGB XI vor, dass die nach § 76 SGB XI gebildete Schiedsstelle auf Antrag einer Vertragspartei die Pflegesätze unverzüglich festsetzt. § 75 SGB XI gibt vor, dass Kollektiv-Rahmenverträge für jedes Bundesland mit von Abs. 2 dieser Norm vorgegebenen Mindestinhalten zwischen den in Abs. 1 aufgeführten Beteiligten (unter anderem den Landesverbänden der Pflegekassen und den Vereinigungen der Träger der stationären Pflegeeinrichtungen im Land) abzuschließen sind. Solche Rahmenverträge sind für die Pflegkassen und die zugelassenen Pflegeinrichtungen im Inland unmittelbar verbindlich (§75 Abs. 1 letzter Satz SGB XI). Diese Rahmenverträge können im Nichteinigungsfall von der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI festgesetzt werden.
§ 86 Abs. 1 SGB XI, der mit Wirkung zum 01.01.1995 durch Art. 1 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) geschaffen wurde, lautet wie folgt: (1) Die Landesverbände der Pflegekassen, der Verband der privaten Krankenversicherung e.V., die überörtlichen oder ein nach Landesrecht bestimmter Träger der Sozialhilfe und die Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land bilden regional oder landesweit tätige Pflegesatzkommissionen, die anstelle der Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 die Pflegesätze mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger vereinbaren können. § 85 Abs. 3 bis 7 gilt entsprechend.
Durch das 1. SGB XI ÄndG vom 14.06.1996 (BGBl. I S. 830) erhielt Abs. 2 mit Wirkung vom 25.06.1995 die folgende Fassung:
(2) Für Pflegeheime, die in derselben kreisfreien Gemeinde oder in demselben Landkreis liegen, kann die Pflegesatzkommission mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger für die gleichen Leistungen einheitliche Pflegesätze vereinbaren. Die beteiligten Pflegeheime sind befugt, ihre Leistungen unterhalb der nach Satz 1 vereinbarten Pflegesätze anzubieten.
Absatz 3 des § 86 Abs. 3 SGB XI gibt vor:
(3) Die Pflegesatzkommission oder die Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 können auch Rahmenvereinbarungen abschließen, die insbesondere ihre Rechte und Pflichten, die Vorbereitung, den Beginn und das Verfahren der Pflegesatzverhandlungen sowie Art, Umfang und Zeitpunkt der vom Pflegeheim vorzulegenden Leistungsnachweise und sonstigen Verhandlungsunterlagen näher bestimmen. Satz 1 gilt nicht, soweit für das Pflegeheim verbindliche Regelungen nach § 75 getroffen worden sind.
In Hessen wurde bis heute keine Pflegesatzkommission eingerichtet. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen deswegen hat das Hessische Sozialministerium nicht eingeleitet. Das beigeladene Land hat in seinem im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.05.2011 unter Hinweis auf eine Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Schönhut-Keil vom 25.06.2002 (Landtagsdrucksache 15/4077) hierzu folgendes ausgeführt: Die Landesregierung halte die Einrichtung einer Pflegesatzkommission zwar für gesetzlich vorgegeben aber aus fachlichen Gründen nicht für notwendig. Eine durchgeführte Länderumfrage mit Stand 13.05.2011 habe ergeben dass nur in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen eine landesweit tätige Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI eingeführt worden sei.
In Hessen existiert eine Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen mit der die Möglichkeit geschaffen wurde, Angelegenheiten in der Pflege von landesweiter Bedeutung in einem gemeinsamen Gremium zu beraten. Ihr gehören die Landesverbände der Pflegkassen, die Verbände der Sozialhilfeträger in Hessen sowie die Verbände der Liga der Freien Wohlfahrtpflege und die Verbände der privatgewerblichen Einrichtungsträger an. Nach § 3 Abs. 1 der Geschäftsordnung berät diese Arbeitsgemeinschaft alle Angelegenheiten der stationären Pflege, die landesweit von Bedeutung sind. In Abs. 3 dieser Regelung heißt es: "(3) Die Arbeitsgemeinschaft hat nicht die Rechte und Pflichten einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI. Die Arbeitsgemeinschaft schließt keine Verträge nach dem SGB XI für die Vertragsparteien nach den §§ 85, 86, 87 und 89 SGB XI. Insbesondere die entsprechenden rechtsverbindlichen Vertragsabschlüsse für die Entgelte für den pflegerischen Aufwand, Unterkunft und Verpflegung, Zusatzleistung und Investitionskosten bleiben ausschließlich den örtlichen Vertragsparteien vorbehalten." Diese Arbeitsgemeinschaft hat bislang Beschlüsse gefasst, in denen Regelungen z.B. für Heimentgelte für Härtefälle, Erstattungssätze bei PEG-Sondeneinsatz, Erstattung von Inkontinenz-Aufwendungen durch Krankenkassen, Prozentsätze für die pauschale Anhebung der Pflegesätze getroffen wurden, die im Rahmen der individuellen Pflegesatzvereinbarungen mit den Heimträgern bzw. den Schiedssprüchen Berücksichtigung fanden.
