S 40 KR 1407/12 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 40 KR 1407/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld im Wege einer einstweiligen Anordnung. Die Antragsteller bezogen zunächst Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zum 23.06.2012 nahmen sie eine Beschäftigung bei der Firma L GmbH auf. Diese meldete sie bei der Antragsgegnerin als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte an. Am 23.08.2012 wurde für beide Antragsteller das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt. Am gleichen Tag wurde das Arbeitsverhältnis zum 07.09.2012 gekündigt. Bis zum 31.08.2012 erhielten sie Entgeltfortzahlungen. Ab dem 01.09.2012 bezogen sie fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Sodann wandten sie sich an die Antragsgegnerin wegen einer weitergehenden Krankengeldzahlung. Diese lehnte die Zahlung durch Bescheid vom 05.10.2012 mit der Begründung ab, dass wegen des geringen Entgeltes entgegen der Meldung keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe. Dagegen erhoben die Antragsteller mit Email vom 15.10.2012 Widerspruch. Mit dem am 07.12.2012 gestellten Antrag verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Sie seien bei der Firma L GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass ihnen nunmehr ein Anspruch auf Krankengeld zustehe. Man habe sie in diesem Zusammenhang in dem Glauben gelassen, dass sie mehr als 400 Euro verdienen würden. Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen jeweils Krankengeld in gesetzlicher Höhe ab dem 01.09.2012 fortlaufend zu zahlen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung trägt sie vor, dass kein Anordnungsanspruch gegeben sei. Es habe schon keine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld bestanden. Zwar sei ein Arbeitsverhältnis mit der Firma L GmbH geschlossen worden. Dabei hätten die Antragsteller jedoch Entgelte unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielt. Dies sei bei der Bewertung der Sozialversicherungspflicht maßgeblich. Zudem sei auch ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich, da der Lebensunterhalt durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB II gesichert sei. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die das Gericht beigezogen hat, Bezug genommen.

II. 1. Die Anträge sind unbegründet. Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß §§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Zur Glaubhaftmachung einer Tatsache ist dabei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Aufl., § 128 Rn. 3d). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, weil mit der einstweiligen Anordnung der gegenwärtige Zustand geregelt werden soll (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2011, Az.: L 9 KR 23/11 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 31.01.2012, Az.: L 11 AS 982/11 B ER; SG Dortmund, Beschluss vom 13.01.2010, Az.: S 40 KN 316/09 KR ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rn. 42). Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist erforderlich, dass das Bestehen eines materiellen Anspruches glaubhaft gemacht worden ist. Die Anordnung muss zudem erforderlich sein, um zu vermeiden, dass die Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Entscheidend ist dabei, ob ihnen ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann, wobei die Interessen der Antragsteller sowie die öffentlichen und gegebenenfalls solche beteiligter Dritter zu berücksichtigen sind (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86 b Rn. 28; Binder, in: Hk-SGG, 3. Aufl., § 86 b Rn. 35). Nur dann ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Nach diesen Maßstäben konnten die Anträge keinen Erfolg haben, denn es fehlt schon an einem Anordnungsgrund. a. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht erkennbar geworden. Die Antragsteller beziehen gegenwärtig Leistungen nach dem SGB II. Damit sind alle elementaren Bedürfnisse des täglichen Lebens abgesichert. Denn über den Leistungsbezug ist einerseits die Versorgung im Krankheitsfall sichergestellt (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch [SGB V] sowie Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.02.2013 – Bl. 25 der Gerichtsakte). Anderseits droht kein Wohnungsverlust, weil die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II ebenso abgedeckt sind. Schließlich sichert der Regelbedarf nach § 20 SGB II das soziokulturelle Existenzminimum (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II sowie Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.04.2008, Az.: B 1 KR 10/07 R). In einer solchen Situation geht die Kammer in ständiger Rechtsprechung vom Fehlen einer besonderen Eilbedürftigkeit aus (z.B. SG Dortmund, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: S 40 KR 951/10 ER; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rn. 