L 1 KR 222/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 KR 447/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 222/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 7. Juli 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Auszahlung der Beträge hat, welche die Beklagte im Hinblick auf die Finanzierung von Verträgen zur integrierten Versorgung einbehalten hat.

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, in welchem 74 bei der Beklagten Versicherte stationär behandelt worden sind. Die hierfür angefallene Vergütung machte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit Rechnungen im Zeitraum 9. August 2004 bis 28. November 2005 geltend. Die Beklagte kürzte sämtliche Rechnungen um insgesamt 856,02 EUR unter Berufung auf die in § 140d Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V - in der Fassung vom 14. November 2004) geregelte Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung.

Mit Schreiben vom 24. November 2008 forderte die Klägerin die Beklagte auf nachzuweisen, dass die die Rechnungskürzung veranlassenden Verträge tatsächlich Integrationsverträge seien, ihr diese zuzusenden und für den Fall, dass der Nachweis nicht geführt werden könne, den einbehaltenen Differenzbetrag zu zahlen. Die Beklagte teilte unter dem 4. Dezember 2008 mit, dass sie mit der Einhaltung des gemäß § 140d Abs. 5 SGB V a.F. vorgesehenen Meldeverfahrens ihre Darlegungspflicht erfüllt habe. Weitere Auskunftspflichten seien gesetzlich nicht vorgesehen. Ein doppeltes Nachweisverfahren sei unter Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht vertretbar. Zudem enthielten die Verträge in der Regel Geheimhaltungsklauseln.

Die Klägerin hat am 22. Dezember 2008 vor dem Sozialgericht Fulda Klage erhoben. Ihr lägen keinerlei Anhaltspunkte darüber vor, welche Verträge von der Beklagten geschlossen worden seien und ob es sich bei diesen tatsächlich um Verträge zur integrierten Versorgung handele. Daher müsse sie davon ausgehen, dass solche Verträge nicht existierten, so dass der vorgenommene Einbehalt durch die Beklagte nicht zulässig gewesen sei. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass es an einer Auszahlungsverpflichtung schon deshalb fehle, weil gemäß § 140d Abs. 1 S. 8 SGB V einbehaltene Mittel nur auszuzahlen seien, soweit sie in den Jahren 2007 und 2008 einbehalten worden seien. Dies treffe auf die hier geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die Verwendung der einbehaltenen Mittel habe sie im Rahmen des Meldeverfahrens gemäß § 140d Abs. 5 SGB V a.F. dargelegt. Eine darüber hinausgehende Vorlagepflicht von Verträgen bestünde nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Juli 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 856,02 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Voraussetzungen gemäß § 140d Abs. 1 SGB V a.F. lägen nicht vor, da die Beklagte weder die Verträge im Volltext vorgelegt noch deren Inhalt und Vertragspartner näher benannt habe. Es genüge nicht, die Klägerin insoweit auf die nach § 140d Abs. 5 SGB V a.F. der gemeinsamen Registrierungsstelle zu meldenden Daten zu verweisen, da diese Daten eine inhaltliche Prüfung und Bewertung nicht ermöglichten. § 140d Abs. 5 SGB V a.F. führe auch nicht zu einer Änderung der Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagte könne ferner nicht darauf verweisen, dass nur Mittel zurückzuzahlen seien, die in den Jahren 2007 und 2008 einbehalten worden seien. Ob dies der geänderten Fassung von § 140d Abs. 1 letzter Satz SGB V zu entnehmen sei, könne dahinstehen. Denn jedenfalls sei nicht dargelegt, dass überhaupt Verträge zur integrierten Versorgung abgeschlossen worden seien.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 15. Juli 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 29. Juli 2010 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und vorgetragen, dass es sich bei den Einbehalten um Verwaltungsakte handele und die Rechtsmittelfristen abgelaufen seien. Daher sei die Klage unzulässig. Im Übrigen habe sie - die Beklagte - durch die Einhaltung des Meldeverfahrens die Verwendung der Mittel bereits dargelegt. Das Bundessozialgericht habe klargestellt, dass eine bloß überschlägige Prüfung der Verträge ausreichend sei, da andernfalls Konkurrenten im Bereich der integrierten Versorgung Anreize geboten bekämen, Verträge zu Fall zu bringen. Die Klägerin habe das Vorliegen entsprechender Verträge bzw. Zweifel an deren rechtlichen Qualität nicht substantiiert bestritten. Unter dem 6. März 2012 hat die Beklagte dem Gericht 28 Verträge übersandt, die unter Bezugsnahme auf § 140a SGB V a.F. abgeschlossen worden sind. Mit Schreiben vom 3. September 2012 hat die Beklagte die Verträge benannt, aufgrund welcher sie ab welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe Kürzungen vorgenommen habe (Bl. 230 f. d.A.):