Mit Schreiben vom 18.03.2002 hatte die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände das Hessische Sozialministerium ersucht, die Konstituierung einer Pflegesatzkommission zu moderieren, was dieses mit Schreiben vom 22.04.2002 abgelehnt hatte. Auf die Einladung der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände in Hessen zur Teilnahme an einem Kostituierungstermin am 11.06.2002 im Haus der XY. Frankfurt am Main hatten die Verbände der Pflegekassen mit Schreiben vom 05.06.2002, der Landeswohlfahrtsverband Hessen mit Schreiben vom 06.06.2002 und der Hessische Städtetag mit Schreiben vom 26.03.2002 ablehnend reagiert. Zu der für den 11.06.2002 anberaumten konstituierenden Sitzung waren die Beklagten nicht erschienen.
Die Kläger erhoben am 07.01.2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (zunächst geführt unter dem Az.: S 9 P 37/03) mit dem Antrag, die Beklagten zur verurteilen, in die Bildung einer landesweit tätigen Pflegesatzkommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI einzuwilligen, hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an der Bildung einer landesweiten Pflegekommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mitzuwirken. Sie trugen vor, die Beklagten seien gemäß § 86 SGB XI verpflichtet, zusammen mit den Klägern eine Pflegesatzkommission zu errichten. Die in Hessen bestehende Arbeitsgemeinschaft stationäre Pflege ersetze die Pflegesatzkommission nicht. Die dort Mitwirkenden könnten keine Vergütungsvereinbarungen treffen. Verhandlungen über die Vergütung würden ausschließlich mit den örtlichen Vertragsparteien geführt. Dies sei zu zeitraubend. Bei einer Zusammenarbeit im Rahmen einer Pflegesatzkommission könnte im Falle einer Nichteinigung durch die Schiedsstelle unverzüglich eine Regelung herbeigeführt werden. Die Beklagtenseite als Nachfragekartell könnte dadurch zu einem kooperativeren Verhalten veranlasst werden. Vereinbarungen gemäß § 75 SGB XI schlössen Vereinbarungen einer Pflegesatzkommission nicht aus, da im Rahmen dieser Vorschrift vorrangig Fragen der pflegerischen Versorgung geregelt würden, durch § 86 SGB XI aber die Frage der Bemessung der Vergütung betroffen sei.
In ihrer Klageerwiderung wiesen die Beklagten darauf hin, § 86 SGB XI sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Vorrang habe die individuelle Vergütungsvereinbarung. Eine Pflicht im Rahmen einer Pflegesatzkommission mitzuwirken, bestehe nicht. Im Übrigen seien die Sozialhilfeträger in diesem Gremium unterrepräsentiert, obwohl sie die Hauptlast der Pflegeaufwendungen trügen. Allein im Jahre 2001 seien das 224 Millionen EUR gewesen. Auch bei der derzeit praktizierten Art der Zusammenarbeit stehe der Klägerseite die Schiedsstelle gemäß § 85 Abs. 5 SGB XI immer offen. Zwar böten kollektive Vereinbarungen in der Theorie den Vorteil der Vereinfachung. In der konkreten Praxis könnte aber bei den in Hessen vorliegenden großen regionalen Unterschieden hinsichtlich der Gegebenheiten der stationären Einrichtungen kaum ein gemeinsamer Nenner für kollektive Vereinbarungen gefunden werden.