29f.). Es kommt hinzu, dass die Antragsteller eine irgendwie geartete Eilbedürftigkeit weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht haben. Darlegungen ihrer Vermögens- und Einkommenssituation sowie bezüglich der laufenden Kosten finden sich nicht. b. Soweit eine Eilbedürftigkeit auch bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II mit deren geringerer Höhe sowie den damit verbundenen besonderen Verpflichtungen begründet wird (Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.08.2011, Az.: L 5 KR 271/11 B ER; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 16.11.2012, Az.: L 5 KR 182/12 B ER), folgt dem die Kammer nicht. Die Ansicht verkennt Sinn und Zweck der Regelung des § 86b Abs. 2 SGG. Das sozialgerichtliche Verfahren ist grundsätzlich auf nachträglichen Rechtsschutz ausgerichtet (vgl. etwa zur Notwendigkeit eines Vorverfahrens § 78 SGG und zum Klagegegenstand § 95 SGG). Nur in Ausnahmefällen soll davon im Rahmen des einstweiligen oder vorbeugenden Rechtsschutzes abgewichen werden. Dabei kommt eine Ausnahme nach § 86b Abs. 2 SGG in Betracht, wenn die Sache eine besondere Eilbedürftigkeit aufweist, weil das Abwarten der Hauptsache unzumutbar ist (vgl. Krodel, in: Beck scher Online-Kommentar, SGG, § 86b Rn. 73). Dies ist der Fall, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) stellt dabei besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05; Krodel, in: Beck scher Online-Kommentar, SGG, § 86b Rn. 72). Weder die gegebenenfalls höheren Krankengeldleistungen noch die besonderen, durch das SGB II begründeten Verpflichtungen stellen nach Ansicht der Kammer insoweit erhebliche, unzumutbare oder schwere Nachteile dar. Insbesondere bezüglich der Höhe der Leistungen kommt hinzu, dass dieser Nachteil ohne Weiteres im Rahmen des Hauptsacheverfahrens mittels einer zu verzinsenden Zahlung ausgeglichen werden kann. Dies gilt im Übrigen auch für die durch die Krankengeldzahlungen begründeten Rentenanwartschaften (anders aber Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.08.2011, Az.: L 5 KR 271/11 B ER). Die Krankengeldzahlungen werden bei der Rente unabhängig davon berücksichtigt, ob sie im Eilverfahren zugesprochen werden oder im Rahmen des Hauptverfahrens eine positive Entscheidung ergeht. Dass durch die spätere Zahlung im Rahmen des Hauptverfahrens insoweit in jedem Falle ein wesentlicher Nachteil entsteht, ist nicht ersichtlich. c. Soweit die Antragsteller Leistungen für die Vergangenheit, d.h. vor der Entscheidung der hiesigen Kammer (zum Zeitpunkt ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 16.11.2012, Az.: L 5 KR 182/12 B ER), geltend machen, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. In der Regel besteht kein Anordnungsgrund, sofern Geldleistungen für die Vergangenheit begehrt werden, weil mit der einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG der gegenwärtige Zustand geregelt werden soll (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.11.2009, Az.: L 11 KR 42/09 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2011, Az.: L 9 KR 23/11 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 31.01.2012, Az.: L 11 AS 982/11 B ER; SG Dortmund, Beschluss vom 15.07.2008, Az.: S 44 KR 42/08 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 19.09.2008, Az.: S 40 KR 222/08 ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rn. 28; Binder, in: Hk-SGG, § 86b Rn. 35). Es ist zudem nicht ersichtlich, dass durch die Ablehnung der Krankengeldzahlungen für die Vergangenheit gegenwärtig die Vernichtung der Lebensgrundlage der Antragsteller droht. Vortrag dazu findet sich nicht. Für die Erstattung möglicherweise aufgewandter eigener finanzieller Mittel oder zur Tilgung hierfür eventuell eingegangener Verbindlichkeiten kann die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergehen, weil die damit verbundenen Nachteile bereits eingetreten sind und deshalb nicht mehr abgewendet werden können (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.11.2009, Az.: L 11 KR 42/09 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 13.01.2010, Az.: S 40 KN 316/09 KR ER). Es kommt hinzu, dass eine rückwirkende Zahlung des Krankengeldes einschließlich einer angemessenen Verzinsung bei einem Obsiegen in der Hauptsache sichergestellt ist. d. Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass gegenwärtig auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden ist, weil keinerlei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt worden sind. Es ist nicht ersichtlich, ob den Antragstellern weiterhin entsprechende Bescheinigungen ausgestellt werden. Damit aber ist das Vorliegen einer Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld ebenso wenig glaubhaft gemacht worden. 2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 193, 183 SGG.
Rechtskraft
Aus
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