Bezeichnung des Vertrages Kurzbezeichnung Vertragsabschluss Kürzungsbeginn und geschätztes Vergütungsvolumen

Vereinbarung zur Erprobung einer Komplexpauschale nach § 140 a ff SGB V für Patienten mit Morbus Parkinson mit der QQ-Klinik-WW-Zentrum GmbH
QQ-Klinik-Zentrum
25.6.2004
1.7.2004 xxx1 EUR 73 Versicherte xxx2 EUR pro Fall

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen VV.klinik - Praxis Dr. WW.
ÜÄ. Hessen – VV. Klinik/WW.
1.1.2004
1.2.2005 xxx3 EUR 30 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen EX-Kliniken - Praxis Dr. EE., OS.
ÜÄ. Hessen – KHS-OS./EE. 1.1.2004
1.2.2005 xxx4 EUR 10 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen IN.-Kliniken OS. - Praxis Dr. RR.
ÜÄ. Hessen – KHS-OS./RR. 1.1.2004
1.2.2005 xxx5 EUR 37 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen Kreiskrankenhaus AT. - Praxis Dr. TT.
ÜÄ. Hessen – KHS AT./TT. 1.1.2004
1.2.2005 xxx6 EUR 16 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen Mit ET.Kliniken - Praxis Dres. ZZ. u.a.
ÜÄ. Hessen – ET./ZZ. 1.1.2004
1.2.2005 xxx7 EUR 34 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen PÖ. Krankenhaus ON. - Praxis UU. u.a.
ÜÄ. Hessen – PÖ. KHS/UU. 1.1.2004
1.2.2005 xxx8 EUR 10 Versicherte
Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen OX. Krankenhaus OO. - Praxis Dres. OO. u.a.
ÜÄ. Hessen – Diakonie KHS/OO. 1.1.2004
1.2.2005 xxx9 EUR 73 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen PX-Krankenhaus – Dres. PP. u.a. ÜÄ. Hessen – PX. KHS/Dres. PP. u.a. 1.1.2004 1.2.2005

xxx10 EUR 86 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen ET-Klinik OP. - Praxis Dres. ÜÜ. u.a.
ÜÄ. Hessen – ET./ÜÜ. 1.1.2004
1.2.2005 xxx11 EUR 36 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen PÖ. Krankenhaus KG. - Praxis Dr. ÄÄ.
ÜÄ. Hessen – PÖ. KHS/ÄÄ. 1.1.2004
1.2.2005 xxx12 EUR 27 Versicherte

Vertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über neurochirurgische Leistungen in Hessen Krankenhaus IS. - Praxis Dr. ÖÖ.
ÜÄ. Hessen – IS. KHS/ÖÖ. 1.1.2004
1.2.2005 xxx13 EUR 30 Versicherte

Ergänzungsvertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140 a ff SGB V über sektorenübergreifende Komplexleistungen im Indikationsbereich Neurochirurgie in Hessen Dres. PP./LL./KK./ JJ.
ÜÄ. Hessen – Dres. PP./LL./KK./ JJ. 1.6.2005
1.9.2005 xxx14 EUR 174 Versicherte