Ein von gerichtlicher Seite vorgeschlagenes Mediationsverfahren kam nicht zustande. Am 13.08.2008 fand eine Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege statt. Darin hatte der Justitiar der Diakonie Hessen-Waldeck einen Entwurf einer Geschäftsordnung für eine zur Pflegesatzkommission erweiterte "Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege" vorgelegt (Bl. 87 ff Gerichtsakte L 8 P 25/09). Ein Einvernehmen zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern und den Verbänden der Pflegeeinrichtungen über die Einrichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI kam wiederum nicht zustande. Hierauf wurde das ruhend gestellte Klageverfahren wieder aufgerufen und unter dem Az. S 9 P 23/08 WA fortgeführt.
Mit nach mündlicher Verhandlung ergangenem Urteil vom 04.06.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage sei unzulässig. Ein Rechtschutzbedürfnis sei nicht gegeben. Denn die Kläger befänden sich bereits in der Rechtsposition, die sie einklagten. Das folge aus § 86 Abs. 1 S. 1 SGB XI. Nach dieser Vorschrift bildeten die Landesverbände der Pflegekassen, der Verband der privaten Krankenversicherung, die überörtlichen oder ein nach Landesrecht bestimmter Träger der Sozialhilfe und die Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land regional oder landesweit tätige Pflegesatzkommissionen, die an Stelle der Vertragsparteien nach § 85 Abs. 2 SGB XI die Pflegesätze mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger vereinbaren könnten. Bei wörtlicher Auslegung dieser Vorschrift ergäbe sich, dass das Gremium der jeweiligen Pflegesatzkommissionen mit den dort aufgeführten Rechtspersonen bereits bestehe. Die einzelnen Rechtspersonen seien Teile dieser Kommissionen. Sie "bildeten" sie bereits. Mit dieser Vorschrift sei also die Mitgliedschaft dieser Rechtspersonen im Gremium der Pflegekommissionen beschrieben, die kraft Gesetzes vorliege. Das heiße aber auch, dass dieses Gremium jederzeit tagen und verhandeln könne, sofern dies alle Beteiligten wollten. Aber auch wenn man diese Vorschrift mit der herrschenden Meinung in der Literatur (Hinweis auf Hauck/ Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch XI § 86 Rn. 7 ff) in der Weise auszulegen habe, dass mit den Gesetzesworten " Pflegesatzkommissionen " ... " bilden" für die in der Vorschrift aufgeführten Rechtspersonen ein aktives Tun im Sinne einer Errichtung und Institutionalisierung (Geschäftsstelle, Zahl der Vertreter etc.) gemeint sei, so wäre die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Denn es fehle hierfür der erforderliche Konsens mit der Beklagtenseite (Hauck/ Noftz a.a.O.). Der Beklagtenseite sei es ausdrücklich erlaubt, an Verhandlungen von Pflegesatzkommissionen (- unabhängig davon, ob sie bereits bestünden oder ob eine Errichtung für ihr Bestehen Voraussetzung wäre -) nicht mitzuwirken. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung könne die Klage nicht durchdringen. Daran schließt sich ein Passus an, wonach das Gericht den Beteiligten vorgeschlagen hat, sofern sie keine Verhandlungsstruktur in Anlehnung an eine in Bayern und Schleswig-Holstein vereinbarte Geschäftsordnung der Pflegesatzkommission vereinbaren wollten, die der Arbeitsgemeinschaft stationäre Pflege in Hessen zu Grunde liegende Geschäftsordnung im Konsensprinzip fortzuentwickeln.
Gegen das ihnen am 15.09.2009 zugestellte Urteil haben die Kläger am 14.10.2009 Berufung eingelegt. Auf den Hinweis der Klägerseite, die Namen der an dem Urteil beteiligten ehrenamtlichen Richter stimmten nicht mit denen in der Sitzungsniederschrift vom 04.06.2009 aufgeführten Namen überein, berichtigte das Sozialgericht sein Urteil mit Beschluss vom 13.07.2010 hinsichtlich der Namen der ehrenamtlichen Richter. Die Beteiligten haben Ihr Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt und vertieft.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 04.06.2009 in der Fassung der Berichtigung vom 13.07.2010 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen an der Bildung einer landesweiten Pflegekommission gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mitzuwirken.
Die Beklagten zu 1. und 3. beantragen,
die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2. stellt keinen Antrag.
Das beigeladene Land stellt keinen Antrag.
Der Senat hat durch den Berichterstatter am 08.03.2012 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 04.06.2009 zu Unrecht die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission kann im Wege der (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) geltend gemacht werden. Eine ebenfalls denkbare allgemeine Feststellungsklage nach § 55 SGG ist demgegenüber subsidär.
Die Klägerseite hat ihren Klageantrag zutreffend darauf beschränkt, die Beklagten zu verpflichten, an der Errichtung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Eine Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages über die Bildung einer Pflegesatzkommission nach den von den Klägern vorgelegten Entwürfen wäre nicht möglich gewesen. Ebenso war es nicht möglich, die Beklagten konkret zu einer landesweit tätigen Pflegeersatzkommission zu verurteilen. Die Einzelinhalte einer Konstituierungsordnung für das Gremium nach § 86 SGB XI sind von den Beteiligten auszuhandeln und können nicht von den Sozialgerichten angeordnet oder festgelegt werden. Dies gilt auch für die Entscheidung, ob eine landesweit oder regional tätige Pflegeersatzkommission(en) (§ 86 Abs. 1 SGB VI) gebildet werden. Jedoch begründet die in § 86 SGB XI vorgesehene zwingende Beteiligung der dort aufgeführten Verbände/Vereinigungen und des Sozialhilfeträgers einen Anspruch auf die Einleitung von Verhandlungen über einen Gründungsvertrag. Die Kläger können diesen Anspruch auch als subjektives Recht geltend machen. Ihm korrespondiert auf Seiten der Beklagten eine Pflicht zur Mitwirkung an Verhandlungen.
Entgegen den obiter-dictum-Darlegungen des Sozialgerichts ist die Klage auch begründet. Den Klägern steht ein Rechtsanspruch auf Mitwirkung der Beklagten an der Errichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI zu. Insbesondere aus der systematischen Stellung des § 86 SGB XI im Bereich des Leistungserbringungsrechts der stationären Pflege sowie aus der Funktion und dem Zweck einer Pflegesatzkommission ist herzuleiten, dass deren Errichtung nicht in das Belieben der in § 86 Abs. 1 SGB XI aufgeführten Beteiligten gestellt ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die in § 86 Abs. 1 als Mitglieder der Pflegesatzkommission aufgeführten Verbände sowie Vereinigungen bzw. der Sozialhilfeträger rechtlich die Pflicht trifft, an dem Akt der Konstituierung einer Pflegesatzkommission mitzuwirken. Es trifft zwar zu, dass die Errichtung und Institutionalisierung (Errichtung einer Geschäftsstelle, Bestimmung der Zahl der Vertreter etc.) einer Pflegesatzkommission im hohen Maße des Konsenses der Beteiligten bedarf. Dies bedeutet aber nicht, dass es im freien Belieben der Beteiligten steht, ob sie an dem Verfahren der Errichtung dieser Kommission mitwirken oder sich dem gänzlich entziehen. Insbesondere ist es mit der gesetzlichen Vorgabe nicht zu vereinbaren, die Haltung einer Totalverweigerung einzunehmen, wie es von Seiten der Beklagten über Jahre hinweg praktiziert wurde.
Bereits der Wortlaut des § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ("bilden") und die Gesetzesbegründung legen nahe, dass die in § 86 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten Parteien zur Errichtung einer Pflegesatzkommission verpflichtet sind. In die Entscheidungsmacht der Beteiligten, welche die Pflegesatzkommission zu bilden haben, hat der Gesetzgeber lediglich gestellt, ob die Pflegesatzkommission auf regionaler oder auf Landesebene gebildet wird. Leitbild für die Norm des § 86 SGB XI waren die unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ohne normative Vorgabe zur Erzielung allgemeiner Pflegesatzvereinbarungen eingerichteten paritätisch besetzten Pflegesatzkommissionen mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und den Sozialhilfeträgern auf Landes- oder regionaler Ebene. Die BSHG-Pflegesatzkommissionen waren eine "Erfindung" der Praxis, die in allen alten Bundesländern mit teilweise unterschiedlichen Bezeichnungen, Kompetenzen und Verfahrensregelungen etabliert waren. Vor dem Hintergrund, dass das bis 1993 rudimentär normierte Leistungserbringungsrecht des BSHG auch gesetzliche Rahmenverträge nicht