Vertrag nach §§ 140 a ff SGB V zur integrierten Versorgung kardiologisch und kardiochirurgisch behandlungsbedürftiger Personen mit der EHX. GmbH & Co Betriebs KG (EHX.)
EHX. EH. 21.9.2005
1.10.2005 xxx15 EUR 83 Versicherte xxx16 EUR pro Fall

Vertrag zur integrierten Versorgung bei akuten und chronischen Rückenschmerzen
Vertrag zwischen MM. und Beklagten
Verträge mit Leistungserbringern:
MM./Dr. PPX. MM./Dr. HH. u.a. MM./Dr.GG. MM./Dr. FF. IVR-MM.
29.6. 2005 11.7.2005 11.7.2005 20.7.2005 12.7.2005
1.9.2005 xxx17 EUR 40 Versicherte

Zum Vertrag QQ-Klinik-Zentrum hat die Beklagte ausgeführt, dass die Vertragspartnerin zum damaligen Zeitpunkt sowohl Trägerin eines Krankenhauses wie auch einer Rehabilitationseinrichtung gewesen sei. Diese Form der integrierten Versorgung habe das Bundessozialgericht mit Entscheidung vom 6. Februar 2008 (B 6 KA 7/07 R) anerkannt. Die Leistungen fänden außerhalb der Regelversorgung statt. Das Bundessozialgericht lasse insoweit eine Vergütungspauschale genügen. Hinsichtlich der Verträge ÜÄ. Hessen sei die Beklagte über den VdEK Vertragspartner. Der Vertrag EHX. EH. sei aufgrund des Sektorenübergriffs von Akut- und Rehabilitationsbehandlung ein integrierter Vertrag. Der Vertrag IVR-MM. sei interdisziplinär-fachübergreifend. Aus der Anlage gehe auch die Teilnahme konkreter Leistungserbringer hervor. Zudem seien die Kalkulationen anhand der vertraglich vereinbarten Preise und Leistungen plausibel.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 7. Juli 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Hinsichtlich des Vertrages QQ Klinik-Zentrum sei fraglich, wie durch einen Vertrag einer Krankenkasse mit einem Leistungserbringer eine Verknüpfung akutstationärer und rehabilitativer Leistungen vorliegen könne. Zudem sei nicht ersichtlich, wann diese Vereinbarung unterzeichnet worden sei. Hinsichtlich der Verträge ÜÄ. Hessen führt sie an, dass die Beklagte nicht Vertragspartner sei. Zudem regelten diese Verträge ausschließlich ambulante Operationen. Bei außergewöhnlich komplikativen Verläufen erfolge eine Verlegung in die Klinik. Damit bleibe die Versorgung im ambulanten Bereich und eine Alternative zur Regelversorgung sei nicht gegeben. Hinsichtlich des Vertrages EHX. EH. sei nicht ersichtlich, welche Ärzte dem Vertrag beigetreten seien. Integrative Aspekte seien zudem nicht enthalten. Auch werde die Regelversorgung durch diesen Vertrag nicht ersetzt. Ferner habe die Beklagte darzulegen, wie sie die Kalkulation der Kürzungsquote berechnet habe. Eine plausible Berechnung des Finanzbedarfs, getrennt für einzelne Verträge und bezogen auf den Einbehalt für Einzelrechnungen sei nicht erfolgt. Sie bestreitet die Höhe des Abzugsbetrages.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist als (echte) Leistungsklage zulässig.

Entgegen der Ansicht der Beklagten stehen sich die Beteiligten im vorliegenden Rechtsstreit um die Auszahlung von (Rest-)Vergütungsansprüchen im Gleichordnungsverhältnis gegenüber, weshalb die echte und nicht fristgebundene Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft ist. Der Einbehalt der Vergütungsanteile zur Anschubfinanzierung von Integrationsverträgen durch die Krankenkassen gegenüber den Krankenhäusern bzw. den Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt durch Aufrechnung im Gleichordnungsverhältnis und nicht durch Verwaltungsakt (BSG, Urteile vom 2. November 2010 – B 1 KR 11/10 R – und 25. November 2010 – B 3 KR 6/10 R). Damit ist die Klage nicht wegen Verfristung unzulässig.