vorsah, stellte sich die mit praxisnahen Personen besetzte Pflegesatzkommission als ein geeignetes Instrument zur Aushandlung leistungserbringungsrechtlicher Regelungen, die einrichtungsübergreifend gestaltet waren, dar (vgl. Griep, Wie kann die Wirksamkeit leistungserbringungsrechtlicher Rahmenregelungen des SGB XI verbessert werden?, Sozialrecht aktuell, 2009, 161, 163). Die Begründung zu Absatz 1 des § 95 – Pflegesatzkommission im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen für den Entwurf eines Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG) – der in dem Gesetzentwurf enthaltene § 95 stellte eine dem späteren § 86 SGB XI entsprechende Regelung dar – verweist auf diesen Sachverhalt. Es heißt darin, die Vorschrift knüpft an die Praxis der Pflegesatzverhandlungen nach § 93 Abs. 2 BSHG an. Sie ermöglicht abweichend von dem Pflegesatzverfahren nach § 94 Abs. 1 – "kollektive" Pflegesatzverhandlungen in Pflegesatzkommissionen. In der Begründung zu § 95 Abs. 3 dieses Gesetzentwurfes heißt es: Die in Satz 1 vorgesehenen Rahmenvereinbarungen dienen dem Zweck, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu bestimmen und verlässliche Grundregeln für das Pflegesatzverfahren im Einzelfall zu entwickeln. In solchen Vereinbarungen kann z. B. auch die Pflegesatzberechtigung für Zeiten der Beurlaubung oder Abwesenheit des Pflegebedürftigen aus dem Pflegeheim oder die Abrechnung der Pflegesätze mit Hilfe von maschinenlesbaren Datenträgern (Disketten, Magnetbänder) geregelt werden (BT-Drucks. 12/5262, S. 146, zu § 95 d.E.). Der zitierte Gesetzentwurf ist in den nachfolgenden Ausschussberatungen sowie im 2. Vermittlungsverfahren nicht grundsätzlich verändert worden (vgl. zu den Einzelheiten Dalichau/Grüner, SGB XI, Loseblattkommentar, § 86 Anmerkung 2). Die Überlegungen des Gesetzgebers zur Grundstruktur des § 86 SGB XI sind daher in diesem ersten Gesetzentwurf bereits im Wesentlichen skizziert. Maßgebliches Strukturprinzip der Norm ist, dass sie eine Vereinfachung des Pflegesatzverfahrens durch kollektive Pflegesatzvereinbarungen, die an die Stelle der individuellen Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 treten, ermöglicht (vgl. Mühlenbruch, in: Hauck/Noftz, SGB XI, Loseblattkommentar, § 86 Rz. 1).
Die Bedeutung des § 86 SGB XI erschließt sich aus dem Vergleich mit dem nicht kollektiven Verfahren der Festlegung der Vergütung für stationäre Pflegeleistungen. Dominant ist das Verfahrend der Einzel-Vergütungsvereinbarung. Für das Pflegesatzverfahren gilt in Übereinstimmung mit den historisch gewachsenen Strukturen des Leistungserbringungsrechts das Vereinbarungsprinzip, das in § 85 Abs. 1 SGB XI niedergelegt ist. Danach werden Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze von den Parteien des Pflegeverfahrens ausgehandelt. Mit Art ist dabei die Einteilung in Pflegeklassen umschrieben, mit Höhe das in Euro bezifferte Entgelt für die abgegoltenen Tagesleistungen der Pflegeklassen und die Laufzeit legt die Geltungsdauer der Vereinbarung fest. § 85 Abs. 2 SGB XI geht bei der Benennung der Vertragsparteien vom Individualprinzip aus. Danach schließt der einzelne Heimträger die Vereinbarung mit den Sozialleistungsträgern ab. Zu diesen gehören die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger und der nach Landesrecht örtlich und sachlich zuständige Träger der Sozialhilfe. Für das Verfahren gelten noch folgende Besonderheiten: Die Pflegesatzvereinbarung, die der Schriftform bedarf, kommt durch Einigung (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB XI) zwischen der Leistungserbringerseite und der Mehrheit der Kostenträger zustande. Eine Teilnahmeverweigerung einzelner Institutionen hat keine negative Auswirkung auf das Zustandekommen. Die Pflegesatzvereinbarung gilt nach § 85 Abs. 6 SGB XI für den in ihr festgelegten Zeitraum und gilt bis zum Abschluss neuer Pflegesätze weiter; eine Rückwirkung der Pflegesätze ist unzulässig. Die Vergütungs-(Pflegesatz-)Vereinbarung bindet beide Seiten der Vertragsparteien. Der Sozialhilfeträger hat ein Widerspruchsrecht (§ 85 Abs. 5 Satz 2 SGB XI) mit der Rechtswirkung, dass die Vereinbarungen für seinen Bereich nicht gelten. Kommt zwischen den Vertragsparteien im Verhandlungswege keine Einigung zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI. Dies gilt auch, soweit der nach § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XI als Vertragspartei fungierende Sozialhilfeträger der Pflegesatzvereinbarung innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsabschluss widerspricht. Der Sozialhilfeträger kann im Voraus verlangen, dass anstelle der gesamten Schiedsstelle nur der Vorsitzende mit oder ohne die beiden unparteiischen Mitglieder alleine entscheidet (§ 85 Abs. 5 Satz 2 SGB XI). Weiter ordnet das Gesetz an, dass die Pflegesatzvereinbarungen für alle Heimbewohner, ungeachtet ob sie Leistungsansprüche aus der Pflegeversicherung oder sozialhilferechtliche Ansprüche haben, gelten. Auf Kostenträgerseite sind Vertragspartner die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger, die zuständigen (örtlichen oder überörtlichen) Sozialhilfeträger und die Arbeitsgemeinschaften der genannten Träger, wenn sie die fünf Prozent-Betreuungsquote erfüllen. Aufgrund der Betreuungsquote sind gesetzlich zugelassene Kostenträger im Sinne des § 85 Abs. 2 SGB XI zumeist die zuständige AOK, weitere ein bis zwei Pflegekassen sowie der örtliche Sozialhilfeträger.
Insgesamt ergibt sich durch diese Besonderheiten im Individualvergütungsvereinbarungsverfahren eine eher sozialleistungsträgerfreundliche Struktur. Eine viel geäußerte Kritik lautet, das SGB XI weise den Vertragspartnern ungleiche Verhandlungsmacht zulasten der Pflegeeinrichtungen zu, insbesondere hinsichtlich Anzahl und Kompetenz der Verhandlungsteilnehmer auf Sozialleistungsträger und der einseitigen Informationspflichten der Pflegeeinrichtungen (vgl. Griep/Renn, Pflegesozialrecht, 4. Auflage, 2009, Abschnitt 16.4.2, Rz. 351). Dabei werden unter Individualverträgen bzw. Einzelvergütungsvereinbarungen solche Vereinbarungen verstanden, bei denen auf der einen Seite als Vertragspartner ein einzelner Träger einer Pflegeeinrichtung und auf der anderen Seite eine oder mehrere Pflegekassen oder sonstige Leistungsträger stehen. Zu dem im Bereich der Bestimmung der Vergütung der stationären Pflegeleistung maßgeblichen Individualprinzip weist der Verfassungsrechtler Volker Neumann (in: Bertram Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band IV, Pflegeversicherung, 1997, § 22 Rz. 29) zutreffend auf folgende Systembesonderheiten hin: Das Individualprinzip sei im Hinblick auf das Gefälle an Verhandlungsmacht zwischen den vereinzelten Heimträgern und übermächtigen Leistungsträgern verfassungsrechtlich bedenklich. Verhandlungsfähigkeit setze eine gewisse soziale Mächtigkeit voraus. Darüber hinausgehend sei Verhandlungsparität als Voraussetzung von Vertragsfreiheit zu fordern. Das SGB XI sehe allerdings drei Korrekturen vor, mit denen die Verhandlungsmacht des einzelnen Heimträgers gestärkt werden könne. Diese bestünden darin, dass die Vereinigungen der Pflegeheime im Land – wie auch die anderen in § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB XI genannten Verbände – sich am Pflegesatzverfahren beteiligten könnten. Sie würden dadurch zwar nicht zu einer Vertragspartei, könnten aber überörtliche und regionale Belange im Pflegesatzverfahren zu Gehör bringen und die Interessen der ihnen zugeordneten Vertragspartei unterstützen. Die zweite Korrektur liege in dem Recht der Heimträger, sich nach Vorlage einer schriftlichen Verhandlungs- und Abschlussvollmacht (§ 85 Abs. 4 Satz 3 SGB XI) durch Dritte, vor allem durch die jeweilige Vereinigung vertreten zu lassen. Das dritte Korrektiv stelle die Regelung in § 86 Abs. 1 SGB XI dar, der zufolge die Vereinbarungen auch von der Pflegesatzkommission abgeschlossen werden könnten. Die Pflegesatzkommission stelle ein paritätisch besetztes Gremium dar, welches im Sozial- und Jugendhilfe finanzierten Einrichtungsbereich errichtet werde. Durch die Regelung des § 86 SGB XI hätten die Vertragsparteien der Pflegesätzefestlegungen die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Individualisierungsprinzip des § 85 Abs. 2 SGB XI und dem Kollektivprinzip (Neumann, a.a.O., § 22 Rz. 33).