Die Berufung ist auch begründet.

Rechtsgrundlage des mit der Klage verfolgten restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und dem Hessischen Krankenhausbehandlungsvertrag. Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist.

Die Beklagte war berechtigt, die Rechnungsbeträge gemäß § 140d Abs. 1 SGB V in der Fassung vom 14. November 2003 (gültig vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006, Gesetz vom 14. November 2003, BGBl. I 2190, nach mehreren Änderungen aufgehoben mit Gesetz vom 22. Dezember 2011, BGBl. I S. 2983, 3006) zu kürzen. Diese Vorschrift lautete: "Zur Förderung der integrierten Versorgung hat jede Krankenkasse in den Jahren 2004 bis 2006 jeweils Mittel bis zu 1 vom Hundert von der nach § 85 Abs. 2 an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden Gesamtvergütung sowie von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung einzubehalten, soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind. ( )"

Hiernach sind die Krankenkassen berechtigt gewesen, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter, bereits abgeschlossener Integrationsverträge einzubehalten (BSG, Urteile vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 5/07 R und B 6 KA 27/07 R; Baumann in: jurisPK, § 140d SGB V, Rn 26).

Verträge zur integrierten Versorgung im Sinne des § 140a Abs. 1 Satz 1 SGB V können über eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung geschlossen werden.

Der Begriff der interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung setzt eine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen die Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem im ambulanten Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw. im stationären Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt bzw. der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem Anästhesisten bzw. seinem Fachgebiet. Erforderlich ist vielmehr ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen von Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete (s. BSG, Urteile vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 5/07, B 6 KA 27/07 R).

Der Begriff der Leistungssektoren i.S. des § 140a Abs. 1 Satz 1 SGB V ist gesetzlich nicht definiert. Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung zu bestimmen. Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht vor allem darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren stattfinden, um eine wirtschaftlichere Versorgung zu ermöglichen, die medizinischen Behandlungsabläufe für die Versicherten zu verbessern und z.B. Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und Behandlungsdiskontinuitäten zu vermeiden. Damit ist der Begriff der "leistungssektorenübergreifenden Versorgung" funktionell zu bestimmen. Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher Schwerpunkt. "Übergreifend" ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nunmehr verknüpft. Behandlungsansatz und Ausrichtung des einzelnen Leistungsprozesses (z.B. hausärztliche Versorgung, ambulante Versorgung insgesamt, operative Behandlung, medizinische Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf, ob einzelne Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen Sektoren angehören. Eine Operation und die anschließende Rehabilitation dienen unterschiedlichen medizinischen Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit betreffen sie verschiedene Leistungssektoren i.S. des § 140a Abs. 1 SGB V. Wichtigster Anwendungsfall einer Versorgung, die verschiedene Leistungssektoren miteinander verknüpft, ist die Verzahnung von ambulanten und stationären Behandlungen. Auch innerhalb des stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung möglich und bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften für die integrierte Versorgung geboten. So kann etwa die Verknüpfung der Akutbehandlung in einem Krankenhaus - z.B. Durchführung einer Operation oder Behandlung eines Schlaganfalls - mit der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand eines Integrationsvertrages sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger einer stationären Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen Versorgungssystem Schnittstellenprobleme, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können (s. BSG, Urteile vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 5/07 R und B 6 KA 27/07 R).

Über das Erfordernis einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung hinaus sind Verträge der in § 140b Abs 1 SGB V a.F. genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig überwiegend ersetzt werden. Als wichtiges Indiz hierfür liegt vor, wenn den Leistungserbringern eine verschiedene Vergütungsregime überschreitende Budgetverantwortung obliegt und sie z.B. für die Gesamtbehandlungsmaßnahmen eine Vergütungspauschale erhalten (s. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 27/07 R).

Ob Verträge die Voraussetzungen von § 140d SGB V a.F. erfüllen, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Die Beklagte kann sich daher nur bei entsprechender Vorlage der Verträge erfolgreich auf diese berufen. Denn gemäß § 140b Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Krankenkassen nur zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge berechtigt, Vergütungsanteile von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung einzubehalten. Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar, dass Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Vergütungsbestandteile einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 5 SGB V nach drei Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten. Die gemeinsame Registrierungsstelle (BQS) prüft weder, noch stellt sie verbindlich fest, dass ein Vertrag im Sinne des § 140a Abs. 1 SGB V vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 - B 6 KA 27/07 R). Daher sind im Streitfall die Verträge daraufhin zu überprüfen, ob ein Vertrag vorliegt, der eine integrierte Versorgung zum Gegenstand hat (vgl. LSG, Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. April 2010 L 5 KR 12/08; ähnlich LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. September 2009 – L 9 KR 470/08; a.A. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2009 – L 1 KR 76/08. Seit dem 1. Januar 2012 sind gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 SGB V die Verträge gemäß § 140a SGB V der zuständigen Aufsichtsbehörde vorzulegen, Gesetz vom 22. Dezember 2011, BGBl I, 2983). Eine bloß überschlägige, die Grundvoraussetzungen des Vertrages über integrierte Versorgung einbeziehende sozialgerichtliche Prüfung ist ausreichend (BSG, Urteile vom 2. November 2011 – B 1 KR 11/10 R – und 25. November 2011 B 3 KR 6/10 R).

Nach den o.g. Grundsätzen handelt es sich bei den maßgeblichen – von der Beklagten erst im Berufungsverfahren vorgelegten – Verträge um solche im Sinne der §§ 140a ff SGB V.

Der Vertrag QQ-Klinik-Zentrum zwischen der QQ-Klinik-WW-Zentrum GmbH und den Krankenkassenverbänden soll eine bessere Vernetzung der stationären Akutbehandlung und stationären Rehabilitation mit Hilfe einer neuen Vergütungsform sicherstellen. Es wurde eine Komplexpauschale bestehend aus einem Entgeltmodul für die stationäre Krankenhaus- und die Rehabilitationsleistung vereinbart. Die QQ-Klinik ist spezialisiert auf die Diagnostik und Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson. Die QQ Klinik GmbH war bei Vertragsabschluss Trägerin eines Krankenhauses sowie einer Rehabilitationseinrichtung. Der Vertrag verknüpft die Bereiche der stationären Akutbehandlung und der stationären Rehabilitation, die in der traditionellen Versorgung typischerweise inhaltlich und institutionell getrennt sind. Der Vertrag erfasst dadurch übergreifend verschiedene Leistungssektoren. Der Vertrag bestimmt, dass eine am Versorgungsbedarf orientierte Zusammenarbeit zwischen den an der Versorgung Beteiligten sicherzustellen ist. Als Vergütung hierfür sind Komplexfallpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachten Leistungen - einschließlich derjenigen der Rehabilitationsklinik - abgelten. Damit regelt der Vertrag eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 5/07 R – zu einer ähnlich gelagerten Fallgestaltung).