Eine Auslegung, die § 86 SGB XI nur den Charakter einer für die Vertragsparteien im Rahmen der Pflegesatzvereinbarungen freien Optionsmöglichkeit zuweist und nicht von der Rechtspflicht zur Bildung einer Pflegesatzkommission ausgeht, ist zum einen mit den Strukturvorgaben des SGB XI zur Pflegesatzvereinbarung nicht vereinbar und wäre zudem auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich. Des Weiteren käme es ohne Notwendigkeit zu einem Verzicht auf ein hilfreiches Instrumentarium. Es ist allgemein anerkannt, dass sich die Rahmenverträge nach § 75 SGB XI als ein häufig zu schwerfälliges zu wenig konkretes und nicht bedarfgerechtes Mittel erweisen, um auf Gesetzesänderungen und neue praktische Fragestellungen zu reagieren (vgl. z. B. Dalichau/Grüner, § 86 SGB XI, Anmerkung 1; Griep, a.a.O., S. 161, 162 bis 163). Rahmenverträge werden nämlich häufig über viele Monate oder Jahre beraten und kommen letztlich oft nur über ein Schiedsverfahren zustande. Auch außerhalb von Rahmenverträgen wird ein erheblicher Regelungsbedarf konstatiert, z. B. zu Gegenständen wie Heimentgelt für Härtefälle, Muster-, Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen, Musterkalkulationsblätter, Musterversorgungsverträge, Verfahrensgrundsätze für Pflegesatzverhandlungen, Vereinbarungen zur pauschalen Anhebung der Pflegesätze (vgl. die Auflistung bei Griep, a.a.O. S. 161, 164 f.). Aus dem Umstand, dass die in Hessen tätige Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen in etlichen Beschlüssen Regelungen für Vertragsgegenstände der genannten Art nach §§ 85, 86, 87 und 89 SGB XI und leistungserbringungsrechtlicher Verträge der §§ 69 bis 92b SGB XI getroffen hat, lässt das Instrumentarium des § 86 SGB XI nicht als verzichtbar erscheinen. Nach § 3 Abs. 3 ihrer Geschäftsordnung darf diese Arbeitsgemeinschaft Aufgaben der Pflegesatzkommission gerade nicht wahrnehmen. Hieraus ergeben sich rechtliche Probleme, insbesondere im Hinblick darauf, ob die Pflegeheime Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft Stationäre Pflege in Hessen, die Gegenstände betreffen, welche insbesondere für Rahmenvereinbarungen nach § 86 Abs. 3 Satz 1 in Betracht kommen, im Verhältnis zu ihren Heimbewohnern umsetzen können, ohne in Konflikt mit § 5 Abs. 5 Heimgesetz zu gelangen (vgl. hierzu Griep, a.a.O., S. 161, 166). Dass eine nach § 86 SGB XI gebildete Pflegesatzkommission durchaus funktionstüchtig sein und sinnvolle Rahmenvereinbarungen im Sinne des § 86 Abs. 3 SGB XI treffen kann, erweist die Praxis der niedersächsischen Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI – stationär. Diese hat z. B. mit Beschluss vom 20.06.2008 Regelungen zu Vorbereitung, Beginn und Verfahren von Pflegesatzverhandlungen nach dem 8. Kapitel SGB XI erstellt, welche die Führung von Verhandlungen über Individualvergütungsvereinbarungen strukturieren und erleichtern können. Es werden Vorgaben für die von den Vertragsparteien zu leistenden Ermittlungen gemacht und Formblätter und Mustervereinbarungen erstellt, welche die Kalkulation der zu verhandelnden Entgelte und den Abschluss von Pflegesatzvereinbarungen strukturieren und erleichtern.