Gegenstand der Verträge ÜÄ. Hessen ist die Behandlung in Form einer neurochirurgischen Versorgung mit der Möglichkeit der postoperativen ambulanten und stationären Nachsorge. Dadurch soll die Trennung der Sektoren im Sinne einer Optimierung des Behandlungsprozesses überwunden werden und eine kürzere Behandlungsdauer in den indizierten Fällen erreicht werden. Die in Anlage 1 zum Vertrag aufgeführten Operationen werden durch die neurochirurgischen Praxen durchgeführt. Bei außergewöhnlich komplikativen Verläufen erfolgt eine vollstationäre Versorgung (§ 3). Die Vergütung erfolgt durch Komplexpauschalen, die bei außergewöhnlichen Komplikationen reduziert wird. Mit der Komplexpauschale sind alle Vertragspflichten der Klinik sowie die Leistungen der Ärzte abgegolten. Eine zusätzliche Vergütung für prä- oder poststationäre Behandlungen erfolgt nicht (§ 5). Nach Abschluss der Behandlung übersendet die Klinik eine Rechnung in Höhe der Komplexpauschale (§ 8). Aufgrund der streitigen Verträge über integrierte neurochirurgische Behandlungsleistungen kann die vollstationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten ersetzt werden. Diese haben die Wahl, ob sie sich in ein Krankenhaus einweisen und dort vollstationär behandeln lassen oder ob sie den Vertragspartner des Vertrages aufsuchen und sich im Rahmen des neu geschaffenen Versorgungsangebotes behandeln lassen. Die Klinik rechnet mit der Beklagten eine einheitliche Pauschale ab und vergütet ihrerseits die behandelnden niedergelassenen Ärzte. Es fallen somit - anders als etwa bei einer belegärztlichen Tätigkeit - Abrechnungen nach dem EBM-Ä und die übliche Vergütung des Krankenhauses über DRG weg. Dies verwirklicht mit der verschiedene Vergütungsregime überschreitenden Budgetverantwortlichkeit der neurochirurgischen Vertragspartner der Beklagten ein entscheidendes Element der integrierten Versorgung. Darüber hinaus können durch die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von Wartezeiten Ziele integrierter Versorgung erreicht werden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. April 2010; a.A. SG Berlin, Urteil vom 29. August 2012 - S 36 KR 2137/10 - Rn 76 ff.). Ausweislich der in Anlage 1 zu den Verträgen aufgeführten Operationen handelt es sich auch nicht um solche, die grundsätzlich ambulant durchgeführt werden können. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte schließlich auch über den VdEK Vertragspartnerin.

Gegenstand des Vertrages EHX. EH. ist die Behandlung von kardiologisch und kardiochirurgisch behandlungsbedürftigen Patienten in Form einer behandlungsphasen- und sektorenübergreifenden Versorgung. Die bessere Verknüpfung der akutstationären Versorgung mit der ambulanten und stationären Rehabilitation und der ambulanten fachärztlichen Nachversorgung zu einem integrierten Gesamtkonzept soll unter Anwendung neuer Vergütungsformen (Behandlungspauschalen) erreicht werden. Dies soll einen Einstieg in eine bereichsübergreifende Leistungserbringung als auch innovative Versorgungsformen ermöglichen. Die Behandlungspauschalen umfassen alle im Rahmen der Leistungserbringung anfallenden Kosten (§ 6 Abs. 2). Hierzu gehören die stationäre Krankenhausbehandlung (kardiologische Diagnostik/Therapie, kardiochirurgische Intervention), die Rehabilitation und die Nachsorge. Zu den beteiligten Vertragspartnern gehören eine kardiologische Fachklinik, die Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, das Zentrum für Rehabilitation und Prävention sowie kooperierende niedergelassene Kardiologen/Internisten mit Schwerpunkt Kardiologie. Das EHX. organisiert die Zusammenarbeit mit den vertragsbeteiligten Rehabilitationseinrichtungen. Der Übergang von der Akutversorgung zur Rehabilitation soll nahtlos ohne Wartezeiten und nur bei vollständiger Rehabilitationsfähigkeit des Patienten erfolgen (§ 5 Abs. 5). Aufgrund der Verknüpfung der akutstationären Versorgung mit der ambulanten und stationären

Rehabilitation liegt bereits eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung vor. Damit ist es nicht entscheidungserheblich, zu welchem Zeitpunkt welche Ärzte als weitere Kooperationspartner dem Vertrag beigetreten sind.

Der Vertrag zur integrierten Versorgung bei akuten und chronischen Rückenschmerzen (IVR-MM.) ist zwischen der MM. GmbH (MM.), der Beklagten sowie weiteren Krankenkassen geschlossen worden. Die MM. GmbH consulting, MM1., ist 1999 als Ausgründung des wirtschaftlichen Bereichs der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. entstanden. Sie entwickelt, verhandelt und managt bundesweit im Auftrag der Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie und verschiedener Krankenkassen integrierte Versorgungsverträge im Bereich der Schmerztherapie. Mit dem Vertrag IVR-MM. soll die Versorgung und Lebensqualität von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen durch Etablierung einer integrierten fachärztlichen Versorgung unter Einbezug anderer medizinischer Heilberufe - insbesondere von Physiotherapie und Psychotherapie - verbessert werden. Die IVR umfasse in der Regel einen Zeitraum von einem Monat in einer schmerztherapeutischen Schwerpunkteinrichtung (zum Leistungsangebot s. Anlage 1a, 1c). Der MM. obliege die Rekrutierung weiterer Einrichtungen (§ 2 Abs. 5); sie verpflichtet sich zu einer zielgerichteten, qualitätsgesicherten, wirksamen, ausreichenden und zweckmäßigen sowie wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten (§ 3 Abs. 1). Für Abrechnungen von Leistungen im Rahmen dieser Vereinbarung gilt ausschließlich dieser Vertrag. Vergütungen nach EBM oder GOÄ sind ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1). Die MM. stellt einzelfallbezogene Rechnungen (§ 6 Abs. 2). Gemäß § 140b Abs. 1 Nr. 4 SGB V können Management- oder Consultinggesellschaften Verträge zu integrierter Versorgung anbieten. Ein solcher Vertrag bedarf der vertraglichen Einbindung der einzelnen Leistungserbringer. Entsprechende Verträge mit Leistungserbringern sind im Juli 2005 abgeschlossen worden. Aufgrund der Verbindung fachärztlicher Versorgung mit anderen medizinischen Heilberufen liegt auch eine integrierte Versorgung vor. Damit berechtigten auch diese Verträge zur Rechnungskürzung.

Diese Verträge gemäß §§ 140a ff SGB V sind jeweils zum Zeitpunkt der Heranziehung für die Rechnungskürzung bereits abgeschlossen gewesen.

Die Rechnungskürzungen sind hinsichtlich der Höhe nicht zu beanstanden. § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. räumte den Krankenkassen eine weitreichende Einschätzungsprärogative hinsichtlich des zu erwartenden Finanzbedarfs ein. Dies beruhte darauf, dass es sich um die Einführung und Erprobung einer neuen Ausgestaltung der Leistungserbringung handelte, über die noch keine hinreichenden Erfahrungen vorhanden waren. Gerade in den Jahren 2004 und 2005 konnten nur grobe Schätzungen hinsichtlich des Finanzbedarfs angestellt werden, da dieser sich aus verschiedenen, in ihrer Größe nicht genau bestimmbaren Determinanten ergeben hat (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 24. Juni 2009 - L 1 KR 76/08). Es ist daher ausreichend, wenn die Mittel nach den plausiblen prognostischen Berechnungen der Krankenkasse zur Umsetzung einer konkreten integrierten Versorgungsform erforderlich sind (vgl. Baumann, in: juris PK-SGB V, § 140d Rn. 23; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. April 2010). Die Berechnungen der Beklagten sind plausibel. Sie hat jeweils die Anzahl der Versicherten für die einzelnen Jahre geschätzt, eine aus dem Vergütungsvolumen abgeleitete Quote errechnet und diese zur Zahlungskürzung herangezogen. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat die Klägerin nicht angeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 und 155 Abs. 4 VwGO. Es war zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Versorgungsverträge erst im Berufungsverfahren vorgelegt hat.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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