Die Rechtspflicht zur Mitwirkung an der Bildung einer Pflegekommission entfällt auch nicht deswegen, weil § 86 SGB XI keinen Konfliktlösungsmechanismus für den Fall der Nichteinigung der Beteiligten vorsieht. Dass solche Regelungsmechanismen fehlen, hängt damit zusammen, dass die Norm des § 86 SGB XI bereits in der Erstfassung des SGB XI enthalten war. Der Gesetzgeber hat aus derartigen technischen Mängeln des Gesetzes gelernt und bei der Schaffung neuer Einrichtungen im SGB XI Sanktionsmechanismen aufgenommen. Exemplarisch ist hierfür etwa die mit Wirkukng vom 1. Juli 2008 getroffene Regelung des Verfahrens zur Errichtung von Pflegestützpunkten nach § 92c SGB XI. Abs. 1 dieser Norm gibt vor, dass die Einrichtung eines Pflegestützpunktes innerhalb von sechs Monaten nach der Bestimmung durch die oberste Landesbehörde zu erfolgen hat. Kommen die hierfür erforderlichen Verträge nicht innerhalb von drei Monaten nach der Bestimmung durch die oberste Landesbehörde zustande, haben die Landesverbände der Pflegekassen innerhalb eines weiteren Monats den Inhalt der Verträge festzulegen. Dass ein vergleichbares Umsetzungskorsett in § 86 SGB XI nicht enthalten ist, kann nicht dazu führen, dass die von den Beklagten eingenommene Haltung der Totalverweigerung nicht als Rechtsbruch eingestuft und eine Verpflichtung, an den von den Klägern eingeleiteten Akten zur Institutionalisierung einer hessischen Pflegekommission mitzuwirken, verneint wird.
Die Befürchtungen der Beklagten, sie würden sich in der Pflegesatzkommission nachteiligen Mehrheitsverhältnissen ausgesetzt sehen, sind rechtlich unerheblich. § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB XI verweist auf eine entsprechende Geltung der Abs. 3 bis 7 des § 85 SGB XI. Hieraus folgt, dass die Entscheidungen der Pflegesatzkommission Mehrheitsentscheidungen sind (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB XI). Damit kann die Pflegesatzkommission auch gegen den Willen einzelner Pflegekassen oder Sozialversicherungsträger gemäß § 85 Abs. 2 SGB XI tätig werden. Gleiches gilt für die Sorge der Beklagten, sie könnten über Entscheidungen der Schiedsstelle in ihrer Verhandlungsmacht bei nachgehenden Individualvergütungsvereinbarungen geschwächt werden. Über die Verweisungsnorm des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB XI hat der Gesetzgeber angeordnet, dass nach § 85 Abs. 5 SGB XI im Falle einer Nichteinigung innerhalb der Pflegesatzkommission die Schiedsstelle angerufen werden kann, wobei nach dem später eingeführten § 85 Abs. 5 Satz 2 dieses Recht auch dem überstimmten Sozialhilfeträger allein zusteht. Diese gesetzgeberische Vorgabe für Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Pflegesatzkommission ist verbindlich und auch von der Beklagtenseite zu akzeptieren.
Nicht nachvollziehbar für den Senat ist die bisherige Untätigkeit des Hessischen Sozialministeriums als Aufsichtsbehörde. Hessischem Recht, nämlich dem Pflegeversicherungsausführungsgesetz vom 31.12.2003, ist ebenfalls zu entnehmen, dass eine Pflegekommission zu bilden ist. § 6 Abs. 2 des hessischen Pflegeversicherungsausführungsgesetzes lautet wie folgt: "(2) Die Träger der Sozialhilfe benennen der obersten Landesbehörde einen Träger der Sozialhilfe, der in den nach § 86 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zu bildenden Pflegesatzkommissionen die Interessen der örtlichen Träger der Sozialhilfe wahrnimmt. Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung einen Träger der Sozialhilfe zu bestimmen, soweit die Träger der Sozialhilfe nicht einen Träger der Sozialhilfe der obersten Landesbehörde benannt haben. In der Pflegesatzkommission tritt an die Stelle des örtlichen Trägers der Sozialhilfe der überörtliche Träger, wenn Angelegenheiten behandelt werden, die in die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe fallen."
Der Klage war somit stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine Verpflichtung zur Errichtung einer Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI besteht, zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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